TOP I: Patientenversorgung in Deutschland - Rahmenbedingungen ärztlicher Berufsausübung

1. Tag: Dienstag, 23. Mai 2006 Nachmittagssitzung

Dr. Pickerodt, Berlin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Wegen der begrenzten Redezeit muss ich mein Lob für das Referat von Herrn Professor Hoppe etwas verkürzen. Ich habe es mir angewöhnt, Ihre Eröffnungsrede, Herr Präsident, aufzuheben, weil sie immer Absätze enthält, die man zitieren kann. Ihre heutigen Ausführungen zu dem permanenten Geschrei der Arbeitgeber und zur Lohnnebenkostenlüge lassen sich in Diskussionen, in denen nicht immer Ihr Standpunkt der führende ist, trefflich verwenden. In "Figaros Hochzeit" heißt es: Er ist der Vater, er sagt es ja selbst. Also: Wenn schon Hoppe es sagt, dann muss es ja stimmen.

Ich möchte etwas zur Situation der Klinikärzte sagen und die Forderungen der Streikenden unterstützen. Selbstverständlich unterstützen wir die berechtigten Forderungen nach einer Vergütung von Überstunden. Mir persönlich wäre es lieber, wir würden die Überstunden nicht vergüten, sondern durch Freizeit ausgleichen, damit diese ewig langen Wochenarbeitszeiten endlich ein Ende finden.

Herr Hoppe hat in seinem Referat etwas differenziert gesagt - das steht nicht im gedruckten Text -: Es geht eigentlich mehr um die Überstunden als um 30 Prozent mehr Geld. Er ist nicht direkt zurückgerudert, aber er hat es doch etwas relativiert.

Bei den Forderungen vermisse ich ganz häufig, dass man sich nicht primär auf das Arbeitszeitgesetz beruft. Die 24-Stunden-Dienste werden nicht von allen abgelehnt, sondern es gibt sehr wohl auch bei den Streikenden Kolleginnen und Kollegen, die bereit wären, auch in Zukunft 24-Stunden-Dienste zu absolvieren, obwohl mittlerweile wissenschaftlich klar belegt ist - so nachzulesen im "New England Journal of Medicine" -, dass die Fehlerrate nach einem 24-Stunden-Dienst um ein Drittel höher ist als nach einem 8-Stunden-Dienst.

Wichtig sind meiner Meinung nach auch - aber darüber wird nicht gesprochen - die Personalstrukturen im Krankenhaus. Frau Haus hat eben schon darauf hingewiesen: Die spitze Hierarchieform von Chefarzt, Oberarzt, Assistenzarzt, Facharzt usw. hat auch ihre Bedeutung für das Thema, um das es hier geht. Die neuen Verträge von Chefärzten mit Budgethoheit müssen dazu führen, dass die Chefärzte ein Interesse daran haben, dass Überstunden nicht dokumentiert und nicht vergütet werden, weil anderenfalls das Budget ihrer Abteilung belastet würde. Ich glaube, erstmals wurde auf dem Deutschen Ärztetag 1974 die Abschaffung des Chefarztsystems gefordert. Das steht nach wie vor auf der Tagesordnung. Auch dieser Ärztetag sollte dieses Thema ernst nehmen, nicht nur die 30-Prozent-Forderung.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank, Herr Pickerodt. Um es ganz exakt zu machen: Das war 1972 in Westerland. Dort war es erstmals ein Ärztetagsbeschluss. - Als nächster Redner bitte Herr Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe.

© 2006, Bundesärztekammer.