TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik - Gesundheitspolitische Leitsätze der Ärzteschaft

Dienstag, 20. Mai 2008, Nachmittagssitzung

Dr. Emminger, Bayern: Sehr geehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zum "Ulmer Papier" und auch zu einem Antrag äußern, der Ihnen noch nicht vorliegt, aber demnächst, wie ich hoffe, auf Ihren Plätzen liegen wird. Wir sollten uns über die positiven Aspekte des "Ulmer Papiers" Gedanken machen, nicht nur über die letzte Version, sondern vielleicht auch über die Versionen, die uns seit dem Jahreswechsel 2007/2008 zugeleitet worden sind; denn aus den Veränderungen dieses Papiers kann man ganz gut erkennen, welche Diskussionen wahrscheinlich im Vorstand der Bundesärztekammer, aber auch zwischen den verschiedenen Gremien stattgefunden haben. Wenn man das zu abstrahieren versucht, sieht man eine ganz interessante Entwicklung.

Wir können dankbar dafür sein, dass das Präsidium den Auftrag des Ärztetages in Münster zügig und schlüssig umgesetzt hat. In dem Antrag der Delegierten aus Bayern haben wir zu Ihrer Kenntnis den Antrag von Münster als Anlage beigefügt.

Zumindest eines ist erreicht worden: Wir haben jetzt innerhalb der Ärzteschaft und vor allen Dingen innerhalb der Gruppe der gewählten Mandatsträger, also unter den Delegierten der Landesärztekammern, eine intensive Diskussion über das Thema, wie wir uns in den nächsten Jahren positionieren wollen, welches unsere gesundheitspolitischen Leitaussagen sind.

Man sollte den Optimierungsbedarf hinsichtlich dieses Papiers nicht kleinreden. Man muss sich hier und heute über den Optimierungsbedarf eine Meinung bilden. Auch in diese Richtung zielt unser Antrag.

Natürlich lautet die zentrale Frage: Für wen ist das "Ulmer Papier" gedacht? Herr Hoppe hat gesagt: Es ist zuallererst ein innerärztliches Diskussionspapier. Herr Hoppe, mit Verlaub: Ich hoffe nicht, dass wir in jener Sprache, in der dieses Papier verfasst ist, miteinander diskutieren, denn an vielen Stellen finde ich mich als Ansprechpartner von Ihnen nicht wieder. Da sprechen Sie die Politik an, da sprechen Sie die Allgemeinheit an. Aber wir Ärzte sollten uns zumindest in der innerärztlichen Diskussion - vielleicht kommt da auch das gewisse Unbehagen unter uns zum Ausdruck - um eine andere Sprache bemühen, wenn es um grundsätzliche Positionen geht.

Es sollte nicht vergessen werden, dass sich dieses Papier in zweiter Linie an unsere Patienten richtet. Ich glaube, wir haben es schon nötig, auch unseren Patienten klarzumachen, unter welchen Rahmenbedingungen wir arbeiten und welches unsere Forderungen an die Politik sind, damit wir unsere Patienten gut behandeln können. Wir müssen auch hier eine Vertrauensbasis mit unseren Patienten schaffen.

Herr Hoppe, Sie haben gesagt: Das kann auch zum Wahlkampfthema werden. Natürlich sind auch unsere Patienten jene Wähler, die am Tag X ihr Kreuz an der richtigen Stelle machen müssen.

Letztendlich hat dieses Papier natürlich als Zielgruppe auch die Politik und die Gesellschaft.

Für mich müssen in diesem Papier die Ziele klarer zum Ausdruck kommen. Für mich muss als Ziel in diesem Papier formuliert, bekräftigt und untermauert werden, dass das Arzt-Patient-Verhältnis nicht noch weiter beschädigt werden darf, als es derzeit schon beschädigt ist. Wir müssen die Vertrauensbasis in unserem eigenen Interesse und im Interesse der Patienten wieder aufbauen. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Basis weiter beschädigt wird.

Ein zweiter ganz wichtiger Punkt, der in dem "Ulmer Papier" in seiner letzten Fassung ein bisschen zu kurz kommt, ist folgender: Wir müssen mit allen Mitteln verhindern, dass die Spaltung der Ärzteschaft durch Politik, Gesellschaft und Medien weiterhin betrieben wird, wie das bisher der Fall war.

Folgende Frage sei schon erlaubt. Ich habe in den Unterlagen, die uns zugeschickt wurden, nachgeschaut und festgestellt, dass über das "Blaue Papier", das 1994 verabschiedet wurde, auch in den Jahren 1980, 1984 und 1986 diskutiert wurde. Ich habe mir die Mühe gemacht, vor diesem Deutschen Ärztetag im Internet nachzuforschen, und zwar sowohl auf den Seiten der Bundesärztekammer als auch auf anderen Seiten, und bedauerlicherweise findet man nirgends das "Blaue Papier". Ich frage Sie: Wie sollen wir dem ärztlichen Nachwuchs vermitteln, was Sie schon vor einigen Jahren beraten und beschlossen haben, wenn wir der jungen Generation von Ärzten und der übrigen Gesellschaft zumindest derzeit über das Internet diese Daten nicht zur Verfügung stellen? Ich rege an, dies möglichst schnell nachzuholen.

Warum sollen wir das "Ulmer Papier" nicht an einigen Punkten ergänzen und an einigen Stellen fortschreiben und erweitern? Vorhin wurde gesagt: Wir brauchen eine Charta der Ärzteschaft. Man könnte auch sagen: Wir brauchen aktualisiert einen Kodex für ärztliches Handeln. Vielleicht sind wir doch gut beraten, das im Jahre 2008 fortzuschreiben.

Der bayerische Antrag geht dahin, dass die Bundesärztekammer aufgefordert wird, die Arbeit am "Ulmer Papier" unverzüglich fortzuführen. Das "Ulmer Papier" darf nicht das Schicksal etlicher Papiere erleiden, nämlich in den Schubladen zu verschwinden und nicht mehr gelesen zu werden.

Unser Vorschlag lautet auf der Grundlage des Ärztetagsbeschlusses von Münster, dass man die Themen noch einmal konkretisiert, dass man sie zusammenfasst, dass man Themen vielleicht priorisiert und dass man die Themen, die in Münster vorgegeben wurden, in Module aufteilt und die gesamte Ärzteschaft - nicht nur die Bundesärztekammer - diese Arbeit übernimmt, um diese Themen nochmals auszuarbeiten.

Ich frage mich schon, warum wir in der Bundesrepublik Deutschland 17 Landesärztekammern haben, in denen die gesamte ärztliche Kompetenz zusammengefasst ist, wenn der Vorstand der Bundesärztekammer diese 17 Landesärztekammern nicht auffordern kann, die einzelnen Module eigenverantwortlich zu bearbeiten. Es könnte dann die Aufgabe des Vorstands der Bundesärztekammer sein, die erarbeiteten Inhalte anschließend zusammenzufassen.

Ich halte es für dringend notwendig, dass dieses geschieht. Die gesamte Bandbreite der Themen wird heute diskutiert werden. Vielleicht sind in dem jetzigen Papier auch einige handwerkliche Ungenauigkeiten enthalten, die unbedingt beseitigt werden müssen. Ich darf daran erinnern, dass Aussagen über die ärztliche Selbstverwaltung in diesem Papier nicht vorkommen. Auf Seite 8 des Papiers wird zwar über die Selbstverwaltung gesprochen, der Begriff wird mehrfach zitiert, aber nur im Zusammenhang mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss im Sinne einer gemeinsamen Selbstverwaltung mit den anderen Partnern im Gesundheitswesen.

Das verstehen wir Ärztinnen und Ärzte nicht als ein zentrales Anliegen, wohl aber, unsere ärztlichen Körperschaften darzustellen, ihren Wert, ihren Sinn, aber auch ihre internen Konflikte. Das ist für mich ein ganz zentrales Thema, über das wir Ärzte uns unterhalten sollten.

Ich möchte abschließend eine Äußerung von Herrn Montgomery aufgreifen: Ich halte es für dringend erforderlich, dass wir uns bei der weiteren Diskussion über das "Ulmer Papier" zur Finanzierung des Gesundheitssystems äußern. Das gibt auch der Beschluss von Münster aus 2007 her. Dazu sind wir beauftragt. So wurde damals mit sehr großer Mehrheit beschlossen. Wir sollten Sorge dafür tragen, dass uns die Öffentlichkeit, unsere Patienten, die Politik, die Medien nicht nur über unsere Aussagen zur Finanzierung des Gesundheitssystems wahrnehmen, wie es in den vergangenen Wochen in der Presse durchaus üblich war. Ich denke, es ist nicht nur eine wichtige ärztliche, sondern auch eine staatsbürgerliche Aufgabe, dass wir uns zur Finanzierung des GKV-Systems äußern. Insofern bitte ich um eine breite Unterstützung unseres Antrags aus Bayern.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank. - Es gibt jetzt eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung von Herrn Kollege Clever. Sie kommt allerdings genau zu dem Zeitpunkt, als ich Frau Professor Fischer aufrufen wollte, die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Gesundheit e. V. und bis vor Kurzem Mitglied des Sachverständigenrats des Gesundheitsministeriums. Sie ist als Gast unter uns und kann das Rederecht erhalten, wenn wir einverstanden sind. Wenn Herr Kollege Clever so freundlich wäre, Frau Professor Fischer zunächst sprechen zu lassen, und wenn wir danach über eine Redezeitbegrenzung entscheiden würden, wäre das Frau Fischer gegenüber sehr höflich. Und wir wollen doch höflich sein. Sind Sie damit einverstanden?

(Beifall)

- Gut. Dann Frau Kollegin Fischer, bitte schön.

© Bundesärztekammer 2008