Dr. Montgomery, Hamburg: Herr Vizepräsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Dank
an Klaus Wurche für dieses Referat, in dem er uns umfassend dargestellt hat,
wie sich Europa aufstellt. Ich möchte versuchen, ergänzend dazu die emotionalen
Komponenten hier vor Augen zu führen.
Europa ist ein unbeschreiblich großes Gebilde geworden. Europa
wird von vielen von uns als Gefahr empfunden, weil wir uns inzwischen
zusätzlich zur deutschen Bürokratie, die wir zum Teil handeln können, mit einer
europäischen Bürokratie konfrontiert sehen, die uns mit vielen Fallstricken
beglückt, die viele Probleme schafft. Wir müssen uns auseinander setzen mit
einem angelsächsischen Denken in bürokratischen Fragen, mit einem französischen
Denken in bürokratischen Fragen. Ich will Sie mit meinem Redebeitrag dafür gewinnen,
dass wir uns alle viel mehr in Europa engagieren, denn wir tun in Europa zu
wenig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wenn man, wie ich das seit 15 Jahren tue, in den europäischen
Gremien tätig ist, stellt man geradezu mit Entsetzen fest, wie wenige Deutsche
man dort trifft. Man trifft dort niemanden, der wie Sie oder wie ich versucht,
auf die europäischen Entwicklungen Einfluss zu nehmen, sondern wir werden in
Europa von Menschen dominiert, die aus dem angelsächsischen oder aus dem
französischen Raum kommen. So ist denn auch vieles von dem, was uns in Europa
begegnet, sehr von deren Denken geprägt und wenig von unserem Denken
beeinflusst.
Das will ich ändern, mit Ihnen zusammen. Europa ist nämlich im
Grunde genommen keine Gefahr, sondern Europa ist im Kern eine ganz große
Chance. Diese Chance müssen wir ergreifen. Dazu müssen wir auf diesen Gebieten
aktiv werden. Mein Plädoyer an Sie lautet: Engagieren Sie sich in Ihren Fachgesellschaften,
in der Bundesärztekammer, in den internationalen Delegationen, damit sich
Deutschland, das immerhin das größte Land der Europäischen Union ist, auch in
der Gesetzgebung wiederfindet. Es kommen eine Fülle von Dingen auf uns zu.
Klaus-Dieter Wurche hat eingangs seines Referats die Dienstleistungsrichtlinie
angesprochen. Meine Damen und Herren, wir haben es über den Ständigen Ausschuss
der Europäischen Ärzte und über die guten Verbindungen zum Europäischen
Parlament geschafft, dass die uns als völlig inakzeptabel erscheinenden
Regelungen hinsichtlich des Herkunftsprinzips usw. beseitigt sind, sodass
völlig klar ist, dass unser Berufsfeld aus der Dienstleistungsrichtlinie
nunmehr heraus ist.
Aber es wäre brandgefährlich, sich jetzt zurückzulehnen und zu
glauben, dass wir ein für allemal von ähnlichen Dingen verschont bleiben. Nein,
die Europäische Union wird eine eigene Richtlinie erlassen, welche die
Dienstleistungen der Heilberufe regelt. Wir sind nur aus der großen Richtlinie
heraus, aber wir werden so sicher wie das Amen in der Kirche eine eigene
Richtlinie bekommen. Entscheidend ist, dass der Oberbegriff nicht etwa
Arztmobilität lautet, sondern Patientenmobilität. Dieses reziproke Verhalten
von Patienten und Ärzten oder anderen medizinischen Berufen wird von der
Kommission wieder nur unter der Überschrift Patientenmobilität gesehen.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns in Europa engagieren
und dass wir ganz klar dafür eintreten, dass wir Prinzipien des Arztrechts, der
Berufsordnung, wie wir sie kennen, in diese Dienstleistungsrichtlinie für Ärzte
bekommen. Anderenfalls geschehen solche Dinge, wie Herr Voigt sie eben völlig
zu Recht geschildert hat, dass ein Arzt, der zu dreieinhalb Jahren
Freiheitsstrafe verurteilt wurde, weil eine Patientin gestorben ist, mit einer
belgischen Approbation versucht, bei uns wieder zu arbeiten. Das ist grotesk,
liebe Kolleginnen und Kollegen. So etwas können wir aber nur verhindern, wenn
wir dort mitarbeiten.
Oder nehmen Sie die Arbeitszeitrichtlinie. Sie alle wissen,
dass sie sich noch immer im Abstimmungsprozess befindet. Es ist für uns
Deutsche außerordentlich wichtig, dass wir hier aufpassen. Ich war der
Bundesgesundheitsministerin gestern für einen einzigen Satz während der
Eröffnungsveranstaltung dankbar, nämlich für ihre Aussage: Es wird über den 31.
Dezember 2006 hinaus mit Sicherheit keine Verlängerung der
Übergangsbestimmungen des deutschen Arbeitszeitgesetzes mehr geben, sondern
dann gilt das Arbeitszeitgesetz in seiner jetzigen Fassung pur.
(Beifall)
Das ist ein wichtiger Satz, Kolleginnen und Kollegen, denn die
Europäische
Union versucht längst schon wieder, die Standards zurückzuschrauben. Das liegt
gar nicht mehr allein an Deutschland, sondern das liegt auch an anderen
Ländern. Wenn wir das vorher in trockenen Tüchern haben, wenn wir das vorher in
Deutschland festgemauert in der Erden haben, dann kann uns das nichts ausmachen.
Ich glaube sogar: Das wird unter deutscher Regie geschehen.
Die österreichische Ratspräsidentschaft ist sehr mit Fragen der Erweiterung der
Europäischen Union beschäftigt. Sie wird diese Fragen nicht anpacken. Es folgt
die finnische Präsidentschaft. Sie hat hier ihre eigene Meinung und wird das
Problem ebenfalls nicht anpacken. Aber im ersten Halbjahr 2007 hat Deutschland
die Ratspräsidentschaft inne. Ich kann mir vorstellen, dass es dann gelingt,
eine Einigung im Ministerrat herbeizuführen.
Deswegen ist es wichtig, dass wir uns in Europa engagieren, um
das so lange wie möglich hinauszuzögern und um sicherzugehen, dass in unserem
Lande diese Dinge gut geregelt werden.
Schließlich möchte ich den Bereich E-Health ansprechen. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, das, was wir uns hier an Debatte über die
Patientenkarte leisten, können Sie, in der europäischen Dimension noch um die
elektronische Patientenakte erweitert, und das unter dem Blickwinkel von 25
Staaten, erleben. Das Chaos ist total. Hier bedient sich die Europäische Union
immer häufiger des Verfahrens, das Klaus-Dieter Wurche richtig geschildert hat,
nämlich der Offenen Methode der Koordinierung. Das heißt nichts weiter als ein
Verfahren der brutalen Beschleunigung dieser Prozesse. Das, was Sie aus
deutschen Gesetzgebungsverfahren kennen, läuft dort jetzt auch. Wir bekommen
schlicht und einfach die Mitteilung, in kürzester Zeit sollen wir uns zu
irgendwelchen hochkomplexen Dingen äußern. Man erhält zwei Beratungstermine,
dann geht es in den Ministerrat. Dann steht die Richtlinie vor der Tür.
Wir müssen uns mehr und verstärkt organisieren, damit so etwas
nicht geschieht. Dazu müssen wir erst einmal dafür sorgen, dass Deutsche in
diese Gremien gelangen.
Ein letztes Beispiel. Die Europäische Union bereitet
gegenwärtig eine Generalrenovierung des gesamten Pharmamarktes vor. Dazu sind
drei Arbeitsgruppen gebildet worden. Die eine Arbeitsgruppe versucht, eine
Patienteninformation über Pharmaka zu erstellen. Die zweite Arbeitsgruppe
versucht, die Pharmakovigilanzsysteme, also die Monitoringsysteme für
unerwünschte Nebenwirkung von Arzneimitteln, zu koordinieren. Da ist es einfach
wichtig, dass wir es schaffen, die von der Ärzteschaft aufgebauten
funktionierenden Systeme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
in die europäische Ebene zu bringen, weil die Engländer und Franzosen eine
staatliche Lösung vor Augen haben, weil sie in diesem Bereich nur staatliche
Lösungen kennen.
Wir haben im Ständigen Ausschuss der Europäischen Ärzte eine
Dachorganisation, mit der wir berechtigterweise oft unzufrieden sind. Es ist
nämlich unendlich mühsam, die Meinungen von 25 Staaten zu koordinieren. Wir
müssen diesen Problemen dadurch begegnen, dass wir uns noch mehr in diesen
Gremien engagieren, indem wir noch mehr dafür tun, auch dadurch, dass wir
beispielsweise beim Haushalt dafür sorgen, dass der deutsche Beitrag zu diesen
Gremien ausreichend hoch ist.
Ich wäre froh, wenn ich mit diesem Plädoyer, das in seiner
Emotionalität vielleicht etwas stärker war als das, was Sie sonst von mir
gewohnt sind, erreicht hätte, mehr Menschen dazu zu bewegen, sich in Europa zu
engagieren.
Vielen Dank.
(Beifall)
Vizepräsident Dr. Crusius: Vielen Dank, Monti,
für das klare Statement pro Europa. Diese Emotionalität sind wir von dir
durchaus gewöhnt. Die Patientensicherheit wäre ein weiteres Thema gewesen. Das
ist ja in Europa en vogue. Dies nur als kleine Ergänzung.
Als nächster Redner bitte Herr Thierse.
|