Dr. Guido Westerwelle, Vorsitzender der
FDP-Bundestagsfraktion: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich danke Ihnen zunächst einmal sehr herzlich, auch im Namen des
gesundheitspolitischen Sprechers meiner Fraktion, Daniel Bahr, mit dem Sie in
regelmäßigen Gesprächen und Kontakt sind, dass Sie mir die Gelegenheit geben,
jetzt gewissermaßen für die freiheitliche Alternative zu dem, was bisher
vorgetragen worden ist, zu sprechen.
(Beifall)
Frau Kollegin, bei allem Respekt - ich habe es auch Herrn
Zöller selbst gesagt -: Was mir an der Linkspartei und an den Grünen gefällt,
ist, dass sie wenigstens ganz offen sagen, dass sie eine Bürgerversicherung
wollen, und dass sie ganz offen sagen, dass das der Weg in die Staatsmedizin
und in die Planwirtschaft ist.
Ich glaube, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass dieses,
was jetzt innerhalb der Regierung diskutiert wird, etwas ist, was nicht nur
einige Ärzte betrifft. Hier geht es nicht nur um Gesundheitsberufe, hier geht
es um die Grundfrage: Wollen wir eigentlich mehr Staatswirtschaft oder mehr
soziale Marktwirtschaft in Deutschland? Das ist die eigentliche Frage.
(Beifall)
Wenn die Regierung das wirklich durchsetzt, dann werden
darunter nicht zuerst Ärzte oder diejenigen, die im Gesundheitswesen tätig
sind, leiden, sondern - das muss man der breiten Bevölkerung klarmachen -
darunter leiden alle diejenigen, die krank sind oder krank werden können. Hier
geht es millionenfach um Patienten, deren Interessen massiv verletzt werden.
(Beifall)
Das ist kaum besser auf den Punkt gebracht als bei dem, was
jetzt Gesundheitsfonds genannt wird. Wenn Sie es mir nicht glauben, nach dem
Motto: Na ja, das ist die liberale Opposition, die muss das ja so kritisieren,
so zitiere ich denjenigen, der im Augenblick mit seinen Memoiren viel Furore
macht.
(Heiterkeit)
Das hätte ich mir auch nicht vorstellen können, dass ich Herrn
Schröder noch einmal freiwillig zitieren würde.
(Heiterkeit)
Er sagte gestern im "Spiegel" zum Gesundheitsfonds wörtlich:
Das ist ein bürokratisches Monstrum, das der Programmatik beider Parteien
widerspricht und den Versicherten nicht hilft. Das ist alles kein großer Wurf.
Wo er recht hat, hat er recht!
(Beifall)
Ich appelliere an die
Bundeskanzlerin, sich in der Gesundheitspolitik wenigstens ansatzweise noch an
das zu erinnern, was wir einmal gemeinsam in der Opposition vertreten haben.
Das ist die eigentliche Frage, um die es hier geht.
(Beifall)
Dieser Gesundheitsfonds steht unter der Überschrift, wenn man
es quasi zentral verwaltet, einzieht und auskehrt, dann würden die Leistungen
besser und die Kosten würden geringer. Meine Damen und Herren, deswegen lohnt
sich noch einmal ein Blick auf diese Konstruktion. Die Vorstellung vom
Gesundheitsfonds besteht darin, dass quasi eine Bundesagentur für Gesundheit
geschaffen wird, die Beiträge einzieht, verwaltet und auskehrt. Gleichzeitig
müssen die Kassen und die Versicherungen ebenfalls ihre Verwaltungsstrukturen
unterhalten, um Beiträge einzuziehen, zu verwalten und auszukehren. Es wäre das
allererste Mal in der gesamten Geschichte der Menschheit, dass zwei Bürokratien
preiswerter sind als eine, meine sehr geehrten Damen und Herren!
(Beifall)
Herr Präsident, ich bewundere die feine Form, mit der Sie das
hier vorgetragen haben.
(Beifall)
Ich möchte ganz persönlich für mich hinzufügen: Das, was hier
von der Koalition geplant wird - ich weigere mich, von der "Großen Koalition"
zu sprechen, weil "groß" im deutschen Sprachgebrauch nicht nur eine
quantitative, sondern auch eine qualitative Terminologie ist -,
(Beifall)
ist der Weg in die Staatsmedizin. Es ist in Wahrheit der Weg
in die Planwirtschaft. Es ist mir zu viel DDR.
(Beifall)
Meine Damen und Herren, lesen Sie nach, was im
Fremdwörterduden unter "Fonds" im Rahmen der Wirtschafts- und
Staatsorganisation aufgeführt ist. Das ist etwas, mit dem freie Berufe mit
Sicherheit wenig zu tun haben. Es ist nämlich genau das Umverteilungsinstrument
der Planwirtschaft der DDR gewesen. Das ist nicht meine Erklärung; das ist das,
was im Duden steht.
Der eine oder andere mag das als übertrieben ansehen. Ich sage
Ihnen, meine Damen und Herren: Es ist genau diese entscheidende
Weichenstellung. Es geht hier nicht um irgendeine Petitesse, es geht hier nicht
um irgendeine Randfrage der Tagespolitik, sondern es geht hier um eine
fundamentale Frage unseres Gesellschaftsverständnisses.
(Beifall)
Deswegen finde ich es auch unzulässig, dass die
Bundesgesundheitsministerin, wenn sie die Kritik an diesem Gesundheitsmurks
zurückweist, immer davon spricht, es handele sich dabei um Lobbyisten,
Lobbyisteninteressen, egoistische Einzelinteressen. Ich höre hier, man müsse
für einen Bundesverband sein, weil ein vom Staat vorgegebener Bundesverband
viel besser sei als sieben Verbände. Hier sitzen allein die Vertreter von fünf
Fraktionen. Ich stelle mir vor, man würde eine solche Art des Denkens auf die
deutsche Politik übertragen, meine sehr geehrten Damen und Herren!
(Lebhafter Beifall)
Es ist ja immer notwendig, auch als Vertreter der Opposition,
jedenfalls der liberalen Opposition, andere sachverständige Quellen
hinzuzufügen. Die Details werden die Sprecher mit Ihnen diskutieren. Mir ist
wichtig - deswegen bin ich auch als Parteivorsitzender hierhin gekommen -, dass
das nicht als Anliegen von einigen wenigen diffamiert wird, sondern dass man
die gesamtgesellschaftliche Problematik erkennt, dass man erkennt, welchen Weg
das bedeutet.
(Beifall)
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen einmal vorlesen, was
das Herbstgutachten zur Weltwirtschaft und zur deutschen Wirtschaft zur
Gesundheitsreform sagt. Das ist letzte Woche veröffentlicht worden. Herr
Präsident, Sie gestatten mir, dass ich diesen Absatz zitiere:
Ein Grund für dieses pessimistische Urteil über die Wirtschaftspolitik
der Koalition ist, dass sich die Bundesregierung offenbar nicht zu einem
Grundprinzip guter Wirtschaftspolitik durchringen kann, nämlich die Eingriffe
des Staates dort zurückzuführen, wo der Marktprozess bessere Lösungen liefert,
und mehr Eigenverantwortung zuzulassen. Das zeigt sich exemplarisch an der
geplanten Gesundheitsreform. Das Gesundheitswesen ist in Deutschland zweifellos
eine Wachstumsbranche. Nach wie vor wird aber von der Bundesregierung hier eine
wesentliche Aufgabe des Staates darin gesehen, die Ausgaben der Privaten
bürokratisch zu lenken und durch diverse Eingriffe, wie die Deckelung der
Ausgaben und die Fixierung von Preisen, zu begrenzen.
Jetzt kommt die Schlussfolgerung des Herbstgutachtens:
Erforderlich wäre hier ein Systemwechsel, der es den
Bürgern mehr als bisher überlässt, die Entscheidungen über Art und Umfang der
Versicherung selbst zu fällen.
Das ist die Alternative zu dem, was diese Regierung hier
macht!
(Beifall)
Nach der größten Steuererhöhung in der Geschichte der Republik
steht jetzt also auch eine empfindliche, drastische Beitragserhöhung ins Haus.
Wir werden einen Rekordbeitrag von nahezu 15 Prozent erreichen. Die
Versicherten werden mit mehr als 8 Milliarden Euro zusätzlich belastet und auch
2008 und 2009 werden die Beiträge weiter steigen.
Meine Damen und Herren, wenn es die Bundesregierung in der
letzten Woche zu Recht zu ihrer Sache gemacht hat, dass mehr Lehrstellen
geschaffen werden müssen, so gibt es einen zwingenden ökonomischen
Zusammenhang: Wer die Lohnzusatzkosten in Deutschland weiter steigert, der
verteuert eben Arbeit und Arbeitskosten, der sorgt dafür, dass unsere
internationale Wettbewerbsfähigkeit nachlässt, der sorgt dafür, dass immer mehr
Pleiten dazukommen. Wer pleite geht, kann nicht ausbilden.
Es ist auch in Deutschland nicht möglich, auf Dauer die
Gesetze der wirtschaftlichen Vernunft vollständig zu ignorieren. Das holt uns
ein, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall)
Die faktische Abschaffung der Selbstverwaltung,
Beitragssteigerungen - all das ist der Weg in die Mangelverwaltung. Das Geld
für das Gesundheitswesen wird in Zukunft politisch zugeteilt. Damit erhalten
wir ein Gesundheitssystem nach Kassenlage und nicht ein Gesundheitssystem, das
sich an den Bedürfnissen der Patienten und der Ärzte orientiert.
Es wird den gesetzlich Versicherten nicht helfen, wenn diese
Regierung die privaten Versicherungen kaputt macht. Im Gegenteil. Der Weg der
Wartelistenmedizin und der schleichenden Rationierung von medizinischen
Leistungen wird natürlich auch zu einer erheblichen Klassengesellschaft führen.
Wer meint, dass hiermit den Schwächsten geholfen wird, dem sage ich: Genau die
Schwächsten der Schwachen werden unter dieser Gesundheitsreform besonders die
Verlierer sein.
(Beifall)
Wir brauchen ein Gesundheitswesen, das auf Freiheit,
Transparenz und Wettbewerb aufbaut. Wir haben Ihnen dazu als Liberale ein
ausgearbeitetes Konzept übermittelt; das kennen Sie. Es ist nicht notwendig,
das in den zehn Minuten, die mir als Redezeit zugeteilt sind, im Detail
vorzutragen.
Die eigentliche
Weichenstellung besteht darin, ob man den Weg in immer mehr staatliche
Umverteilung geht. Wenn wir jetzt die Bundesagentur für Gesundheit bekommen -
als ob wir mit der Bundesagentur für Arbeit, diesem international anerkannten
Hort behördlicher Effizienz, so tolle Erfahrungen gemacht hätten! -,
(Beifall)
dann kann das nicht funktionieren. Es geht darum: Jeder muss
sich versichern, damit niemand durch den Rost fällt. Jedes Kind, das in
Deutschland geboren wird, braucht Schutz und braucht Halt, auch in unserem
Gesundheitssystem. Aber die Frage, wie man sich versichert, wo, zu welchen
Tarifen, mit welchen Eigenbeteiligungen, bei welchen Versicherungen, soll
letzten Endes mehr von den privaten Persönlichkeiten, von den Familien
entschieden werden.
Ich selber gehöre einem freien Beruf an. Ich bin von Hause aus
Rechtsanwalt. Der Präsident des Bundesverbandes der Freien Berufe ist hier ja
anwesend. Wenn wir das, was jetzt an Planwirtschaft im Gesundheitssystem bei
der Regierung in der Röhre ist, auf die Anwaltschaft, auf Jura und die
Juristerei übertragen würden, hätten wir im Deutschen Bundestag - übrigens auch
wegen der Zusammensetzung des Deutschen Bundestages - einen Aufstand, meine Damen
und Herren. Das ist überhaupt gar nicht denkbar.
(Beifall)
Daher kann ich nur sagen:
Wir werden den Weg weitergehen, dass wir unsere freiheitliche Alternative an
die Stelle dieses, wie wir finden, bürokratischen Murkses stellen.
Herr Präsident, Sie waren in einem Punkt pessimistisch: Sie
haben nämlich erklärt, in fünf bis sechs Jahren gäbe es die Bürgerversicherung
und dann im Grunde genommen die echte völlige Monopolstruktur. So pessimistisch
bin ich nicht, weil in diesem Monat das erste Viertel der größten anzunehmenden
Gesamtamtszeit, genannt GAGA,
(Heiterkeit)
vorbei ist. Das ist die gute Nachricht. Ich sage Ihnen eines:
Wenn die das jetzt so machen, werden wir es wieder abschaffen! Das kann nicht
der Weg Deutschlands sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall - Zuruf)
- Ja, natürlich wollen wir die Regierungsbeteiligung. Dachten
Sie, ich sei hier, weil ich zu Hause eine feuchte Wohnung habe?
(Heiterkeit)
Das ist ja wohl ganz klar.
Meine Damen und Herren, bis dahin werden wir versuchen, mit
Ihnen gemeinsam - aber nicht nur mit Ihnen gemeinsam - den Widerstand zu
organisieren. Vielleicht kann man ja die Dinge im Gesetzgebungsverfahren noch
verändern. Notwendig wäre es.
Immanuel Kant hat etwas gesagt, was man wirklich als Geist der
Aufklärung auch an die Damen und Herren der Regierungsfraktionen adressieren
darf: Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.
(Beifall)
Mit anderen Worten: Mannesmut und Frauenpower vor
Königinnentreue!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Lebhafter Beifall)
Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident
der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages: Vielen Dank, Herr Dr.
Westerwelle, für Ihren Beitrag und die aufmunternden Worte, die wieder etwas
Hoffnung keimen lassen.
Die nächste Rednerin ist Frau Dr. Martina Bunge, Mitglied der
Bundestagsfraktion DIE LINKE. und Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des
Deutschen Bundestages. Bitte sehr, Frau Dr. Bunge.
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