TOP I: Patientenversorgung in Deutschland - Rahmenbedingungen ärztlicher Berufsausübung

1. Tag: Dienstag, 23. Mai 2006 Nachmittagssitzung

Dr. Dehnst, Westfalen-Lippe: Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns in einer paradoxen Situation: Auf der einen Seite stehen die Leistungsträger in einer Wachstumsbranche mit ständigem Leistungszuwachs und ständig steigenden Anforderungen; auf der anderen Seite sehen wir uns der Situation gegenüber, dass immer geringere Erlöse zu erzielen sind, die uns an das Ende der Existenz führen und die letztendlich eine korrekte Patientenversorgung gefährden. Von ganzheitlicher Medizin hört man heute eigentlich niemanden mehr reden, auch in der Politik nicht. Wir hören nur noch Vokabeln wie Wettbewerb, Ökonomie und Effizienz.

Die Politik hat in der Ärzteschaft bislang zum Glück nicht die Rationierer gesucht, die sie benötigt, um das Missverhältnis zwischen Bedarf und Ressourcen letztendlich aufzuteilen. Aber es stehen andere bereit, die dort einspringen möchten. Wir sehen uns konfrontiert mit einer zunehmenden Zentralisierung, mit einer Privatisierung und Kettenbildung, und zwar nicht nur im stationären Sektor, sondern dies zeichnet sich auch in der ambulanten Versorgung ab. Wir sehen bereits, dass die eine Kette die andere schluckt.

Diese Entwicklung wird vom Großkapital beobachtet. Ich sehe eine Entwicklung, dass dieses Gesundheitswesen, dass dieser Wachstumsmarkt für die
Übernahme durch das Großkapital vorbereitet wird. Hier bestehen Gewinnerwartungen von - das wissen wir - 20 Prozent. Ich sage Ihnen voraus: Wenn diese Entwicklung so weitergeht, werden wir auch künftig bei uns diese Heuschreckendiskussion führen müssen.

Wer glaubt denn noch, dass wir bei diesem Gewinnstreben noch regelrecht Sachwalter der Patienteninteressen sein können? Wer glaubt denn noch, dass dies keinen Einfluss auf die Patientenversorgung hat? Wir müssen unbedingt darauf achten, dass wir unseren freien Beruf und die freie Berufsausübung durchsetzen. Ich sehe uns bei der derzeit bestehenden Solidarisierungswelle auf einem guten Weg. Wir müssen da unbedingt zusammenhalten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank, Herr Dehnst. Das ist wirklich ein ganz zentrales Thema. Diese Privatisierungen mit Shareholdern, die schnell ein- und aussteigen und Geld mitnehmen, sind eine Entwicklung, die nur dadurch zu erklären ist, dass sich - ich darf es wiederholen - der Staat aus der Daseinsvorsorge zurückzieht und das Ganze dem freien Wettbewerb überantwortet. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Vielen Dank noch einmal, dass Sie das so bekräftigt haben.

Der nächste Redner ist Herr Pickerodt aus Berlin. Bitte schön.

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