Dr. Mayer, Bayern: Frau Vizepräsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Wer nach dem heutigen Vormittag noch immer
behauptet, die Ärzte interessiere nur das Geld, sie redeten nur vom Geld, war
entweder nicht anwesend oder hat nicht zugehört oder ist bösartig. Eine so
uneitle, konstruktive und zielorientierte Befassung mit einem sehr schwierigen
Thema würde ich gern so manchem Politiker wünschen.
(Beifall)
Sie erinnern sich vielleicht noch, dass Frau Bühren den
Umschlag des Buches "Die verlorene Kunst des Heilens" gezeigt hat. In dem
Umdruck, den wir erhalten haben, steht nur noch "Die Kunst des Heilens".
Vielleicht erklärt uns Frau Bühren, warum das geändert worden ist.
In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass der
Medizinhistoriker Unschuld kürzlich im "Deutschen Ärzteblatt" einen Artikel
über die Heilkunst geschrieben und erwähnt hat: Auch jemanden zu umarmen,
jemanden zu trösten ist Heilkunst. Ich glaube, hier berührt sich das mit dem
heutigen Thema.
Ich muss jetzt einen Spagat machen, so wie jeder, der sich mit
Psychosomatik auseinander setzt: auf der einen Seite die Psychosomatik, auf der
anderen Seite die naturwissenschaftlich basierte Medizin. Es gibt natürlich
nach wie vor nicht wenige Kolleginnen und Kollegen, die den gebührenden
Stellenwert der Psychosomatik noch nicht erkannt haben. Vielleicht trägt der
heutige Tag dazu bei, dass die Zahl der Anerkennenden größer wird.
Auf der anderen Seite wissen wir aber auch, dass viele
Patienten nicht recht begreifen wollen, dass ihre Beschwerden nicht organischer
Ursache sind. Als ich mich vor 39 Jahren als Arzt auf dem Lande niedergelassen
habe, hatte ich den Satz von Naunyn auf meine Fahne geschrieben - Sie kennen
ihn alle -: Die Medizin wird Naturwissenschaft sein oder sie wird nicht sein.
Die Patienten sind aber nicht, wie ich gehofft hatte, in Scharen in meine
Praxis gelaufen. Ich habe mich gefragt, was ich falsch mache, ob ich vielleicht
den falschen Beruf studiert habe - bis mir ein Kollege vertrauensvoll geraten
hat, ich solle doch mehr mit den Leuten reden.
Damals waren die Lindauer Psychotherapiewochen das Mekka für
diejenigen, die sich mit der Psyche des Patienten und der Psychosomatik
auseinander gesetzt haben. Ich hatte dort mein Damaskus-Erlebnis. Es ging hin
und her. Ich hatte so manchen heftigen Strauß mit Organfachärzten auszufechten,
die nicht recht anerkennen wollten, dass es eben auch eine psychische und
psychosomatische Komponente der Krankheit gibt und dass man das auch finanziell
gebührend würdigen muss.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn es
Effizienzreserven im Gesundheitssystem gibt, dann sind sie bei dieser Thematik
zu suchen, die wir heute behandeln. Wir kennen doch alle die Patientinnen und
Patienten, die eine Spezialistenrunde drehen und dann wieder zu einem zurückkommen,
ohne dass die Untersuchungen zu einem konkreten Ergebnis geführt haben. Dann
soll das Ganze wieder von vorn losgehen. Ich erwähne den Kopfschmerzpatienten,
der als erste medizinische Maßnahme die Kernspintomographie im Auge hat.
Möge dieser Tagesordnungspunkt ein weiterer Meilenstein auf
dem Weg sein, der Psychosomatik den gebührenden Rang in der praktizierten
Medizin einzuräumen.
Ich möchte Ihnen abschließend vor allem für die Skeptiker eine
Hilfestellung geben. Ich weiß nicht, ob Sie Karl Valentin kennen; wenn nicht,
sollten Sie ihn kennen lernen. Er wird im Allgemeinen als Humorist bezeichnet;
heute würde man vielleicht Kabarettist sagen. Aber mit dieser Bezeichnung wird
man dem Mann nicht gerecht. Ich meine, er ist eigentlich ein volksnaher Philosoph
gewesen. Karl Valentin hat gesagt: Ein Patient ist krank, er hat Kopfweh und
geht zum Neurologen. Dieser Patient hat auch Bauchweh und geht zum Gastroenterologen.
Dann hat der Patient auch noch Herzweh, dann geht er zum Kardiologen. Derweil
ist doch der ganze Mensch krank.
Vielen Dank.
(Beifall)
Vizepräsidentin Dr. Goesmann: Vielen Dank, Herr
Kollege Mayer. Frau Bühren wird zu Ihrer Frage nachher sicherlich noch etwas
sagen. Sie hat sich wohl auf das Buch "Die verlorene Kunst des Heilens" des
amerikanischen Kardiologen Lown bezogen, der Ihnen sicherlich durch die
Klassifikation der Herzrhythmusstörungen bekannt ist. Herr Lown hat zusammen
mit der IPPNW vor einigen Jahren den Nobelpreis für sein Engagement erhalten.
Ich darf jetzt Herrn Josten ans Mikrofon bitten.
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