Statements

Dienstag, 24. Oktober 2006, Vormittagssitzung

Prof. Dr. Norbert Klusen, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse: Sehr geehrter Herr Hoppe! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich sehr herzlich für die Einladung. Wenn ein Krankenkassenchef zu einer derartigen Veranstaltung wie einem außerordentlichen Deutschen Ärztetag eingeladen wird, muss die Lage wirklich ernst sein.

(Beifall)

Ich darf Ihnen bestätigen: Es ist ernst. Ob es für Sie oder für meine Krankenkasse ernst ist, spielt nicht die entscheidende Rolle, sondern die Tatsache, dass es ernst ist für die Menschen, für die Patienten in diesem System.

Wenn ich heute gern hierher gekommen bin, dann nicht deshalb, um mich anzubiedern, um zu kumpeln. Das wäre auch unglaubwürdig, das passt gar nicht in die Rolle, die wir ständig, in welchem System auch immer, zu spielen haben. Wir werden immer miteinander verhandeln müssen. Wir werden immer weniger bezahlen wollen, als Sie haben wollen. Die Lösung ist das Ergebnis von Verhandlungen und einer kritischen, hartnäckigen Auseinandersetzung. Am Ende steht ein Vertrag und der muss eingehalten werden. Er gibt Ihnen die Möglichkeit, zu arbeiten, und uns die Möglichkeit, unseren Versicherten, den Patienten, die Versorgung bezahlen zu können.

Es ist wichtig, dass wir uns in einer solchen Zeit auf eine gemeinsame Basis besinnen. Gemeinsam ist uns, dass wir keine Staatsmedizin wollen. Auch wenn der eine oder andere Politiker sagt, er wisse gar nicht, was das ist - Herr Hoppe hat recht: Die Konstruktion dieses Gesundheitsfonds und diese Reform führen in die Staatsmedizin, führen zu einer stärkeren Rationierung. Was sind denn staatlich festgelegte Beitragssätze, ein Modell, das sich bei der Rentenversicherung in den vergangenen Jahrzehnten sehr stark "bewährt" hat? Das ist Staat, mehr Staat.

Stolz sagt man: Wir nehmen den Krankenkassen die Finanzautonomie weg. Die Politiker sagen: Wir machen es besser als Organisationen, die in einem Wettbewerb, die unter Druck stehen. Vielleicht behandeln sie letztendlich auch die Patienten, weil sie meinen, auch das könnten sie besser. Das ist ja diese Überheblichkeit, die hier immer wieder durchklingt.

(Beifall)

Dieser Fonds mit dem Ventil der kleinen Prämie führt aus der ökonomischen Rationalität heraus dazu - es geht gar nicht anders, weil wir sonst unsere Existenz gefährden würden -, dass wir einen gewissen Betrag aus diesem Fonds bekommen und darüber liegt ein gigantischer Risikostrukturausgleich, in den meine Kasse schon heute 4 Milliarden Euro einzahlt, später noch mehr. Dann müssen wir schauen, dass wir keine oder nur eine möglichst geringe Prämie erheben, weil bei einem Unterschied von auch nur 1 Euro die Versicherten die Krankenkasse wechseln würden. Wir werden nur noch darauf fixiert sein und gar kein Interesse an einer guten und damit auch teureren Versorgung mehr haben können. Diese können wir den Gesunden, die bezahlen müssen, nicht verkaufen. Die Kranken wollen mit Recht eine gute Versorgung haben und die Gesunden - so ist es nun einmal - wollen möglichst wenig Beitrag zahlen. Deshalb ist dieser Schritt ein ganz starker Weg in die Staatsmedizin.

Wir wollen keine Rationierung von medizinisch notwendigen Leistungen. Aus dem, was ich eben erklärt habe, folgt aber, dass wir diese Rationierung vornehmen müssen. Die Entwicklung wird in diese Richtung gehen. Die ökonomischen Paradigmen sind genau so eingestellt. Die Politiker müssen ja keine Leistungskürzungen vorsehen, sondern dieses Geschäft müssen wir für sie erledigen. Man wird mit dem Finger auf uns zeigen und sagen: Wie schrecklich, was die so machen, jetzt müssen wir vielleicht wieder gesetzgeberisch eingreifen!

Wir wollen ein finanzierbares Gesundheitssystem. Das bedeutet ein System, in dem sich Leistung lohnt, in dem es auch Eigenverantwortung gibt. Dazu stehe ich auch als Krankenkassenchef. Die Reform beginnt mit dem Entzug von über 4 Milliarden Euro aus Steuermitteln, die man uns aus richtigen ordnungspolitischen Gründen einmal gegeben hat. Gleichzeitig führt man eine Diskussion darüber, dass man im Gesundheitssystem stärker über Steuern finanzieren will.

Auch wenn es gerechtfertigt wäre, die Kinderbeiträge über Steuern zu finanzieren, kann ich davor nur warnen; dann wird nämlich in diesem System erst recht Politik nach Kassenlage gemacht, nach Lage des staatlichen Haushalts betrieben. Dass dieser besonders seriös wäre, kann man ja nicht sagen.

Bei "seriös" fällt mir ein: Es gibt nicht 250 Krankenkassen, die verschuldet sind. Keine Krankenkasse darf sich verschulden; das wäre rechtswidrig. Ein Teil der Krankenkassen ist unter politischem Druck in diese Situation hineingerutscht, was an sich schon ein Skandal ist. Ich hätte mein Amt lieber zur Verfügung gestellt, als auch nur 1 Euro Schulden zur Finanzierung des laufenden Geschäfts der Techniker Krankenkasse aufzunehmen. Das täte ich auch heute noch, wenn ich in diese Situation käme.

(Beifall)

Auch von höchsten Stellen wird mit platten Argumenten gearbeitet. Die Bundeskanzlerin sagte kürzlich: Wir haben die Reform nicht für die Krankenkassen gemacht - ich füge hinzu: Das habe ich auch nicht erwartet -, sondern für die Menschen. Die Menschen aber lehnen diese Reform ab. Für welche Menschen hat man denn diese Reform gemacht? Für die Patienten? - Die Verbesserung der Palliativversorgung hätte man auch anders regeln können. Für die Versicherten? - Billiger wird es nicht, sondern es wird teurer. Es wird Beitragserhöhungswellen geben. Für die Menschen in der Großen Koalition? - Schon eher.

(Beifall)

Wofür hat man diese Reform eigentlich gemacht? Sicher nicht für das Volk und nicht für die Menschen im Lande. Es gibt in diesem Gesetzentwurf auch ein paar gute Dinge, aber das hätte man auch anders regeln können.

Diese Reform ist zum Teil leider auf Stammtischniveau gemacht worden, wer immer das zu verantworten hat. Piercings und Tattoos sind nicht unser Problem. Was soll das denn? Wenn sich jemand beim Tätowieren eine Hepatitis C zuzieht, wird er anschließend nicht auf Kosten der Kasse behandelt, sondern das muss er privat liquidieren. Er muss sehen, ob er von dieser Seite etwas bekommt.

Wenn sich einer vollfrisst oder säuft, bekommt er alles bezahlt. Aber wenn sich jemand ein Tattoo machen lässt, weil es dem Zeitgeist entspricht, und dadurch eine Infektion entsteht, oder wenn er es wieder entfernt haben will, bezahlt es die Kasse schon heute nicht. Das sind also keine Kostenfaktoren.

Die Prämie von 8 Euro konnte sich nur jemand einfallen lassen, der nicht einmal die Grundrechenarten beherrscht.

(Beifall)

Anderenfalls hätte man gewusst, dass das überhaupt nicht funktioniert. Das sagen mir auch Politiker, das sagen mir auch Beamte, aber sie dürfen es natürlich nicht laut sagen. Jeder, der die "Brillanz" dieser großartigen Reform kritisiert, vor allem wenn es ein Krankenkassenchef ist, wird anschließend sehr heftig kritisiert, oft auch mit sehr platten Argumenten. Trotzdem: Auch wenn die Kritik polemisch vorgetragen wird, sie ist sachlich richtig.

Das Gesundheitssystem ist das größte Problem, das wir in Deutschland haben. Nicht, dass es nicht reformbedürftig wäre - selbstverständlich ist es das -, aber das darf doch nicht auf diese Art und Weise geschehen.

Die Situation wurde von manchen Politikern, von Menschen, die anderes im Sinne hatten, gut vorbereitet, indem seit Jahren zu meinem großen Bedauern die medizinische Versorgung in Deutschland schlechtgeredet wurde. Ich kann Ihnen hier einen Vorwurf nicht ersparen: Sie hätten sich mehr dagegen wehren müssen.

(Beifall)

Ich habe dies Ärztevertretern oft gesagt, auch vor Kurzem Herrn Hoppe, Ärztekammerpräsidenten und anderen wichtigen Personen aus Ihrer Sphäre. Da ist man vielleicht zu vornehm und zu anständig gewesen. Man hätte auch vieles widerlegen können. Ständig gibt es Studien, wonach im Vergleich zu uns Schweden ein tolles Gesundheitssystem hat, wonach Großbritannien hervorragende Ergebnisse im Vergleich zu uns liefert. Sogar Sansibar hat uns irgendwo einmal überholt.

Da kommt immer dieses saudumme Beispiel vom Golf und dem Mercedes: dass wir einen Golf erhalten, aber einen Mercedes bezahlen. Manchmal sind Wissenschaftler dabei, die das mit unsäglichen Untersuchungen unterstützen, die aber falsche Kriterien anwenden, falsch rechnen, die nicht das gesamte System beispielsweise auch hinsichtlich des Zugangs zu ihm werten.

(Beifall)

Sie haben ständig auf den Lippen: Golf statt Mercedes. Jeder Politiker, der das erste Mal über das Gesundheitswesen spricht und lernt, dass das vorne mit einem großen G geschrieben wird, hat dieses Beispiel parat. Es ist immer verfügbar: Golf und Mercedes. Niemand von diesen käme auf die Idee, sein Kind, wenn es krank würde und ins Krankenhaus müsste, in ein Krankenhaus nach Schweden, Großbritannien oder Sansibar zu schicken.

(Beifall)

Vor allem Schweden wird beispielsweise von unserem Finanzminister immer als Vorbild erwähnt.

Wir brauchen eine neue Dialogkultur, auch zwischen Ärzten und uns Krankenkassen. So wie bisher geht es nicht weiter. Wir sind immer miteinander im Gespräch gewesen. Es hat nicht immer nur die harten Verhandlungen gegeben, nicht nur die öffentlichen Anfeindungen und Beschimpfungen.

Ich kann niemanden behandeln; dafür brauchen wir Sie. Wir müssen mit Ihnen Verträge machen. Nicht eine Krankenkasse versorgt die Menschen - ich mag diesen Begriff "Versorgerkasse" nicht, obschon er auch auf uns zutreffen würde -, sondern diejenigen, die in diesem Gesundheitssystem die kranken Menschen heilen, pflegen und behandeln: die Ärzte, die Krankenhäuser.

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages: Vielen Dank, Herr Professor Klusen, für Ihre Ausführungen, auch zu der Gegenwehr, die wir immer versucht haben, die aber zu dem Zeitpunkt keine großen Chancen hatte. Mittlerweile hat ein zumindest in der Szene sehr Bekannter gesagt, dass wir das Gefühl hätten, einen Golf zu fahren, während wir in Wirklichkeit einen Mercedes hätten und nur für einen Golf bezahlten. So ist es nun umgekehrt, nachdem eine entsprechende Studie veröffentlicht wurde. So ändern sich die Zeiten.

Wir treten nunmehr in die Mittagspause ein. Wir treffen uns um 15 Uhr wieder.

Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung kann sich im ersten Stock treffen.

Bisher vielen Dank.

(Unterbrechung)

© Bundesärztekammer 2006