TOP II: Patientenrechte in Zeiten der Rationierung

Mittwoch, 20. Mai 2009, Vormittagssitzung

Dr. Jaeger, Schleswig-Holstein: Jetzt kommt mein Beitrag, den ich eigentlich vorhin sagen wollte. Herr Professor Katzenmeier, auch in Ihrem hervorragenden Vortrag ist mir wieder das aufgefallen, was landauf, landab den Bürgern und leider auch der Ärzteschaft immer wieder eingetrichtert wird: zwar nicht, dass die Erde eine Scheibe ist, aber dass es eine Kostenexplosion im Gesundheitswesen gibt. Sie haben gesagt: Die Ausgaben im Gesundheitswesen sind enorm gestiegen. Sie sprachen von Kostenanstieg, Kostenexplosion, Kostendämpfung, Kosten müssen gesenkt werden.

Meine Damen und Herren, das stimmt nicht. Ich möchte Sie auffordern, das über Ihre Gremien in der Bevölkerung immer wieder zu verbreiten. Ich habe hier die „Kieler Nachrichten“ von der vergangenen Woche mit einem schönen Bild von Professor Hoppe: In den letzten zehn Jahren sind die Gesundheitskosten um 25 Prozent gestiegen. Meine Damen und Herren, das sind 2,5 Prozent pro Jahr. In den letzten 30 Jahren war es nicht anders. Ich habe mich mit dieser Problematik intensiv um die Jahrtausendwende beschäftigt, als es um unseren Arbeitsrechtsstreit ging und es auch da hieß: Das ist nicht zu bezahlen, wir haben eine Kostenexplosion.

Ich möchte Ihnen einen kleinen Vergleich darstellen. Mein Bruder hat sich 1978 einen VW Golf zum Preis von 5 000 Euro gekauft. Dieses Auto kostet jetzt etwa 15 000 Euro. Das ist eine Steigerung um 200 Prozent in 30 Jahren. Das macht 7 Prozent pro Jahr. Aber man redet nicht von einer Kostenexplosion bei der Automobilindustrie. Ein Brötchen – für unsere bayerischen Nachbarn: eine Semmel – kostete 1978  5 Cent – das entspricht 10 Pfennig –, heute kostet es in der Billigversion 25 Cent, in der Luxusversion eines Körnerbrötchens 50 bis 60 Cent. Das ist eine Steigerung von 400 Prozent in 30 Jahren. Das entspricht einer Steigerung von etwa 12,5 Prozent pro Jahr. Über explodierende Preise bei Brötchen bzw. Semmeln und bei Kraftfahrzeugen habe ich bisher noch nichts gehört.

Meine Damen und Herren, es muss doch die Diagnose vor die Therapie gestellt werden. Es ist klar, dass unsere Regierenden, dass die Politiker versuchen, uns zu erklären, wir hätten explodierende Kosten, weil dann ja andere, nämlich wir, dafür verantwortlich gemacht werden können. Wenn wir aber sagen, dass es überhaupt keine Kostenexplosion gibt, dass wir wahnsinnig effizient sind, dass wir eine normale Kostenentwicklung haben bei deutlich gesteigerter medizinischer Versorgung – die Demografie usw. wurde immer wieder angesprochen –, dann muss man sich ja sagen: Die Ursachen liegen ganz woanders, nämlich bei den wegbrechenden Einnahmen. Hier müssen die Gesellschaft und die Politiker in die Pflicht genommen werden. Bitte hören Sie auf mit der Mär von der Kostenexplosion!

Danke schön.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Montgomery: Vielen Dank, Norbert Jaeger. – Andreas Scholz aus Hessen hat das Wort.

 

© Bundesärztekammer 2009