Dr. Baumgärtner, Baden-Württemberg: Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Präsident, auch von mir vielen Dank
für Ihre Rede. Ich danke Ihnen auch dafür, dass Sie uns bei den Demonstrationen
in Stuttgart und in Sindelfingen immer unterstützt haben. Wir haben jetzt drei
Termine hinter uns. Zum ersten Termin kamen 5 000 Kolleginnen und
Kollegen, in Sindelfingen waren es dann 7 000 und jetzt auf dem
Stuttgarter Schlossplatz waren es 10 000. Ohne Ihre Unterstützung wäre
dies kaum möglich gewesen.
Bewegt haben mich heute Vormittag bei der
Eröffnungsveranstaltung die beiden Reden der Politiker. Ich muss Ihnen sagen:
Ich sehe das, was heute ausgeführt wurde, ausgesprochen kritisch. Wir hören
jedes Jahr dasselbe und es ändert sich definitiv nichts.
(Beifall)
Ich beginne einmal mit Herrn Böhmer. Er hat ja gesagt: Das
Morbiditätsrisiko soll auf die Krankenkassen verlagert werden. Ich weiß nicht,
ob alle gehört haben, was er danach gesagt hat. Da hat er nämlich gesagt, dass
die Leistungsmenge von den Leistungserbringern selbst gesteuert werden müsse.
Das bringt uns immer wieder in die Falle, dass wir in den Praxen eine
Zuteilungsmedizin betreiben müssen. Die Politik getraut sich nicht, eindeutig
zu sagen: Dieses gibt es, jenes gibt es nicht. Das ist der Kernfehler auch
dieser Gesundheitsreform.
(Beifall)
Ich habe vor einer Woche aus dem Bundeskanzleramt einen Brief
erhalten, in dem steht, man wolle mit dem AVWG die wirtschaftliche
Verantwortung der Ärzte für den Arzneimittelbereich stärken. Das ist unerhört!
Es kann nicht sein, dass wir für das Anspruchsverhalten der Versicherten
herhalten müssen, es kann nicht sein, dass wir für den Kassenwettbewerb
herhalten müssen. Es kann auch nicht sein, dass wir für all das herhalten
müssen, was dauernd in den Medien berichtet wird, was man in den Arztpraxen
alles bekommen könne. Das muss von der Politik klar angegangen werden.
(Beifall)
Die Bundesgesundheitsministerin hat erklärt, die
Selbstverwaltung sei am EBM-Desaster selber schuld. Sie hat genüsslich einen
Brief des damaligen KBV-Vorsitzenden vorgelesen. Ich war damals
KBV-Vorstandsmitglied. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Ministerin hat natürlich
massiv auf diesen EBM Einfluss genommen. Herr Knieps hatte Angst - es gibt
einen entsprechenden Brief -, die Leistungsmenge würde in den Ländern
zurückgefahren. Im Osten wäre die Leistungsmenge auf 50 Prozent dessen, was im
Augenblick erbracht wird, zurückgegangen. Davor hatte Herr Knieps Angst. Er hat
den Vorstand der KBV unter Druck gesetzt, dass man die Monopolywährung
beibehält und floatende Punktwerte einführt.
Die Realität ist: Die Ministerin und das Ministerium haben
massiv auf diese Entscheidungen Einfluss genommen. Die Ministerin kann heute
nicht erklären: Ihr wart es! Sie hätte damals die Möglichkeit gehabt, dafür zu
sorgen, dass die Kassen ihre Schulden bezahlen und mehr Geld in das System
geben. Das ist alles bekannt. Aber man wollte es nicht.
Morgen wird in der "Süddeutschen Zeitung" stehen, dass die
Selbstverwaltung an dem Desaster selber schuld ist. Das ist aber nicht richtig.
Es ist der Geldmangel, es ist die Verweigerung der Politik, eine Entscheidung
darüber zu treffen, was solidarisch bezahlt wird und was nicht.
Ich will aber nicht nur jammern und nicht nur kritisieren. Ich
sage hier auch für meinen Verband, den Verbund MEDI Deutschland, dass es nicht
darum geht, nur zu jammern, sondern wir sind selbstverständlich bereit, die Bevölkerung
auch in Zukunft preisgünstig zu versorgen. Wir sind sicher nicht bereit, unter
Ausnutzung unserer Arbeitskraft tagtäglich ein System, das eigentlich pleite
ist, am Laufen zu halten. Dazu sind wir mit Sicherheit nicht bereit.
Die Politik hat von uns ein Eckpunktepapier vorgelegt
bekommen, in dem steht, was die Ärzte und die freien Verbände wollen; das ist
abgestimmt.
Ich glaube, die meisten unterschätzen, was im Augenblick auf
uns zukommt. Wir erwarten, dass die Politik diese Eckpunkte übernimmt, dass wir
zumindest Teile dieser Eckpunkte in den politischen Entscheidungen wieder finden.
Wir müssen uns aber auch an die eigene Nase fassen und eigene
Fehler korrigieren. Wir müssen schauen, dass wir aus den
Integrationsversorgungsverträgen herauskommen. Wir haben unter immer mehr
Bürokratie zu leiden, wir erbringen immer mehr Leistungen aufgrund von
IV-Verträgen, aber die Kassen lehnen sich zurück und zahlen keinen Cent mehr.
Wir müssen daran denken, die IV-Verträge einzufrieren und keine neuen
IV-Verträge mit den Krankenkassen abzuschließen.
Auch das Thema DMP müssen wir neu beleuchten. Es geht hier nur
um RSA-Gelder, um nichts sonst.
Unsere Kernforderung auch für den ambulanten Bereich muss
sein, dass die Mindestvergütung von 5,11 Cent von den Krankenkassen bezahlt
wird. Das einzige Druckmittel, das wir im Augenblick haben, besteht darin, dass
wir erklären: Wir verknüpfen das mit den DMPs. Da müssen Sie uns helfen.
Wir wollen einen runden Tisch mit der Politik haben. Wir
wollen über die Eckpunkte, über unsere Kernpunkte, über unsere Forderungen mit
der Politik verhandeln. Wir brauchen auch hinsichtlich der angestellten Ärzte
einen runden Tisch. Die Politik will die vorhandenen Probleme aussitzen. Die
Politik wartet im ambulanten und auch im stationären Bereich und hofft, dass
das Ding zusammenbricht. Das ist die Erwartung der Politik.
Ich möchte hier ganz klar sagen: Wenn die Arbeitgeber für den
stationären Bereich nicht einlenken und endlich ein Verhandlungsangebot
vorlegen, das auch der Marburger Bund annehmen kann, dann sollte sich der
niedergelassene Bereich bis zur Weltmeisterschaft an die Seite des Marburger
Bundes stellen. Vielleicht schließen wir während der Weltmeisterschaft die
Praxen und die Kliniken. Vielleicht werden wir dann gehört.
Vielen Dank.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen
Dank, Herr Baumgärtner. Sie wissen wahrscheinlich, dass Abstimmungen von
Sendern wie n-tv ergeben haben, dass die Bevölkerung das als nachvollziehbar
betrachtet. Darüber habe ich mich sehr gewundert. Es wurde gefragt: Finden Sie
es in Ordnung, dass die Weltmeisterschaft als Druckmittel benutzt wird, um die
eigenen Ziele durchzusetzen? Fast 60 Prozent der Befragten haben mit Ja
gestimmt. Das finde ich ausgesprochen ermutigend für uns und ungewöhnlich. Ich
habe das so nicht erwartet. Ich habe erwartet, dass man sagt: Nein, während der
Weltmeisterschaft muss Burgfriede herrschen, damit die Welt nur ja keinen
schlechten Eindruck von uns bekommt.
So hätte man es ja auch formulieren können. Das ist aber nicht
geschehen. Ich glaube, das sollten wir würdigen und sehen, dass wir eine starke
Rückendeckung vonseiten der Bevölkerung erfahren.
Herr Fuchs sagt mir gerade, dass es einige Anträge gibt, die
zu den Leitanträgen des Vorstands eingereicht wurden. Die Damen und Herren
Antragsteller mögen bitte sehr genau darauf achten, ob es sich um einen Antrag
zu der Thematik "Patientenversorgung in Deutschland - Rahmenbedingungen ärztlicher
Berufsausübung" handelt oder um einen Antrag zum Tätigkeitsbericht. Das möge
bitte sorgfältig unterschieden werden. Achten Sie bitte darauf, damit wir die
eigentliche Aussage, die wir treffen wollen, nicht verwässern. Ich bin sicher,
dass das kein Problem ist.
Jetzt ist Herr Thiel an der Reihe. Er hat eine Präsentation
vorbereitet. Wir begrüßen Sie herzlich und freuen uns auf Ihren Beitrag. Bitte
schön.
(Beifall)
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