TOP VII: Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer

3. Tag: Donnerstag, 25. Mai 2006 Nachmittagssitzung

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Damit kommen wir zum zweiten Teilthema unter Tagesordnungspunkt VII: Zum Umgang mit individuellen Gesundheitsleistungen. Dazu habe ich ein kleines Einführungsreferat zu halten. Ich bin mit der Frage konfrontiert worden, ob wir als Ärztinnen und Ärzte Patienten, die keine individuellen Gesundheitsleistungen empfangen, sondern sich in der normalen Versorgung befinden, nicht als Individuen betrachten und damit gegenüber denjenigen, die individuelle Gesundheitsleistungen empfangen, negativ erscheinen lassen. Ich habe darauf geantwortet, dass das eine Verkürzung ist, dass es statt "individuelle Gesundheitsleistungen" eigentlich "individuellvertragliche Gesundheitsleistungen" im Gegensatz zu kollektivvertraglichen Gesundheitsleistungen wie im System der GKV heißen muss. Ich würde mich freuen, wenn sich dieser Ausdruck durchsetzte. Man muss das nicht immer so formulieren, man kann ja "IGeL" sagen. Aber dabei ist gemeint, dass individuelle Verträge mit den Patientinnen und Patienten geschlossen werden, die natürlich auch ansonsten geschlossen werden, aber dann auf dem Boden eines Kollektivvertrags, während hier wirklich ein individueller Vertrag vorliegt. So sehen es auch die Juristen.

Wie ich weiß, haben einige Kammern schon früh Hinweise für den Umgang mit diesen individuellen Gesundheitsleistungen verfasst und Flyer produziert. Ich will keine Namen nennen, weil ich niemanden vergessen möchte.

Dieses Thema war ab 2002 umstritten, weil manche inhaltlichen Leistungen umstritten waren. Es wurde behauptet, es würden Leistungen als individuelle Gesundheitsleistungen angeboten, die in Wirklichkeit unter die Erstattungspflicht der GKV fallen, und dass damit Missbrauch getrieben werde. Ferner wurde behauptet, der Umgang unserer Kolleginnen und Kollegen, die individuelle Gesundheitsleistungen vorhalten, mit ihren Patientinnen und Patienten sei nicht immer ganz korrekt. In der Kammer Nordrhein ist als häufigster Fall regis­triert worden, dass sich vor allen Dingen Patientinnen darüber beschweren, dass ihnen in der Praxis bereits am Empfang gesagt wurde: Wenn Sie nicht dieser oder jener individuellen Gesundheitsleistung, die Sie selbst bezahlen müssen, zustimmen, brauchen Sie gar nicht erst in das Ordinationszimmer des Arztes zu gehen, denn dann ist er nicht bereit, Ihre Behandlung oder Vorsorgeuntersuchungen durchzuführen. Das wurde also von der Inanspruchnahme einer individuellen Gesundheitsleistung abhängig gemacht.

Das geht natürlich nicht, denn die Inanspruchnahme von Ärzten durch Patientinnen und Patienten muss auch ohne die Inanspruchnahme von individuellen Gesundheitsleistungen prinzipiell gewährleistet sein. Dabei ist klar, dass beide Partner - sowohl Patient als auch Arzt - die Freiheit haben, den individuellen Behandlungsvertrag einzugehen oder auch nicht. Man muss immer wieder darauf hinweisen: Außer in Notfällen sind Ärztinnen und Ärzte nicht verpflichtet, Behandlungsverträge einzugehen. Aber das zu konditionieren und von Bar-Transferleistungen abhängig zu machen, geht zu weit. Es gab Beschwerden von Patienten und Krankenkassen, diese Thematik werde überdehnt. Es gab einige nicht unerhebliche Medienauseinandersetzungen. Auch die Politik und hier nicht zuletzt die Patientenbeauftragte der Bundesregierung hat sich zu diesem Thema geäußert. Das kann man ja alles noch hinnehmen, aber wenn man in den Kammern überprüft, was wahr ist und was nicht, muss man feststellen, dass manche der getroffenen Feststellungen zu weit gehen.

Wie Ihnen sicher bekannt ist, hat es zu diesem Thema auch Literatur gegeben. Im Deutschen Ärzte-Verlag ist ein Buch mit Beiträgen verschiedener Autoren erschienen, herausgegeben von Frau Renate Hess und Frau Dr. Regina Klakow-Franck von der Bundesärztekammer. Es haben sehr viele andere an diesem Buch mitgewirkt. Es ist im Frühjahr 2005 erschienen.

Wir konnten schon davor die Entwicklung beobachten, dass langsam, aber sicher das Angebot und die Empfehlung von individuellvertraglichen Gesund­heitsleistungen gegenüber Patientinnen und Patienten und deren Ausführung ein bisschen - verkürzt gesagt, damit es absolut klar ist - in die Schmuddelecke gebracht wurden. Das hat uns auf den Plan gerufen, in der Bundesärztekammer zu sagen: Wir müssen uns um dieses Thema kümmern.

Wir haben im Jahre 2004 vor dem 108. Deutschen Ärztetag eine Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eines Diskussionspapiers für den vorjährigen Berliner Ärztetag eingesetzt. Mitglieder dieser Arbeitsgruppe sind Herr Professor Raspe, ein Medizinsoziologe, Frau Dr. Machnik, Vizepräsidentin der Ärztekammer Schleswig-Holstein, Dr. Potthoff, ein Gynäkologe aus Königswinter, der lange Zeit im Vorstand der KV Nordrhein und auch lange im Vorstand der Ärztekammer Nordrhein war und sich mit diesem Thema besonders intensiv beschäftigt hat. Von juristischer Seite waren aus den Landesärztekammern Frau Hirthammer aus Nordrhein und Herr Dr. Schiller von der Bayerischen Landesärztekammer vertreten, der Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer, Herr Professor Fuchs, Frau Dr. Klakow-Franck, die eben genannte Mitherausgeberin des Buches, und Frau Rechtsanwältin Wollersheim aus der gemeinsamen Rechtsabteilung von Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Bundesärztekammer. Ich selbst hatte den Vorsitz dieser Arbeitsgruppe. Wir haben bis zum vorjährigen Ärztetag in Berlin sechsmal getagt und ein Papier verfasst, das sehr umfangreich ist, das wir diesem Ärztetag mit der Bitte ausgehändigt haben, es nicht auf dem Berliner Ärztetag zu diskutieren und etwa zu verabschieden, sondern dieses Papier nur mit nach Hause zu nehmen, es innerhalb der Kammern zu ventilieren und zu diskutieren und sich Gedanken über eine Weiterentwicklung zu machen.

Diese Beratungen auf dem Ärztetag und die anschließenden Beratungen haben dazu geführt, dass weitere Versionen erstellt wurden. Im Juli 2005 haben wir das weiterentwickelte Papier an alle 17 Landesärztekammern mit der Bitte um Stellungnahme versandt. Zwischen August und November 2005 haben neun Landesärztekammern zu diesem Papier Stellung genommen, und zwar Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Nordrhein, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Die Arbeitsgruppe hat am 22. November 2005 in unveränderter Zusammensetzung die eingetroffenen Stellungnahmen beraten, eingearbeitet und die nächste Version verfasst. Einige Tage später, am 25. November 2005, haben wir alle wissenschaftlichen Gesellschaften und Berufsverbände auf dem Boden der Beratungen dieser Arbeitsgruppe angeschrieben mit der Bitte, aus ihrer Sicht bis zu drei typische fachlich begründete individuelle Gesundheitsleistungen zu benennen. Bisher sind vier Antworten eingetroffen. Das ist meines Erachtens nicht zu beklagen, weil die wissenschaftlichen Fachgesellschaften und die Berufsverbände offensichtlich nicht wollten, dass sich die Vorstände allein oder vielleicht nur einzelne Personen mit diesem Thema beschäftigen und Antworten geben. Man wollte vielleicht auch Abstimmungen zwischen der wissenschaftlichen Gesellschaft und dem Berufsverband der jeweiligen Fachgesellschaft durchführen. Wir rechnen damit, dass noch weitere Antworten eintreffen werden. Die vier Berufsverbände, die geantwortet haben, sind die Berufsverbände der Hals-Nasen-Ohrenärzte, der Gynäkologen, der Augenärzte und der Dermatologen. Die Frauenärzte haben eine Benennung von bis zu drei individuellen Gesundheitsleistungen abgelehnt, weil ihr Katalog viel größer sei. Sie wollten die Intention, bis zu drei individuelle Gesundheitsleistungen zu benennen, nicht akzeptieren. Wir wussten natürlich auch, dass der Katalog viel größer ist. Aber wir wollten gern wissen, welches die drei wichtigsten individuellen Gesundheitsleistungen sind, um zu erkennen, was eine typische individuelle Gesundheitsleistung ist und was möglicherweise umstritten ist. Hier müssen wir halt noch weiter miteinander reden.

Die anderen Angeschriebenen und Antwortenden haben jeweils drei Leistungen benannt. Die anderen Organisationen haben auch Stellung genommen, beispielsweise die Dermatologen und die Gynäkologen.

Weil das Prozedere noch nicht abgeschlossen ist und dieses Papier, das wir weiterentwickelt haben und das eine Liste der drei wichtigsten Leistungen, die wir als Bundesärztekammer gegengecheckt haben, enthalten soll, noch nicht fertig gestellt sein kann, wir andererseits versprochen haben, dass wir hier auf diesem Ärztetag das Thema etwas intensiver vortragen und Ihnen zur Beratung überantworten wollten, haben wir uns gedacht: Wir arbeiten an dem Papier weiter. In diesem Papier stehen zehn Punkte, die einen Kodex darstellen könnten. Diese zehn Punkte sind in dem Ihnen vorgelegten Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer enthalten. Es gibt in diesem Antrag einen beschreibenden Teil und einen Zehn-Punkte-Teil, der Ratschläge für den Umgang mit individuellvertraglichen Gesundheitsleistungen enthält. Diesen Vorstandsantrag finden Sie auf Drucksache VII-1. Er umfasst vier Seiten. Es sind mittlerweile einige Zusatzanträge eingegangen, die darauf abzielen, die Inhalte dieses Papiers zu verändern, zum Teil gravierend zu verändern. Ich nehme an, dass uns dieses Thema etwas länger beschäftigen wird. Die Anträge sind von hoher Intensität. Das Vorstandspapier bekäme einen anderen Charakter, wenn alle Anträge so, wie sie vorgelegt worden sind, akzeptiert würden. Darüber sollten wir jetzt diskutieren. Ich möchte hier gar keine Vorschriften machen.

Ich ziehe mich jetzt wieder auf die Rolle des Moderators zurück und bin gespannt, wie die weitere Diskussion abläuft. Ich hoffe, dass ich ausreichend in die Vorgeschichte und die Begründung des heutigen Papiers eingeführt habe.

Wir beginnen jetzt mit der Aussprache. Als erster Redner hat sich Herr Dr. Rütz von der Ärztekammer Nordrhein auf die Rednerliste setzen lassen. Bitte schön, Herr Dr. Rütz.

© 2006, Bundesärztekammer.