Debatte

Dienstag, 24. Oktober 2006, Nachmittagssitzung

Henke, Vorstand der Bundesärztekammer: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die beschriebene Situation ist natürlich das Ergebnis einer Entwicklung, und zwar jener, dass über Jahre hinweg - Herr Professor Klusen hat das dargestellt - die gesundheitliche Versorgung mit der Qualifizierung "Unterversorgung", "Überversorgung" und "Fehlversorgung" schlechtgeredet worden ist. Wir haben auf etlichen Ärztetagen dargelegt, dass diese Qualifizierung des Gesundheitswesens im Grunde genommen eine Deviation in der Wahrnehmung der Bevölkerung hinsichtlich des Gesundheitswesens herbeiführt.

Fakt ist - das zeigen die Untersuchungen, die der "Commonwealth Funds" erstmals unter Einbeziehung Deutschlands durchgeführt hat -, dass nirgendwo sonst die Bürger so sehr dem Satz zustimmen: Eigentlich muss man in unserem Gesundheitswesen alles reformieren. Wenn man sie auf einzelne Aspekte hin anspricht, sagen sie: Die Qualität ist gut. Deutschland hat im internationalen Vergleich die kürzesten Wartezeiten, die Laborbefunde sind verlässlicher und liegen schneller vor. Die Patienten haben mehr Möglichkeiten bei der Arztwahl, sie bekommen im Krankenhaus seltener eine Infektion, wer chronisch krank ist, wird häufiger und regelmäßig vorsorglich untersucht, die Notfallpatienten sind doppelt so zufrieden wie in den USA, wo die gesundheitliche Versorgung fast doppelt so viel kostet wie in Deutschland.

Aber darüber haben vielleicht - Herr Klusen hat ja recht - alle verantwortlichen Akteure, weil sie es halt als so selbstverständlich empfinden, zu wenig geredet. Also müssen wir über die Qualitäten sprechen, also müssen wir sie im Konkreten benennen.

Es gibt eine Gruppe von Menschen in Deutschland, mit denen noch arroganter umgesprungen wird als mit uns: Das sind die normalen Abgeordneten im Deutschen Bundestag, die heute Nachmittag um 16 Uhr in ihrer Fraktionssitzung einen Text von 540, 560 oder 570 Seiten - keiner weiß ja, wie umfangreich das ist - beschließen sollen. Heute Morgen um 10 Uhr hat noch kein Mitglied des Gesundheitsausschusses dieses Textpaket in Händen gehabt. Das nenne ich Machtarroganz der Regierung! Ich bin selbst Parlamentarier und sage: Es ist eine Dreistigkeit und Unverschämtheit, wie hier mit frei gewählten Abgeordneten umgegangen wird!

(Beifall)

Es ist eine Frage ihres Gewissens, dass sie sich dagegen zur Wehr setzen.

Schönen Dank.

(Lebhafter Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages: Vielen Dank für diese starken Ausführungen und die Unterstützung des Appells an das Gewissen der Abgeordneten. Ich glaube, nur so geht es. Man kann sie nicht verpflichten, sich mit dem einzelnen Text zu beschäftigen. Aber dass sie wenigstens darüber nachdenken, dass sie möglicherweise dicke Fehler machen, kann man wohl von ihnen verlangen.

Die nächste Rednerin ist Frau Haus aus Nordrhein.

© Bundesärztekammer 2006