Dr. Wahl, Vorstand der Bundesärztekammer: Herr
Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zehn Jahre nach Einführung des
Transplantationsgesetzes besteht in der BRD nach wie vor ein gravierender
Organmangel. Wir sind ein Organimportland; das ist unstrittig. Ebenfalls
unstrittig ist, dass mannigfaltige Maßnahmen ergriffen worden sind, um die Zahl
der Organspenden zu erhöhen. Ich nenne als Beispiel: Krankenhäuser mit einer
Intensivstation haben bei uns in Baden-Württemberg seit Kurzem eine gesetzlich
fixierte Meldepflicht für potenzielle Organspender. Nur: Wer überprüft das? Wie
will man es überprüfen? Will man es am Ende sanktionieren? Ich meine: nein.
Der Transplantationsbeauftragte - er ist heute mehrfach
angesprochen worden - ist für diese Krankenhäuser ebenfalls zwingend
vorgeschrieben. Ich zitiere:
Der Transplantationsbeauftragte soll die ethischen, psychologischen,
juristischen und organisatorischen Aspekte des Transplantationsprozesses
integrieren und zu einem angemessenen Ausgleich bringen.
Der Haken an der Sache ist allerdings: Die Kosten für die
Freistellung des erfahrenen Facharztes, der er sein soll, sind Kosten der
Patientenversorgung und nach Ansicht der Kassen mit der pauschalierten
gestaffelten Aufwandsentschädigung der Spenderkrankenhäuser entgolten. Auch das
wurde schon erwähnt. Das heißt, der Anteil der Aufwandsentschädigung, die
möglicherweise für den Transplantationsbeauftragten da wäre, verschwindet in
einem schwarzen Bilanzloch und wird ganz sicher nicht zur Entlastung des
Stellenplans verwendet.
Gibt es jetzt mehr Organspender, nachdem wir den
Transplantationsbeauftragten haben? Über den Effekt gibt es keine wirklich
validen Aussagen.
Das Leid der Patienten auf den Wartelisten aber ist groß. Ich
kenne Einzelschicksale, die einem schier die Tränen in die Augen treiben.
Was bleibt zu tun, meine Damen und Herren? Ich denke, es ist
Zeit, dass wir die vor zehn Jahren nach leidenschaftlichen Diskussionen
seinerzeit konsentierte erweiterte Zustimmungslösung zur Organentnahme erneut
infrage stellen. Wissen Sie eigentlich, wie das abläuft? Im Vorfeld der
Hirntoddiagnostik muss nach einer schriftlichen Äußerung des Patienten zur
Organspende geforscht werden. Gibt es einen Ausweis, wird in der Regel dennoch ein
Konsens mit den Angehörigen angestrebt. Gibt es den Ausweis nicht, so ist von
den nächsten Angehörigen zu klären, wie der mutmaßliche Wille des Verstorbenen
war. Das ist der Punkt: Wenn kein Ausweis und auch keine sonstige Erklärung
vorliegt, werden die Angehörigen eher davon ausgehen, dass der Verstorbene die
Organentnahme nicht gewollt hat.
Für die Angehörigen ist es extrem belastend, in dieser
Situation den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen zu ermitteln oder am Ende
sogar eine eigene Entscheidung zu treffen. Sie werden im Zweifel der Logik
folgen, die das Transplantationsgesetz mit der Zustimmungsregelung vorgibt, und
die Organentnahme ablehnen.
Nur etwa ein Fünftel derjenigen, die angeben, dass sie zur
Organspende bereit sind, haben dies in einem Ausweis dokumentiert. Und warum?
Man scheut den Aufwand, der mit dem Ausweis verbunden ist, man verschiebt die
Entscheidung, verdrängt sie. Wer denkt schon gern an seinen eigenen Tod? Und
wer möchte gerne dazu irgendwelche Vorkehrungen treffen? Im Ergebnis fehlt dann
die Voraussetzung dafür, dass eine Organspende, die eigentlich gewollt oder
jedenfalls nicht abgelehnt wird, rechtlich zulässig ist.
Dem steht der Mangel an Spenderorganen und der Anspruch der
Patienten gegenüber, im Notfall durch ein Spenderorgan gerettet zu werden.
Ich meine, die Freiwilligkeit der Organspende ist völlig
unstrittig; daran muss unbedingt festgehalten werden. Keiner darf zu ihr
gezwungen werden. Aber wäre es nicht auch an der Zeit, dass wir einmal darüber
nachdenken, ob es nicht eine moralische Verpflichtung gegenüber der
Gemeinschaft aller gibt?
Der Nationale Ethikrat hat sich im April für eine erweiterte
Widerspruchslösung zur Organentnahme ausgesprochen. Das etwas komplizierte
Prozedere, mit dem auch ich nicht ganz zufrieden bin, wäre in diesem Falle eine
Erklärung des Patienten oder eine Erklärung möglichst vieler Patienten, ob oder
ob nicht. Im Falle des Hirntods können die Organe entnommen werden, wenn der
Patient zugestimmt hat und die Angehörigen nicht widersprechen. Das erscheint
etwas kompliziert. Die einfache Regelung wäre: Eine Organentnahme ist nicht
gegen die Entscheidung des Spenders erlaubt, aber doch wohl ohne sie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Länder, die diese oder eine
ähnliche Regelung vorhalten, haben - zumindest nach Aussagen des Nationalen
Ethikrats - eine deutlich höhere Zahl an Organspenden. Ich als Mensch - nicht
als Präsidentin der Landesärztekammer Baden-Württemberg; in solchen Fällen kann
man nur für sich selbst sprechen - halte diese Regelung für eine mögliche
Lösung. Ich befürworte diese Regelung. Ich möchte Sie bitten, einmal in Ruhe
darüber nachzudenken, ob dieses nicht eine mögliche Lösung des Problems sein
könnte.
Zum Schluss nur zur Information: Ich habe seit zehn Jahren
einen Organspendeausweis.
Ich danke Ihnen.
(Beifall)
Vizepräsident Dr. Crusius: Vielen Dank, Frau Dr.
Wahl. - Als nächste Rednerin bitte Frau Privatdozentin Dr. Birnbaum von der
Ärztekammer Berlin.
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