TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik - Gesundheitspolitische Leitsätze der Ärzteschaft

Dienstag, 20. Mai 2008, Nachmittagssitzung

Vizepräsident Dr. Montgomery: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen bei der Rede von Ulla Schmidt ergangen ist. Ich habe in manchen Punkten vielleicht eine andere Wahrnehmung, was ihren Mut und ihren Kampfesgeist anging, mit dem sie heute angetreten ist. Ich habe sie selten so zurückgenommen, ja manchmal fast vorsichtig in den Aussagen erlebt. Wir haben von ihr ganz wenig konkrete Aussagen bekommen: Der Gesundheitsfonds kommt. Das wissen wir. Der steht im Gesetz. Es wird im Bereich des Krankenhauses fünf Änderungen geben. Drei sind im Grunde genommen schon längst Gesetzestatbestand.

Das war - das wurde hier bereits gesagt - erstaunlich wenig. Warum war das so wenig? Der Gesundheitsfonds kommt, das wissen wir. Die Politik weiß ganz genau, dass mit diesem Gesundheitsfonds nicht ein einziges Problem in unserem Gesundheitswesen gelöst sein wird, ja nicht einmal richtig verschoben. Die Grundprämissen, unter denen Frau Schmidt und diese Bundesregierung einmal angetreten sind - stabile Beitragssätze, bessere Versorgung, Qualitätswettbewerb -, werden im Kern durch den Gesundheitsfonds konterkariert. Es wird sie durch den Gesundheitsfonds nicht geben, sondern genau das Gegenteil wird durch den Gesundheitsfonds erreicht: kein Wettbewerb bei den Krankenkassen, keine bessere Qualität und vor allem keine Verbesserung der Versorgung für die Patienten.

Ich glaube, dass Frau Schmidt selber ein bisschen wie ein Kind im dunklen Wald singt, wenn sie sagt: Der Gesundheitsfonds wird kommen, und der Gesundheitsfonds wird gut. Nein, meine Damen und Herren, der Gesundheitsfonds wird nicht gut. Deshalb müssen wir damit beginnen, uns Gedanken darüber zu machen, was denn in der Zeit nach dem Gesundheitsfonds kommt.

Meine Damen und Herren, erinnern Sie doch, wie der Gesundheitsfonds eingeführt wurde. Im GKV-WSG standen sich 2006 die Verfechter einer Bürgerversicherung à la Karl Lauterbach und die Vertreter eines Prämienmodells à la CDU-Parteitag Leipzig 2003 gegenüber. Um sich alle Optionen für die Zeit nach dem Platzen der Großen Koalition offenzuhalten, hat man diese Missgeburt Gesundheitsfonds in die Welt gesetzt. Jetzt müssen wir - das ist ja im Leben manchmal so - mit dieser Missgeburt leben und müssen sie auch noch in Kraft setzen.

Aber wir wissen, meine Damen und Herren: 2009 sind wieder Bundestagswahlen. Mit der Einführung des Gesundheitsfonds wird - davon bin ich fest überzeugt - die Gesundheitspolitik bei den nächsten Wahlen eine gewaltige Bedeutung erhalten. Wir werden ganz viel über Gesundheitspolitik, Krankenversicherung, Zukunftsorientierung im Wahlkampf 2009 diskutieren. Deswegen ist es gut, dass wir mit dem "Ulmer Papier" eine gute Analyse der Probleme der heutigen Gesundheitsversorgung, Modellansätze, wie man die Versorgung für die Zukunft besser organisieren könnte und auch Hinweise für die systemimmanente Fortentwicklung der Finanzierung haben. Das sind drei ganz essentielle Punkte, die im "Ulmer Papier" stehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit bin ich bei dem einen Punkt, der mir fehlt. Das habe ich schon mehrfach formuliert. Sie alle kennen diesen Punkt, wenn Sie die vorläufigen Fassungen des Papiers, die den Kammerversammlungen vorgelegen haben, gesehen haben. Es geht um die Frage: Sollen wir Ärzte uns auch mit der zukünftigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung auseinandersetzen? Ich glaube - diese Prognose wird von vielen Wissenschaftlern und Fachleuten gestützt -, dass wir 2010/2011 erleben werden, dass der Gesundheitsfonds platzt. Dieser Gesundheitsfonds wird das Jahr 2011 nicht überleben. Dann wird die Politik vor dem Problem stehen: Was geschieht danach?

Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, beginnt die alte Debatte erneut: Bürgerversicherung à la Karl Lauterbach, der ja frech diesen Begriff der Bürgerversicherung usurpiert hat, obwohl es sich ja nicht wirklich um eine Bürgerversicherung handelt, sondern nur um den Versuch, den Mangel der GKV auch auf die 10 Prozent der GKV auszudehnen, oder neuer Ansatz einer prämienbasierten Versicherung, die wir - davon bin ich fest überzeugt - dringend brauchen.

Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns auch zu der Frage äußern, wie wir uns die langfristige Finanzierung der Krankenversicherung vorstellen. Deswegen habe ich den Antrag 2 gestellt, den Sie noch nicht umgedruckt vorliegen haben, den Sie aber im Kern kennen, mit der Bitte, auch darüber zu diskutieren und zu überlegen, ob wir wirklich klug beraten sind, als Ärzte zu sagen: Die Finanzierung der zukünftigen Krankenversicherung ist ausschließlich Sache der Politik, oder ob wir nicht besser als Staatsbürger, als Ärzte, als Teil dieser Gesellschaft, als Verantwortliche uns zu unserer Verantwortung bekennen und uns deswegen auch zu Krankenversicherungsfragen äußern wollen. Das tun wir ja auch an anderen Stellen. Wir lehnen ja die Bürgerversicherung à la Lauterbach ab.

Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein bisschen intensiv über diese Vorschläge zu diskutieren, damit wir wissen, wohin wir wollen. Noch schöner wäre es natürlich, wenn sich eine Mehrheit für den Antrag 2 fände.

Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank, Kollege Montgomery. - Jetzt bitte Herr Pickerodt aus Berlin.

© Bundesärztekammer 2008