Dr.
Veelken, Berlin: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!
Ich möchte auf die Ausführungen von Gräfin Vitzthum antworten. Ich denke, wenn
man hier auf dem Deutschen Ärztetag die Unreformierbarkeit des Systems
behauptet, dann ist das ein ganz, ganz großes Wort. Das bedeutet: Wir befinden
uns in einem System, in dem man nicht arbeiten kann, in dem keine vernünftige
Gesundheitsversorgung möglich ist. So etwas zu erklären, ohne zu sagen, was man
sich denn vorstellt und was das Vorbild ist, halte ich für ziemlich unredlich,
wenn ich mir dieses große Wort erlauben darf.
Was möchte man
denn? Wo ist das System, das wir wollen? Soll es das norwegische sein? Wollen
Sie, wenn Sie eine schwere Augenerkrankung haben, auf Kosten des
Gesundheitswesens ein Flugticket zum nächsten Augenarzt bekommen, während das
Auge so lange wehtut? Oder wollen Sie das schwedische Modell? Wenn Sie im Wald
sitzen und anrufen, Sie hätten stärkste Bauchschmerzen und sorgten sich, dann
bekommen Sie die Antwort: Trinken Sie mal Kamillentee, geben Sie ein bisschen
Ruhe, wenn es morgen noch wehtut, dann rufen Sie noch einmal an. Wenn Sie dann
antworten, es tue Ihnen aber jetzt weh, Sie hätten Angst, dann hören Sie: Wir
können Ihnen jemanden schicken, aber dafür müssen Sie zahlen.
Oder sollen wir
es so machen wie in Frankreich, wo bei jedem Arztbesuch ein gewisser
Prozentsatz an Ihnen selber hängen bleibt und die Leute genau deswegen nicht
mehr zum Arzt gehen, wie das hier bei uns der Fall ist, weil man die
Praxisgebühr sparen will? Oder wollen wir das englische System nehmen, wo die
niedergelassene Facharztschiene fehlt und deswegen nach wie vor der Zugang zu
einer spezialisierten Versorgung außerordentlich lang ist?
Im Ausland
beneidet man uns außerordentlich um unser Solidarsystem, bei dem – bei allen
berechtigten Klagen, die wir heute haben – die Wartezeiten immer noch recht
kurz sind. Das muss man auch einmal sagen. Es ist falsch, wenn behauptet wird,
dass Marktmechanismen diejenigen Instrumente sind, die unser System retten. Das
stimmt nicht. In den USA hat man den Markt komplett eingeführt. Dort hat man
pro Kopf der Bevölkerung die höchsten Kosten, aber nur für die Hälfte der
Bevölkerung, weil nämlich nur die Hälfte der Bevölkerung versichert ist.
Jemand, der schwerkrank ist, wird trotzdem operiert, aber die chronisch Kranken
fallen hinten herunter, ob sie nun Diabetes haben, Fettstoffwechselstörungen
oder Bluthochdruck, weil sie die Medikamente schlicht nicht bezahlt bekommen
und es dort praktisch für weite Teile der Bevölkerung mit solchen
undramatischen Krankheiten überhaupt keine Versorgung gibt.
Eine letzte
Bemerkung zum mündigen Patienten, von dem wir gestern und heute bereits gehört
haben. Der Patient hat auch das Recht, dass wir uns um sein Wohlergehen Sorgen
machen, bevor er überhaupt krank wird. Wenn wir fordern, der Patient solle sich
mit einem Tarif mit Selbstbehalt versichern, dann müssen wir im Auge behalten,
dass der Patient überhaupt keine Ahnung hat, wie teuer es werden kann, wenn er
am Ende krank wird. Er verkauft sein letztes Hemd, wenn er krank wird und es um
sein Leben geht. Es gibt im Gesundheitssystem auch immer jemanden, der dieses
letzte Hemd nimmt. Deshalb brauchen wir Regulierung und nicht so viele
Marktmechanismen wie beispielsweise in den USA.
Ich danke Ihnen.
(Beifall)
Vizepräsident Dr.
Montgomery: Vielen Dank, Herr Veelken. – Der nächste Redner ist Hans-Ulrich
Schröder aus Westfalen-Lippe.
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