TOP II: Patientenrechte in Zeiten der Rationierung

Mittwoch, 20. Mai 2009, Vormittagssitzung

Seusing, Schleswig-Holstein: Sehr verehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist von einigen Rednern schon angesprochen worden: Haben wir jetzt Rationierung oder haben wir sie noch nicht? Herr Professor Dietrich kennt es nicht, er sprach sogar von einer Überversorgung. Ich möchte, weil ich Hausarzt in Schleswig-Holstein bin und täglich Patienten versorgen muss – außer in dieser Woche –, einige Beispiele dafür vortragen, wo Rationierung bei mir vorkommt.

Erstes Beispiel. Wir haben seit 2001 einen Heilmittelkatalog, wonach wir indikationsbezogen Physiotherapie, Ergotherapie, Sprachheiltherapie verordnen können. Dieser Katalog beinhaltet eine Rationierung, denn hier ist genau festgelegt, wie viele Rezepte ich ausschreiben kann, also welche Menge ich verordnen kann, es sei denn, ich überschreite diese Grenze und muss außerhalb des Regelfalls ein Rezept ausschreiben, das zuvor von den RVO-Kassen begutachtet werden muss bzw. einen Stempel bekommen muss.

Das ist ein Beispiel dafür, dass täglich bei mir in der Praxis die Kasse bzw. der MDK als Prüfinstitution genau festlegen kann, was ich verordnen darf und was der Patient nicht mehr bekommt.

Die Richtgrößen sind in Schleswig-Holstein für Versicherte pro Quartal 7,23 Euro und für einen Rentner 17,63 Euro. Mit diesem Geld muss ich also auskommen. Das bedeutet in meiner Praxis: Wenn ich fünf neurologische Patienten mit einer Halbseitenlähmung oder ähnlicher Erkrankung habe, ist mein gesamtes Volumen im Quartal ausgeschöpft.

Ein weiteres Beispiel ist die Hilfsmittelversorgung. Wenn ich beispielsweise einen Pflegerollstuhl im Heim oder auch bei einem häuslich versorgten Patienten verordne, bekomme ich drei Tage später von der entsprechenden Krankenkasse einen vierseitigen Fragebogen, in dem ich vermerken muss, in welchem Bereich, wie oft, mit welchen Fähigkeiten der Patient dieses Hilfsmittel nutzen kann. Wenn man anruft und fragt, ob es als Begründung dafür, dass der Patient das Hilfsmittel benötigt, reicht, die entsprechende ICD-Kodierung auf das Rezept zu schreiben, heißt es: Das war doch nur ein Vorschlag von Ihnen. Ein Rezept ist also heute keine Verordnung mehr, sondern ein Versorgungsvorschlag, der vom Kostenträger erst einmal geprüft wird. Auch dieses ist Rationierung.

Das steht natürlich nicht in Übereinstimmung mit unserem ärztlichen Selbstverständnis und der Therapiefreiheit. Das gibt es in diesem Bereich gar nicht mehr.

Mein nächstes Beispiel betrifft die Tätigkeit des MDK. Das ist ja beim ersten Gesundheitsreformgesetz 1992 ganz intensiv mit ins SGB V hineingekommen. Damals sollte eigentlich jedes Rezept geprüft werden, selbst die Medikamentenrezepte. Zum Glück ist es nicht so gekommen. Mutter-Kind-Kuren beispielsweise müssen beim MDK vorgelegt werden und werden dort geprüft. Entweder wird es für gut befunden oder abgelehnt. Auch hier haben wir in der Praxis ständig Probleme mit der Rationierung. Das ist ein Problem, das letztlich auch die Patientenrechte betrifft. Wir als Ärzte sind eigentlich die Unterstützer unserer Patienten. Wir müssen immer wieder für sie kämpfen und dafür sorgen, dass sie das Recht, das sie haben, auch bekommen.

Danke.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Montgomery: Vielen Dank, Herr Kollege Seusing. – Die nächste Rednerin ist Anne Gräfin Vitzthum aus Baden-Württemberg.

© Bundesärztekammer 2009