PD Dr. Birnbaum, Berlin: Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute schon fast zwei Stunden die
theoretischen Erwägungen, das Hin und Her in den einzelnen Ländern etc. gehört.
Ich bin extra wegen dieses Themas zum Deutschen Ärztetag gefahren. Ich sage
Ihnen, warum: Ich bin Transplantationsmedizinerin mit Leib und Seele seit 40
Jahren, seit 1967. Ich habe in dieser Zeit einiges erlebt. Ich kann mich nur
immer wieder für die Transplantation und für die Organspende aussprechen, aber
nicht um jeden Preis. Ich meine, diesen Preis bestimmen wir selbst. Wir
bestimmen, wie wir bei der Organspende unseren Patienten helfen können.
Ich habe 1959 mein Staatsexamen gemacht. Damals gab es noch
keine Dialyse, gab es keine Transplantation. Damals konnten wir den Menschen
nicht helfen. 1967 erfolgte auf meiner Station in der Berliner Charité die
erste Transplantation, und zwar mit einer Lebendspende, nicht einmal mit einer
postmortalen Spende. Ich habe seit dieser Zeit eine vierstellige Zahl von
Transplantationspatienten betreut und auch für die Organspende geworben. Seit
ich nicht mehr aktiv bin, seit 1998, bin ich Angehörige der
Lebendspendekommission der Ärztekammern Berlin und Brandenburg und habe auch
dort meine Erfahrungen gesammelt.
Ich möchte nur auf einige wenige Punkte zurückkommen. Ich
möchte nicht fragen - Herr Professor Hoppe hat gestern seinen Ausweis gezeigt
-, wer in diesem Saal einen Organspendeausweis hat, aber ich möchte einmal
fragen, wer von Ihnen tagtäglich mit dem Problem umgehen muss, Angehörige, die
ihr Liebstes verloren haben, sofort anzusprechen, mit der Organspende einverstanden
zu sein. Wer das tagtäglich machen muss, hebe bitte einmal die Hand. - Herr
Crusius hebt die Hand, auch noch einige andere.
Ich möchte den Appell an Sie richten, dass wir in dieser
Situation versuchen, hinsichtlich der Organspende einen anderen Weg
einzuschlagen. Ich habe aus den Referaten drei Sätze mitgenommen, die mir im
Prinzip aus dem Herzen sprechen. Erstens ist gesagt worden: Es ist die ethische
Pflicht eines jeden, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen. Das halte
ich für ganz, ganz wichtig. Wenn wir das Thema der Patientenverfügung
diskutieren, warum sollen wir dann nicht im Prinzip auf ähnliche Weise das
Problem der Organspende diskutieren?
Der zweite Satz, den ich mitgenommen habe, ist die eindeutige
Positionierung der Ärzte für die Transplantation und für die Organgewinnung.
Wir Ärzte sind dafür verantwortlich, nicht die Politik und nicht die Medien.
Wir mit unserem ärztlichen Sachverstand sollten uns hier einbringen.
Der dritte Satz, den ich für ganz wichtig halte, betrifft die
eindeutige Positionierung der Ärzte für die Nichtkommerzialisierung des
menschlichen Körpers.
Ich glaube, wenn wir alle diese, wie ich sie einmal nennen
möchte, drei Leitsätze beherzigen, wird das Organaufkommen zunehmen. Dazu habe
ich gleich ein paar Vorschläge. Es ist gesagt worden: Das Ganze ist zu teuer,
man erreicht die Leute nicht unbedingt usw. In der ganzen Bundesrepublik gibt
es sowohl Ethik- als auch Religionsunterricht. Dort können wir im Prinzip
unsere Kinder und Jugendlichen ansprechen und mit dieser Thematik bekannt
machen.
(Beifall)
Es gibt eine weitere Möglichkeit, die wir in der Kammer
diskutiert haben - daraus resultierte auch ein Antrag -: Warum sprechen wir
nicht jeden an, wenn er den Antrag auf Ausstellung eines Führerscheins stellt?
So erreichen wir ein ganzes Klientel, das uns später, wie man sagen muss, im
Prinzip als Organspender dienlich wird.
Meine beiden Vorrednerinnen haben bereits etwas zu den
Lebendspendekommissionen gesagt und gefordert, entsprechende Richtlinien und
Weisungen zu erarbeiten. Ich möchte noch ein ganz anderes Problem ansprechen,
das heute noch nicht angeklungen ist. Wir haben in Berlin in unserem Bereich
für die Lebendspende einen ganz erheblichen Andrang vonseiten der Bürger mit
ausländischer Nationalität. Ich habe mir extra eine entsprechende Liste
erstellt. Wir haben in der letzten Periode Lebendspender aus 26 Nationen nach
dem deutschen Transplantationsgesetz beurteilen müssen. Sie glauben nicht,
welche Zweifel das im Prinzip heraufbeschwört. Wir haben eine Transplantation,
die ein Pakistani, der in Deutschland lebt, mit seinem angeblichen Cousin
durchführen wollte, abgelehnt. Die beiden sind in die Türkei gefahren und haben
sich dort transplantieren lassen. Der Spender ist verstorben.
Ist das etwas, wo ich mir persönlich im Prinzip Vorwürfe
machen müsste? Ich bin überzeugt davon, dass in Deutschland diese
Transplantation gut verlaufen wäre.
Ich möchte auch auf Folgendes hinweisen, auf das wir Deutschen
stolz sein können. Ich frage immer: Weshalb kommen Sie nach Deutschland? Was
führt Sie denn hierher? Der erste Grund, der mir genannt wird, lautet, dass in
Berlin im Transplantationszentrum bisher noch kein Spender verstorben ist.
Ich könnte Ihnen stunden- und tagelang meine Erfahrungen
schildern, aber das will ich mir verkneifen. Ich bitte Sie, dass wir in dieser
Hinsicht doch versuchen, einen anderen Weg als den bisherigen zu gehen, und
dass wir unsere Anstrengungen bündeln, auf den Intensivstationen zu einer
größeren Sicherheit bei der Entscheidung zu gelangen, wem wir ein Organ
entnehmen und wem nicht.
Danke.
(Beifall)
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