Dr.
Junker, Westfalen-Lippe: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich will Ihnen als Verantwortlicher für eine Bezirksstelle im südlichen
Sauerland ein wenig von den Dingen vor Ort erzählen. Die Stimmung der Ärzteschaft
ist charakterisiert durch Frustration, Desillusioniertheit, Demotivation,
Entwürdigung, wütend und gereizt, mit unsinniger Bürokratie überlastet, besorgt
auch um die zunehmende Gefährdung des Vertrauens- und des Datenschutzes des
Patienten.
Der Spagat zwischen „Der Arzt darf
alles, was er für nötig hält“ und dem Regress, der Billigmedizin, der Haftung
für Fehler und schlechte Versorgung wird einfach nicht mehr ausgehalten.
Für höheren Einsatz wird man
bestraft. Wir wissen alle: Über 150 Prozent gibt es keine gerechte Bezahlung.
Sollen wir diese Patienten denn abweisen?
Die Arbeits- und Lebensbedingungen
vor Ort sind oft geprägt vom Einsatz der ganzen Familie, auch am Wochenende:
Telefondienst der Ehefrau und Kinder, Verzicht auf Freizeit mit der Familie.
Früher gab es das auch; das habe
ich selbst erlebt. Aber da stimmte noch die Anerkennung der Würde des Berufs.
Da war man noch frei in seinen Entscheidungen, in seiner Verordnung. Da war man
noch ein freier Beruf. Es gab auch noch den Spruch, der wirklich galt: Leistung
lohnt sich. Wer heute teure Medikamente vom Facharzt, vom Spezialisten
übernimmt, liegt gleich über dem Durchschnitt, kommt in den Regress. Wer
Heilmittel übernimmt – auch das wird hin und her geschoben –, kommt auch wegen
Überschreitung in die Regressgefahr.
Die einzigen Ratschläge der
Prüfungsausschüsse lauten: Lassen Sie das doch den Facharzt ausschreiben!
Dadurch wird das System aber nicht billiger; der Patient wird belastet und die
Koordination untereinander fehlt.
Es gibt auch kein Interesse mehr,
den hausärztlichen Nachwuchs generell auszubilden. Es ist doch eine Kette: Der
Krankenhausarzt ist überlastet, hat keine Zeit für den „Lehrling“, die
Niedergelassenen sind demotiviert. Wo soll der junge Kollege noch ärztliche
Ethik vorgelebt bekommen oder auch noch lernen?
Die zunehmende Bürokratie ist
meistens unsinnig, erzeugt nur statistischen Müll und nimmt Zeit für die
Patienten weg. Nicht einmal unsere Gesundheitsuntersuchungen oder
Krebsvorsorgen sind evaluiert worden; wir dürfen sie im Keller stapeln.
Gestern wurden in der
KBV-Vertreterversammlung Krokodilstränen geweint über die negativen
Auswirkungen der Pauschalierungen. Aber Selbstkritik ist denen, die das nicht
nur zugelassen, sondern aktiv implementiert haben, fremd.
(Beifall)
Viele Probleme sind leider
hausgemacht, selbst verschuldet. Das wirft uns die Politik ja auch genüsslich
vor. Bei Zerstörung des Systems ist die Drohung mit Generalstreik sinnlos. Die
unzähligen ehrenamtlich tätigen Ärzte in den gemeinsamen Selbstverwaltungsgremien
– wir haben gestern gehört: über 800 allein in den Prüfungsgremien – hätten
längst ihre Mitarbeit aufkündigen sollen. Dann hätte man gemerkt: Ohne uns geht
es eben nicht. Das hätte keinem Patienten geschadet.
„Handeln statt verweigern“, das tönt
noch immer in meinen Ohren. Wo war das Handeln? Jetzt bleibt uns doch nur noch
das Verweigern.
Endlich fordert auch die KBV die
Einzelleistungsvergütung. Herr Köhler sagt: Wir brauchen einheitliche
Forderungen an die Politik und die Krankenkassen. Aber mit quartalsweise
vorgenommenen Schwenks der KBV schaffen wir das nie. Das ist den Ärzten draußen
schon gar nicht mehr vermittelbar.
Heute werden wir beschimpft als
Beutelschneider, als jammernde Großverdiener, sogar als Geiselnehmer der
Patienten, als wären wir Verbrecher. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese
Debatte sind wir gründlich leid! Nicht nur das: Bisher war das Burn-out wegen
Helfersyndrom – im Übrigen haben wir aufgrund unserer Berufe die höchste
Trefferrate beim Selbstmord –; heute beruht die Burn-out-Rate hauptsächlich auf
Existenznot und Entwürdigung. 80 Prozent der vorzeitigen Berentungen von Ärzten
sind psychologischen Ursprungs.
Aber schlimmer als die schlechte
Bezahlung ist der nicht auszuhaltende Spagat, die Patienten nicht ausreichend wegen
hohem Druck und wegen Gängelung durch verknappte Ressourcen versorgen zu
können, ihnen aber eine heile Gesundheitswelt vorzuspielen. Es stehen nicht
mehr der Patient und die Gesundheit im Vordergrund, sondern die Ökonomisierung,
die Rationierung mithilfe der Ärzte.
Welche Zukunft haben wir? Wir
wissen, dass im letzten Jahr über 2 600 Ärzte Deutschland verlassen haben.
Die Bochum-Studie zeigt, dass 70 Prozent der Studenten wegwollen. Weniger als
50 Prozent derjenigen, die ihr Studium abschließen, gehen in den kurativen
Beruf. Warum gehen sie weg? Im Ausland gibt es bessere Bezahlung, bessere
Freizeitmöglichkeiten, mehr Anerkennung.
Bei allen schönen, auch von unserem
Minister Laumann vorgeschlagenen Verbesserungen durch Stipendien usw.:
Politiker berücksichtigen nicht, dass alle Verbesserungen nicht in der
politischen Zeitrechnung von vier Jahren wirksam werden, sondern mindestens
sechs Jahre brauchen, damit sich überhaupt der Beginn einer Verbesserung zeigt.
Wir brauchen ja nun einmal mindestens elf Jahre.
Die Verknappung ärztlicher
Kompetenz ist eine Herausforderung für alle: für Politik, Land und Kommunen. Je
kleiner die Kommune, desto größer ist das Problem, desto größer die
Herausforderung, denn der Mangel ist schon da. Durch die schlechte Bezahlung werden
notgedrungen Termine hinausgeschoben, Praxiszeiten verkürzt, Zuwendungen
verkürzt.
Wettbewerb kann nicht um
Krankheiten geführt werden. Eingruppierungsexzesse bei DRGs und auch bei der
Übernahme des Morbiditätsrisikos durch die Krankenkassen im RSA zeigen, dass
dieser ökonomische Wettbewerb krank ist, ja krank macht. Er schadet den
Patienten. Das muss geändert werden.
Unser Altbundespräsident Rau hat
auf dem Ärztetag in Eisenach gesagt – ich habe es noch gut im Ohr –: Der
Patient ist kein Kunde, die Krankheit ist keine Ware. Daran sollte die Politik
mal wieder denken.
Statt der Behinderung der
Versorgung muss es eine unmittelbare Förderung der Patientenversorgung geben:
nicht Billigheimer und die Verlagerung ärztlicher Leistungen auf medizinische
Hilfsberufe, sondern qualifizierte Bezahlung für qualifizierte Arbeit. Nicht
umsonst hat Deutschland in Brüssel auf den Facharztstatus bei der ärztlichen
Versorgung gedrungen und das auch durchgesetzt. Die Delegation ärztlicher
Tätigkeiten auf medizinische Hilfsberufe ist sicher notwendig und sinnvoll,
aber unter der Steuerung durch behandelnde Ärzte.
Unsere Arzthelferinnen, denen wir
und die Patienten vertrauen, müssen meines Erachtens auch nicht mehr 160
Stunden oder gar wie in Sachsen 500 Stunden zusätzlich teure Lehrstunden
ableisten – wer bezahlt sie übrigens? –, sondern wären sofort einsetzbar, aber
nicht zum Nulltarif. Wir brauchen keine Fremddienstleister, auch nicht aus
Kostengründen. Arzthelferinnen, Pflegeberufe, Krankenschwestern und alle
anderen im Gesundheitswesen sind schon Niedriglohngruppen. Sie sollten für ihre
hohe Leistung besser bezahlt werden, nur geht das im Moment leider nicht.
Außerdem müssen wir die veränderte
Geschlechterverteilung berücksichtigen. Es wurde bereits gesagt, dass schon über
70 Prozent der Studierenden weiblich sind, die hinterher keine Vollzeitstelle
und auch keine eigene Praxis haben wollen.
Unsinnige Werbekampagnen des
Bundesministeriums für Gesundheit statt Leistungen für Patienten brauchen wir
auch nicht. Wer auf Menschen hört, braucht keine Reklame.
Was fordern wir jetzt? Wir müssen
bereits beim Medizinstudium anfangen. Ich wiederhole frühere Forderungen auch
der Ärztetage: Die ZVS ist überholt, die Universitäten müssen andere
Auswahlkriterien zugrunde legen als die Zensur. Die Universitäten setzen das
nicht um, müssen also dazu gezwungen werden, damit es weitergeht.
Wir brauchen ein neues Gesetz; das
Vertragsarztänderungsgesetz löst nur wenig Probleme, schafft eher neue. Im
Grunde genommen hat man im Moment auch das Gefühl, dass die Sozialgesetzgebung
eher gegen die Patienten und gegen die Ärzte eingestellt ist, als dass sie eine
Verbesserung der Versorgung ermöglicht.
Auch Pflegestützpunkte sind Unsinn.
Darauf können wir gut verzichten.
Die E-Card – darüber werden wir ja
auch noch reden – ist in ihrer jetzigen Form sicherlich unsinnig. Deshalb
sollten wir auch ein Datenschutzgesetz für Heilberufe fordern.
Wir brauchen endlich eine
leistungsgerechte Vergütung. Sie sollte eine Einzelleistungsvergütung sein.
Immerhin ist die KBV jetzt auch auf diesem Dampfer. Der Patient sollte endlich
selbst über die Gesundheitsleistungen entscheiden, die er fordert.
Zum Schluss: Ich möchte eigentlich
wieder einmal Arzt sein – ich habe das in meiner Anfangszeit noch erlebt –, mit
persönlicher Vertrauensbeziehung zum Patienten, der meine Qualität auch
kontrolliert, unbehelligt von Krankenkassenangestellten, von Behörden, auch von
der KV in dieser Hinsicht, von politischen Ideologinnen und Ideologen, sondern
nur auf meinen medizinischen Beruf bezogen, aber auch mit einigermaßen
gesicherten Existenzmöglichkeiten, und dabei nur mit der Qualität meiner
Leistung im Wettbewerb mit anderen Kollegen.
Das ist gesunder Wettbewerb und das
muss der mündige Patient selber kontrollieren.
Ganz zum Schluss: Ist es anmaßend,
wenn wir Ärzte oder die Gesundheitsberufe insgesamt für das Wichtigste des
Bürgers, die Erhaltung der Gesundheit, eine angemessene Bezahlung fordern,
solange uns die Politik die Geldmenge bestimmt und nicht der Bürger selber?
Deshalb gestehen wir unseren Abgeordneten ja ein vernünftiges Salär zu, damit
sie ohne Lobbyismus und hochbezahlte Aufsichtsratsposten frei und unabhängig
für uns entscheiden können.
Vielen Dank.
(Vereinzelt Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h.
c. Hoppe: Vielen Dank, Herr Junker. – Jetzt möchte Herr Dr. Lutz einen
Geschäftsordnungsantrag stellen. Er hat ihn schriftlich eingereicht.
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