Statements

Dienstag, 24. Oktober 2006, Vormittagssitzung

Dr. Maximilian Zollner, Sprecher der Allianz Deutscher Ärzteverbände: Herr Präsident Jörg Hoppe! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist jetzt gut ein Jahr her, dass die Große Koalition eine Regierung unter Bundeskanzlerin Merkel gebildet hat. Es ist gut ein Jahr her, dass die alte und neue Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt ihr Amt antrat. Und ebenso lange ist es her, dass sich die ärztlichen Verbände mit teils unterschiedlichen Ansätzen, Zielen und Interessen zusammenschlossen, um die größten Proteste der niedergelassenen Ärzteschaft zu organisieren, die diese Republik je gesehen hat.

Meine Damen und Herren, ich stelle fest: Da gibt es einen Zusammenhang! Seit Herbst letzten Jahres gingen über 100 000 Ärztinnen und Ärzte auf die Straße, zuletzt in Nürnberg über 5 000 Hausärzte aus der Region. Die Praxisärzte protestieren gegen den Weg in die Staatsmedizin, gegen die Ausweitung einer Zuteilungsmedizin, gegen Rationierung und drohende Wartelisten, also gegen die Gesundheitspolitik der Großen Koalition.

Das renommierte Kölner Institut der deutschen Wirtschaft sagt: Unterm Strich wird die Reform den Wettbewerb im Gesundheitswesen weiter bremsen, statt ihn anzutreiben. Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute haben in ihrem Herbstgutachten letzte Woche ein vernichtendes Urteil über die Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik der Regierung gefällt. Herr Westerwelle hat die entsprechenden Sätze bereits zitiert. Sie plädieren für einen Systemwechsel in der Gesundheitsvorsorge, der es den Bürgern mehr als bisher überlasse, die Entscheidungen über Art und Umfang der Versicherung selbst zu fällen.

Krankenkassen, Patientenverbände, Gewerkschaften, Arbeitgeber und die Ärzteschaft - jede gesellschaftliche Gruppierung hält diese Gesundheitsreform für falsch, ihre Folgen für fatal.

Meine Damen und Herren, es gehört schon viel Mut dazu, einen falschen Weg einzuschlagen, während alle links und rechts des Weges unisono davor warnen. Aber nicht umzukehren, von vorne zu beginnen, ehe alles zu spät ist, das ist töricht!

Wenn nun all diejenigen, die eine Umkehr fordern, nassforsch als Lobbyisten bezeichnet werden, die egozentrisch Interessen vertreten, dann muss einmal Folgendes klargestellt werden: Wir sind keine Lobbyisten, die sich in dunklen Hinterzimmern herumtreiben. Wir sind Ärzte, die diesen Murks gemeinsam mit den Patienten ausbaden müssen. Wir müssen uns vor Ort mit den Kranken auseinandersetzen, was der Staat noch zu zahlen bereit ist und was nicht.

Wir als Ärzte sind Teil dieses Gesundheitswesens, wir sind die Akteure. Es ist unser Recht und es ist vor allem unsere Pflicht, uns einzumischen. Nicht die Lobbyisten sind das Problem, sondern die Arroganz der Macht, die Arroganz dieser Großen Koalition.

(Beifall)

Unser Präsident Jörg-Dietrich Hoppe hat die Politik aufgefordert: Drücken Sie die Resettaste, fangen Sie von vorne an. Das ist die einhellige Meinung aller Ärzte in Deutschland.

Im Irland des 19. Jahrhunderts gab es einen Gutsverwalter in der irischen Grafschaft Mayo, der als übler Menschenschinder bekannt war. Seine Bauern, die das Land in Pacht bewirtschafteten, weigerten sich daraufhin, den Pachtzins zu zahlen. Sie schlossen sich in der Irischen Landliga zusammen, niemand arbeitete mehr für ihn, niemand kaufte seine Waren und niemand verkaufte die Ernte an ihn. Der Name des verhassten Gutsverwalters: Charles Cunningham Boycott. Er musste schließlich kapitulieren und auswandern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wir sind zu einem Boykott dieser Gesundheitsreform bereit! Das Beispiel der irischen Landarbeiter zeigt, dass wir die Dinge verändern können, wenn wir geschlossen auftreten.

(Beifall)

Die Proteste der letzten Monate haben deutlich gemacht: Wir sind uns einig, wenn das Gesundheitssystem in Gefahr ist. Wir hatten Demonstrationen und Praxisschließungen, wir werden neue und effektivere Methoden des Protestes finden. Beispielsweise können wir die Praxisschließungen flächendeckend ausweiten oder punktuell durchführen. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Die jüngste Zeit hat auch gezeigt: Die deutsche Ärzteschaft hat Fantasie! Nutzen wir diese und zwingen wir die Politik, diesen Gesundheitsmurks endgültig einzustampfen!

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages: Vielen Dank, Herr Dr. Zollner. - Als nächster Redner bitte Herr Kollege Kötzle als Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes.

© Bundesärztekammer 2006