TOP II: Ethische Aspekte der Organ- und Gewebetransplantation

Mittwoch, 16. Mai 2007, Vormittagssitzung

Dr. Liese, Referent: Sehr geehrter Herr Professor Hoppe! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der Einladung zum Deutschen Ärztetag hier nach Münster sehr gerne gefolgt. Ich bin gebeten worden, mein Statement aus europäischer Perspektive kurz zu halten. Ich bin gerne bereit, in der Diskussion zu Details Stellung zu nehmen, wenn entsprechende Fragen gestellt werden.

Die ethischen Aspekte der Gewebe- und Organtransplantation sind im Europäischen Parlament in den letzten Jahren intensiv thematisiert worden. Ich muss vorab klarstellen: Wir haben als Europäisches Parlament nicht den Anspruch, alle entsprechenden Fragen europäisch zu regeln. Es wird beim nationalen Gesetzgeber eine Verantwortung verbleiben. Deswegen ist das Szenario, dass im Jahre 2010 immer noch der Bundestag entscheidet, ein realistisches.

Es gibt eine Reihe von Grundsätzen im Bereich von Qualität und Sicherheit, aber auch eine Reihe von ethischen Grundsätzen, die auf europäischer Ebene diskutiert und teilweise auch schon festgelegt wurden.

Die Basis für das Handeln der Europäischen Union in diesem Bereich ist Art. 152 Abs. 4, in dem es zu den Kompetenzen der Europäischen Union wörtlich heißt:

a) Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs sowie für Blut und Blutderivate; diese Maßnahmen hindern die Mitgliedstaaten nicht daran, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder einzuführen .

Eine Richtlinie zur Qualität und Sicherheit von Blut und Blutprodukten ist bereits vor einigen Jahren in Kraft getreten. Eine Richtlinie zur Qualität und Sicherheit von Zellen und Geweben wurde 2004 von den europäischen Institutionen angenommen, und ihre Umsetzung wird zurzeit in einigen Staaten diskutiert, sehr kritisch auch in Deutschland. Eine Richtlinie zur Qualität und Sicherheit von Organen gibt es noch nicht. Die Kommission wird in wenigen Tagen ihre ersten Vorschläge zu diesem Thema vorlegen.

Heftig umstritten ist die Umsetzung der Geweberichtlinie in Deutschland. Ein Gesetzentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium wird nicht nur von der Bundesärztekammer, sondern auch von vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen sowie vom Bundesrat und vielen verantwortlichen Bundestagsabgeordneten kritisiert. Ich teile diese Kritik. Ich möchte deutlich sagen: Die Umsetzung, wie sie vom Bundesgesundheitsministerium geplant wird, ist nicht zwingend durch die europäische Richtlinie vorgeschrieben. An einigen Beispielen kann man sogar deutlich machen, dass es eine sehr abwegige und überhaupt nicht im Trend liegende Umsetzung ist, die die Bundesregierung hier vornehmen will.

(Beifall)

Es wäre ohne Weiteres möglich, Änderungen, wie sie von der Bundesärztekammer und anderen vorgeschlagen werden, einzuarbeiten. Ich finde es bedauerlich, dass das Bundesgesundheitsministerium lange auf dem ursprünglichen Entwurf bestanden hat und jetzt sehr zögerlich an der einen oder anderen Stelle den Kritikern entgegenkommt.

Die Hauptkritik richtet sich dagegen, dass vorgesehen ist, Zellen und Gewebe generell dem Arzneimittelrecht zu unterwerfen. Nach meiner Kenntnis ist Deutschland das einzige Land, das eine solche Umsetzung plant. Neben den praktischen Problemen gibt es auch das ethische Problem: Selbst wenn man beteuert, dass es nicht so sein soll, der Gedanke, dass die Kommerzialisierung gefördert werden könnte - Arzneimittel werden nun einmal kommerzialisiert -, liegt nicht fern.

Es war nicht das Anliegen des Europäischen Parlaments, durch die Richtlinie die Kommerzialisierung des menschlichen Körpers und seiner Teile, beispielsweise durch den Handel mit Zellen und Geweben, zu fördern. Als wir als Parlament unsere Meinung zu diesem Thema vorgetragen haben, haben wir in die Richtlinie ein klares Verbot der Kommerzialisierung hineinbringen wollen. Damit kamen wir aber in Konflikt mit dem Ministerrat und der Europäischen Kommission.

Die Frage, ob man ein strenges Kommerzialisierungsverbot in diese Richtlinie hätte aufnehmen können, ist angesichts der eng begrenzten europäischen Kompetenz in diesem Bereich eine rechtlich nicht ganz geklärte Frage. Das ist eine knifflige Frage für Juristen.

Wir haben uns letztendlich auf einen Kompromiss geeinigt. In der Richtlinie steht nun:

Die Mitgliedstaaten streben danach, sicherzustellen, dass die Beschaffung von Geweben und Zellen als solche auf nichtkommerzieller Grundlage erfolgt.

Das ist nicht so hart formuliert, wie wir es eigentlich gern hätten, aber die Tendenz ist klar. Deswegen ist es ein Gebot, die Kommerzialisierung zu bekämpfen. Wenn Deutschland die Umsetzung so vornimmt, dass man es als einen Anreiz zur Kommerzialisierung betrachten kann, ist das sicherlich nicht durch europäisches Recht zwingend vorgeschrieben.

Besonders problematisch ist die Eingruppierung in das Arzneimittelrecht dann, wenn es sich um Ei- und Samenzellen oder gar menschliche Embryonen handelt. Sicherlich ist das ethische Empfinden der Bevölkerung besonders verletzt, wenn man sagt: Eine Eizelle oder ein Vorkernstadium ist ein Arzneimittel. Es gibt darüber hinaus auch große praktische Probleme. Ich nehme die Bedenken der Reproduktionsmediziner sehr ernst, die sagen: Wenn unsere Tätigkeit wie vorgesehen unter das Arzneimittelrecht fällt, haben wir einen höheren Aufwand. Für die ungewollt kinderlosen Paare entstehen zusätzliche Kosten, ohne dass damit irgendein Nutzen verbunden ist. Ich denke, auch das ist ein wichtiges Argument.

Das Europäische Parlament hat sich auch mit anderen ethischen Fragen beschäftigt, die auch die Bundesärztekammer im Zusammenhang mit der Umsetzung aufgreift. Es geht zum Beispiel um die Anforderungen im Zusammenhang mit der Spende von fötalem Gewebe. Hier wollten wir klar festschreiben, dass wir besonders vorsichtig sein müssen, damit auf keinen Fall der Eindruck entsteht, dass ein Schwangerschaftsabbruch deshalb in dieser Form durchgeführt wird, weil man das fötale Gewebe nutzen möchte.

Ferner wollen wir medizinische Kriterien für die Verteilung von knappen Zellen und Geweben.

Bei allen diesen Fragen bewegen wir uns auf einem sehr schmalen Grat, weil die Europäische Union hier eine beschränkte Kompetenz hat. Deswegen haben wir die Dinge nicht alle so ausführlich auf europäischer Ebene geregelt, wie wir es zunächst als Europäisches Parlament wollten. Meiner Ansicht nach ist bei allen diesen Fragen der nationale Gesetzgeber nicht daran gehindert, die strengen Prinzipien und die Vorsichtsmaßnahmen, wie sie die Bundesärztekammer in ihrer Stellungnahme fordert, jetzt national umzusetzen. Diese Forderungen wurden auf europäischer Ebene nicht aus inhaltlichen Gründen abgelehnt, sondern nur deshalb etwas vorsichtiger formuliert, weil wir nicht zu sehr in die Rechte der Mitgliedstaaten eingreifen wollten.

Ich möchte noch einmal eindringlich die Stellungnahme der Bundesärztekammer zur Umsetzung der Geweberichtlinie in Deutschland unterstützen und darf nochmals an die Bundesregierung appellieren, hier Kompromissbereitschaft zu zeigen und nicht auf dem ursprünglichen Vorschlag zu bestehen.

Damit komme ich zum Thema Organe. Hier muss ich mich aus Zeitgründen und auch deshalb auf wenige Ausführungen beschränken, weil wir in der Diskussion noch nicht so weit sind. Es gibt noch keine Richtlinie, und es gibt auch noch keinen Richtlinienvorschlag, aber es gibt auf europäischer Ebene eine Diskussion. Die Europäische Kommission hat Mitte 2006 eine öffentliche Konsultation durchgeführt, an der sich über 70 Organisationen aus ganz Europa beteiligt haben. Auf Basis der Auswertung dieser Konsultation soll am 30. Mai eine Mitteilung erfolgen. Die Mitteilung ist die Vorstufe zu einem Richtlinien- oder Verordnungsvorschlag. Wir können jetzt noch nicht sagen, was in dieser Mitteilung stehen wird. Ich kann aus der Diskussion auch mit der Europäischen Kommission einige Worte dazu sagen, in welche Richtung sich das entwickeln wird.

In den nächsten Tagen wird in der Kommission darüber entschieden, ob eine Gesetzgebung zum Thema Organe vorgelegt werden soll. Der frühere Gesundheitskommissar David Byrne hat das Thema mit sehr spitzen Fingern angefasst, da er sich vor den unterschiedlichen nationalen Sensibilitäten gefürchtet hat. Obwohl im Vertrag die Pflicht steht, zur Qualität und Sicherheit von Organen etwas vorzulegen, hat er das nicht getan. Sein Nachfolger, der Zypriot Markos Kyprianou, scheint hier anders zu denken. Schon im Konsultationspapier, zu dem die Kommission Kommentare erbeten hat, war nicht nur die Option "kein Handeln der EU" enthalten, sondern auch zwei Optionen mit konkretem Handeln durch die Europäische Union. Die erste Option hieß also: auf europäischer Ebene nichts tun, die zweite Option hieß: eine Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Verfügbarkeit von Organen. Das Thema der Verfügbarkeit von Organen liegt auch uns als Europäischem Parlament sehr am Herzen. Wir möchten helfen, dass Patienten, die auf der Warteliste stehen und zu sterben drohen, ein Organ erhalten. Aber wir wissen, dass wir hier mit konkreten Vorgaben vorsichtig sein müssen.

Wir können in Europa durchaus diskutieren: Was können wir alle gemeinsam von Spanien lernen? Was können andere europäische Länder von Mecklenburg-Vorpommern lernen, wenn es dort deutlich bessere Ergebnisse gibt als in anderen Bereichen? Diese Option, dass man sich über die besten Verfahren austauscht, die erfolgreich sind, und davon lernt, erfährt sicherlich Unterstützung.

Die dritte Option sieht den Erlass von Rechtsvorschriften vor, das heißt bindenden Mindeststandards zu Qualität und Sicherheit.

Ich kann Ihnen nicht sagen, was in dem Papier der Kommission vom 30. Mai stehen wird. Ich kann hier aber meine Einschätzung wiedergeben. Herr Kyprianou war Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz. Aufgrund der Erweiterung der Europäischen Union um Rumänien und Bulgarien musste er die Verantwortung für den Verbraucherschutz an eine bulgarische Kommissarin abgeben. Meine Einschätzung ist, dass Herr Kyprianou die begrenzten Zuständigkeiten der Europäischen Union im Bereich der Gesundheit vollkommen ausschöpfen wird. Das ist menschlich; ich will ihm das nicht vorwerfen. Aber wir müssen kritisch hinschauen. Er hat dadurch, dass er den Verbraucherschutz abgeben musste, weniger Raum für politische Aktivitäten. Den Raum, den er noch zur Verfügung hat, wird er maximal ausnutzen. Da muss man kritisch sein und ihn bremsen, wenn er über das Ziel hinausschießt. Das sollte man realistisch einschätzen und sich dann in die Debatte einklinken.

Ich wage heute die Prognose, dass sich die Kommission in zwei Wochen politisch auf eine Richtlinie zur Qualität und Sicherheit von Organen festlegen wird, wie das im Bereich von Zellen und Geweben sowie Blut und Blutprodukten schon geschehen ist. Dann ist es wichtig, dass Sie sich als Experten aus der Bundesärztekammer in die Diskussion einklinken, damit der Richtlinienvorschlag, wenn er denn kommt - vielleicht Ende dieses Jahres, vielleicht Ende nächsten Jahres -, dem Sachverstand entspricht, wie er heute hier versammelt ist.

Auf der Basis der jetzigen Rechtsgrundlage in Europa werden wir es nicht schaffen, eine einheitliche Lösung zum Thema Widerspruchslösung oder Zustimmungsregelung zu finden. Ich erhalte als Arzt, der im Europäischen Parlament tätig ist, immer wieder Briefe von Patienten, die fordern: Verabschiedet eine europäische Widerspruchslösung, dann komme ich schneller an mein gewünschtes Organ. Ich muss realistisch sein: Wir werden diese Frage in Europa nicht einheitlich lösen. Diese Frage wird weiterhin von den nationalen Gesetzgebern beantwortet werden.

Wir müssen, wie das heute Morgen bereits geschehen ist, auch immer wieder darauf hinweisen, dass dies nicht die einzige und vor allen Dingen nicht die entscheidende Frage ist im Zusammenhang mit dem Problem, wie die Patienten an das von ihnen benötigte Organ gelangen.

Herr Professor Nagel hat die auch mich sehr bewegende Frage aufgeworfen: Was ist eigentlich mit der Wertegemeinschaft Europäische Union? Vieles, was wir tun, auch in diesem Bereich - wir haben vor wenigen Tagen die Verordnung zu den neuartigen Therapieformen angenommen -, wird auf rein wirtschaftlicher Basis, auf der Basis der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geregelt. Ich glaube, das ist ein Problem. Wir sollten nicht alle ethischen Fragen in Europa gemeinsam besprechen und gemeinsam lösen, aber wir sollten doch einige Grundprinzipien verankern. Da sind wir eigentlich schon einen Schritt weiter gewesen, als die Diskussion der letzten Wochen vermuten lässt. Wir haben die Charta der Grundrechte. Diese Charta der Grundrechte wird Teil der europäischen Verfassung sein, wenn sie denn angenommen wird. Alle
27 Mitgliedstaaten haben ihr zugestimmt. Dort ist das Prinzip der Nichtkommerzialisierung des menschlichen Körpers verankert. Dieses Prinzip sollte bei allen Unterschieden in Europa von allen Verantwortlichen und allen 27 Mitgliedstaaten eingehalten werden.

Die Berichte über Organhandel oder über den Handel mit menschlichen Eizellen sollten uns beunruhigen. Wir sollten darüber nicht zur Tagesordnung übergehen und auch nicht sagen: Das muss jedes Land für sich selber regeln. Dieses Prinzip der Nichtkommerzialisierung sollte ein europaweites Prinzip sein. Dafür werde ich weiterhin werben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Crusius: Herr Abgeordneter, lieber Kollege Liese, herzlichen Dank für Ihre klare und präzise Darstellung und auch für das am Schluss Gesagte hinsichtlich einer europäischen Ethik.

Meine Damen und Herren, wir haben die drei angekündigten Wortbeiträge gehört. Es ist mir eine große Freude, jetzt Herrn Dr. Arumugam, den Präsidenten des Weltärztebunds, speziell zu diesem Thema ansagen zu dürfen. Er ist geladener Gast. Herr Dr. Arumugam kommt aus Kuala Lumpur. Noch einmal von dieser Stelle aus ein herzliches Willkommen!

 

(Beifall)

© Bundesärztekammer 2007