TOP IV: Auswirkungen der Telematik und elektronischen Kommunikation auf das Patient-Arzt-Verhältnis

Donnerstag, 22. Mai 2008, Vormittagssitzung

Dr. Lipp, Sachsen: Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem sehr angenehm emotionalen Vortrag von Herrn Brunngraber ist es natürlich schwierig, nun eine differenziert andere Position einzunehmen. Ich möchte trotzdem sagen: In vielen der Dinge, was Herr Brunngraber vorhin gesagt hat, irrt er, hat er nicht ganz recht. Ich versuche einmal, die Emotionen beiseite zu lassen und Fakten zu nennen.

Erstens. Die Karte ist anders, als es gemeinhin kolportiert wird. Sie ist nicht veraltet, sie ist nicht überholt. Prinzipiell funktioniert sie auch. Das Fraunhofer Institut - dieser Institution kann man keine Parteilichkeit vorwerfen - bestätigt dies.

Zweitens. Die Karte wird kommen, sie ist Gesetz. Was wir gar nicht richtig wahrnehmen wollen: Diese Karte ist ein sich in vielen, vielen Jahren entwickelndes System. Bis zur Realisierung dessen, was hier diskutiert wird, vergehen nach Meinung derer, die sich damit befassen, die das einführen wollen, auch im Ministerium, zehn, 15, 20 Jahre.

Es ist eben nicht, wie hier immer wieder gesagt wird, ein Kartenprojekt, bei dem man sagen könnte: Was soll der überholte Unsinn, diese mit Milliardenaufwand zu schaffende Karte ist das Gleiche wie das, was wir jetzt mit dem Foto haben. Diese Karte ist der Schlüssel zu einem völlig neuen System, zu einem IT-System, bei dem wir Ärzte, die Patienten und die Krankenhäuser nur der Appendix eines Gesamtsystems sind. Wir können und werden uns hier nicht ausklammern. Hier verhalten wir uns ein bisschen wie die Bilderstürmer.

Als die Chipkarten damals eingeführt wurden, zeigte sich dasselbe Stimmungsbild: Man war massiv dagegen. Heute hat sie quasi jeder.

Bei der Vertragsvielfalt werden wir um eine solche Karte gar nicht herumkommen. Wir werden sie benötigen.

Ich persönlich bin sogar für die große Lösung. Ich möchte auf dieser Karte gespeichert haben: die Patientenquittung, die Pflegestufe, die Rabatte, die DMPs. Nur mit dieser Karte werden wir zukünftig dieses System der überbordenden Bürokratie, das wir gar nicht wollen, noch steuern können. Es bietet die Möglichkeit, die Bürokratie zu vermindern.

Es geht nicht um die Karte, sondern das Potenzial macht die Sache interessant. Viele Bedenken, die wir haben, sind überholt, sind veraltet. Ich habe gehört - Herr Bartmann, bitte korrigieren Sie mich gegebenenfalls -, dass das Bundesministerium bei dieser Karte auf fast alle Belange der Ärzte ganz intensiv eingeht und sich immer auf die Seite der Ärzte und nicht auf die Krankenkassenseite geschlagen hat. Hier haben wir also einen deutlichen Rückhalt.

Der Chaos Computer Club hat den Auftrag, diese Karte zu knacken. Von der gematik ist dafür sogar ein Preis ausgelobt worden.

Vizepräsident Dr. Montgomery: Herr Lipp, die Zeit!

Dr. Lipp, Sachsen: Es sei mir ein letzter Satz gestattet. Wenn wir diese Karte und dieses System ablehnen, verhalten wir uns wie die Amish People. Dann werden wir mit elektronischen Wollsocken durch die Gegend laufen, wir werden Esel vor uns hertreiben und auf die Räder verzichten. Oder wir lassen uns auf das Bartmann-Papier ein und werden mitgestalten können. Sonst wird es uns ok­troyiert. Wir kommen um die Karte nicht herum.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Montgomery: Das waren viele Semikola. Trotzdem herzlichen Dank. - Der nächste Redner auf der Rednerliste ist der Kollege Julian Veelken aus Berlin.

© Bundesärztekammer 2008