TOP II: Patientenrechte in Zeiten der Rationierung

Mittwoch, 20. Mai 2009, Vormittagssitzung

Dr. Veelken, Berlin: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf die Ausführungen von Gräfin Vitzthum antworten. Ich denke, wenn man hier auf dem Deutschen Ärztetag die Unreformierbarkeit des Systems behauptet, dann ist das ein ganz, ganz großes Wort. Das bedeutet: Wir befinden uns in einem System, in dem man nicht arbeiten kann, in dem keine vernünftige Gesundheitsversorgung möglich ist. So etwas zu erklären, ohne zu sagen, was man sich denn vorstellt und was das Vorbild ist, halte ich für ziemlich unredlich, wenn ich mir dieses große Wort erlauben darf.

Was möchte man denn? Wo ist das System, das wir wollen? Soll es das norwegische sein? Wollen Sie, wenn Sie eine schwere Augenerkrankung haben, auf Kosten des Gesundheitswesens ein Flugticket zum nächsten Augenarzt bekommen, während das Auge so lange wehtut? Oder wollen Sie das schwedische Modell? Wenn Sie im Wald sitzen und anrufen, Sie hätten stärkste Bauchschmerzen und sorgten sich, dann bekommen Sie die Antwort: Trinken Sie mal Kamillentee, geben Sie ein bisschen Ruhe, wenn es morgen noch wehtut, dann rufen Sie noch einmal an. Wenn Sie dann antworten, es tue Ihnen aber jetzt weh, Sie hätten Angst, dann hören Sie: Wir können Ihnen jemanden schicken, aber dafür müssen Sie zahlen.

Oder sollen wir es so machen wie in Frankreich, wo bei jedem Arztbesuch ein gewisser Prozentsatz an Ihnen selber hängen bleibt und die Leute genau deswegen nicht mehr zum Arzt gehen, wie das hier bei uns der Fall ist, weil man die Praxisgebühr sparen will? Oder wollen wir das englische System nehmen, wo die niedergelassene Facharztschiene fehlt und deswegen nach wie vor der Zugang zu einer spezialisierten Versorgung außerordentlich lang ist?

Im Ausland beneidet man uns außerordentlich um unser Solidarsystem, bei dem – bei allen berechtigten Klagen, die wir heute haben – die Wartezeiten immer noch recht kurz sind. Das muss man auch einmal sagen. Es ist falsch, wenn behauptet wird, dass Marktmechanismen diejenigen Instrumente sind, die unser System retten. Das stimmt nicht. In den USA hat man den Markt komplett eingeführt. Dort hat man pro Kopf der Bevölkerung die höchsten Kosten, aber nur für die Hälfte der Bevölkerung, weil nämlich nur die Hälfte der Bevölkerung versichert ist. Jemand, der schwerkrank ist, wird trotzdem operiert, aber die chronisch Kranken fallen hinten herunter, ob sie nun Diabetes haben, Fettstoffwechselstörungen oder Bluthochdruck, weil sie die Medikamente schlicht nicht bezahlt bekommen und es dort praktisch für weite Teile der Bevölkerung mit solchen undramatischen Krankheiten überhaupt keine Versorgung gibt.

Eine letzte Bemerkung zum mündigen Patienten, von dem wir gestern und heute bereits gehört haben. Der Patient hat auch das Recht, dass wir uns um sein Wohlergehen Sorgen machen, bevor er überhaupt krank wird. Wenn wir fordern, der Patient solle sich mit einem Tarif mit Selbstbehalt versichern, dann müssen wir im Auge behalten, dass der Patient überhaupt keine Ahnung hat, wie teuer es werden kann, wenn er am Ende krank wird. Er verkauft sein letztes Hemd, wenn er krank wird und es um sein Leben geht. Es gibt im Gesundheitssystem auch immer jemanden, der dieses letzte Hemd nimmt. Deshalb brauchen wir Regulierung und nicht so viele Marktmechanismen wie beispielsweise in den USA.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Montgomery: Vielen Dank, Herr Veelken. – Der nächste Redner ist Hans-Ulrich Schröder aus Westfalen-Lippe.

© Bundesärztekammer 2009