Dr. Liese, Referent: Sehr geehrter Herr Professor
Hoppe! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der Einladung zum
Deutschen Ärztetag hier nach Münster sehr gerne gefolgt. Ich bin gebeten
worden, mein Statement aus europäischer Perspektive kurz zu halten. Ich bin
gerne bereit, in der Diskussion zu Details Stellung zu nehmen, wenn
entsprechende Fragen gestellt werden.
Die ethischen Aspekte der Gewebe- und Organtransplantation
sind im Europäischen Parlament in den letzten Jahren intensiv thematisiert
worden. Ich muss vorab klarstellen: Wir haben als Europäisches Parlament nicht
den Anspruch, alle entsprechenden Fragen europäisch zu regeln. Es wird beim
nationalen Gesetzgeber eine Verantwortung verbleiben. Deswegen ist das
Szenario, dass im Jahre 2010 immer noch der Bundestag entscheidet, ein
realistisches.
Es gibt eine Reihe von Grundsätzen im Bereich von Qualität und
Sicherheit, aber auch eine Reihe von ethischen Grundsätzen, die auf
europäischer Ebene diskutiert und teilweise auch schon festgelegt wurden.
Die Basis für das Handeln der Europäischen Union in diesem
Bereich ist Art. 152 Abs. 4, in dem es zu den Kompetenzen der Europäischen
Union wörtlich heißt:
a) Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards
für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs sowie für Blut und Blutderivate;
diese Maßnahmen hindern die Mitgliedstaaten nicht daran, strengere
Schutzmaßnahmen beizubehalten oder einzuführen .
Eine Richtlinie zur Qualität und Sicherheit von Blut und
Blutprodukten ist bereits vor einigen Jahren in Kraft getreten. Eine Richtlinie
zur Qualität und Sicherheit von Zellen und Geweben wurde 2004 von den
europäischen Institutionen angenommen, und ihre Umsetzung wird zurzeit in
einigen Staaten diskutiert, sehr kritisch auch in Deutschland. Eine Richtlinie
zur Qualität und Sicherheit von Organen gibt es noch nicht. Die Kommission wird
in wenigen Tagen ihre ersten Vorschläge zu diesem Thema vorlegen.
Heftig umstritten ist die Umsetzung der Geweberichtlinie in
Deutschland. Ein Gesetzentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium wird nicht
nur von der Bundesärztekammer, sondern auch von vielen anderen
gesellschaftlichen Gruppen sowie vom Bundesrat und vielen verantwortlichen
Bundestagsabgeordneten kritisiert. Ich teile diese Kritik. Ich möchte deutlich
sagen: Die Umsetzung, wie sie vom Bundesgesundheitsministerium geplant wird,
ist nicht zwingend durch die europäische Richtlinie vorgeschrieben. An einigen
Beispielen kann man sogar deutlich machen, dass es eine sehr abwegige und
überhaupt nicht im Trend liegende Umsetzung ist, die die Bundesregierung hier
vornehmen will.
(Beifall)
Es wäre ohne Weiteres möglich, Änderungen, wie sie von der
Bundesärztekammer und anderen vorgeschlagen werden, einzuarbeiten. Ich finde es
bedauerlich, dass das Bundesgesundheitsministerium lange auf dem ursprünglichen
Entwurf bestanden hat und jetzt sehr zögerlich an der einen oder anderen Stelle
den Kritikern entgegenkommt.
Die Hauptkritik richtet sich dagegen, dass vorgesehen ist,
Zellen und Gewebe generell dem Arzneimittelrecht zu unterwerfen. Nach meiner
Kenntnis ist Deutschland das einzige Land, das eine solche Umsetzung plant.
Neben den praktischen Problemen gibt es auch das ethische Problem: Selbst wenn
man beteuert, dass es nicht so sein soll, der Gedanke, dass die
Kommerzialisierung gefördert werden könnte - Arzneimittel werden nun einmal
kommerzialisiert -, liegt nicht fern.
Es war nicht das Anliegen des Europäischen Parlaments, durch
die Richtlinie die Kommerzialisierung des menschlichen Körpers und seiner
Teile, beispielsweise durch den Handel mit Zellen und Geweben, zu fördern. Als
wir als Parlament unsere Meinung zu diesem Thema vorgetragen haben, haben wir
in die Richtlinie ein klares Verbot der Kommerzialisierung hineinbringen
wollen. Damit kamen wir aber in Konflikt mit dem Ministerrat und der
Europäischen Kommission.
Die Frage, ob man ein strenges Kommerzialisierungsverbot in
diese Richtlinie hätte aufnehmen können, ist angesichts der eng begrenzten
europäischen Kompetenz in diesem Bereich eine rechtlich nicht ganz geklärte
Frage. Das ist eine knifflige Frage für Juristen.
Wir haben uns letztendlich auf einen Kompromiss geeinigt. In
der Richtlinie steht nun:
Die Mitgliedstaaten streben danach, sicherzustellen, dass
die Beschaffung von Geweben und Zellen als solche auf nichtkommerzieller
Grundlage erfolgt.
Das ist nicht so hart formuliert, wie wir es eigentlich gern
hätten, aber die Tendenz ist klar. Deswegen ist es ein Gebot, die
Kommerzialisierung zu bekämpfen. Wenn Deutschland die Umsetzung so vornimmt,
dass man es als einen Anreiz zur Kommerzialisierung betrachten kann, ist das
sicherlich nicht durch europäisches Recht zwingend vorgeschrieben.
Besonders problematisch ist die Eingruppierung in das
Arzneimittelrecht dann, wenn es sich um Ei- und Samenzellen oder gar
menschliche Embryonen handelt. Sicherlich ist das ethische Empfinden der
Bevölkerung besonders verletzt, wenn man sagt: Eine Eizelle oder ein
Vorkernstadium ist ein Arzneimittel. Es gibt darüber hinaus auch große
praktische Probleme. Ich nehme die Bedenken der Reproduktionsmediziner sehr
ernst, die sagen: Wenn unsere Tätigkeit wie vorgesehen unter das
Arzneimittelrecht fällt, haben wir einen höheren Aufwand. Für die ungewollt
kinderlosen Paare entstehen zusätzliche Kosten, ohne dass damit irgendein
Nutzen verbunden ist. Ich denke, auch das ist ein wichtiges Argument.
Das Europäische Parlament hat sich auch mit anderen ethischen
Fragen beschäftigt, die auch die Bundesärztekammer im Zusammenhang mit der Umsetzung
aufgreift. Es geht zum Beispiel um die Anforderungen im Zusammenhang mit der
Spende von fötalem Gewebe. Hier wollten wir klar festschreiben, dass wir
besonders vorsichtig sein müssen, damit auf keinen Fall der Eindruck entsteht,
dass ein Schwangerschaftsabbruch deshalb in dieser Form durchgeführt wird, weil
man das fötale Gewebe nutzen möchte.
Ferner wollen wir medizinische Kriterien für die Verteilung
von knappen Zellen und Geweben.
Bei allen diesen Fragen bewegen wir uns auf einem sehr
schmalen Grat, weil die Europäische Union hier eine beschränkte Kompetenz hat.
Deswegen haben wir die Dinge nicht alle so ausführlich auf europäischer Ebene
geregelt, wie wir es zunächst als Europäisches Parlament wollten. Meiner
Ansicht nach ist bei allen diesen Fragen der nationale Gesetzgeber nicht daran
gehindert, die strengen Prinzipien und die Vorsichtsmaßnahmen, wie sie die
Bundesärztekammer in ihrer Stellungnahme fordert, jetzt national umzusetzen.
Diese Forderungen wurden auf europäischer Ebene nicht aus inhaltlichen Gründen
abgelehnt, sondern nur deshalb etwas vorsichtiger formuliert, weil wir nicht zu
sehr in die Rechte der Mitgliedstaaten eingreifen wollten.
Ich möchte noch einmal eindringlich die Stellungnahme der
Bundesärztekammer zur Umsetzung der Geweberichtlinie in Deutschland
unterstützen und darf nochmals an die Bundesregierung appellieren, hier
Kompromissbereitschaft zu zeigen und nicht auf dem ursprünglichen Vorschlag zu
bestehen.
Damit komme ich zum Thema Organe. Hier muss ich mich aus
Zeitgründen und auch deshalb auf wenige Ausführungen beschränken, weil wir in
der Diskussion noch nicht so weit sind. Es gibt noch keine Richtlinie, und es
gibt auch noch keinen Richtlinienvorschlag, aber es gibt auf europäischer Ebene
eine Diskussion. Die Europäische Kommission hat Mitte 2006 eine öffentliche
Konsultation durchgeführt, an der sich über 70 Organisationen aus ganz Europa
beteiligt haben. Auf Basis der Auswertung dieser Konsultation soll am 30. Mai
eine Mitteilung erfolgen. Die Mitteilung ist die Vorstufe zu einem Richtlinien-
oder Verordnungsvorschlag. Wir können jetzt noch nicht sagen, was in dieser
Mitteilung stehen wird. Ich kann aus der Diskussion auch mit der Europäischen
Kommission einige Worte dazu sagen, in welche Richtung sich das entwickeln
wird.
In den nächsten Tagen wird in der Kommission darüber
entschieden, ob eine Gesetzgebung zum Thema Organe vorgelegt werden soll. Der
frühere Gesundheitskommissar David Byrne hat das Thema mit sehr spitzen Fingern
angefasst, da er sich vor den unterschiedlichen nationalen Sensibilitäten
gefürchtet hat. Obwohl im Vertrag die Pflicht steht, zur Qualität und
Sicherheit von Organen etwas vorzulegen, hat er das nicht getan. Sein
Nachfolger, der Zypriot Markos Kyprianou, scheint hier anders zu denken. Schon
im Konsultationspapier, zu dem die Kommission Kommentare erbeten hat, war nicht
nur die Option "kein Handeln der EU" enthalten, sondern auch zwei Optionen mit
konkretem Handeln durch die Europäische Union. Die erste Option hieß also: auf
europäischer Ebene nichts tun, die zweite Option hieß: eine Koordinierung
zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf Qualität, Sicherheit und
Verfügbarkeit von Organen. Das Thema der Verfügbarkeit von Organen liegt auch
uns als Europäischem Parlament sehr am Herzen. Wir möchten helfen, dass
Patienten, die auf der Warteliste stehen und zu sterben drohen, ein Organ
erhalten. Aber wir wissen, dass wir hier mit konkreten Vorgaben vorsichtig sein
müssen.
Wir können in Europa durchaus diskutieren: Was können wir alle
gemeinsam von Spanien lernen? Was können andere europäische Länder von Mecklenburg-Vorpommern
lernen, wenn es dort deutlich bessere Ergebnisse gibt als in anderen Bereichen?
Diese Option, dass man sich über die besten Verfahren austauscht, die
erfolgreich sind, und davon lernt, erfährt sicherlich Unterstützung.
Die dritte Option sieht den Erlass von Rechtsvorschriften vor,
das heißt bindenden Mindeststandards zu Qualität und Sicherheit.
Ich kann Ihnen nicht sagen, was in dem Papier der Kommission
vom 30. Mai stehen wird. Ich kann hier aber meine Einschätzung wiedergeben.
Herr Kyprianou war Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz. Aufgrund der
Erweiterung der Europäischen Union um Rumänien und Bulgarien musste er die
Verantwortung für den Verbraucherschutz an eine bulgarische Kommissarin
abgeben. Meine Einschätzung ist, dass Herr Kyprianou die begrenzten Zuständigkeiten
der Europäischen Union im Bereich der Gesundheit vollkommen ausschöpfen wird.
Das ist menschlich; ich will ihm das nicht vorwerfen. Aber wir müssen kritisch
hinschauen. Er hat dadurch, dass er den Verbraucherschutz abgeben musste,
weniger Raum für politische Aktivitäten. Den Raum, den er noch zur Verfügung
hat, wird er maximal ausnutzen. Da muss man kritisch sein und ihn bremsen, wenn
er über das Ziel hinausschießt. Das sollte man realistisch einschätzen und sich
dann in die Debatte einklinken.
Ich wage heute die Prognose, dass sich die Kommission in zwei
Wochen politisch auf eine Richtlinie zur Qualität und Sicherheit von Organen
festlegen wird, wie das im Bereich von Zellen und Geweben sowie Blut und
Blutprodukten schon geschehen ist. Dann ist es wichtig, dass Sie sich als
Experten aus der Bundesärztekammer in die Diskussion einklinken, damit der
Richtlinienvorschlag, wenn er denn kommt - vielleicht Ende dieses Jahres,
vielleicht Ende nächsten Jahres -, dem Sachverstand entspricht, wie er heute
hier versammelt ist.
Auf der Basis der jetzigen Rechtsgrundlage in Europa werden
wir es nicht schaffen, eine einheitliche Lösung zum Thema Widerspruchslösung
oder Zustimmungsregelung zu finden. Ich erhalte als Arzt, der im Europäischen
Parlament tätig ist, immer wieder Briefe von Patienten, die fordern:
Verabschiedet eine europäische Widerspruchslösung, dann komme ich schneller an
mein gewünschtes Organ. Ich muss realistisch sein: Wir werden diese Frage in
Europa nicht einheitlich lösen. Diese Frage wird weiterhin von den nationalen
Gesetzgebern beantwortet werden.
Wir müssen, wie das heute Morgen bereits geschehen ist, auch
immer wieder darauf hinweisen, dass dies nicht die einzige und vor allen Dingen
nicht die entscheidende Frage ist im Zusammenhang mit dem Problem, wie die
Patienten an das von ihnen benötigte Organ gelangen.
Herr Professor Nagel hat die auch mich sehr bewegende Frage
aufgeworfen: Was ist eigentlich mit der Wertegemeinschaft Europäische Union?
Vieles, was wir tun, auch in diesem Bereich - wir haben vor wenigen Tagen die
Verordnung zu den neuartigen Therapieformen angenommen -, wird auf rein
wirtschaftlicher Basis, auf der Basis der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
geregelt. Ich glaube, das ist ein Problem. Wir sollten nicht alle ethischen Fragen
in Europa gemeinsam besprechen und gemeinsam lösen, aber wir sollten doch
einige Grundprinzipien verankern. Da sind wir eigentlich schon einen Schritt
weiter gewesen, als die Diskussion der letzten Wochen vermuten lässt. Wir haben
die Charta der Grundrechte. Diese Charta der Grundrechte wird Teil der europäischen
Verfassung sein, wenn sie denn angenommen wird. Alle 27 Mitgliedstaaten haben
ihr zugestimmt. Dort ist das Prinzip der Nichtkommerzialisierung des
menschlichen Körpers verankert. Dieses Prinzip sollte bei allen Unterschieden
in Europa von allen Verantwortlichen und allen 27 Mitgliedstaaten eingehalten
werden.
Die Berichte über Organhandel oder über den Handel mit
menschlichen Eizellen sollten uns beunruhigen. Wir sollten darüber nicht zur
Tagesordnung übergehen und auch nicht sagen: Das muss jedes Land für sich
selber regeln. Dieses Prinzip der Nichtkommerzialisierung sollte ein
europaweites Prinzip sein. Dafür werde ich weiterhin werben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall)
Vizepräsident Dr. Crusius: Herr Abgeordneter,
lieber Kollege Liese, herzlichen Dank für Ihre klare und präzise Darstellung
und auch für das am Schluss Gesagte hinsichtlich einer europäischen Ethik.
Meine Damen und Herren, wir haben die drei angekündigten
Wortbeiträge gehört. Es ist mir eine große Freude, jetzt Herrn Dr. Arumugam,
den Präsidenten des Weltärztebunds, speziell zu diesem Thema ansagen zu dürfen.
Er ist geladener Gast. Herr Dr. Arumugam kommt aus Kuala Lumpur. Noch einmal
von dieser Stelle aus ein herzliches Willkommen!
(Beifall)
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