TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

Dienstag, 15. Mai 2007, Nachmittagssitzung

Dr. Mayer, Bayern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben wahrscheinlich nicht nur die dienstälteste Gesundheitsministerin, sondern auch die raffinierteste. Sie, die im politischen Alltag in der Regel mit Vollgas fährt, ist heute eindeutig auf die Bremse getreten. Wenn mich meine Frau nicht gebremst hätte, hätte ich lauthals gerufen: Zur Sache, Schätzchen!

Herr Präsident Hoppe, ich bewundere Ihren Mut, Frau Ministerin Schmidt zur Eröffnung des Deutschen Ärztetages eingeladen zu haben, tragen Sie doch als Gastgeber die Verantwortung für ihre Sicherheit, zumal bei dieser Eröffnungsveranstaltung eine unwahrscheinlich kompakte Zahl von Geiselnehmern zugegen waren. In Wahrigs "Deutschem Wörterbuch" wird die Geisel definiert als "ein Gefangener, der als Bürge für bestimmte Forderungen mit seinem Leben einstehen muss".

Gemeinhin verstehen sich Ärzte als Erhalter, als Beschützer des Lebens. Definiert hier Frau Schmidt anders? Definiert sie neu? Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, Ärzte als Geiselnehmer - dieser Vorwurf ist ungeheuerlich. Entweder ist Frau Schmidt der deutschen Sprache nicht mächtig, oder sie ist ungezogen. Welche Verbalinjurien dürfen sich Minister in ihrem Umgang mit den Ärzten noch erlauben, ehe ihnen die verfasste deutsche Ärzteschaft die Türe weist?

Meine Damen und Herren, ich bin lange genug in diesem Beruf gewesen und lange genug in der Berufspolitik, um mich an den legendären Hans Muschallik erinnern zu können, der auf dem Wege über eine Runde Skat oder einen Schoppen Wein Zugang zu den Ministerien bzw. Ministern gefunden hat. Dieser Weg ist offenbar endgültig vorbei. Jetzt sitzen wir in der Kostenfalle. Das nächste Debakel, das uns ins Haus steht, ist die Ethikfalle.

Vielleicht schätzen Sie die "Deutsche Medizinische Wochenschrift" als eine medizinische Zeitschrift, die nicht nur ausgezeichnete Artikel für die Fortbildung zur Verfügung stellt, sondern auch über die Grundlagenforschung berichtet. Auf einer der letzten Seiten unter "Personalia" werden mehr oder weniger bekannte Mediziner interviewt. In einer der letzten Ausgaben wurde ein 40-jähriger, im besten Alter stehender Wissenschaftler, der gegenwärtig als Consulting-Professor in London tätig ist, interviewt. Ich zitiere:

Wie beurteilen Sie das deutsche Medizinsystem im Allgemeinen und im Vergleich zu anderen Systemen?

Antwort:

Im deutschen Medizinsystem geht es den Patienten gut, den Ärzten geht es schlecht. Im englischen ist es umgekehrt: Den Patienten geht es schlecht, den Ärzten gut.

Ich denke, dass Deutschland durch den Ärztestreik nicht wirklich gelernt hat, worum es eigentlich geht. In unserer Abteilung in Freiburg sind in den letzten zehn Jahren sieben Fachärzte ausgebildet worden. Heute arbeiten nur noch zwei von den sieben in Deutschland.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, nach dem Exodus der Massen erfolgt ein Exodus der Effizienz, der Elite. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank, Herr Mayer. - Der nächste Redner ist Herr
Dr. Wesiack aus Hamburg.

© Bundesärztekammer 2007