Statements

Dienstag, 24. Oktober 2006, Vormittagssitzung

Sabine Rothe, Bündnis Gesundheit 2000: Vielen Dank. - Sehr geehrte Damen und Herren! In einem Zitat von Paul Watzlawick heißt es: "Wer nur einen Hammer hat, sieht alles als Nagel." Betrachtet man den derzeitigen Referentenentwurf, hat man den Eindruck, dass nach der Hammermethode alles, was im deutschen Gesundheitssystem an gewachsenen Strukturen, Erfahrungen und Bewährtem vorhanden ist, mit dem Hammer plattgemacht werden soll.

Niemand bestreitet, dass eine Reform des deutschen Gesundheitswesens dringend notwendig und längst überfällig ist. Wir alle wissen, dass eine Reform ohne Einschnitte nicht gelingen kann.

Wir 4,2 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen wissen aber auch, dass eine soziale und menschliche Behandlung, Betreuung und Pflege von Patienten im Interesse der uns Anvertrauten nur gelingen kann, wenn wir ihnen in ihrer Individualität, in ihrer Ganzheit und vor allem in ihrer Würde und mit Achtung begegnen. Das tun wir im Gesundheitswesen Beschäftigten mit ganzem Herzen, also zu 100 Prozent und nicht nur zu 50 Prozent. Wir erwarten jedoch von den verantwortlichen Politikern, dass man auch uns gegenüber achtungsvoll und mit Respekt entgegentritt.

Die Bundeskanzlerin warnte Kritiker des Referentenentwurfs davor, Gruppeninteresse vor das Gemeinwohl zu stellen, und sagte: ". geht es nicht um 100 000 oder 200 000 Menschen, sondern um 80 Millionen Versicherte". Würde es der Kanzlerin um die Interessen der Versicherten gehen, dann wüsste sie, dass es sich hier nicht um eine Gruppe von 100 000 oder 200 000 Nörglern handelt, sondern um die Beschäftigten im Gesundheitswesen, um uns.

(Beifall)

Allein die von unserem Verband, dem Verband medizinischer Fachberufe e. V., vertretenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in ambulanten Arzt- und Zahnarztpraxen sind so viele Angestellte wie in 25 DAX-Unternehmen zusammen.

(Beifall)

Liebe niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, Sie sind somit einer der größten Arbeitgeber in diesem Land. Machen Sie den verantwortlichen Politikern doch klar, dass Sie Ihre Pflichten als Arbeitgeber wahrnehmen müssen und wollen. Das bedeutet, dass keine dreifach gedeckelte, auf 2009 hinausgeschobene Honorarreform benötigt wird, sondern eine betriebswirtschaftlich korrekt berechnete Vergütung, und das sofort.

(Beifall)

Effizienz und Effektivität im Gesundheitswesen können nur mit und durch uns, den Beschäftigten im Gesundheitswesen, ermöglicht werden. Wir sind nicht durch Maschinen oder Automaten zu ersetzen. Der beste medizinische Fortschritt nutzt der Bevölkerung nichts, wenn es niemanden gibt, der diesen auch anwenden kann.

(Beifall)

Ganz gleich an welcher Stelle im Gesundheitssystem - wir sind es, die den Patienten das geben, was sie am dringendsten benötigen: Vertrauen in die fachliche und soziale Kompetenz. Dazu benötigen die Patienten Entscheidungs- und die Leistungserbringer Therapiefreiheit. Denn weder Bürokratie noch staatliche Eingriffe heilen oder fördern die Compliance der Patienten noch steigern sie die Motivation der Beschäftigten.

(Beifall)

Und mit der neuen Gesetzgebung soll die Menge an staatlichen Eingriffen und Einschnitten noch weiter zunehmen. Herr Struck sagte zum Referentenentwurf gegenüber den "Lübecker Nachrichten": "Wir sichern damit die hohen Standards in der Qualität der Versorgung." Hier muss ich ihn korrigieren: Nicht die Regierung sichert die medizinische Versorgung und nicht die Regierung erbringt hohe qualitative Standards, sondern wir, die Beschäftigten im Gesundheitswesen.

(Beifall)

Und das trotz aller Politik, die die Patientensicherheit in unserem Land aufs Spiel setzt. Denn nichts anderes tut die Koalition mit den derzeitigen Gesetzesvorhaben.

Die vorgesehene noch drastischere Budgetierung und Reglementierung wird zu weiterem Personalabbau und damit einer Verschlechterung der Patientenversorgung bis hin zu einer Gefährdung der Patienten führen.

Seit Jahren wird versucht, auf unsere Kosten ein System mit Negativbilanz aufrechtzuerhalten. So erhält beispielsweise eine Arzthelferin nach zehn Jahren Berufstätigkeit bei einer Vollzeitstelle ein Durchschnittsgehalt von circa 1 600 Euro! Was nach Abzug aller Steuern und Beiträge zum Leben übrig bleibt, brauche ich Ihnen, glaube ich, nicht zu sagen. Damit rutscht sie automatisch in die Altersarmut. Das betrifft nicht nur die von uns vertretenen Berufe, sondern auch viele andere Frauen und, wie wir heute gehört haben, mittlerweile auch Ärzte.

Wo bleiben da unsere Würde und unsere Grundrechte?

(Beifall)

Der systematische Entzug der Finanzgrundlagen für die Leistungserbringer bringt uns in eine würdelose Bittstellerposition. Dabei wollen wir nichts anderes, als für unsere geleistete Arbeit gerecht entlohnt zu werden.

Wir wollen uns nicht dafür rechtfertigen müssen, dass wir Menschenleben retten, Kranken Zuspruch geben, Versicherte unterstützen, sich gesund zu halten und Prävention zu betreiben oder Sterbende zu pflegen. Wir sind es leid, ständig mit dem staatlichen Hammer bearbeitet zu werden.

Es geht nicht darum, die Probleme in unserem Gesundheitssystem zu beschönigen und sich vor Reformen zu drücken. Reform bedeutet in der Politik eine größere, planvolle und gewaltlose Umgestaltung bestehender Verhältnisse. Planen bedeutet wiederum, von einem Zustand der Gegenwart zu einem Ziel in der Zukunft zu gelangen. Natürlich nutzt man dabei möglichst die vorhandenen Erfahrungen. Der Plan der Koalition zu einer Gesundheitsreform ist davon weit entfernt.

Der österreichische Gerontopsychologe Gerald Dunkl sagte: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist menschlicher. Lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam an einem menschlichen Gesundheitssystem arbeiten, das geprägt ist von Vertrauen, ohne überbordende staatliche Kontrolle.

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages: Herzlichen Dank, Frau Rothe. - Ich bitte jetzt Herrn Ulrich Boltz ans Rednerpult. Er ist Patientenvertreter und 1. stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes der Organtransplantierten e. V. Bitte schön, Herr Boltz.

© Bundesärztekammer 2006