Dr. Pickerodt, Berlin:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit Erlaubnis des
Herrn Präsidenten einen Satz zitieren, den Professor Richter in seiner
bemerkenswerten Dankesrede gesagt hat. Er hat gesagt: Es gibt keine humane Gesellschaft
ohne eine humane Medizin. Recht hat er! Wenn man seine Rede vollständig gehört
hat, weiß man, dass die Umkehrung ebenfalls richtig ist. Sie hieße: Es gibt
keine humane Medizin ohne eine humane Gesellschaft.
Zu diesem Problem sagt das "Ulmer Papier" leider nichts oder
nur sehr wenig. Es sagt etwas zur Jugend- und Kinderarmut, aber zu dem
Gesamtproblem, dass die Ärzte auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung
haben, sagt das Papier leider nichts.
In unserer Gesellschaft wird die Schere zwischen Reich und Arm
immer größer, wie Sie leider wissen. Die Schere zwischen der Lebenserwartung
von reichen Mitbürgern und der Lebenserwartung von armen Mitbürgern wird
ebenfalls immer größer. Ich denke, in dieser Situation ist es zu wenig, wenn
das "Ulmer Papier" wieder und wieder in einer etwas larmoyanten Form fordert,
dass mehr Geld in das System hineinzustecken ist. Ich möchte Ihnen gern eine
Folie aus dem "New England Journal of Medicine" zeigen, die drei Punkte
deutlich macht. Der erste Punkt ist - wir wissen es seit Langem -: Es gibt
keine Explosion der Kosten im Gesundheitswesen in Deutschland. Es gibt aber
eine Explosion der Kosten in den USA. Die neuesten Zahlen von 2008 weisen aus,
dass die Kosten in den USA mittlerweile bei 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
angelangt sind. Die Prognose für die nächsten sieben Jahre beträgt 20 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts.
Der zweite Punkt ist, dass Deutschland noch immer - darauf hat
Herr Dietrich hingewiesen - weit in der Spitzengruppe der entwickelten Länder
liegt, was den Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt betrifft.
Der dritte Punkt ist, wie ich denke, der entscheidende. Das
US-amerikanische Gesundheitswesen ist ein Gesundheitswesen, das im Wesentlichen
auf Wettbewerb und Profit beruht. Wenn wir dies so sehen, mit den
entsprechenden Steigerungen der Kosten, dann müssen wir erkennen, dass
Wettbewerb kein Mittel ist, um Kosten zu senken, sondern Wettbewerb im
Gesundheitswesen ist - neben den grundsätzlichen Einwänden - ein Mittel, die Kosten
nach oben zu treiben, nicht aber zu senken.
Ich denke, deswegen ist das, was vielfach als Staatsmedizin
apostrophiert wird, das Gegenteil einer Wettbewerbsmedizin und dient dazu, dass
die Kosten in einem erträglichen Umfang bleiben.
Ich denke, wenn wir das sehen, können wir akzeptieren, dass es
nicht darum geht, dass mehr Geld in das Gesundheitssystem gepumpt wird, sondern
dass das Geld so verteilt wird, dass die Aufgaben, die wir als Ärztinnen und
Ärzte haben, richtig erfüllt werden können.
Ich danke Ihnen.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank,
Herr Pickerodt. - Als nächster Redner Herr Kollege Emminger aus Bayern. |