Seusing,
Schleswig-Holstein: Sehr verehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen
und Herren! Es ist von einigen Rednern schon angesprochen worden: Haben wir
jetzt Rationierung oder haben wir sie noch nicht? Herr Professor Dietrich kennt
es nicht, er sprach sogar von einer Überversorgung. Ich möchte, weil ich
Hausarzt in Schleswig-Holstein bin und täglich Patienten versorgen muss – außer
in dieser Woche –, einige Beispiele dafür vortragen, wo Rationierung bei mir
vorkommt.
Erstes Beispiel. Wir haben seit
2001 einen Heilmittelkatalog, wonach wir indikationsbezogen Physiotherapie,
Ergotherapie, Sprachheiltherapie verordnen können. Dieser Katalog beinhaltet
eine Rationierung, denn hier ist genau festgelegt, wie viele Rezepte ich
ausschreiben kann, also welche Menge ich verordnen kann, es sei denn, ich
überschreite diese Grenze und muss außerhalb des Regelfalls ein Rezept
ausschreiben, das zuvor von den RVO-Kassen begutachtet werden muss bzw. einen
Stempel bekommen muss.
Das ist ein Beispiel dafür, dass
täglich bei mir in der Praxis die Kasse bzw. der MDK als Prüfinstitution genau
festlegen kann, was ich verordnen darf und was der Patient nicht mehr bekommt.
Die Richtgrößen sind in
Schleswig-Holstein für Versicherte pro Quartal 7,23 Euro und für einen Rentner
17,63 Euro. Mit diesem Geld muss ich also auskommen. Das bedeutet in meiner
Praxis: Wenn ich fünf neurologische Patienten mit einer Halbseitenlähmung oder
ähnlicher Erkrankung habe, ist mein gesamtes Volumen im Quartal ausgeschöpft.
Ein weiteres Beispiel ist die
Hilfsmittelversorgung. Wenn ich beispielsweise einen Pflegerollstuhl im Heim
oder auch bei einem häuslich versorgten Patienten verordne, bekomme ich drei
Tage später von der entsprechenden Krankenkasse einen vierseitigen Fragebogen,
in dem ich vermerken muss, in welchem Bereich, wie oft, mit welchen Fähigkeiten
der Patient dieses Hilfsmittel nutzen kann. Wenn man anruft und fragt, ob es
als Begründung dafür, dass der Patient das Hilfsmittel benötigt, reicht, die
entsprechende ICD-Kodierung auf das Rezept zu schreiben, heißt es: Das war doch
nur ein Vorschlag von Ihnen. Ein Rezept ist also heute keine Verordnung mehr,
sondern ein Versorgungsvorschlag, der vom Kostenträger erst einmal geprüft
wird. Auch dieses ist Rationierung.
Das steht natürlich nicht in
Übereinstimmung mit unserem ärztlichen Selbstverständnis und der
Therapiefreiheit. Das gibt es in diesem Bereich gar nicht mehr.
Mein nächstes Beispiel betrifft die
Tätigkeit des MDK. Das ist ja beim ersten Gesundheitsreformgesetz 1992 ganz
intensiv mit ins SGB V hineingekommen. Damals sollte eigentlich jedes Rezept
geprüft werden, selbst die Medikamentenrezepte. Zum Glück ist es nicht so
gekommen. Mutter-Kind-Kuren beispielsweise müssen beim MDK vorgelegt werden und
werden dort geprüft. Entweder wird es für gut befunden oder abgelehnt. Auch
hier haben wir in der Praxis ständig Probleme mit der Rationierung. Das ist ein
Problem, das letztlich auch die Patientenrechte betrifft. Wir als Ärzte sind
eigentlich die Unterstützer unserer Patienten. Wir müssen immer wieder für sie
kämpfen und dafür sorgen, dass sie das Recht, das sie haben, auch bekommen.
Danke.
(Beifall)
Vizepräsident Dr.
Montgomery: Vielen Dank, Herr Kollege Seusing. – Die nächste Rednerin ist
Anne Gräfin Vitzthum aus Baden-Württemberg.
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