TOP II: Patientenrechte in Zeiten der Rationierung

Mittwoch, 20. Mai 2009, Vormittagssitzung

Vizepräsidentin Dr. Goesmann: Herr Vorsitzender! Sehr verehrte Referenten! Meine Damen und Herren! Vorletzte Woche hatten wir in Berlin das sogenannte Patientenforum, wo Vertreter der Bundesärztekammer und der KBV die Spitzenverbände der Patientenorganisationen empfangen und gemeinsam interessierende Fragen debattiert haben. Es ging damit los, dass uns etwa 15 Minuten lang von den Patientinnen- und Patientenvertretern heftige Vorwürfe entgegenschallten, dass wir als Ärzteschaft Rationierung und Priorisierung fordern und fördern würden. Dem musste natürlich heftig erwidert werden. Wir konnten das in der Debatte auch auflösen. Trotzdem bleibt dieser Vorwurf im Raum stehen. Wir müssen dem immer wieder entschieden entgegentreten.

Die Ministerin hat noch eins draufgesetzt. Wir haben eben gehört, dass sie gesagt hat: Priorisierung ist unmenschlich. Wir alle erleben in unserer täglichen Arbeit, dass angesichts des demografischen Wandels eine Rationierung unumgänglich ist und auch stattfindet. Im Moment aber – das hat Frau Gitter gestern sehr gut herausgearbeitet – wird sie subkutan durchgeführt. Sie trifft vor allem diejenigen – das haben die letzten fünf Ärztetage mit ihren Fragestellungen zur psychiatrischen Versorgung, zur Versorgung von Demenzkranken usw. immer wieder herausgearbeitet –, die sich am wenigsten wehren können, die am wenigsten eine Lobby haben, um das in Anspruch nehmen zu können, was ihnen zusteht.

(Vereinzelt Beifall)

Das können wir nicht dulden. Wenn wir nicht über Rationierung und Priorisierung debattieren, dann ist das unmenschlich.

Unsere Ethikkommission in Niedersachsen hat sich sehr früh mit Fragen der Verteilungsgerechtigkeit befasst und erklärt: Ärztinnen und Ärzte müssen diese Debatte nicht selber führen und die Entscheidung nicht selber treffen, denn sie sind damit moralisch überfordert. Sie müssen ihren Patientinnen und Patienten dasjenige zukommen lassen, was sie brauchen. Wenn sie erkennen, dass sie ihren Patientinnen und Patienten das nicht zur Verfügung stellen können, dann müssen sie politisch handeln. Das finde ich einen sehr wichtigen Satz.

Das wollen wir jetzt auch tun. Ich möchte nunmehr die konkrete Ebene ansprechen: Was tun wir denn nun? Wir haben gestern beschlossen, dass wir vorschlagen, einen Gesundheitsrat zu gründen, der die Politik in der undankbaren Frage der Verteilungsgerechtigkeit beraten soll. Um das zu konkretisieren, möchte ich vorschlagen, dass wir uns mit der Frage befassen, wie dieser Gesundheitsrat aussehen könnte. Er sollte nicht wie der Sachverständigenrat von Lehrstuhlinhabern besetzt sein, er sollte sich nicht wie der Gemeinsame Bundesausschuss nur mit Fragen der Kosten befassen, sondern er soll aus Vertretern aller Betroffenen bestehen. Das sind natürlich Ärztinnen und Ärzte, die sich auskennen, andere Gesundheitsberufe wie die Pflege. Es müssen Patientenvertreter in diesem Gremium sein, vielleicht auch Vertreter der Kostenträger.

Wir müssen in diesem Gesundheitsrat auch die Strukturdebatte führen: Welches Gesundheitswesen wollen wir? Wer bekommt was?

Ich bitte Sie, dem Vorstand der Bundesärztekammer den Auftrag zu erteilen, sich über diesen Gesundheitsrat noch einmal Gedanken zu machen und das Ergebnis der Politik vorzutragen.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Montgomery: Vielen Dank, Cornelia Goesmann. – Der nächste Redner ist Herr Professor Dr. Wulf Dietrich, Bayerische Landesärztekammer.

© Bundesärztekammer 2009