Janßen, Berlin:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Papier dient als Versuch,
wie es heißt, einheitliche gesundheitspolitische Leitsätze der deutschen
Ärzteschaft zu formulieren. Ich bezweifle, dass es hier zu einer konsentierten
Verabschiedung kommen wird, weil nach meiner Erfahrung viele von uns nicht viel
mehr gemein haben als das gemeinsame Staatsexamen, das vor drei, fünf oder 20
oder 30 Jahren abgelegt wurde. Die Interessen der verschiedenen
Arbeitsbereiche, in denen wir tätig sind - in der Akutklinik, in der Rehabilitation,
im öffentlichen Gesundheitsdienst, in der Praxis, als niedergelassener oder als
angestellter Kollege in einem MVZ -, sind einfach viel zu unterschiedlich.
Darüber hinaus - das haben wir heute in der Debatte erlebt -
sind die politischen Grundhaltungen, die sich ja nicht an den Parteigrenzen
festmachen lassen, viel zu unterschiedlich, als dass es hier zu einem
machtvollen Instrument kommen kann. Für meine Begriffe ist die Spannung noch
nicht deutlich genug. Der Kollege Dietrich beispielsweise hat es vorhin
deutlich gemacht, dass noch etwas an der Spannung fehlt. Ich lasse mich bis zum
Ende der Behandlung dieses Tagesordnungspunkts und vielleicht auch bis
Freitagmittag gern vom Gegenteil überzeugen.
Als Debütant auf einem Deutschen Ärztetag steht es mir nicht
an, die Institution des Deutschen Ärztetages in Abrede zu stellen. Damit macht
man sich hier sicherlich keine Freunde.
Ich möchte noch auf folgenden Punkt eingehen, nämlich auf
Abschnitt 8.2 auf den Seiten 33 und 34. Dort geht es um die Finanzierung. Dort
ist die Rede von einer sozialverträglichen Erweiterung der
Eigenbeteiligungsformen. Die Idee ist, die Steuerung der Inanspruchnahme von
Leistungen über eine Eigenbeteiligung oder über Zuzahlungen zu erreichen. Wie
aber sieht die Realität aus? Als Berliner Hausarzt in einem sozialen
Problembezirk kann ich nicht nur mit selbst erlebter Evidenz aufwarten, sondern
es gibt einschlägige Untersuchungsergebnisse, die besagen, dass jede sogenannte
Eigenbeteiligung, jede Zuzahlung immer eine soziale Schieflage bewirkt. Es
werden nämlich insbesondere von solchen Versicherten und Patienten weniger
Leistungen in Anspruch genommen, die einem niedrigen sozioökonomischen Status angehören.
Es werden nicht nur Leistungen, die überflüssig sind, nicht in Anspruch
genommen, sondern es werden auch Leistungen, die dringend notwendig wären,
nicht in Anspruch genommen.
Das heißt, die Idee der Leistungssteuerung durch eine
Zuzahlung bringt im Ergebnis eine soziale Diskriminierung von Leistungen. Die
letzten einschlägigen Beispiele sind die Praxisgebühr mit Fallzahleinbrüchen
und die Versorgung mit Zahnersatz. Das sollte meines Erachtens nicht
Bestandteil dieses Papiers sein, schon gar nicht Bestandteil eines immer noch
existierenden solidarischen Gesundheitswesens.
Vielen Dank.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen
Dank, Herr Janßen. - Nunmehr haben wir das vorgesehene Tagungsende von 18 Uhr
bereits etwas überschritten. Herr Bolay steht aber schon am Rednerpult. Ich
schlage vor, dass wir ihn noch hören. Dann machen wir für heute Schluss. Herr
Bolay, Sie haben für heute das Schlusswort. Bitte schön. |