TOP II: Patientenrechte in Zeiten der Rationierung

Mittwoch, 20. Mai 2009, Vormittagssitzung

Prof. Dr. Dr. habil. Dietrich, Bayern: Meine Damen und Herren! Ich habe mich jetzt noch einmal zu Wort gemeldet, um etwas klarzustellen. Es ist immer schwierig, wenn man eine Minderheitenmeinung vertritt oder eine Meinung vertritt, die nicht unbedingt immer die Mehrheit des Plenums hier findet. Wenn man das auch noch in drei Minuten machen muss, dann geht manchmal etwas unter.

Ich bin kritisiert worden, dass ich nicht die Personalschwächen in den Kliniken angeprangert habe. Natürlich ist das eine Rationierung. Das sehe ich völlig ein; dafür muss ich mich entschuldigen. Aber das war nicht das Thema, das ich hatte. Mein Thema war die medizinische Behandlung.

Dass wir heute in den Kliniken unter großem ökonomischen Druck stehen, ist völlig klar. Ich gebe zu: Das beeinflusst auch unsere medizinischen Entscheidungen, die wir in der Klinik treffen. Vielleicht habe ich einen etwas falschen Blickwinkel, weil ich in einem sehr lukrativen Bereich der klinischen Medizin tätig bin, der der Verwaltung Geld bringt. Andere Bereiche tun das nicht.

Das ist der eine Teil, weshalb ich mich zu Wort gemeldet habe, weil ich das klarstellen und betonen wollte. Der andere Aspekt ist folgender. Was wir von Herrn Katzenmeier gehört haben, ist für mich eine gefährliche Tendenz. Das ist die Tendenz, die in eine Defensivmedizin führt. Viele diagnostischen Leistungen werden heute nicht mehr erbracht, um eine Diagnose zu stellen, sondern um eine Diagnose auszuschließen, um sicher zu sein, dass der Patient diese oder jene Erkrankungen nicht hat. Obwohl ich eigentlich weiß, er hat sie nicht, muss ich mir sicher sein, ich brauche ein CT, ich brauche ein MR, ich brauche ein PET oder einen Herzkatheter.

Das ist eine Medizin, wie wir sie heute beispielsweise in den USA haben, wo mehr als die Hälfte aller Leistungen nicht erbracht werden, um den Patienten zu helfen, sondern um den Arzt zu schützen. Die Tendenz zum Arztschutz halte ich für schlecht und für extrem teuer.

Eine MR-Untersuchung bei Kopfschmerzen kann für einen Kassenpatienten drei Wochen dauern. Das kann lebensbedrohlich sein. Das hängt aber nicht damit zusammen, dass rationiert wird, sondern das hängt einfach damit zusammen, dass zu viele MRT-Untersuchungen durchgeführt werden, dass zu viele Patienten, die einen banalen Kopfschmerz haben, zur Absicherung des Arztes durchs MRT geschoben werden.

Da müssen wir einen Weg finden, dass wir uns vernünftig verhalten können. Natürlich hängt das mit der Apotheken-Zeitung zusammen, natürlich hängt das mit unserem öffentlichen Auftreten zusammen, dass wir sagen: Wir können alles machen, die moderne Medizin guckt in den Patienten, liefert uns die Diagnose. Hier haben wir selbst eine gewisse Schuld.

Worauf ich hinauswollte, ist: Wir sollten erst einmal auf uns selber schauen. Wir sollten schauen: Was können wir für unsere Patienten tun? Wo haben wir noch Möglichkeiten innerhalb dieses Systems, eine vernünftige Medizin im Sinne unserer Patienten zu machen? Das war der Sinn meines vorherigen Beitrags.

Danke schön.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Montgomery: Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege Dietrich. – Der nächste Redner ist Professor Joachim Grifka aus – daran muss ich mich noch gewöhnen – Bayern.

© Bundesärztekammer 2009