Prof.
Dr. Dr. habil. Dietrich, Bayern: Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Der Tagesordnungspunkt, den wir jetzt beraten, heißt „Gesundheits- und
Sozialpolitik“. Was ich bisher gehört habe, war: Abrechnung, Einzelleistung,
KV, Hausarztvertrag. Das sind alles Sachen, die ich fürchterlich langweilig und
uninteressant finde und die für die Bevölkerung überhaupt keine Bedeutung
haben. Meiner Ansicht nach geht es nur ums Geld. Wir werden uns weiterhin ins
Abseits diskutieren, wenn wir unter dem Stichwort „Gesundheits- und
Sozialpolitik“ nur übers Geld oder unser Einkommen reden. Das zum Ersten.
(Beifall)
Zum Zweiten. Herr Hoppe, ich habe
Ihren Vortrag heute mit großem Interesse wahrgenommen. Uns unterscheidet eines:
das Vertrauen in das Gutsein des Menschen und vor allen Dingen auch in die Güte
des Arztes. Ich glaube einfach nicht das, was Sie sagen. Die Priorisierung, die
Sie jetzt ankündigen, findet doch schon statt, die haben wir doch schon lange.
Wir wissen, dass Kassenpatienten zum Quartalsende nicht mehr bezahlt werden.
Wir wissen, dass bestimmte kassenärztliche Leistungen heute schon illegal – ich
sage: illegal – gegen Bargeld und Vorkasse abgerechnet werden.
Wir haben die Zweiklassenmedizin,
wir haben die Priorisierung, die durch die Kassenärzte durchgeführt wird, die
illegal ist, die aber praktiziert wird.
Wenn Sie heute sagen „Wir brauchen
die Priorisierung“, dann legitimieren Sie letztlich dieses Vorgehen. Letztlich
kann jetzt jeder Arzt sagen: Mein Präsident hat doch gesagt, wir können nicht
alles machen; lieber Patient, ich kann auch bei dir nicht mehr alles machen,
aber wenn du mir 50 Euro rüberschiebst, dann kann ich es machen.
Herr Hoppe, lesen Sie einmal den IGeL-Katalog
eines großen süddeutschen Laborunternehmens, das mit „S“ anfängt. Dort können
Sie nachlesen, was es alles gäbe, wenn man bezahlen würde:
Herz-Kreislauf-Prophylaxe, erweiterte Kolonkarzinomprophylaxe,
Stressprophylaxe, was immer Sie wollen. All dieses Zeugs könnten Sie dem
Patienten mit der Argumentation andrehen: Mein Präsident, der Herr Hoppe, hat
gesagt, wir müssen priorisieren. Das ist nicht so wichtig, also zahle es
selber.
Das heißt, wir müssen erst einmal
vor der eigenen Haustüre kehren, wir müssen erst einmal sehen, was bei uns im
Gesundheitswesen eigentlich schiefläuft, warum wir das drittteuerste
Gesundheitswesen der Welt haben. Ob es 6,5 oder 11 oder 12 Prozent ausmacht,
ist egal, es ist das drittteuerste Gesundheitswesen der Welt.
Wir müssen uns fragen: Was können
wir anders machen? Ich sehe: Wir haben Herzkatheter, dass es nur so kracht, wir
haben MRs, dass es nur so kracht. Für den größten Skandal halte ich: Die
Ausgaben für pharmazeutische Produkte sind höher als das, was der Arzt für
seine ärztliche Tätigkeit bekommt. Es ist doch ein Skandal, dass wir 30 Milliarden
dafür ausgeben.
Von Ihnen, Herr Hoppe, habe ich
überhaupt nichts Kritisches zur Pharmaindustrie gehört, Kritisches zur
Pharmatherapie. Da müssen wir erst einmal ansetzen, vor dieser Tür müssen wir
kehren. Dann können wir uns weiter darüber unterhalten. Wir dürfen nicht immer
nur den anderen die Schuld zuschieben: Die Politik ist schuld, die Patienten
sind schuld, die Krankenkassen sind schuld, aber wir sind die einzigen
unschuldigen Menschen auf der Welt. So geht es nicht!
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h.
c. Hoppe: Schönen Dank. Ich werde natürlich lesen, was Sie mir empfohlen
haben. Aber ich empfehle Ihnen, dieses hier zu lesen: Zeitschrift für Evidenz,
Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen/German Journal for Evidence and
Quality in Health Care, Nr. 2/2009, „Priorisierung im Gesundheitswesen – eine
Diskussion nimmt Fahrt auf“. Wenn Sie das lesen, dann wissen Sie, was
Priorisierung ist. Das ist nämlich nicht das, was Sie gerade vorgetragen haben.
Entschuldigung, wenn ich hier repliziere; das gehört sich an sich nicht, das
weiß ich. Aber ich glaube, es ist wichtig, dass wir das auseinanderhalten.
Morgen wird das ja ein Tagesordnungspunkt sein. Deshalb werden wir uns morgen
darüber sicher noch einmal unterhalten.
Der nächste Redner ist der Vizepräsident
der Ärztekammer Nordrhein, Herr Kollege Schüller.
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