TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

Dienstag, 19. Mai 2009, Nachmittagssitzung

Prof. Dr. Dr. habil. Dietrich, Bayern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Tagesordnungspunkt, den wir jetzt beraten, heißt „Gesundheits- und Sozialpolitik“. Was ich bisher gehört habe, war: Abrechnung, Einzelleistung, KV, Hausarztvertrag. Das sind alles Sachen, die ich fürchterlich langweilig und uninteressant finde und die für die Bevölkerung überhaupt keine Bedeutung haben. Meiner Ansicht nach geht es nur ums Geld. Wir werden uns weiterhin ins Abseits diskutieren, wenn wir unter dem Stichwort „Gesundheits- und Sozialpolitik“ nur übers Geld oder unser Einkommen reden. Das zum Ersten.

(Beifall)

Zum Zweiten. Herr Hoppe, ich habe Ihren Vortrag heute mit großem Interesse wahrgenommen. Uns unterscheidet eines: das Vertrauen in das Gutsein des Menschen und vor allen Dingen auch in die Güte des Arztes. Ich glaube einfach nicht das, was Sie sagen. Die Priorisierung, die Sie jetzt ankündigen, findet doch schon statt, die haben wir doch schon lange. Wir wissen, dass Kassenpatienten zum Quartalsende nicht mehr bezahlt werden. Wir wissen, dass bestimmte kassenärztliche Leistungen heute schon illegal – ich sage: illegal – gegen Bargeld und Vorkasse abgerechnet werden.

Wir haben die Zweiklassenmedizin, wir haben die Priorisierung, die durch die Kassenärzte durchgeführt wird, die illegal ist, die aber praktiziert wird.

Wenn Sie heute sagen „Wir brauchen die Priorisierung“, dann legitimieren Sie letztlich dieses Vorgehen. Letztlich kann jetzt jeder Arzt sagen: Mein Präsident hat doch gesagt, wir können nicht alles machen; lieber Patient, ich kann auch bei dir nicht mehr alles machen, aber wenn du mir 50 Euro rüberschiebst, dann kann ich es machen.

Herr Hoppe, lesen Sie einmal den IGeL-Katalog eines großen süddeutschen Laborunternehmens, das mit „S“ anfängt. Dort können Sie nachlesen, was es alles gäbe, wenn man bezahlen würde: Herz-Kreislauf-Prophylaxe, erweiterte Kolonkarzinomprophylaxe, Stressprophylaxe, was immer Sie wollen. All dieses Zeugs könnten Sie dem Patienten mit der Argumentation andrehen: Mein Präsident, der Herr Hoppe, hat gesagt, wir müssen priorisieren. Das ist nicht so wichtig, also zahle es selber.

Das heißt, wir müssen erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren, wir müssen erst einmal sehen, was bei uns im Gesundheitswesen eigentlich schiefläuft, warum wir das drittteuerste Gesundheitswesen der Welt haben. Ob es 6,5 oder 11 oder 12 Prozent ausmacht, ist egal, es ist das drittteuerste Gesundheitswesen der Welt.

Wir müssen uns fragen: Was können wir anders machen? Ich sehe: Wir haben Herzkatheter, dass es nur so kracht, wir haben MRs, dass es nur so kracht. Für den größten Skandal halte ich: Die Ausgaben für pharmazeutische Produkte sind höher als das, was der Arzt für seine ärztliche Tätigkeit bekommt. Es ist doch ein Skandal, dass wir 30 Milliarden dafür ausgeben.

Von Ihnen, Herr Hoppe, habe ich überhaupt nichts Kritisches zur Pharmaindustrie gehört, Kritisches zur Pharmatherapie. Da müssen wir erst einmal ansetzen, vor dieser Tür müssen wir kehren. Dann können wir uns weiter darüber unterhalten. Wir dürfen nicht immer nur den anderen die Schuld zuschieben: Die Politik ist schuld, die Patienten sind schuld, die Krankenkassen sind schuld, aber wir sind die einzigen unschuldigen Menschen auf der Welt. So geht es nicht!

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank. Ich werde natürlich lesen, was Sie mir empfohlen haben. Aber ich empfehle Ihnen, dieses hier zu lesen: Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen/German Journal for Evidence and Quality in Health Care, Nr. 2/2009, „Priorisierung im Gesundheitswesen – eine Diskussion nimmt Fahrt auf“. Wenn Sie das lesen, dann wissen Sie, was Priorisierung ist. Das ist nämlich nicht das, was Sie gerade vorgetragen haben. Entschuldigung, wenn ich hier repliziere; das gehört sich an sich nicht, das weiß ich. Aber ich glaube, es ist wichtig, dass wir das auseinanderhalten. Morgen wird das ja ein Tagesordnungspunkt sein. Deshalb werden wir uns morgen darüber sicher noch einmal unterhalten.

Der nächste Redner ist der Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein, Herr Kollege Schüller.

© Bundesärztekammer 2009