Dr. Thiel, geladener Gast: Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet heute zum 109.
Deutschen Ärztetag, dass die Frage der ärztlichen Weiterbildungsordnung und
Fragen zur Behandlung von Menschen mit psychischen und psychosomatischen
Erkrankungen auf der Tagesordnung stehen. Es heißt wörtlich:
Doch die meisten Ärzte und erst recht die Öffentlichkeit
wird das nicht interessieren.
So sehen wir das auch. Wir freuen uns, dass wir hier
eingeladen wurden und aus den Universitätskliniken vor Ort berichten können,
wie der Stand der Dinge ist. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat absolut
Recht. Herr Böhmer hat offensichtlich in der gestrigen Ausgabe der "Frankfurter
Allgemeinen Zeitung" gesagt, dass unsere Forderungen nicht berechtigt sind.
Ist das in unserem Sinne? Können Sie das unterschreiben? Wir
an den Universitätskliniken können das nicht unterschreiben. Die
Universitätskliniken sind im Aufruhr, die Universitätskliniken brennen.
(Beifall)
Wir sind im Moment die Speerspitze dieser Bewegung. Wir tragen
diese Bewegung. Der Rest Deutschlands muss sich anschließen, ob es sich um
kommunale Häuser oder um niedergelassene Kollegen handelt.
2004 sind wir zusammen mit wenigen Personen zum ersten Mal
nach Stuttgart gefahren, nachdem man uns das Weihnachtsgeld und das Urlaubsgeld
gekürzt bzw. gestrichen hatte. 2005 folgten viele Streikaktionen, tageweise. Im
Juli 2005 folgte eine wochenlange Streikaktion. Man hat Verhandlungen angefangen,
die dann aber unnötig in die Länge gezogen wurden. Das war die Taktik des
Aussitzens.
Wir sind unserer ethischen Verpflichtung stets nachgekommen.
Wir haben eine umfangreiche Notfallversorgung angeboten. Nicht zuletzt deswegen
- zumindest ist das meine Meinung - unterstützt uns die Bevölkerung, auch wenn
wir sagen: Wir streiken während der Fußballweltmeisterschaft.
Nachdem diese Verhandlungen gescheitert waren, befinden wir
uns in Freiburg in der zehnten Streikwoche ohne Pause. Die TdL sitzt uns
tatsächlich im Nacken. Warum haben wir noch immer keinen Ärztetarifvertrag?
Sind unsere Forderungen überzogen? Auf der anderen Seite unterstützen uns mehr
als 80 Prozent der Öffentlichkeit.
Ein 32-jähriger Assistenzarzt im vierten Jahr der
Weiterbildung, tätig an einer Exzellenzuniversität, tätig in Forschung und
Lehre, mit eigenem Laborprojekt, bekommt im Monat 1 651 Euro - für 60
Stunden Arbeit, für Arbeit in der Forschung, ohne Möglichkeit des
Hinzuverdienstes. Wir arbeiten arbeitszeitgesetzkonform; trotzdem gibt es
Überstunden, die nicht erfasst und nicht bezahlt werden.
(Zurufe: Sauerei! Frechheit!)
Wir wollen Arbeitsbedingungen, unter denen wir tatsächlich
Spitzenleistungen erbringen können.
Jetzt haben ver.di und TdL einen Tarifvertrag abgeschlossen,
der uns 16 Prozent mehr bietet. Ist das ein Grund, uns zu freuen? Von wegen.
Die meisten haben wahrscheinlich die Anlage 5 gelesen: Arbeitszeiterhöhung auf
42 Stunden. Es gibt die Klausel hinsichtlich der Zukunftssicherung, die besagt,
dass die Klinik bei wirtschaftlicher Schieflage sofort um 10 Prozent kürzen
kann. So sichert man die Zukunft der Ärzte in Deutschland! So geht man mit den
Leistungsträgern um!
Die Ärzte an der Universitätsklinik Freiburg sind sauer, die
Ärzte in ganz Süddeutschland sind sauer. Dort hinten stehen meine Kolleginnen
und Kollegen aus Ulm, Tübingen und Heidelberg!
(Beifall)
Wir haben Unterstützung durch die bayerischen Universitäten
erhalten. Wir begrüßen die Kolleginnen und Kollegen aus München, die ebenfalls
dort hinten stehen!
(Beifall)
Wir sind sauer. Wir haben jeden Morgen von 9 bis 10 Uhr eine
Vollversammlung. Dort besprechen wir die aktuelle Situation. Im Moment sind
alle unsere Kolleginnen und Kollegen der Meinung, dass allen Kolleginnen und
Kollegen, die diesen Tarifvertrag akzeptieren, den Bürokraten für uns
abgeschlossen haben, der Arsch richtig auf Grundeis gehen soll!
(Beifall)
Wir verstehen die Welt nicht mehr. Wir sind leistungsbereit,
wir wollen nicht bezahlt werden, ohne dass wir dafür international
konkurrenzfähige Spitzenleistungen erbringen. Man muss uns aber
Arbeitsbedingungen ermöglichen, unter denen wir diese Leistungen erbringen
können. Im Moment haben wir keine Zukunft mehr. Oberarztstellen sind völlig
unattraktiv geworden. Mit W-Verträgen können wir uns keine Zukunft vorstellen.
Die Niederlassung wird unattraktiver. Letztendlich sind wir flexibel. Wir werden
ins Ausland abwandern.
Was sagt Herr Struck dazu? Er meint:
Erst einmal muss der Speck im System konsequent abgebaut
werden.
Ich weiß nicht, wo bei 1 600 Euro noch der Speck sein
soll.
Wir gehen ein hohes persönliches Risiko ein. Wir haben
Gehaltseinbußen von bis zu 1 000 Euro im Monat. Vom "Speck" bleiben noch
600 Euro übrig. Das ist knapp. Trotzdem halten wir solidarisch diesen Streik
durch.
(Beifall)
An anderer Stelle kann man durchaus sehen, wo man einsparen
könnte. Wenn die Einsparmaßnahmen nicht ausreichen, müssen wir uns überlegen,
wie das Betttuch, das nicht mehr für uns alle ausreicht, vergrößert werden
kann. Das kann nicht dadurch geschehen, dass jeder an einer anderen Ecke zieht,
sondern wir müssen gemeinsam zusammenstehen. Wir sitzen in einem gemeinsamen
Boot. Es hat an den Universitätskliniken lange gedauert, bis das ins Bewusstsein
gedrungen ist. Inzwischen sitzen die Universitätsärzte mit im Boot; zu Beginn
sah das anders aus. Damals saßen wir nicht nur nicht in einem gemeinsamen Boot,
sondern wir ruderten auch noch in unterschiedliche Richtungen.
Mein Appell geht an die Kollegen aus den kommunalen
Krankenhäusern und an die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, mit uns an
einem Strang zu ziehen. Wir müssen das Ganze reißen. Wir können das nur
zusammen reißen. Wir machen die Medizin nur zukunftsfähig, wenn wir
zusammenstehen.
(Beifall)
Der Leitspruch der Streikbewegung in Freiburg lautet: Wir für
uns, nicht gegen andere. Die Streikbewegung richtet sich nicht gegen die
Krankenschwestern, richtet sich nicht gegen die Patienten, sondern ist für uns.
Wir müssen unsere Ziele klar machen, wir müssen verdeutlichen, dass sie
berechtigt sind.
Wir haben viele Zuschriften von Kollegen aus kommunalen
Häusern erhalten, die uns unterstützen möchten. Sie selber können im Moment
nicht streiken. Deshalb hat der Marburger Bund freundlicherweise ein
Streikkonto eingerichtet. Wer diesen Streik unterstützen möchte, ist
aufgerufen, sich die Kontonummer und die Bankleitzahl, die Sie hier auf der
Leinwand sehen, aufzuschreiben und etwas zu überweisen. Wir stehen diesen
Streik allerdings auch ohne dieses Spendenkonto durch. Es wäre aber ein Signal
der Kollegen vor Ort, die medizinische Versorgung in Deutschland zukunftsfähig
zu machen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank,
Herr Thiel, für Ihren Vortrag, für Ihre klaren Worte und für Ihre berechtigten
Forderungen, die Sie uns dargestellt haben. Vielen Dank auch für den Besuch
Ihrer Kolleginnen und Kollegen hier bei uns. Das ist ein Zeichen der
Solidarität, die wir zurückgeben können. Wir werden uns in diesem Sinne
verhalten und die ärztliche Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland mit dem,
was Sie gesagt haben, bekannt machen. Es wird auch das Konto noch bekannt
gegeben, sodass wir vielleicht doch eine Hilfe aus der gesamten Ärzteschaft
beisteuern können.
Nochmals herzlichen Dank.
Der nächste Redner ist Herr Professor Griebenow aus Nordrhein.
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