Kurt Beck,
Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz: Verehrter Herr Präsident
Professor Hoppe! Verehrter Herr Präsident Professor Hessenauer! Verehrte Damen
und Herren Abgeordnete und Repräsentantinnen und Repräsentanten der
Öffentlichkeit! Frau Ministerin! Herr Staatssekretär! Besonders grüße ich Sie
alle, meine Damen und Herren, die Sie die deutsche Ärzteschaft repräsentieren
und zu diesem 112. Deutschen Ärztetag hier nach Mainz gekommen sind.
Als
Herr Professor Hessenauer eben zu uns gesprochen hat, habe ich gedacht: Wohl
dem Ministerpräsidenten, der einen Ärztekammerpräsidenten hat, der so kundig
und so voll Herzlichkeit über sein Heimatbundesland und die Hauptstadt dieses
Bundeslandes zu sprechen weiß. Ich bedanke mich sehr herzlich dafür.
Intensiver, schöner, einladender kann man das nicht tun.
(Beifall)
Frau Kollegin Dreyer und ich fühlen
uns auch deshalb geehrt, dass Sie diesen Ärztetag hier in Mainz abhalten, weil
es doch ein besonderes Jahr ist: Wir schauen auf 60 Jahre Bundesrepublik (West)
zurück und im Herbst auf 20 Jahre Bundesrepublik (gesamtdeusch). Wir haben
gestern den 62. Jahrestag unserer Landesverfassung begangen.
Wenn wir diese Zeit im Rückblick
bewerten, dann müssen wir feststellen: Es war sicher eine der besten
Zeitläufte, die wir in der Geschichte unserer Menschheit, für uns hier in
Mitteleuropa, für uns hier in Deutschland verzeichnen können. Es ist aus Not
und Elend unglaublich viel aufgebaut worden: wirtschaftlich, kulturell, sozial.
Zu diesem sozialen Aufbau hat sicher in ganz zentraler Weise auch unser
Gesundheitswesen geführt, das den Menschen die Sicherheit bietet, dass sie im
Falle einer Erkrankung, im Falle einer Behinderung und der notwendigen
Begleitung auf eine hochkompetente Ärzteschaft stoßen, dass sie in einer
Mischung aus freiem Beruf als niedergelassene Ärzteschaft und den Angeboten der
stationären Versorgung ein Gesundheitssystem haben, das bei allen
Herausforderungen, die ich nicht übersehe, sicherlich auch heute noch zu den
besten dieser Welt gehört.
(Beifall)
So wie wir uns in diesem Jahr über
das freuen, was wir erreicht haben, gilt es auch, den Blick zu heben und das
kommende Jahrzehnt dieser Republik zu betrachten, eingebettet in eine
Internationalität, wie wir sie noch nie erlebt haben, eingebettet in Europa,
das so dicht zusammengerückt ist, wie wir es noch nie erlebt haben. In dieser
Situation müssen wir und dürfen wir unsere Zukunft gestalten.
Dass dabei auch erhebliche
Herausforderungen zu bestehen sind, das galt für vergangene Jahrzehnte genauso,
wie es für dieses neue Jahrzehnt der Geschichte der Republik gelten wird.
Wenn wir die aktuelle Situation
betrachten, treibt uns natürlich schon um, wie finanzwirtschaftlich und
wirtschaftlich die aktuellen Herausforderungen bewältigt werden können. Alle in
wirtschaftlicher, finanzpolitischer, aber auch in politischer Verantwortung
sind momentan aufgerufen, an die Grenzen dessen zu gehen, was man an
Handlungsfeldern zur Verfügung hat.
Ich hoffe – ich glaube, es gibt
auch Gründe für diese Hoffnung –, dass wir es in den kommenden Monaten wieder
schaffen werden, sicher nicht ruckartig, aber doch schrittweise wieder in eine
Aufwärtsentwicklung unseres Wirtschaftsgeschehens zu kommen. Dabei kommt es
darauf an, dass wir bei all den Entscheidungen, die wir jetzt treffen, nie aus
dem Auge verlieren, dass das, was wir an Finanzentscheidungen getroffen haben
und noch treffen müssen, auch wieder zurückbezahlt werden muss. Deshalb muss
heute auch nach dem Prinzip „Bedenke das Ende“ gehandelt werden.
(Beifall)
Das gilt auch dafür, meine Damen
und Herren, dass wir in dieser Zeit mit den entscheidenden
Zukunftsinvestitionen nicht zurückhaltend werden: Investitionen in eine
Versöhnung zwischen Ökonomie und Ökologie, Investitionen in Forschung und
Entwicklung ganz allgemein, Investitionen in die Bildung und Ausbildung der
Menschen.
Es fällt schwer, in diesen
Bereichen auf hohem Niveau, auf steigendem Niveau Entscheidungen zu treffen,
wenn man das Rückzahlen nicht aus dem Auge verliert. Dennoch sind diese
Entscheidungen geboten.
Meine sehr geehrten Damen und
Herren, als wäre dies nicht genug – wem sage ich das? –, gilt es natürlich
auch, die demografische Entwicklung in diese Entscheidungen einzubeziehen und
einzubetten.
Insoweit glaube ich, dass wir so
notwendig wie jeden Dialog zwischen allen brauchen, die in unserer Gesellschaft
Verantwortung tragen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass Herr Professor
Hessenauer betont hat, dass wir uns in Rheinland-Pfalz um einen solchen Dialog
intensiv bemühen. Ich bin fest davon überzeugt, dass man bei aller Komplexität
der Herausforderungen und so einsichtig es ist, dass Gruppen in der
Gesellschaft ihre Interessen formulieren, ihre Sorgen, ihre Vorstellungen zum
Ausdruck bringen, am Ende versuchen muss, die Eckpunkte zusammenzuführen, um
das Ganze funktionsfähig zu halten.
Ich glaube, dass wir auch in der
Zukunft gut damit fahren – wir wollen das aus rheinland-pfälzischer Sicht auch
weiterhin so halten –, dass wir dieses Miteinander von freiberuflicher
Ärzteschaft und unterschiedlichen Formen von stationärer Versorgung
beibehalten, wissend, dass wir Herausforderungen bestehen müssen, um zwischen
den ländlichen Regionen und den städtischen Regionen eine Gleichwertigkeit der
Versorgung auch in Zukunft sicherzustellen.
Meine Kollegin Dreyer hat dazu in
entsprechenden Kontakten mit allen am Gesundheitswesen Beteiligten einen
Masterplan entwickelt. Wir versuchen auf diese Art und Weise, attraktiv zu
machen oder attraktiv zu halten, eine Praxis in einer ländlichen Region zu
übernehmen. Das ist eine große Herausforderung für die Menschen, die sich dafür
entscheiden. Ich weiß aus der Familie selber, was das bedeutet; meine
Schwiegertochter führt eine solche Praxis.
Aber, meine Damen und Herren,
dieser erste Grundsatz muss sicher auch davon begleitet werden, dass wir uns in
unserer Versorgung auf die Veränderungen durch die Alterszusammensetzung der
Gesellschaft einstellen. Deshalb wollen und werden wir in diesem und im
nächsten Jahr in Rheinland-Pfalz unsere Vorgaben für die Krankenhausversorgung
weiterentwickeln und dabei entsprechende Ausprägungen der geriatrischen
Versorgung mit in dieses Bild einrücken.
Es gibt also aus meiner Sicht
keinen politischen Grund, bezüglich des Bestands der freiberuflichen
Ärzteschaft Sorge zu haben. Aber ich weiß, dass es materielle Sorgen gibt und
dass wir uns auch dieser Frage zu stellen haben. Ich bin fest davon überzeugt,
dass das große Vertrauen, das die Menschen in die Ärzteschaft, in die
Gesundheitsversorgung haben, aufrechterhalten werden muss. Ich glaube deshalb
nicht, dass es eine Lösung der Herausforderungen der Gegenwart wäre, wenn wir
zu entsprechenden Ausschlusskriterien für bestimmte Versorgungsgrade kämen.
Ich denke, dass wir uns bei diesem
sicher engen Budget für das Gesundheitswesen – es bleibt sicher auch nach den
durchaus beachtlichen Aufstockungen eine richtige Feststellung, dass es ein
enges Budget ist – sorgfältig in dem von mir angesprochenen Dialog mit der
Frage auseinandersetzen sollten: Wie können wir denn, die unterschiedlichen
Stellschrauben bedienend, das, was unsere Wirtschaft auch in Zukunft erarbeiten
und erwirtschaften kann, in entsprechendem Anteil für das Gesundheitswesen
organisieren? Wie ist die Verteilung dieses Anteils auf die unterschiedlichen
Beiträge, die zum Gesundheitswesen geleistet werden, in fairer Weise
sicherzustellen?
Das bedarf einer sehr
differenzierten und, wie ich denke, von keiner Seite holzschnittartigen
Betrachtung, weil wir nur mit sehr sorgfältig gewählten Entscheidungen zu einer
Stabilität kommen, wobei ich auch nicht die Illusion habe oder verbreiten
möchte, wir könnten jetzt die eine oder andere Entscheidung, wie auch immer sie
aussieht, treffen, dann hätten wir bei diesem Punkt für lange Zeit Ruhe. Ich
bin sicher: Wir werden immer wieder aufs Neue nachtarieren müssen und schauen
müssen, was unsere Volkswirtschaft verträgt, wie wir die Eckpunkte unseres
Gesundheitswesens aktuell handlungsfähig und leistungsfähig halten können, wie
wir die Berufe im Gesundheitswesen, zuvörderst die ärztlichen Berufe, attraktiv
halten können und wie dies auszutarieren ist.
Ich glaube, das ist eine permanente
Aufgabe. Es wird auch eine permanente Aufgabe bleiben.
Aber die Akzeptanz in unserer
Gesellschaft – davon bin ich überzeugt – wird nur, wie ich zum dritten Mal
sagen muss, in einem sorgfältigen Aufeinanderhören und einem
Aufeinandereingehen aufrechterhalten werden können. Ich gehe davon aus, dass
wir in Zukunft einen entsprechend höheren Anteil am volkswirtschaftlichen
Einkommen für den Sektor des Gesundheitswesens zur Verfügung stellen müssen,
als dies heute der Fall ist.
(Beifall)
Ich sage das übrigens nicht nur
hier, sondern auch an anderer Stelle,
(Beifall)
denn ich möchte nicht den Eindruck
erwecken, man redet jemandem nach dem Munde. Das ist die feste Überzeugung der
von mir geführten Regierung. Es hat ja auch Versuche gegeben, den steuerlichen
Anteil, der ins Gesundheitswesen gelenkt wird, höher zu wählen, als dies dann
letztendlich politisch gelungen ist. Diese Verhandlungen habe ich noch selber
geführt. Deshalb erinnere ich mich an jeden Satz der Auseinandersetzung in
diesem Zusammenhang.
Ich will der Ehrlichkeit halber
hinzufügen, dass ich im Moment keinen solchen Schritt sehe, weil wir dazu
finanzpolitisch im Moment nicht in der Lage sind. Aber auf der Zeitschiene muss
dies so sein; denn die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird
zurückgehen und damit die Zahl der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler für
die gesetzlichen Kassen. Eine Möglichkeit ist, dass man zu entsprechenden
Einschnitten kommt. Sie merken: Ich scheue das Wort „Rationierung“ wie der
Teufel das Weihwasser.
(Zuruf)
– Das ist nicht theoretisch, das
ist ganz praktisch. Es gibt auch Begrifflichkeiten, die, wenn man sie erst
einmal gewählt und in die politische Debatte eingeführt hat, ihre Wirkungen
entfalten. Ich finde, „Rationierung“ ist im Zusammenhang mit Gesundheit ein
furchtbares Wort, das wir wirklich meiden sollten.
(Beifall)
Ich sprach davon, dass im Bereich
der gesetzlichen Krankenkassen davon auszugehen ist, dass die Zahl der
Beitragszahler geringer wird. Es ist sicher auch nicht wünschenswert, dass der
Anteil der Sozialversicherungsabgaben an den Lohnkosten deutlich steigt,
sondern es ist eher wünschenswert, dass wir einen Ausgleich über steuerliche
Mittel suchen.
Meine sehr geehrten Damen und
Herren, das, was auf dieser Seite der Kostenerbringung zu tun ist, muss sicher
immer auch begleitet werden durch das Hinschauen, wo ein gewisses Maß an
Rationalität und Kostenersparnis möglich ist. Ich finde, die Tatsache, dass
über die Zusammenschlüsse von Krankenkassen jetzt schon diskutiert wird, ist
eher ein Erfolg der Gesundheitsreform als das Gegenteil, denn da ist sicher
manches zu machen. Das allein wird die Probleme nicht lösen, aber es ist sicher
eine dieser Stellschrauben, die bewegt werden müssen.
Ich denke, auf diese Art und Weise
muss das gesamte System betrachtet und durchgegangen werden. Ich glaube, dann
werden wir auch in der Lage sein, miteinander ein differenziertes und
vielfältiges, ein den medizinischen und pharmazeutischen Fortschritt förderndes
und nicht behinderndes Gesundheitssystem auch für die kommenden Jahrzehnte zu
organisieren.
Dies
wird immer nur mit Ihnen gemeinsam gehen. Das ist im Übrigen, wenn man die
Geschichte dieser Bundesrepublik betrachtet, auch ein Teil der Konstituierung
dieser Republik. Freie Verbände sind entstanden, bevor staatliche Institutionen
entstanden. Auch das war eine Lehre aus unfreiheitlicher Zeit. Wir hatten ja
bis vor 20 Jahren negativen Anschauungsunterricht in einem Teil Deutschlands.
Insoweit glaube ich, dass dieses Bekenntnis
zu den freien Ärzteverbänden – seien es die Kammern, seien es die
Kassenärztlichen Vereinigungen – kein wohlfeiles ist. Aber jetzt kommt der
zweite Teil meiner Aussage: Wenn wir das so organisieren, muss natürlich, wenn
man die Verteilung der Mittel in dieses System
hineingibt – über den Umfang der Mittel muss man differenziert reden –,
auch die Verantwortung dafür dort wahrgenommen werden. Das ist die zweite Seite
dieser Medaille einer freiheitlichen Organisation der Finanzierung und inneren
Ausgestaltung unseres Gesundheitssystems.
Ich
möchte damit deutlich machen, dass ich die Hoffnung habe, am Ende dieses
Ärztetages möge eine solche Differenzierung hinsichtlich der Herausforderungen
und deren Lösungsansätzen stehen. Ich biete, soweit es an uns als
rheinland-pfälzische Landesregierung ist, ausdrücklich an, den Dialog zu
suchen, mit Ihnen gemeinsam nach Lösungen zu suchen, Übertreibungen und
Überzeichnungen von allen Seiten wegzulassen. Ich bekomme momentan jede Woche
ein paar Tausend Postkarten aus einem bestimmten Fachärztebereich, auf denen
kein Absender steht, bei denen nicht zu erkennen ist, wer sie unterschrieben
hat. Die Handschriften sind nicht zu entziffern. Was sollen wir damit machen?
(Zuruf)
– Wegwerfen hilft auch nicht
weiter. Ich möchte herzlich dazu einladen, dass man eine Basis schafft, an den
Problemen zu arbeiten – die Sorgen mögen ja begründet sein – und damit
Entscheidungen vorzubereiten, die auf eine möglichst breite Akzeptanz stoßen.
Das wollte ich Ihnen von Herzen mit
auf den schweren Weg dieser Tage mitgeben. Sie haben an einer schwierigen
Thematik zu arbeiten. Ich möchte Sie mit einem nochmaligen herzlichen
Willkommen auch auf das hinweisen, was Herr Hessenauer angesprochen hat: Es
lohnt sich, nach harter Arbeit diese Stadt zu erleben. Das gehört mit dazu.
Herzlich willkommen, einen guten
Ärztetag!
(Beifall)
(Hans Zeller: Mouse and Friends – Don Gillis:
Just a Closer Walk)
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