TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik - Gesundheitspolitische Leitsätze der Ärzteschaft

Dienstag, 20. Mai 2008, Nachmittagssitzung

Haus, Nordrhein: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte mit etwas ganz anderem beginnen, aber mein Vorredner hat mich jetzt doch herausgefordert, etwas zu seinen Äußerungen zu sagen. Ich denke, dieses Papier ist eine Basis. Es ist längst nicht alles abschließend abgehandelt. Wir werden vieles aus den verschiedenen Erfahrungen heraus zu ergänzen haben.

Die Rückwärtsgewandtheit, die Sie, Herr Professor Dietrich, eben angesprochen haben, kann ich überhaupt nicht erkennen. Es gibt eben Grundsätze, die wir gern beibehalten möchten. Ich glaube, das sind Dinge, die sich nicht mit Gegenwart, Futur oder Vergangenheit beschreiben lassen, sondern sie haben etwas mit dem Arzt-Patient-Verhältnis zu tun. Darum kommen Sie auch mit einer evidenzbasierten Medizin nicht herum; das haben Sie ja auch gesagt.

Ich beklage, wenn dieser Begriff benutzt wird, dass meistens nur von der äußeren Evidenz gesprochen wird, nämlich den Untersuchungen, weniger von der inneren Evidenz, nämlich der Erfahrung der Ärzte. Das können Sie sich nicht wegdenken und auch nicht auslassen. Das ist der ganz wichtige zweite Teil, der zu einer vernünftigen evidenzbasierten Behandlung gehört. Ich meine, die Einseitigkeit, mit der Sie das hier dargestellt haben, wird der Gegenwart nicht gerecht.

Ich stimme der Aussage des Präsidenten zu, dass es sich bei der Medizin nicht um eine Naturwissenschaft handelt, sondern um eine empirische Wissenschaft.

(Beifall)

Die evidenzbasierte Medizin ändert sich. Diejenigen, die schon etwas älter sind, wissen, dass es alle fünf bis zehn Jahre zu einem Krankheitsbild neue Erkenntnisse gibt. Nicht alles, was neu ist, ist richtiger, denn es wird noch etwas Richtigeres kommen. Man sollte also bitte im Auge behalten, wie relativ dies alles ist. Deshalb sind solche absoluten Aussagen auch nicht viel wert.

Ich möchte auf die Eröffnungsveranstaltung zurückkommen. Ich kann mir die Bemerkung nicht verkneifen, dass ich die Belanglosigkeiten, die uns Frau Schmidt da serviert hat, fast provozierend fand.

(Beifall)

Ich frage mich: Warum war das so? War das so, weil sie weiß, dass es sich nicht lohnt, mit uns zu diskutieren? Oder war das so, weil sie irgendwo eingesehen hat, dass sie nicht mit allem, was sie bisher entwickelt hat, so ganz recht hatte? Wollte sie einfach nur einen ruhigen Vormittag haben? Keine Ahnung; da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Ich fand es letztlich bedauerlich. Ich finde, es kann immer noch positive Konsequenzen haben, wenn man einen Konflikt bespricht, aber nicht, wenn man solche Belanglosigkeiten austauscht.

Dagegen fand ich Ihren Vortrag, Herr Hoppe, sehr erfrischend, ganz anders. Ich habe mich innerlich zurückgelehnt und Ihnen zugehört. Ich fand Ihre Ausführungen vom Inhalt her natürlich sehr ernst, aber sie waren so verpackt, dass man schmunzeln konnte. Ich habe mich allerdings gefragt, wie die Presse darüber denkt, wenn wir bei der Rede unseres Präsidenten alle schmunzeln. Ich hoffe, dass aus dieser Eröffnungsveranstaltung das Fazit gezogen wird, dass sie in einer sehr angenehmen und, wie ich finde, sehr entspannten Form stattgefunden hat, dort aber doch sehr ernste Dinge zur Sprache gekommen sind.

Für mich bemerkenswert war, dass Sie, Herr Präsident, vom Misstrauen im Arzt-Patient-Verhältnis gesprochen haben. Das ist etwas, was mich immer sehr bewegt hat. Ich meine das Misstrauen, das dadurch entsteht, dass die Patienten nicht mehr sicher sein können, dass ihre Ärzte in voller Verantwortung mit begrenzten oder auch nicht begrenzten Mitteln das Beste für sie zu erreichen versuchen, aber in gar keiner Weise davon profitieren, wenn sie beispielsweise Sparmaßnahmen durchführen müssen.

Diese Systeme kommen, wie ich gelesen habe, schon wieder durch die Hintertür. Die Arzneimittel-Bonus-Malus-Systeme will ich jetzt gar nicht erwähnen. Es gibt ja doch wohl Bestrebungen, auch seitens der Krankenkassen, die Gesamtbudgetverantwortung wieder einzuführen. Nachdem den Krankenkassen durch den Angriff auf die Kassenärztlichen Vereinigungen gerade ein Mehr an Verantwortung zugestanden wurde, möchten die Kassen dies eigentlich ganz gern wieder zurückgeben. Es gibt konkrete Pläne, den Ärzten in bestimmten Regionen für gewisse Versorgungselemente die Gesamtbudgetverantwortung zu geben. Das heißt ganz konkret, wenn ein Medikament, eine Maßnahme, ein Hilfsmittel in diesen Systemen nicht verschrieben wird, wird es dem Arzt in Zukunft schwerfallen, zu begründen, warum er eine solche Verschreibung vorgenommen hat. Tut er es, obwohl es überflüssig ist, oder tut er es vielleicht, weil es dem Gesamtsystem wieder zufließt und damit indirekt die eigenen Honorare steigen?

Ich fordere Sie auf, sich sehr gut zu überlegen, ob Sie dieses Misstrauen der Patienten auf sich laden wollen, ob Sie das Vertrauen, das Sie bisher noch im großen Maße genießen, aufs Spiel setzen wollen.

Die Zeilen 35 bis 41 auf Seite 11, in denen auch von einem etwaigen neuen "Professionenmix" die Rede ist, entsprechen meines Erachtens überhaupt nicht dem, was wir in Zukunft haben möchten. Deswegen habe ich einen Antrag mit unterzeichnet, der die Forderung enthält, diesen gesamten Absatz zu streichen. Ich hoffe, Sie können dem zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank, Frau Haus. - Jetzt Herr Kollege Albring aus Niedersachsen.

© Bundesärztekammer 2008