TOP II: Behandlung von Menschen mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen: Gegen Stigmatisierung - Für Stärkung der ärztlichen Psychotherapie

2. Tag: Mittwoch, 24. Mai 2006 Vormittagssitzung

Dr. von Zastrow, Niedersachsen: Die Stigmatisierung psychisch Kranker ist wesentlich differenzierter und umfangreicher, als das vielleicht manche Kolleginnen und Kollegen wahrnehmen. Auch die angeblichen Probleme am Arbeitsplatz muss man differenziert sehen. Das mag für ältere Arbeitnehmer gelten, die seit langer Zeit im öffentlichen Dienst sind. Die Tendenz, jüngeren Beschäftigten nur Zeitarbeitsverträge zu geben, führt natürlich dazu, dass ein Arbeitnehmer, der psychisch krank ist, der im Rahmen des Zeitarbeitsvertrags des Öfteren länger krank ist, keine Verlängerung bekommt. Das heißt, ohne Kündigung endet das Arbeitsverhältnis. Je länger jemand ohne Arbeit war, desto schwieriger wird es für ihn sein, eine neue Arbeit zu finden.

Die Stigmatisierung ist auch differenzierter. Es ist nicht nur so, dass die Erkrankten, wie es im Antrag II-1 heißt, keine Behandlung wollen oder zu spät zur Behandlung kommen, sondern in einigen Kreisen ist es üblich, dass man zunächst körperliche Leiden präsentiert. Sehr beliebt sind in diesem Zusammenhang beispielsweise orthopädische Beschwerden oder Rückenleiden. Das kann so weit gehen, dass diese Patienten lange Zeit erfolglos am Rücken behandelt werden und eine orthopädische Rehabilitation absolvieren und die Ärzte während der Rehabilitation gar nicht mitbekommen, dass der Patient zwei Wochen vor der Rehabilitation einen Suizidversuch unternommen hat. Das erzählt der Patient nicht, das bekommt auch niemand heraus. Das wird auch nicht hinterfragt. Die Rehabilitationsmaßnahmen haben dann natürlich auch keinen Erfolg. Das sind Patienten, die gar nicht unbedingt beim Psychiater ankommen.

Die Hauptprobleme im Zusammenhang mit den Arbeitgebern sind die Vorurteile. Man weiß: Der Mitarbeiter ist krankgeschrieben, aber man sieht ihn in der Stadt beim Einkaufen. Das ist für viele Arbeitgeber mit der Vorstellung vom kranken Mitarbeiter, der im Bett liegen sollte, nicht vereinbar.

Man muss sich also bei psychisch Kranken vermehrt überlegen, ob die Behandlung bei Arbeitsunfähigkeit stattfinden muss oder ob sie berufsbegleitend stattfinden kann. Auch viele andere Krankheiten bedürfen ja nicht der Behandlung bei Arbeitsunfähigkeit. Die Patienten selbst können das nicht überblicken. Das Problem ist: Sind die Patienten erst einmal aus dem Arbeitsprozess heraus, kommen sie schwer wieder hinein.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank, Herr von Zastrow. - Die nächste Rednerin ist Frau Groß aus Nordrhein. Bitte schön.

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