Sabine Rothe,
Bündnis Gesundheit 2000: Vielen
Dank. - Sehr geehrte Damen und Herren! In einem Zitat von Paul Watzlawick heißt
es: "Wer nur einen Hammer hat, sieht alles als Nagel." Betrachtet man den
derzeitigen Referentenentwurf, hat man den Eindruck, dass nach der
Hammermethode alles, was im deutschen Gesundheitssystem an gewachsenen
Strukturen, Erfahrungen und Bewährtem vorhanden ist, mit dem Hammer
plattgemacht werden soll.
Niemand bestreitet, dass eine Reform des deutschen
Gesundheitswesens dringend notwendig und längst überfällig ist. Wir alle
wissen, dass eine Reform ohne Einschnitte nicht gelingen kann.
Wir 4,2 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen wissen
aber auch, dass eine soziale und menschliche Behandlung, Betreuung und Pflege
von Patienten im Interesse der uns Anvertrauten nur gelingen kann, wenn wir
ihnen in ihrer Individualität, in ihrer Ganzheit und vor allem in ihrer Würde
und mit Achtung begegnen. Das tun wir im Gesundheitswesen Beschäftigten mit
ganzem Herzen, also zu 100 Prozent und nicht nur zu 50 Prozent. Wir erwarten
jedoch von den verantwortlichen Politikern, dass man auch uns gegenüber
achtungsvoll und mit Respekt entgegentritt.
Die Bundeskanzlerin warnte Kritiker des Referentenentwurfs
davor, Gruppeninteresse vor das Gemeinwohl zu stellen, und sagte: ". geht es
nicht um 100 000 oder 200 000 Menschen, sondern um 80 Millionen
Versicherte". Würde es der Kanzlerin um die Interessen der Versicherten gehen,
dann wüsste sie, dass es sich hier nicht um eine Gruppe von 100 000 oder
200 000 Nörglern handelt, sondern um die Beschäftigten im
Gesundheitswesen, um uns.
(Beifall)
Allein die von unserem Verband, dem Verband medizinischer
Fachberufe e. V., vertretenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in ambulanten
Arzt- und Zahnarztpraxen sind so viele Angestellte wie in 25 DAX-Unternehmen
zusammen.
(Beifall)
Liebe niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, Sie sind somit
einer der größten Arbeitgeber in diesem Land. Machen Sie den verantwortlichen
Politikern doch klar, dass Sie Ihre Pflichten als Arbeitgeber wahrnehmen müssen
und wollen. Das bedeutet, dass keine dreifach gedeckelte, auf 2009
hinausgeschobene Honorarreform benötigt wird, sondern eine betriebswirtschaftlich
korrekt berechnete Vergütung, und das sofort.
(Beifall)
Effizienz und Effektivität im Gesundheitswesen können nur mit
und durch uns, den Beschäftigten im Gesundheitswesen, ermöglicht werden.
Wir sind nicht durch Maschinen oder Automaten zu ersetzen. Der beste
medizinische Fortschritt nutzt der Bevölkerung nichts, wenn es niemanden gibt,
der diesen auch anwenden kann.
(Beifall)
Ganz gleich an welcher Stelle im Gesundheitssystem - wir sind
es, die den Patienten das geben, was sie am dringendsten benötigen: Vertrauen
in die fachliche und soziale Kompetenz. Dazu benötigen die Patienten
Entscheidungs- und die Leistungserbringer Therapiefreiheit. Denn weder
Bürokratie noch staatliche Eingriffe heilen oder fördern die Compliance der
Patienten noch steigern sie die Motivation der Beschäftigten.
(Beifall)
Und mit der neuen Gesetzgebung soll die Menge an staatlichen
Eingriffen und Einschnitten noch weiter zunehmen. Herr Struck sagte zum
Referentenentwurf gegenüber den "Lübecker Nachrichten": "Wir sichern damit die
hohen Standards in der Qualität der Versorgung." Hier muss ich ihn korrigieren:
Nicht die Regierung sichert die medizinische Versorgung und nicht die Regierung
erbringt hohe qualitative Standards, sondern wir, die Beschäftigten im Gesundheitswesen.
(Beifall)
Und das trotz aller Politik, die die Patientensicherheit in
unserem Land aufs Spiel setzt. Denn nichts anderes tut die Koalition mit den
derzeitigen Gesetzesvorhaben.
Die vorgesehene noch drastischere Budgetierung und
Reglementierung wird zu weiterem Personalabbau und damit einer Verschlechterung
der Patientenversorgung bis hin zu einer Gefährdung der Patienten führen.
Seit Jahren wird versucht, auf unsere Kosten ein System mit
Negativbilanz aufrechtzuerhalten. So erhält beispielsweise eine Arzthelferin
nach zehn Jahren Berufstätigkeit bei einer Vollzeitstelle ein
Durchschnittsgehalt von circa 1 600 Euro! Was nach Abzug aller
Steuern und Beiträge zum Leben übrig bleibt, brauche ich Ihnen, glaube ich,
nicht zu sagen. Damit rutscht sie automatisch in die Altersarmut. Das betrifft
nicht nur die von uns vertretenen Berufe, sondern auch viele andere Frauen und,
wie wir heute gehört haben, mittlerweile auch Ärzte.
Wo bleiben da unsere Würde und unsere Grundrechte?
(Beifall)
Der systematische Entzug der Finanzgrundlagen für die
Leistungserbringer bringt uns in eine würdelose Bittstellerposition. Dabei
wollen wir nichts anderes, als für unsere geleistete Arbeit gerecht entlohnt zu
werden.
Wir wollen uns nicht dafür rechtfertigen müssen, dass wir
Menschenleben retten, Kranken Zuspruch geben, Versicherte unterstützen, sich
gesund zu halten und Prävention zu betreiben oder Sterbende zu pflegen. Wir
sind es leid, ständig mit dem staatlichen Hammer bearbeitet zu werden.
Es geht nicht darum, die Probleme in unserem Gesundheitssystem
zu beschönigen und sich vor Reformen zu drücken. Reform bedeutet in der Politik
eine größere, planvolle und gewaltlose Umgestaltung bestehender Verhältnisse.
Planen bedeutet wiederum, von einem Zustand der Gegenwart zu einem Ziel in der
Zukunft zu gelangen. Natürlich nutzt man dabei möglichst die vorhandenen
Erfahrungen. Der Plan der Koalition zu einer Gesundheitsreform ist davon weit
entfernt.
Der österreichische Gerontopsychologe Gerald Dunkl sagte:
Kontrolle ist gut, Vertrauen ist menschlicher. Lassen Sie uns in diesem Sinne
gemeinsam an einem menschlichen Gesundheitssystem arbeiten, das geprägt ist von
Vertrauen, ohne überbordende staatliche Kontrolle.
Vielen Dank.
(Beifall)
Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident
der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages: Herzlichen Dank, Frau
Rothe. - Ich bitte jetzt Herrn Ulrich Boltz ans Rednerpult. Er ist
Patientenvertreter und 1. stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes
der Organtransplantierten e. V. Bitte schön, Herr Boltz.
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