Prof. Dr. Dr. h. c.
Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen
Ärztetages und Präsident der Ärztekammer Nordrhein: Wir kommen zur
Verleihung der Paracelsus-Medaille der
deutschen Ärzteschaft. Auf Beschluss des Vorstands der Bundesärztekammer,
der auf dem Deutschen Ärztetag zu verkünden ist, werden jährlich mit der
Paracelsus-Medaille Ärztinnen und Ärzte ausgezeichnet, die sich durch
erfolgreiche berufsständische Arbeit, vorbildliche ärztliche Haltung oder
hervorragende wissenschaftliche Leistungen besondere Verdienste um das Ansehen
der Ärzteschaft erworben haben.
Der Vorstand der Bundesärztekammer
beschloss im Dezember 2008, auf dem 112. Deutschen Ärztetag mit der
Paracelsus-Medaille auszuzeichnen: Herrn Professor Dr. med. Rolf Bialas, Herrn
Professor Dr. med. Dr. h. c. Theodor Hellbrügge, Herrn Professor Dr. med. Fritz
Kümmerle und Herrn Professor Dr. med. Ernst Rebentisch. Ich bitte die Herren
auf die Bühne.
(Beifall)
Die Verleihungsurkunden haben
folgenden Wortlaut:
Der Vorstand der
Bundesärztekammer verleiht kraft dieser Urkunde dem um die deutsche Ärzteschaft
hochverdienten Rolf Bialas in
Hamburg, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, die Paracelsus-Medaille
der deutschen Ärzteschaft.
Die deutschen Ärztinnen und
Ärzte ehren in Rolf Bialas einen Arzt, der sich in einer Vielzahl von haupt-
und ehrenamtlichen Tätigkeiten herausragende Verdienste um das deutsche
Gesundheitswesen und die Ärzteschaft erworben hat. Als langjähriger Präsident
der Ärztekammer Hamburg hat er sich vorbildlich für die ärztlichen Belange
engagiert. Ein besonderes Anliegen war ihm die Alterssicherung der Ärzte. Am
Aufbau des Versorgungswerkes der Ärztekammer Hamburg war er maßgeblich
beteiligt und fungierte außerdem als Vorsitzender des Vorstandes der
Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen. Auch auf der
politischen Bühne in seiner Heimatstadt war er aktiv – als Mitglied der
Hamburger Bürgerschaft und Bausenator. Bialas hat sich um die medizinische
Versorgung der Bevölkerung, das Gesundheitswesen, die ärztliche
Selbstverwaltung und um das Gemeinwohl in der Bundesrepublik Deutschland in
hervorragender Weise verdient gemacht.
Bialas wurde am 2. Februar
1929 in Hamburg als einziger Sohn des Milchhändlers Ernst Bialas und seiner
Ehefrau Katharina geboren. Anfang 1945 wurde er zum Wehrdienst eingezogen und
geriet in Dänemark in Gefangenschaft. Nach dem Krieg kehrte er nach Hamburg
zurück und legte an der Oberschule für Jungen in Eimsbüttel seine Abiturprüfung
ab. 1948 begann der sportbegeisterte junge Mann – Bialas war damals
Handballspieler und -trainer beim Hamburger Sportverein – das Studium der
Humanmedizin in seiner Heimatstadt. 1954 absolvierte er das Staatsexamen und
wurde zum Dr. med. promoviert. Seine Dissertationsarbeit mit dem Thema „Soziale
Lage, Gesundheitszustand und Konstitutionstyp der Studierenden“ entstand am
Hygienischen Institut der Hansestadt Hamburg unter Leitung von Professor
Harmsen. Es folgte der Berufseinstieg als Assistenzarzt im Allgemeinen
Krankenhaus Barmbek. Dort arbeitete er in der Inneren Abteilung sowie in der
Chirurgie. Der ambitionierte Arzt strebte aber keine Klinikkarriere an, sondern
die Niederlassung. Nachdem er 1960 die Prüfung zum Facharzt für Innere Medizin
abgelegt hatte, führte er ab 1962 eine Privatpraxis und war als Vertrauensarzt
für die Landesversicherungsanstalt Hamburg tätig. 1978 erhielt er eine
Kassenzulassung und war bis 1993 als Vertragsarzt für seine Patienten da.
Schon früh setzte sich Bialas
auch für die Belange seiner Kolleginnen und Kollegen ein und engagierte sich in
der ärztlichen Selbstverwaltung. Seine berufspolitische Heimat ist der
Marburger Bund. Von 1962 bis 1974 war er Mitglied im Hamburger Landesvorstand.
Im Jahr 1966 wurde er Beisitzer im Vorstand der Ärztekammer Hamburg. Sein
besonderes Interesse galt der Alterssicherung der Ärzte durch berufsständische
Versorgungseinrichtungen. Am Aufbau des Hamburger Versorgungswerkes war er
maßgeblich beteiligt. Auch langwierige Auseinandersetzungen um die
Sinnhaftigkeit schreckten ihn nicht. Seine Eloquenz sei ebenso geschätzt wie
gefürchtet, schrieb das Hamburger Abendblatt einmal über ihn. Und so setzte er
in Hamburg schließlich die Gründung des Versorgungswerkes durch. 1971 wurde er
zum Vorsitzenden des Verwaltungsausschusses des Versorgungswerkes der
Ärztekammer Hamburg gewählt. Diese Tätigkeit unterbrach er, als er 1974
Hamburger Bausenator wurde. Bialas – seit 1965 FDP-Mitglied – engagierte sich
nämlich nicht nur in der ärztlichen Selbstverwaltung, sondern war auch auf der
politischen Bühne in seiner Heimatstadt aktiv. Seit 1970 saß er als Abgeordneter
in der Hamburger Bürgerschaft.
Nachdem die FDP 1978 bei den
Wahlen an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, kehrte er in seinen Beruf als Arzt
zurück. Ein Jahr bildete er sich zunächst im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek
fort, um auf neuestem Wissensstand seine Praxis weiterzuführen. Auch in die
Gremienarbeit in der ärztlichen Selbstverwaltung stieg er wieder ein. Aufgrund
seiner umfassenden Sachkompetenz wurde er 1982 erneut zum Vorsitzenden des
Verwaltungsausschusses des Hamburger Versorgungswerkes gewählt. In dieser
Funktion war er bis 2000 tätig.
Von 1986 bis 1994 war er
Präsident der Ärztekammer Hamburg. Ein wichtiges Anliegen war ihm die ärztliche
Fortbildung. In seiner Amtszeit wurde die Fortbildungsakademie der Ärztekammer
Hamburg gegründet. Als Kammerpräsident setzte er sich außerdem für eine
Stärkung der Geriatrie ein, deren Bedeutung er schon früh erkannt hatte. Er
scheute sich nie, auch Tabuthemen anzugehen und sich für Menschen am Rande der
Gesellschaft einzusetzen. Mit vollem Einsatz unterstützte er das
Methadonprogramm in Hamburg. In den ersten zehn Jahren dieses bundesweit
bedeutsamen Programmes baute die Ärztekammer Hamburg selbst drei
Drogenambulanzen auf und hatte während dieser Zeit ebenfalls die Trägerschaft
der Einrichtungen inne.
Bialas war immer davon
überzeugt, dass die Selbstverwaltung für das Gesundheitswesen und die
Gesellschaft unverzichtbar ist. „Die berufsständische Selbstverwaltung ist ein
wesentlicher Teil unseres freiheitlichen, demokratischen und sozialen
Rechtsstaates. Sie ist gleichzeitig ein gutes Beispiel für die
Funktionsfähigkeit unseres Gesellschaftssystems. Es beruht auf der Kreativität
des Einzelnen und der Freiheit in Verantwortung für den Nächsten. So sehe ich
in der berufsständischen Selbstverwaltung mehr als nur eine eigennützige
Interessenvertretung. Hier wird beispielhaft unsere freiheitliche Demokratie
gelebt“, sagte er 1991 in seiner Rede auf der Eröffnungsveranstaltung des 94.
Deutschen Ärztetages in Hamburg – dem ersten gesamtdeutschen Ärztetag nach der
Wende. Ein wichtiges Ziel war für ihn immer die Einheit der Ärzteschaft.
Als Präsident der Ärztekammer
Hamburg war er auch Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer (BÄK) in Köln. Von
1991 bis 1995 saß er dem Ausschuss „Gebührenordnung“ der BÄK vor. Außerdem setzte
er sich für die Qualitätssicherung ein – und zwar lange bevor dies gesetzlich
vorgeschrieben war. Er war unter anderem stellvertretender Vorsitzender des
Ausschusses „Qualitätssicherung in der ärztlichen Berufsausübung“ der BÄK.
Seine Kompetenz war stets über die Grenzen Hamburgs hinaus gefragt,
insbesondere seine Kenntnisse über die Alterssicherung von Ärzten. Von 1991 bis
1995 war er Vorsitzender der Ständigen Konferenz „Ärztliche Versorgungswerke
und Fürsorge“ der BÄK. 1988 wurde er stellvertretender Vorsitzender, 1992 dann
Vorsitzender des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer
Versorgungseinrichtungen (ABV) – ein Amt, das er bis zum Jahr 2000 innehatte.
In seine Amtszeit fiel unter anderem die gelungene Integration der in den neuen
Bundesländern gegründeten Versorgungswerke in die ABV.
Bialas hat eine Vielzahl von
ehrenamtlichen Funktionen ausgeübt. Verpflichtet fühlte er sich der Prävention
und der Förderung von sozial benachteiligten Kindern. Als 1992 die
Gesundheitsförderungskonferenz (GFK) gegründet wurde – ein Zusammenschluss von
mehr als 50 Hamburger Vereinen, Verbänden, Krankenkassen, Kammern und Behörden
–, wurde er deren Vorsitzender. Später stand er an der Spitze der
Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung, in die die GFK aufging. Von 1993
bis 2005 war er zudem alternierender Vorsitzender des Vorstandes der
Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege.
Für sein vielfältiges,
unermüdliches und erfolgreiches Engagement erhielt er zahlreiche
Auszeichnungen, darunter die Ehrenschale der Arbeitsgemeinschaft
berufsständischer Versorgungseinrichtungen. In Anerkennung seines Lebenswerkes
verlieh ihm der Hamburger Senat 1997 den Ehrentitel „Professor“. Bialas ist
ebenfalls Ehrenvorsitzender des Versorgungswerkes der Ärztekammer Hamburg.
„Immer und überall unter
Dampf“ – so charakterisierte ihn einst der Hamburger Journalist Max Conradt. An
dieser Grundeigenschaft hat sich nicht viel geändert. Bis heute ist er
vielseitig interessiert und befasst sich unter anderem mit medizinischen
Themen, Politik, Geschichte und Literatur. Auch mit 80 Jahren ist er noch
sportlich aktiv. Seit fast 52 Jahren steht ihm seine Ehefrau Dorothea zur
Seite. Er hat vier Kinder und elf Enkel. Zwei seiner Söhne haben wie er den
Arztberuf ergriffen.
Rolf Bialas hat sich mit
seinem langjährigen Engagement in der ärztlichen Selbstverwaltung und der
Hamburger Landespolitik sowie in seiner internistischen Tätigkeit
außerordentliche Verdienste erworben. Sein Einsatz für ein freiheitliches,
selbstverwaltetes Gesundheitswesen, besonders aber für die berufsständischen
Versorgungswerke ist vorbildlich. Bialas hat sich um die Gesundheitsversorgung
der Bevölkerung, die deutsche Ärzteschaft und um das Gemeinwohl in
herausragender Weise verdient gemacht.
112. Deutscher Ärztetag in
Mainz, 19. Mai 2009, Vorstand der Bundesärztekammer, Präsident
(Beifall)
Der Vorstand der
Bundesärztekammer verleiht kraft dieser Urkunde dem um die deutsche Ärzteschaft
hochverdienten Theodor Hellbrügge in
Inning, Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult., Facharzt für
Kinderheilkunde, die Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft.
Die deutschen Ärztinnen und
Ärzte ehren in Theodor Hellbrügge einen Arzt, der sich in seiner langjährigen
ärztlichen und wissenschaftlichen Tätigkeit sowie mit seinem ehrenamtlichen
Engagement herausragende Verdienste um das deutsche Gesundheitswesen und die
Ärzteschaft erworben hat. Er zählt zu den Pionieren der Sozialpädiatrie und war
Inhaber des ersten Lehrstuhls für dieses Fachgebiet in Deutschland. Das von ihm
gegründete Kinderzentrum München ist Vorbild für mehr als 200
sozialpädiatrische Zentren im In- und Ausland. Mit seinen wissenschaftlichen
Arbeiten zur kindlichen Entwicklung sowie seinem außerordentlichen Einsatz für
die Frühdiagnostik und interdisziplinäre Frühförderung erlangte er weltweit
großes Ansehen. Hellbrügge hat sich um die medizinische Versorgung der
Bevölkerung, das Gesundheitswesen, die ärztliche Selbstverwaltung und um das
Gemeinwohl in der Bundesrepublik Deutschland in hervorragender Weise verdient
gemacht.
Hellbrügge wurde am 23.
Oktober 1919 in Dortmund als Sohn des praktischen Arztes Theodor Hellbrügge und
seiner Ehefrau Johanna geboren. Er wuchs mit sechs Geschwistern auf. Im Zweiten
Weltkrieg wurde er zunächst als Kanonier in einem Artillerieregiment
eingesetzt. Da er in seinem Abiturzeugnis vermerkt hatte, dass er Medizin
studieren wollte, versetzte man ihn in die Sanitätsabteilung nach Münster. An
der dortigen Universität schrieb er sich 1940 für das Fach Humanmedizin ein.
Nach dem Physikum wurde er als Feldunterarzt nach München versetzt. 1944 legte
er das Staatsexamen ab und wurde zum Dr. med. promoviert. Seine
Dissertationsarbeit „Experimentelle Untersuchungen am Braun Pears-Tumor“
erstellte er am Pathologischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität
(LMU) München. 1945 trat er seine erste Stelle an der Universitäts-Kinderklinik
in München an. Als unbezahlter Volontärarzt musste der Familienvater die Zeit
außerhalb des Dienstes nutzen, um Geld zu verdienen. Unter anderem war er für
das Münchner Gesundheitsamt tätig und hielt Mütterberatungen ab. Im Winter
1945/46 machte er eine Beobachtung, die seine weitere Laufbahn prägen sollte:
In der Mütterberatung Thalkirchen traf er auf mehrere Kinder im Alter von etwa
zwei Jahren. Diese fielen ihm zunächst durch ihre hübsche Physiognomie auf.
Doch beim näheren Hinsehen sah der junge Arzt: Die Kinder waren alles andere
als normal. Sie sprachen noch kein Wort, zeigten eine retardierte Motorik und
waren nicht imstande, selbstständig mit dem Löffel zu essen. Außerdem waren die
Kinder sehr ängstlich und schrien, wenn Hellbrügge sich ihnen näherte. Das
Krankheitsbild fand er in keinem pädiatrischen Lehrbuch, er nannte es
„Deprivationssyndrom“. Später erfuhr er, dass die Kinder kurz nach ihrer Geburt
in Heimen untergebracht worden waren. Der Mangel an Zuwendung – so schien es –
war ein wesentlicher Grund für die Fehlentwicklung. Das Schicksal dieser Kinder
ließ den Pädiater nicht mehr los. Der Grundstein für sein Interesse an
Frühdiagnostik und -förderung von Säuglingen und Kindern war gelegt.
1951 legte er seine
Facharztprüfung ab. Seine Habilitationsschrift mit dem Thema „Konnatale
Toxoplasmose“ verfasste er 1954 als Oberarzt an der
Universitätskinderpoliklinik München unter Leitung von Professor Weber. 1960
wurde er zum außerplanmäßigen Professor der LMU ernannt. Er gründete die
Forschungsstelle für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin aus der später das
Institut für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin entstand und das er viele
Jahre leitete. Im Jahr 1976 erhielt er den Ruf auf den ersten Lehrstuhl für
Sozialpädiatrie in Deutschland an der LMU. Gemeinsam mit seinen Mitstreitern
entwickelte er ein Verfahren zur Erkennung von Entwicklungsstörungen, die
„Münchener Funktionelle Entwicklungs-Diagnostik“ – ein Instrument, das in 36
Sprachen übertragen worden ist. Mit seinem Konzept der
„Entwicklungs-Rehabilitation“ fand er international Beachtung. Dem Konzept
zugrunde liegt die Erkenntnis, dass das kindliche Gehirn mit seiner enormen
Plastizität eine große Fähigkeit zur Anpassung hat. Entwicklungsrückstände
können so durch frühzeitige Intervention ausgeglichen werden. Hellbrügge
propagiert deshalb eine Frühdiagnostik, interdisziplinäre Frühtherapie über die
Eltern sowie die soziale Integration in die Familie und später in den
Kindergarten. Sein Einsatz für die Frühdiagnostik hat zur Einführung der heute
üblichen Vorsorgeuntersuchungen für Kinder maßgeblich beigetragen.
Das Ziel, Behinderung zu
verhindern oder abzumildern, verfolgt auch das Kinderzentrum München, das 1974
auf Initiative Hellbrügges entstand. Krönung seines Lebenswerkes war der Neubau
des Zentrums in der Nähe des Klinikums Großhadern, den er beharrlich gegen
viele Widerstände durchsetze. Bis dahin war die Institution provisorisch an
verschiedenen Stellen untergebracht. Das Kinderzentrum war die erste
interdisziplinäre Einrichtung mit pädiatrischem, psychologischem und
heilpädagogischem Angebot unter einem Dach.
Beeinflusst von Maria
Montessori gab er auch der Heilpädagogik neue Impulse, legte dabei sein
Augenmerk auf die Frühförderung von Säuglingen sowie die gemeinsame Erziehung
von Behinderten und Nichtbehinderten in Kindergärten und Schulen. Im Rahmen des
Kinderzentrums entstand der erste integrative Montessori-Kindergarten in
Deutschland.
Als Kliniker und Forscher fand
Hellbrügge große Beachtung. Sein wissenschaftliches Werk umfasst mehr als 1000
Publikationen, darunter 26 in Buchform. Zuletzt erschien die Buchreihe über
„Bindung“, zu der auch der Titel „Der Säugling – Bindung, Neurobiologie und
Gene“ gehört. Auch seine chronobiologischen Untersuchungen bei Kindern sind
international anerkannt. Darüber hinaus war er viele Jahre unter anderem
Schriftleiter der Zeitschriften „Fortschritte in der Medizin“ und „Der
Kinderarzt“. Von 19 ausländischen Universitäten hat er die Ehrendoktorwürde
erhalten und ist unter anderem Honorarprofessor der russischen Akademie der
Wissenschaften in Moskau.
Hellbrügge fühlte sich aber
nicht nur der Tätigkeit als Arzt und Forscher verpflichtet, sondern setzte sich
stets dafür ein, dass die Erkenntnisse aus seiner Arbeit auch in die Praxis
umgesetzt werden konnten. Er prägte durch seinen Einsatz auch die
Rahmenbedingungen zur Förderung von Kindern. Schon 1968 gründete er die „Aktion
Sonnenschein – Hilfe für das mehrfach behinderte Kind“. Damit beschritt er
einen neuen Weg in der Behindertenhilfe, denn nicht die spezifische Schädigung
stand dabei im Vordergrund, sondern das Kind selbst. Kernstück der Aktion
Sonnenschein sind die pädagogischen Einrichtungen, in denen Behinderte oder von
Behinderung bedrohte Kinder gefördert werden. Ein wichtiges Anliegen ist dabei
auch die Integration von Kindern mit und ohne Behinderung.
1991 gründete er die
Theodor-Hellbrügge-Stiftung zur Förderung der Sozialpädiatrie in Wissenschaft,
Forschung und Lehre, die – nachdem die LMU den Lehrstuhl für Sozialpädiatrie
und Jugendmedizin abgeschafft hat – nun den Stiftungslehrstuhl an der
Technischen
Universität finanziert. Darüber hinaus unterstützt die Stiftung die
Entwicklungs-Rehabilitation in Deutschland sowie im Ausland und fördert den
Aufbau von Einrichtungen nach dem Vorbild des Kinderzentrums München. Ein Ziel
der Arbeit ist die Aus-, Weiter- und Fortbildung von Fachkräften – unter
anderem aus der Medizin, der Pädagogik und der Psychologie.
Für seinen unermüdlichen
Einsatz erhielt er mehr als 40 Ehrungen, darunter den Moro-Wissenschaftspreis,
den Theodor-Heuss-Preis, den Pestalozzipreis als höchste pädagogische
Auszeichnung, das Große Bundesverdienstkreuz, den Bayerischen Verdienstorden
und die Ernst-von-Bergmann-Plakette der Bundesärztekammer. Er ist unter anderem
Ehrenpräsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und wurde mit dem
Otto-Heubner-Preis der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
geehrt.
Auch mit 89 Jahren ist er den
von ihm gegründeten Einrichtungen mit Vitalität und großem Engagement
verbunden. Besonders für die Theodor-Hellbrügge-Stiftung und die Internationale
Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation ist er aktiv. Seit nunmehr 66 Jahren
steht ihm seine Ehefrau Jutta zur Seite. Er hat sechs Kinder, 15 Enkel und zehn
Urenkel.
Theodor Hellbrügge hat sich
außerordentliche Verdienste um die Pädiatrie erworben. Die wachsende Bedeutung
der Sozialpädiatrie hat er früh erkannt. Sein Einsatz für die Frühdiagnostik
und die interdisziplinäre Frühförderung von Behinderten sowie von Behinderung
bedrohten Kindern sind mehr als vorbildlich. Ihm ist es zu verdanken, dass
unzählige Kinder vor lebenslangen Einschränkungen bewahrt wurden oder das
Ausmaß von Behinderung abgemildert wurde. Hellbrügge hat sich um die
Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, die deutsche Ärzteschaft und um das
Gemeinwohl in herausragender Weise verdient gemacht.
112. Deutscher Ärztetag in
Mainz, 19. Mai 2009, Vorstand der Bundesärztekammer, Präsident
(Beifall)
Der Vorstand der
Bundesärztekammer verleiht kraft dieser Urkunde dem um die deutsche Ärzteschaft
hochverdienten Fritz Kümmerle in
Mainz, Prof. Dr. med., Facharzt für Chirurgie, die Paracelsus-Medaille der
deutschen Ärzteschaft.
Die deutschen Ärztinnen und
Ärzte ehren in Fritz Kümmerle einen Arzt, der sich in seiner langjährigen
klinischen und wissenschaftlichen Tätigkeit herausragende Verdienste um das
deutsche Gesundheitswesen und die Ärzteschaft erworben hat. 22 Jahre war er
Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik und Poliklinik in Mainz.
Besonders an der Entwicklung der Viszeralchirurgie und endokrinologischen
Chirurgie hatte er großen Anteil. Außerdem begründete er die moderne
Herzchirurgie in Mainz und setzte schon sehr früh die Technik der
Herz-Lungen-Maschine ein. Als Kliniker und Forscher fand er große Anerkennung,
aber auch die Förderung des chirurgischen Nachwuchses sowie die Weiter- und
Fortbildung war ihm stets ein wichtiges Anliegen. Kümmerle hat sich um die
medizinische Versorgung der Bevölkerung, das Gesundheitswesen, die ärztliche
Selbstverwaltung und um das Gemeinwohl in der Bundesrepublik Deutschland in
hervorragender Weise verdient gemacht.
Kümmerle wurde am 14. Februar
1917 in Göppingen als jüngstes von sieben Kindern des Metzgermeisters Friedrich
Kümmerle und seiner Ehefrau Martha geboren. Im Jahr 1936 legte er seine
Abiturprüfung ab, wurde dann zum Reichsarbeitsdienst, später zum Wehrdienst
eingezogen. An der Universität Tübingen begann er 1938 das Studium der Humanmedizin,
das er in Königsberg, Wien und München fortsetzte. Dazwischen war er an der
russischen Front eingesetzt. Das Staatsexamen legte er 1942 in Tübingen ab.
Dort wurde er auch zum Dr. med. promoviert. Seine Dissertationsarbeit mit dem
Titel „Die Wirkung des Histamins auf die Blutzusammensetzung“ entstand am
Pharmakologischen Institut der Universität Tübingen unter Leitung von Professor
Hafner. In der Folge wurde er als Regimentsarzt unter anderem in Italien
eingesetzt. Nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft begann er 1945 seine
chirurgische Weiterbildung. Zunächst war er als Assistenzarzt in der Chirurgie
des Kreiskrankenhauses Göppingen unter Dr. Pfeiffer tätig. 1948 wurde Professor
Krauss Leiter der Abteilung. Dieser hatte ebenfalls seine Karriere in Göppingen
unter Pfeiffer begonnen, war dann aber unter anderem als Oberarzt bei Professor
Sauerbruch in der Berliner Charité tätig gewesen. Die Begegnung mit Krauss war
für Kümmerle sicherlich prägend. Innerhalb kurzer Zeit wurde er zu seinem
Meisterschüler, legte 1951 seine Facharztprüfung ab und wurde Oberarzt. Er ging
mit seinem Lehrer nach Freiburg, als dieser 1952 einen Ruf auf den dortigen
Lehrstuhl für Chirurgie erhielt.
Kümmerle hatte nicht nur
Interesse an der praktischen Chirurgie, sondern auch am wissenschaftlichen
Arbeiten. Die Venia legendi für das Fach Chirurgie erhielt er 1954. Seine
Habilitationsschrift war ein experimenteller Beitrag mit dem Thema „Die
Chirurgie des plastischen Ersatzes der thorakalen Speiseröhre“. 1955 wurde er
Oberarzt und drei Jahre später erster Oberarzt der Chirurgischen Klinik. Die
Medizinische Fakultät der Universität Freiburg ernannte ihn im Jahr 1959 zum
außerplanmäßigen Professor. Noch in seiner Freiburger Zeit entstand die
Publikation „Chirurgie des Dünndarms“ – ein bis heute richtungsweisendes
Standardwerk.
Kümmerle genoss mittlerweile
weit über Freiburg hinaus großes Ansehen und erhielt einen Ruf auf den
Lehrstuhl für Chirurgie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Von 1963
bis 1985 war er Direktor der dortigen Chirurgischen Universitätsklinik und
Poliklinik. Sein Hauptarbeitsgebiet war die allgemeine Chirurgie mit
Schwerpunkt auf dem Gebiet der Bauchchirurgie und der endokrinologischen
Chirurgie. Insbesondere interessierte er sich für die Chirurgie der Bauchspeicheldrüse,
der Gallenwege und des Dünndarms. Er gehörte zu den ersten Chirurgen in
Deutschland, die eine partielle und totale Pankreatektomie wagten. Seine
Erfolge verschafften ihm national und international in Fachkreisen großes
Ansehen. Auch in der Herzchirurgie setzte er Maßstäbe und ist einer der
Vorreiter dieses Faches. Früh erkannte er das Potenzial der
Herz-Lungen-Maschine. Zu seinem Amtseintritt führte er die seinerzeit noch
abenteuerlich anmutende Technik der extrakorporalen Zirkulation in der Mainzer
Chirurgie ein und verschaffte der Einrichtung so einen Platz in dem Kreis der
Pionierkliniken der modernen Herzchirurgie in Deutschland.
Als Kümmerle seine Tätigkeit
in Mainz begann, war die Chirurgie eine große Einheit. Er beherrschte sie noch
in allen Sparten. Doch die Tatsache, dass er die verschiedenen Teilgebiete –
wie Unfallchirurgie, Urologie, Kinderchirurgie und schließlich auch die
kardiovaskuläre Chirurgie – während seiner Amtszeit in die Selbstständigkeit
überführte, zeugt von seiner Weitsicht. Andererseits widmete er sich auch
gerade den übergreifenden Problemen der Chirurgie. So ist er einer der Nestoren
der Intensivmedizin im Bereich der Chirurgie. Unter seiner Leitung entstand
beispielsweise am Mainzer Universitätsklinikum eine der ersten chirurgischen
Intensivstationen in Deutschland. Die Gründung der Arbeitsgemeinschaft für
Intensivmedizin der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie ist maßgeblich seiner
Initiative zu verdanken. Die Aus-, Weiter- und Fortbildung war ihm ebenfalls immer
ein wichtiges Anliegen. Aus der Mainzer Schule gingen zu seiner Zeit allein 40
Ordinarien und Chefärzte hervor. Seine Mahnung, genügend finanzielle Mittel in
die Weiterbildung und Förderung von Chirurgen zu investieren, ist heute
aktueller denn je.
Neben seiner umfangreichen
klinischen Tätigkeit hat er sich intensiv mit Fragen der Ethik in der Medizin
befasst und engagierte sich unter anderem in der Ethik-Kommission der
Landesärztekammer Rheinland-Pfalz. Sein besonderes Interesse galt der Ethik in
der chirurgischen Entscheidungsfindung und der Intensivmedizin. Außerdem
beschäftigte er sich mit dem Gesundheitswesen im Spannungsfeld zwischen Ökonomisierung
und Humanität. Bei seiner Abschiedsvorlesung 1985 sagte er: „Zwischen Wissen
und Gewissen, zwischen Technik und Humanität muss hinzukommen die Zuwendung des
Samariters, der Zeit hat für die Hilfesuchenden am Wegesrand – eine
Einstellung, die ebenso zeitlos ist wie Gesundheit und Krankheit.“ Zum Thema
Ethik und wissenschaftlicher Fortschritt hielt er zuletzt 2007 einen viel
beachteten Vortrag am Mainzer Universitätsklinikum.
Kümmerle kann auf ein
beachtliches Lebenswerk zurückblicken, was seine Tätigkeit als Kliniker und
akademischer Lehrer angeht, hat
aber auch als Forscher große Anerkennung erlangt. Er hat eine Vielzahl von
wissenschaftlichen Publikationen verfasst und ist Herausgeber zahlreicher
Bücher. Zudem war er unter anderem viele Jahre Mitherausgeber und engagierter
Schriftleiter der Deutschen Medizinischen Wochenschrift.
Neben seinen vielfältigen hauptamtlichen
Tätigkeiten, denen er während seiner Laufbahn nachgegangen ist, engagierte er
sich ebenfalls in vorbildlicher Weise in ehrenamtlichen Funktionen. So war er
beispielsweise in der Gutachter- und Schlichtungsstelle für ärztliche
Behandlungsfehler der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz aktiv. Auch in der
Deutschen Gesellschaft für Chirurgie engagierte er sich vorbildlich. 1973 wurde
er zum Präsidenten der Fachgesellschaft gewählt.
Für sein vielfältiges,
unermüdliches und erfolgreiches Engagement erhielt Kümmerle zahlreiche
Auszeichnungen, darunter die Ernst-von-Bergmann-Plakette der Bundesärztekammer
für seine Verdienste um die ärztliche Fortbildung. Darüber hinaus ist er
Senator auf Lebenszeit der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und damit Präsidiumsmitglied
dieser Fachgesellschaft. Zahlreiche Verbände und Vereinigungen haben ihn zum
Ehrenmitglied ernannt, unter anderem die Deutsche sowie die Österreichische
Gesellschaft für Chirurgie und die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und
Stoffwechselkrankheiten. Er ist Mitglied der renommierten Deutschen Akademie
der Naturforscher Leopoldina, Halle an der Saale, sowie der Académie de
Chirurgie in Paris.
Kümmerles Vitalität und
Tatkraft ist auch mit 92 Jahren ungebrochen. Er ist politisch und kulturell
sehr interessiert, verfolgt außerdem die Entwicklungen der medizinischen
Forschung. Seine Ehefrau Helga, die ebenfalls Ärztin war, starb 1993 bei einem
Unfall. Seine Tochter Annette ist promovierte Zahnärztin. Kümmerle hat zwei
Enkelkinder.
Fritz Kümmerle hat sich
während seiner aktiven Laufbahn als Kliniker, Lehrer und Wissenschaftler große
Verdienste um das Fach Chirurgie erworben. Besonders an der Weiterentwicklung
der Viszeralchirurgie und endokrinologischen Chirurgie hat er großen Anteil, er
begründete außerdem die Herzchirurgie in Mainz. Dabei verstand er sich stets
als Anwalt seiner Patienten. Kümmerle hat sich um die Gesundheitsversorgung der
Bevölkerung, die deutsche Ärzteschaft und um das Gemeinwohl in herausragender
Weise verdient gemacht.
112. Deutscher Ärztetag in
Mainz, 19. Mai 2009, Vorstand der Bundesärztekammer, Präsident
(Beifall)
Der Vorstand der
Bundesärztekammer verleiht kraft dieser Urkunde dem um die deutsche Ärzteschaft
hochverdienten Ernst Rebentisch in
Kronberg, Prof. Dr. med., Facharzt für Chirurgie, die Paracelsus-Medaille der
deutschen Ärzteschaft.
Die deutschen Ärztinnen und
Ärzte ehren in Ernst Rebentisch einen Arzt, der sich in seiner langjährigen
aktiven Tätigkeit herausragende Verdienste um das deutsche Gesundheitswesen und
die Ärzteschaft erworben hat. Als Generaloberstabsarzt und Inspekteur des
Sanitäts- und Gesundheitswesens hat er die Bundeswehr nachhaltig geprägt. Ein
besonderes Anliegen war ihm die Zusammenarbeit militärischer und ziviler
Einrichtungen, um die Versorgung der Bevölkerung im Katastrophenfall
sicherzustellen. So war er auch Mitbegründer und erster Präsident der Deutschen
Gesellschaft für Katastrophenmedizin. Darüber hinaus leitete er viele Jahre den
Ausschuss „Katastrophenmedizin“ in der Bundesärztekammer und war Mitglied des
Wissenschaftlichen Beirates. Rebentisch hat sich um die medizinische
Versorgung, das Gesundheitswesen, die ärztliche Selbstverwaltung und um das
Gemeinwohl in der Bundesrepublik Deutschland in hervorragender Weise verdient
gemacht.
Rebentisch wurde am 31. Januar
1920 in Offenbach am Main als jüngstes von sechs Kindern des Medizinalrates
Erich Rebentisch und seiner Frau Magdalene geboren. Sein Vater, Direktor des
Stadtkrankenhauses in Offenbach, starb, als Rebentisch acht Jahre alt war. Die
Familie zog nach Darmstadt, wo er 1937 seine Abiturprüfung ablegte.
Anschließend wurde er zum Reichsarbeitsdienst einberufen. Während des Zweiten
Weltkrieges war er im Truppen- und Stabsdienst eingesetzt – unter anderem ab
1944 als Major und Kommandeur einer Panzerabteilung sowie als Kampfgruppen- und
zeitweise Regimentsführer in Rumänien, Polen und Ungarn. Nach Verwundung und
längerer Lazarettbehandlung war er im Oberkommando des Heeres in Berchtesgaden
tätig. Es folgte die Internierung durch die Amerikaner.
Nach dem Krieg schrieb er sich
in München für das Fach Humanmedizin ein. Als ehemaliger Stabsoffizier wurde er
allerdings vorübergehend von der Universität verwiesen. Ende 1950 schloss er
das Studium jedoch mit der Note „sehr gut“ ab. Seine Assistentenzeit begann er
im Stadtkrankenhaus Offenbach, in dem auch schon sein Vater gewirkt hatte. Zwei
Jahre später wurde er von der Universität Mainz zum Dr. med. promoviert. Seine
Dissertationsarbeit mit dem Titel „Über die Wirkung des embryonalen Herzextraktes
in der Therapie schwerer Herzkrankheiten“ entstand unter Leitung von Professor
Cremer. Nachdem er Ende 1958 seine chirurgische Facharztprüfung abgelegt hatte,
bot man Rebentisch bereits Anfang 1959 eine Stelle als Oberarzt in der
chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses Gelnhausen an. Wenige Monate
später trat er in den Dienst der Bundeswehr ein, wo er eine beispiellose
Karriere begann.
Die Frankfurter Allgemeine
Zeitung attestierte ihm einmal „ungewöhnliche Talente“. Diese erkannte man auch
bei der Bundeswehr schon früh. Kaum begann er im Herbst 1959 seinen Dienst als
Oberstabsarzt, wurde er bereits Anfang 1960 zum leitenden Sanitätsoffizier beim
deutschen Bevollmächtigten im nördlichen NATO-Bereich berufen. In diesem Amt
arbeitete Rebentisch sehr erfolgreich mit den Sanitätsdiensten Dänemarks,
Norwegens und Großbritanniens zusammen. 1964 holte ihn das Bundesministerium
der Verteidigung als Referent nach Bonn. Drei Jahre sammelte er hier
Erfahrungen in der Politik und war für Planungs- und Führungsaufgaben des
Sanitätsdienstes, die zivil-militärische Zusammenarbeit in Katastrophenfällen
und die wehrmedizinische Koordination im Bündnis zuständig. Nach seiner
Beförderung zum Oberstarzt wurde er Divisionsarzt der 12. Panzerdivision.
Dort setzte er seine Kriegserfahrungen als Panzeroffizier mit dem Wirken im
damals weitgehend selbstständigen Sanitätsdienst erfolgreich um.
Weiter bestimmten die
Ausbildung des Sanitätspersonals, der zum Kurzwehrdienst einberufenen Ärzte und
der ersten von der Bundeswehr geförderten Medizinstudenten sowie die
Weiterbildung von Sanitätsoffizieren seine Tätigkeit. 1969 wurde er Generalarzt
und Kommandeur der Akademie des Sanitäts- und Gesundheitswesens der Bundeswehr
in München. Als solcher verantwortete die Ausbildung von mehr als 4000
grundwehrdienstleistenden Sanitätsoffizieren. In seinen Aufgabenbereich fielen
die wehrmedizinische Forschung sowie die Zusammenarbeit mit den Hochschulen und
anderen wissenschaftlichen Instituten bezüglich der Aus- und Fortbildung der
Sanitätsoffiziere. Internationale Anerkennung erlangte er während der
Olympischen Spiele 1972 in München, als er in vorbildlicher Weise den
Sanitätseinsatz leitete.
Die Bundeswehr hatte mit
Rebentisch einen außergewöhnlich engagierten Arzt für sich gewinnen können.
1973 wurde er Generalstabsarzt und Stellvertreter des Inspekteurs des Sanitäts-
und Gesundheitswesens, 1976 schließlich Generaloberstabsarzt und Inspekteur des
Sanitäts- und Gesundheitswesens der Bundeswehr. In dieser Funktion scheute er
sich nicht, auch auf Mängel hinzuweisen und Missstände zu thematisieren.
Besondere Verdienste erwarb er sich mit der Konzeption einer neuen Struktur für
das Sanitätswesen. Wichtig war ihm eine gute Zusammenarbeit des militärischen
Sanitätswesens und der zivilen Einrichtungen. Auch der Wissenschaft fühlte er
sich verpflichtet. Die Technische Universität München ernannte ihn 1975 zum
Honorarprofessor für Wehr- und Katastrophenmedizin. Aus seiner Feder stammen
rund 100 Publikationen zu wehr- und katastrophenmedizinischen Themen. Hinzu
kommen zahlreiche Arbeiten, die der Geheimhaltung unterliegen.
1980 schied er aus dem aktiven
Dienst bei der Bundeswehr aus. Doch für die Sicherheit der Bevölkerung setzte
er sich auch danach aktiv ein. So war er Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft
für Katastrophenmedizin und wurde deren erster Präsident. Ebenfalls 1980 wählte
man ihn auch zum Leiter des Ausschusses „Katastrophenmedizin“ der
Bundesärztekammer – ein Amt, das er bis 1991 innehatte. In dieser Zeit
engagierte er sich auch als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der
Bundesärztekammer. Seine umfassenden Kenntnisse waren außerdem in der Politik
gefragt: Seit 1982 war er ständiger Gast der Schutzkommission des
Bundesministers des Innern.
Mit seinen Auffassungen stieß
Rebentisch zur damaligen Zeit auf Widerstand, wovon er sich allerdings nicht
beirren ließ. Die um 1980 gegründete deutsche Sektion der Initiative
„Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges“ (IPPNW) warf den um den
medizinischen Katastrophenschutz bemühten Ärzten Kriegstreiberei vor und
verweigerte in der sogenannten Frankfurter Erklärung jede Form
„kriegsmedizinischer“ Fortbildung. Die Folgen einer nuklearen Katastrophe seien
medizinisch nicht zu beherrschen. Rebentisch stellte dagegen fest, dass kein
Arzt den Atomkrieg wolle, es aber dennoch in einer ausschließlich von der
Politik zu verantwortenden nuklearen Auseinandersetzung hilfsbedürftige
Überlebende geben werde. Jeder approbierte Arzt habe dann die Pflicht, diesen
Mitmenschen zu helfen, solange er dazu in der Lage sei. Katastrophenmedizin sei
kein Mittel, um einen Krieg führbar zu machen. Im Falle einer Katastrophe – ob
nun ziviler oder militärischer Natur – komme es darauf an, planvoll
medizinische Hilfe zu leisten, um die Bevölkerung so gut wie möglich zu
versorgen. Ethische Bedenken der IPPNW und anderer Ärzte gegen den Vorschlag,
bei gleichzeitigem Anfallen einer großen Zahl von Schadensopfern die ärztliche
Hilfe nach Sichtung und Dringlichkeit zu leisten, wies Rebentisch zurück. Das
heute geltende Prinzip des Einsatzes leitender Notärzte und der Sichtung bei
verlustreichen Unfällen und Katastrophen bestätigt seine damaligen Forderungen.
Rebentisch ist auch mit heute
89 Jahren noch aktiv. Er geht viel spazieren, reist gern und betreibt unter
anderem Familienforschung. Seit 55 Jahren ist er verheiratet. Er hat einen Sohn
und zwei Enkelkinder.
Ernst Rebentisch hat sich
während seiner aktiven Laufbahn besondere Verdienste um das Sanitäts- und
Gesundheitswesen der Bundeswehr erworben und dort Maßstäbe gesetzt. Sein
Engagement ging aber weit darüber hinaus. Ein besonderes Anliegen war ihm stets
die Katastrophenmedizin und somit auch die Sicherung der gesamten Bevölkerung.
Rebentisch hat sich um die Gesundheitsversorgung in Deutschland, die
Ärzteschaft und um das Gemeinwohl in herausragender Weise verdient gemacht.
112. Deutscher Ärztetag in
Mainz, 19. Mai 2009, Vorstand der Bundesärztekammer, Präsident
(Beifall)
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