Eröffnungsveranstaltung

Dienstag, 19. Mai 2009, Vormittagssitzung

Kurt Beck,
Ministerpräsident des Landes Rheinland-PfalzKurt Beck, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz: Verehrter Herr Präsident Professor Hoppe! Verehrter Herr Präsident Professor Hessenauer! Verehrte Damen und Herren Abgeordnete und Repräsentantinnen und Repräsentanten der Öffentlichkeit! Frau Ministerin! Herr Staatssekretär! Besonders grüße ich Sie alle, meine Damen und Herren, die Sie die deutsche Ärzteschaft repräsentieren und zu diesem 112. Deutschen Ärztetag hier nach Mainz gekommen sind.

Als Herr Professor Hessenauer eben zu uns gesprochen hat, habe ich gedacht: Wohl dem Ministerpräsidenten, der einen Ärztekammerpräsidenten hat, der so kundig und so voll Herzlichkeit über sein Heimatbundesland und die Hauptstadt dieses Bundeslandes zu sprechen weiß. Ich bedanke mich sehr herzlich dafür. Intensiver, schöner, einladender kann man das nicht tun.

(Beifall)

Frau Kollegin Dreyer und ich fühlen uns auch deshalb geehrt, dass Sie diesen Ärztetag hier in Mainz abhalten, weil es doch ein besonderes Jahr ist: Wir schauen auf 60 Jahre Bundesrepublik (West) zurück und im Herbst auf 20 Jahre Bundesrepublik (gesamtdeusch). Wir haben gestern den 62. Jahrestag unserer Landesverfassung begangen.

Wenn wir diese Zeit im Rückblick bewerten, dann müssen wir feststellen: Es war sicher eine der besten Zeitläufte, die wir in der Geschichte unserer Menschheit, für uns hier in Mitteleuropa, für uns hier in Deutschland verzeichnen können. Es ist aus Not und Elend unglaublich viel aufgebaut worden: wirtschaftlich, kulturell, sozial. Zu diesem sozialen Aufbau hat sicher in ganz zentraler Weise auch unser Gesundheitswesen geführt, das den Menschen die Sicherheit bietet, dass sie im Falle einer Erkrankung, im Falle einer Behinderung und der notwendigen Begleitung auf eine hochkompetente Ärzteschaft stoßen, dass sie in einer Mischung aus freiem Beruf als niedergelassene Ärzteschaft und den Angeboten der stationären Versorgung ein Gesundheitssystem haben, das bei allen Herausforderungen, die ich nicht übersehe, sicherlich auch heute noch zu den besten dieser Welt gehört.

(Beifall)

So wie wir uns in diesem Jahr über das freuen, was wir erreicht haben, gilt es auch, den Blick zu heben und das kommende Jahrzehnt dieser Republik zu betrachten, eingebettet in eine Internationalität, wie wir sie noch nie erlebt haben, eingebettet in Europa, das so dicht zusammengerückt ist, wie wir es noch nie erlebt haben. In dieser Situation müssen wir und dürfen wir unsere Zukunft gestalten.

Dass dabei auch erhebliche Herausforderungen zu bestehen sind, das galt für vergangene Jahrzehnte genauso, wie es für dieses neue Jahrzehnt der Geschichte der Republik gelten wird.

Wenn wir die aktuelle Situation betrachten, treibt uns natürlich schon um, wie finanzwirtschaftlich und wirtschaftlich die aktuellen Herausforderungen bewältigt werden können. Alle in wirtschaftlicher, finanzpolitischer, aber auch in politischer Verantwortung sind momentan aufgerufen, an die Grenzen dessen zu gehen, was man an Handlungsfeldern zur Verfügung hat.

Ich hoffe – ich glaube, es gibt auch Gründe für diese Hoffnung –, dass wir es in den kommenden Monaten wieder schaffen werden, sicher nicht ruckartig, aber doch schrittweise wieder in eine Aufwärtsentwicklung unseres Wirtschaftsgeschehens zu kommen. Dabei kommt es darauf an, dass wir bei all den Entscheidungen, die wir jetzt treffen, nie aus dem Auge verlieren, dass das, was wir an Finanzentscheidungen getroffen haben und noch treffen müssen, auch wieder zurückbezahlt werden muss. Deshalb muss heute auch nach dem Prinzip „Bedenke das Ende“ gehandelt werden.

(Beifall)

Das gilt auch dafür, meine Damen und Herren, dass wir in dieser Zeit mit den entscheidenden Zukunftsinvestitionen nicht zurückhaltend werden: Investitionen in eine Versöhnung zwischen Ökonomie und Ökologie, Investitionen in Forschung und Entwicklung ganz allgemein, Investitionen in die Bildung und Ausbildung der Menschen.

Es fällt schwer, in diesen Bereichen auf hohem Niveau, auf steigendem Niveau Entscheidungen zu treffen, wenn man das Rückzahlen nicht aus dem Auge verliert. Dennoch sind diese Entscheidungen geboten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, als wäre dies nicht genug – wem sage ich das? –, gilt es natürlich auch, die demografische Entwicklung in diese Entscheidungen einzubeziehen und einzubetten.

Insoweit glaube ich, dass wir so notwendig wie jeden Dialog zwischen allen brauchen, die in unserer Gesellschaft Verantwortung tragen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass Herr Professor Hessenauer betont hat, dass wir uns in Rheinland-Pfalz um einen solchen Dialog intensiv bemühen. Ich bin fest davon überzeugt, dass man bei aller Komplexität der Herausforderungen und so einsichtig es ist, dass Gruppen in der Gesellschaft ihre Interessen formulieren, ihre Sorgen, ihre Vorstellungen zum Ausdruck bringen, am Ende versuchen muss, die Eckpunkte zusammenzuführen, um das Ganze funktionsfähig zu halten.

Ich glaube, dass wir auch in der Zukunft gut damit fahren – wir wollen das aus rheinland-pfälzischer Sicht auch weiterhin so halten –, dass wir dieses Miteinander von freiberuflicher Ärzteschaft und unterschiedlichen Formen von stationärer Versorgung beibehalten, wissend, dass wir Herausforderungen bestehen müssen, um zwischen den ländlichen Regionen und den städtischen Regionen eine Gleichwertigkeit der Versorgung auch in Zukunft sicherzustellen.

Meine Kollegin Dreyer hat dazu in entsprechenden Kontakten mit allen am Gesundheitswesen Beteiligten einen Masterplan entwickelt. Wir versuchen auf diese Art und Weise, attraktiv zu machen oder attraktiv zu halten, eine Praxis in einer ländlichen Region zu übernehmen. Das ist eine große Herausforderung für die Menschen, die sich dafür entscheiden. Ich weiß aus der Familie selber, was das bedeutet; meine Schwiegertochter führt eine solche Praxis.

Aber, meine Damen und Herren, dieser erste Grundsatz muss sicher auch davon begleitet werden, dass wir uns in unserer Versorgung auf die Veränderungen durch die Alterszusammensetzung der Gesellschaft einstellen. Deshalb wollen und werden wir in diesem und im nächsten Jahr in Rheinland-Pfalz unsere Vorgaben für die Krankenhausversorgung weiterentwickeln und dabei entsprechende Ausprägungen der geriatrischen Versorgung mit in dieses Bild einrücken.

Es gibt also aus meiner Sicht keinen politischen Grund, bezüglich des Bestands der freiberuflichen Ärzteschaft Sorge zu haben. Aber ich weiß, dass es materielle Sorgen gibt und dass wir uns auch dieser Frage zu stellen haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass das große Vertrauen, das die Menschen in die Ärzteschaft, in die Gesundheitsversorgung haben, aufrechterhalten werden muss. Ich glaube deshalb nicht, dass es eine Lösung der Herausforderungen der Gegenwart wäre, wenn wir zu entsprechenden Ausschlusskriterien für bestimmte Versorgungsgrade kämen.

Ich denke, dass wir uns bei diesem sicher engen Budget für das Gesundheitswesen – es bleibt sicher auch nach den durchaus beachtlichen Aufstockungen eine richtige Feststellung, dass es ein enges Budget ist – sorgfältig in dem von mir angesprochenen Dialog mit der Frage auseinandersetzen sollten: Wie können wir denn, die unterschiedlichen Stellschrauben bedienend, das, was unsere Wirtschaft auch in Zukunft erarbeiten und erwirtschaften kann, in entsprechendem Anteil für das Gesundheitswesen organisieren? Wie ist die Verteilung dieses Anteils auf die unterschiedlichen Beiträge, die zum Gesundheitswesen geleistet werden, in fairer Weise sicherzustellen?

Das bedarf einer sehr differenzierten und, wie ich denke, von keiner Seite holzschnittartigen Betrachtung, weil wir nur mit sehr sorgfältig gewählten Entscheidungen zu einer Stabilität kommen, wobei ich auch nicht die Illusion habe oder verbreiten möchte, wir könnten jetzt die eine oder andere Entscheidung, wie auch immer sie aussieht, treffen, dann hätten wir bei diesem Punkt für lange Zeit Ruhe. Ich bin sicher: Wir werden immer wieder aufs Neue nachtarieren müssen und schauen müssen, was unsere Volkswirtschaft verträgt, wie wir die Eckpunkte unseres Gesundheitswesens aktuell handlungsfähig und leistungsfähig halten können, wie wir die Berufe im Gesundheitswesen, zuvörderst die ärztlichen Berufe, attraktiv halten können und wie dies auszutarieren ist.

Ich glaube, das ist eine permanente Aufgabe. Es wird auch eine permanente Aufgabe bleiben.

Aber die Akzeptanz in unserer Gesellschaft – davon bin ich überzeugt – wird nur, wie ich zum dritten Mal sagen muss, in einem sorgfältigen Aufeinanderhören und einem Aufeinandereingehen aufrechterhalten werden können. Ich gehe davon aus, dass wir in Zukunft einen entsprechend höheren Anteil am volkswirtschaftlichen Einkommen für den Sektor des Gesundheitswesens zur Verfügung stellen müssen, als dies heute der Fall ist.

(Beifall)

Ich sage das übrigens nicht nur hier, sondern auch an anderer Stelle,

(Beifall)

denn ich möchte nicht den Eindruck erwecken, man redet jemandem nach dem Munde. Das ist die feste Überzeugung der von mir geführten Regierung. Es hat ja auch Versuche gegeben, den steuerlichen Anteil, der ins Gesundheitswesen gelenkt wird, höher zu wählen, als dies dann letztendlich politisch gelungen ist. Diese Verhandlungen habe ich noch selber geführt. Deshalb erinnere ich mich an jeden Satz der Auseinandersetzung in diesem Zusammenhang.

Ich will der Ehrlichkeit halber hinzufügen, dass ich im Moment keinen solchen Schritt sehe, weil wir dazu finanzpolitisch im Moment nicht in der Lage sind. Aber auf der Zeitschiene muss dies so sein; denn die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird zurückgehen und damit die Zahl der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler für die gesetzlichen Kassen. Eine Möglichkeit ist, dass man zu entsprechenden Einschnitten kommt. Sie merken: Ich scheue das Wort „Rationierung“ wie der Teufel das Weihwasser.

(Zuruf)

– Das ist nicht theoretisch, das ist ganz praktisch. Es gibt auch Begrifflichkeiten, die, wenn man sie erst einmal gewählt und in die politische Debatte eingeführt hat, ihre Wirkungen entfalten. Ich finde, „Rationierung“ ist im Zusammenhang mit Gesundheit ein furchtbares Wort, das wir wirklich meiden sollten.

(Beifall)

Ich sprach davon, dass im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen davon auszugehen ist, dass die Zahl der Beitragszahler geringer wird. Es ist sicher auch nicht wünschenswert, dass der Anteil der Sozialversicherungsabgaben an den Lohnkosten deutlich steigt, sondern es ist eher wünschenswert, dass wir einen Ausgleich über steuerliche Mittel suchen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das, was auf dieser Seite der Kostenerbringung zu tun ist, muss sicher immer auch begleitet werden durch das Hinschauen, wo ein gewisses Maß an Rationalität und Kostenersparnis möglich ist. Ich finde, die Tatsache, dass über die Zusammenschlüsse von Krankenkassen jetzt schon diskutiert wird, ist eher ein Erfolg der Gesundheitsreform als das Gegenteil, denn da ist sicher manches zu machen. Das allein wird die Probleme nicht lösen, aber es ist sicher eine dieser Stellschrauben, die bewegt werden müssen.

Ich denke, auf diese Art und Weise muss das gesamte System betrachtet und durchgegangen werden. Ich glaube, dann werden wir auch in der Lage sein, miteinander ein differenziertes und vielfältiges, ein den medizinischen und pharmazeutischen Fortschritt förderndes und nicht behinderndes Gesundheitssystem auch für die kommenden Jahrzehnte zu organisieren.

Dies wird immer nur mit Ihnen gemeinsam gehen. Das ist im Übrigen, wenn man die Geschichte dieser Bundesrepublik betrachtet, auch ein Teil der Konstituierung dieser Republik. Freie Verbände sind entstanden, bevor staatliche Institutionen entstanden. Auch das war eine Lehre aus unfreiheitlicher Zeit. Wir hatten ja bis vor 20 Jahren negativen Anschauungsunterricht in einem Teil Deutschlands.

Insoweit glaube ich, dass dieses Bekenntnis zu den freien Ärzteverbänden – seien es die Kammern, seien es die Kassenärztlichen Vereinigungen – kein wohlfeiles ist. Aber jetzt kommt der zweite Teil meiner Aussage: Wenn wir das so organisieren, muss natürlich, wenn man die Verteilung der Mittel in dieses System hineingibt – über den Umfang der Mittel muss man differenziert reden –, auch die Verantwortung dafür dort wahrgenommen werden. Das ist die zweite Seite dieser Medaille einer freiheitlichen Organisation der Finanzierung und inneren Ausgestaltung unseres Gesundheitssystems.

Ich möchte damit deutlich machen, dass ich die Hoffnung habe, am Ende dieses Ärztetages möge eine solche Differenzierung hinsichtlich der Herausforderungen und deren Lösungsansätzen stehen. Ich biete, soweit es an uns als rheinland-pfälzische Landesregierung ist, ausdrücklich an, den Dialog zu suchen, mit Ihnen gemeinsam nach Lösungen zu suchen, Übertreibungen und Überzeichnungen von allen Seiten wegzulassen. Ich bekomme momentan jede Woche ein paar Tausend Postkarten aus einem bestimmten Fachärztebereich, auf denen kein Absender steht, bei denen nicht zu erkennen ist, wer sie unterschrieben hat. Die Handschriften sind nicht zu entziffern. Was sollen wir damit machen?

(Zuruf)

– Wegwerfen hilft auch nicht weiter. Ich möchte herzlich dazu einladen, dass man eine Basis schafft, an den Problemen zu arbeiten – die Sorgen mögen ja begründet sein – und damit Entscheidungen vorzubereiten, die auf eine möglichst breite Akzeptanz stoßen.

Das wollte ich Ihnen von Herzen mit auf den schweren Weg dieser Tage mitgeben. Sie haben an einer schwierigen Thematik zu arbeiten. Ich möchte Sie mit einem nochmaligen herzlichen Willkommen auch auf das hinweisen, was Herr Hessenauer angesprochen hat: Es lohnt sich, nach harter Arbeit diese Stadt zu erleben. Das gehört mit dazu.

Herzlich willkommen, einen guten Ärztetag!

(Beifall)

(Hans Zeller: Mouse and Friends – Don Gillis: Just a Closer Walk)

© Bundesärztekammer 2009