Statements

Dienstag, 24. Oktober 2006, Vormittagssitzung

Dr. Guido Westerwelle, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke Ihnen zunächst einmal sehr herzlich, auch im Namen des gesundheitspolitischen Sprechers meiner Fraktion, Daniel Bahr, mit dem Sie in regelmäßigen Gesprächen und Kontakt sind, dass Sie mir die Gelegenheit geben, jetzt gewissermaßen für die freiheitliche Alternative zu dem, was bisher vorgetragen worden ist, zu sprechen.

(Beifall)

Frau Kollegin, bei allem Respekt - ich habe es auch Herrn Zöller selbst gesagt -: Was mir an der Linkspartei und an den Grünen gefällt, ist, dass sie wenigstens ganz offen sagen, dass sie eine Bürgerversicherung wollen, und dass sie ganz offen sagen, dass das der Weg in die Staatsmedizin und in die Planwirtschaft ist.

Ich glaube, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass dieses, was jetzt innerhalb der Regierung diskutiert wird, etwas ist, was nicht nur einige Ärzte betrifft. Hier geht es nicht nur um Gesundheitsberufe, hier geht es um die Grundfrage: Wollen wir eigentlich mehr Staatswirtschaft oder mehr soziale Marktwirtschaft in Deutschland? Das ist die eigentliche Frage.

(Beifall)

Wenn die Regierung das wirklich durchsetzt, dann werden darunter nicht zuerst Ärzte oder diejenigen, die im Gesundheitswesen tätig sind, leiden, sondern - das muss man der breiten Bevölkerung klarmachen - darunter leiden alle diejenigen, die krank sind oder krank werden können. Hier geht es millionenfach um Patienten, deren Interessen massiv verletzt werden.

(Beifall)

Das ist kaum besser auf den Punkt gebracht als bei dem, was jetzt Gesundheitsfonds genannt wird. Wenn Sie es mir nicht glauben, nach dem Motto: Na ja, das ist die liberale Opposition, die muss das ja so kritisieren, so zitiere ich denjenigen, der im Augenblick mit seinen Memoiren viel Furore macht.

(Heiterkeit)

Das hätte ich mir auch nicht vorstellen können, dass ich Herrn Schröder noch einmal freiwillig zitieren würde.

(Heiterkeit)

Er sagte gestern im "Spiegel" zum Gesundheitsfonds wörtlich: Das ist ein bürokratisches Monstrum, das der Programmatik beider Parteien widerspricht und den Versicherten nicht hilft. Das ist alles kein großer Wurf.

Wo er recht hat, hat er recht!

(Beifall)

Ich appelliere an die Bundeskanzlerin, sich in der Gesundheitspolitik wenigstens ansatzweise noch an das zu erinnern, was wir einmal gemeinsam in der Opposition vertreten haben. Das ist die eigentliche Frage, um die es hier geht.

(Beifall)

Dieser Gesundheitsfonds steht unter der Überschrift, wenn man es quasi zentral verwaltet, einzieht und auskehrt, dann würden die Leistungen besser und die Kosten würden geringer. Meine Damen und Herren, deswegen lohnt sich noch einmal ein Blick auf diese Konstruktion. Die Vorstellung vom Gesundheitsfonds besteht darin, dass quasi eine Bundesagentur für Gesundheit geschaffen wird, die Beiträge einzieht, verwaltet und auskehrt. Gleichzeitig müssen die Kassen und die Versicherungen ebenfalls ihre Verwaltungsstrukturen unterhalten, um Beiträge einzuziehen, zu verwalten und auszukehren. Es wäre das allererste Mal in der gesamten Geschichte der Menschheit, dass zwei Bürokratien preiswerter sind als eine, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Beifall)

Herr Präsident, ich bewundere die feine Form, mit der Sie das hier vorgetragen haben.

(Beifall)

Ich möchte ganz persönlich für mich hinzufügen: Das, was hier von der Koalition geplant wird - ich weigere mich, von der "Großen Koalition" zu sprechen, weil "groß" im deutschen Sprachgebrauch nicht nur eine quantitative, sondern auch eine qualitative Terminologie ist -,

(Beifall)

ist der Weg in die Staatsmedizin. Es ist in Wahrheit der Weg in die Planwirtschaft. Es ist mir zu viel DDR.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, lesen Sie nach, was im Fremdwörterduden unter "Fonds" im Rahmen der Wirtschafts- und Staatsorganisation aufgeführt ist. Das ist etwas, mit dem freie Berufe mit Sicherheit wenig zu tun haben. Es ist nämlich genau das Umverteilungsinstrument der Planwirtschaft der DDR gewesen. Das ist nicht meine Erklärung; das ist das, was im Duden steht.

Der eine oder andere mag das als übertrieben ansehen. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Es ist genau diese entscheidende Weichenstellung. Es geht hier nicht um irgendeine Petitesse, es geht hier nicht um irgendeine Randfrage der Tagespolitik, sondern es geht hier um eine fundamentale Frage unseres Gesellschaftsverständnisses.

(Beifall)

Deswegen finde ich es auch unzulässig, dass die Bundesgesundheitsministerin, wenn sie die Kritik an diesem Gesundheitsmurks zurückweist, immer davon spricht, es handele sich dabei um Lobbyisten, Lobbyisteninteressen, egoistische Einzelinteressen. Ich höre hier, man müsse für einen Bundesverband sein, weil ein vom Staat vorgegebener Bundesverband viel besser sei als sieben Verbände. Hier sitzen allein die Vertreter von fünf Fraktionen. Ich stelle mir vor, man würde eine solche Art des Denkens auf die deutsche Politik übertragen, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Lebhafter Beifall)

Es ist ja immer notwendig, auch als Vertreter der Opposition, jedenfalls der liberalen Opposition, andere sachverständige Quellen hinzuzufügen. Die Details werden die Sprecher mit Ihnen diskutieren. Mir ist wichtig - deswegen bin ich auch als Parteivorsitzender hierhin gekommen -, dass das nicht als Anliegen von einigen wenigen diffamiert wird, sondern dass man die gesamtgesellschaftliche Problematik erkennt, dass man erkennt, welchen Weg das bedeutet.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen einmal vorlesen, was das Herbstgutachten zur Weltwirtschaft und zur deutschen Wirtschaft zur Gesundheitsreform sagt. Das ist letzte Woche veröffentlicht worden. Herr Präsident, Sie gestatten mir, dass ich diesen Absatz zitiere:

Ein Grund für dieses pessimistische Urteil über die Wirtschaftspolitik der Koalition ist, dass sich die Bundesregierung offenbar nicht zu einem Grundprinzip guter Wirtschaftspolitik durchringen kann, nämlich die Eingriffe des Staates dort zurückzuführen, wo der Marktprozess bessere Lösungen liefert, und mehr Eigenverantwortung zuzulassen. Das zeigt sich exemplarisch an der geplanten Gesundheitsreform. Das Gesundheitswesen ist in Deutschland zweifellos eine Wachstumsbranche. Nach wie vor wird aber von der Bundesregierung hier eine wesentliche Aufgabe des Staates darin gesehen, die Ausgaben der Privaten bürokratisch zu lenken und durch diverse Eingriffe, wie die Deckelung der Ausgaben und die Fixierung von Preisen, zu begrenzen.

Jetzt kommt die Schlussfolgerung des Herbstgutachtens:

Erforderlich wäre hier ein Systemwechsel, der es den Bürgern mehr als bisher überlässt, die Entscheidungen über Art und Umfang der Versicherung selbst zu fällen.

Das ist die Alternative zu dem, was diese Regierung hier macht!

(Beifall)

Nach der größten Steuererhöhung in der Geschichte der Republik steht jetzt also auch eine empfindliche, drastische Beitragserhöhung ins Haus. Wir werden einen Rekordbeitrag von nahezu 15 Prozent erreichen. Die Versicherten werden mit mehr als 8 Milliarden Euro zusätzlich belastet und auch 2008 und 2009 werden die Beiträge weiter steigen.

Meine Damen und Herren, wenn es die Bundesregierung in der letzten Woche zu Recht zu ihrer Sache gemacht hat, dass mehr Lehrstellen geschaffen werden müssen, so gibt es einen zwingenden ökonomischen Zusammenhang: Wer die Lohnzusatzkosten in Deutschland weiter steigert, der verteuert eben Arbeit und Arbeitskosten, der sorgt dafür, dass unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit nachlässt, der sorgt dafür, dass immer mehr Pleiten dazukommen. Wer pleite geht, kann nicht ausbilden.

Es ist auch in Deutschland nicht möglich, auf Dauer die Gesetze der wirtschaftlichen Vernunft vollständig zu ignorieren. Das holt uns ein, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall)

Die faktische Abschaffung der Selbstverwaltung, Beitragssteigerungen - all das ist der Weg in die Mangelverwaltung. Das Geld für das Gesundheitswesen wird in Zukunft politisch zugeteilt. Damit erhalten wir ein Gesundheitssystem nach Kassenlage und nicht ein Gesundheitssystem, das sich an den Bedürfnissen der Patienten und der Ärzte orientiert.

Es wird den gesetzlich Versicherten nicht helfen, wenn diese Regierung die privaten Versicherungen kaputt macht. Im Gegenteil. Der Weg der Wartelistenmedizin und der schleichenden Rationierung von medizinischen Leistungen wird natürlich auch zu einer erheblichen Klassengesellschaft führen. Wer meint, dass hiermit den Schwächsten geholfen wird, dem sage ich: Genau die Schwächsten der Schwachen werden unter dieser Gesundheitsreform besonders die Verlierer sein.

(Beifall)

Wir brauchen ein Gesundheitswesen, das auf Freiheit, Transparenz und Wettbewerb aufbaut. Wir haben Ihnen dazu als Liberale ein ausgearbeitetes Konzept übermittelt; das kennen Sie. Es ist nicht notwendig, das in den zehn Minuten, die mir als Redezeit zugeteilt sind, im Detail vorzutragen.

Die eigentliche Weichenstellung besteht darin, ob man den Weg in immer mehr staatliche Umverteilung geht. Wenn wir jetzt die Bundesagentur für Gesundheit bekommen - als ob wir mit der Bundesagentur für Arbeit, diesem international anerkannten Hort behördlicher Effizienz, so tolle Erfahrungen gemacht hätten! -,

(Beifall)

dann kann das nicht funktionieren. Es geht darum: Jeder muss sich versichern, damit niemand durch den Rost fällt. Jedes Kind, das in Deutschland geboren wird, braucht Schutz und braucht Halt, auch in unserem Gesundheitssystem. Aber die Frage, wie man sich versichert, wo, zu welchen Tarifen, mit welchen Eigenbeteiligungen, bei welchen Versicherungen, soll letzten Endes mehr von den privaten Persönlichkeiten, von den Familien entschieden werden.

Ich selber gehöre einem freien Beruf an. Ich bin von Hause aus Rechtsanwalt. Der Präsident des Bundesverbandes der Freien Berufe ist hier ja anwesend. Wenn wir das, was jetzt an Planwirtschaft im Gesundheitssystem bei der Regierung in der Röhre ist, auf die Anwaltschaft, auf Jura und die Juristerei übertragen würden, hätten wir im Deutschen Bundestag - übrigens auch wegen der Zusammensetzung des Deutschen Bundestages - einen Aufstand, meine Damen und Herren. Das ist überhaupt gar nicht denkbar.

(Beifall)

Daher kann ich nur sagen: Wir werden den Weg weitergehen, dass wir unsere frei­heitliche Alternative an die Stelle dieses, wie wir finden, bürokratischen Murkses stellen.

Herr Präsident, Sie waren in einem Punkt pessimistisch: Sie haben nämlich erklärt, in fünf bis sechs Jahren gäbe es die Bürgerversicherung und dann im Grunde genommen die echte völlige Monopolstruktur. So pessimistisch bin ich nicht, weil in diesem Monat das erste Viertel der größten anzunehmenden Gesamtamtszeit, genannt GAGA,

(Heiterkeit)

vorbei ist. Das ist die gute Nachricht. Ich sage Ihnen eines: Wenn die das jetzt so machen, werden wir es wieder abschaffen! Das kann nicht der Weg Deutschlands sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall - Zuruf)

- Ja, natürlich wollen wir die Regierungsbeteiligung. Dachten Sie, ich sei hier, weil ich zu Hause eine feuchte Wohnung habe?

(Heiterkeit)

Das ist ja wohl ganz klar.

Meine Damen und Herren, bis dahin werden wir versuchen, mit Ihnen gemeinsam - aber nicht nur mit Ihnen gemeinsam - den Widerstand zu organisieren. Vielleicht kann man ja die Dinge im Gesetzgebungsverfahren noch verändern. Notwendig wäre es.

Immanuel Kant hat etwas gesagt, was man wirklich als Geist der Aufklärung auch an die Damen und Herren der Regierungsfraktionen adressieren darf: Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.

(Beifall)

Mit anderen Worten: Mannesmut und Frauenpower vor Königinnentreue!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages: Vielen Dank, Herr Dr. Westerwelle, für Ihren Beitrag und die aufmunternden Worte, die wieder etwas Hoffnung keimen lassen.

Die nächste Rednerin ist Frau Dr. Martina Bunge, Mitglied der Bundestagsfraktion DIE LINKE. und Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages. Bitte sehr, Frau Dr. Bunge.

© Bundesärztekammer 2006