Prof. Dr. Fuchs, Referent:
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, Professor
Hommerich gilt unser aller Dank dafür, dass er den Wert der Freiberuflichkeit
für unsere Gesellschaft aufgezeigt hat. Ich fand es eindrucksvoll. Als
langjähriger Experte auf diesem Gebiet hat er uns seine Zielvorstellungen, aber
auch seine Zukunftsfragen aus soziologischer Perspektive fokussiert auf den
Arztberuf dargestellt. Dafür unseren herzlichen Dank.
Meine Aufgabe ist es nun, aus
spezifisch ärztlicher Sicht unseren Beruf als freien Beruf darzustellen. Was
bedeutet denn diese Freiheit für unsere Patienten, für uns als Ärztinnen und
Ärzte und nicht zuletzt für unsere Gesellschaft?
Die Bundesgesundheitsministerin
jedenfalls hat dazu schon eine dezidierte Meinung. Frau Ministerin Schmidt
führte am 21. Juli 2003 im Rahmen einer Pressekonferenz der SPD im
Willy-Brandt-Haus in Berlin wörtlich aus, man müsse „endlich Schluss machen mit
der Ideologie der Freiberuflichkeit“. Bei dem Versuch, diese in meinen Augen
verbale Entgleisung zu deuten, komme ich zu dem Ergebnis, dass die Ministerin
in puncto Freiberuflichkeit entweder nicht weiß, wovon sie redet, oder sie weiß
es eben sehr genau. Ich denke, Letzteres ist richtig. Sie wird um die
gesellschaftliche Bedeutung und um die Kraft, die in der Freiberuflichkeit begründet
ist, sehr wohl wissen – und sie will sie abschaffen. Sie will sie abschaffen,
weil die Freiberuflichkeit auf dem Weg der Ministerin zu einer Medizin unter
staatlicher Einflussnahme stört.
(Beifall)
Sie will Staatsmedizin.
Staatsmedizin aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist mit Freiberuflichkeit
nicht vereinbar.
(Beifall)
So will ich mit meinen Ausführungen
darlegen, weshalb es sich lohnt, für den Beruf des Arztes als freier Beruf zu
kämpfen.
Ich beginne mit den Merkmalen des
Arztberufs als freier Beruf. Der Arztberuf ist kein Gewerbe, er ist seiner
Natur nach ein freier Beruf. Dies ist nachzulesen in § 1 der
Bundesärzteordnung. Darüber kann sich auch eine Bundesgesundheitsministerin
nicht einfach hinwegsetzen.
(Beifall)
Die Begrifflichkeit „Der Beruf des
Arztes – ein freier Beruf“ ist eine deklaratorische Feststellung und damit mehr
als der soziologische Begriff „Freiberuflichkeit“. Bei der Beratung der
Bundesärzteordnung im Jahre 1959 heißt es dazu im schriftlichen Bericht des
Ausschusses für Gesundheitswesen zu § 1,
dass grundsätzlich die
Freiheit ärztlichen Tuns gewährleistet sein muss, unabhängig davon, in welcher
Form der Beruf ausgeübt wird.
Offensichtlich sollte kein Bezug
genommen werden auf die soziologische Einordnung von Ärztinnen und Ärzten, sei
es als Angestellte im Krankenhaus, sei es als Beamte oder sei es als
freiberuflich Tätige. Auch die Ärztinnen und Ärzte als Sanitätsoffizier sind in
einem freien Beruf tätig, ebenso wie die angestellten Ärztinnen und Ärzte in
medizinischen Versorgungszentren, selbst wenn diese von Kapitalgesellschaften
betrieben werden.
Es ist also ein großer Irrtum, zu
glauben, nur der niedergelassene Arzt in eigener Praxis übt den freien Beruf
des Arztes aus. So ist es eben nicht.
(Vereinzelt Beifall)
Das Spezifische des Arztberufs als
freier Beruf ist die Weisungsunabhängigkeit von nicht ärztlichen Dritten in
fachlichen und medizinischen Fragen. Diese professionelle Autonomie dient
einzig und allein dem Interesse der Patienten. Ich glaube, Herr Professor Katzenmeier
hat das vorhin sehr gut herausgearbeitet.
Der Beruf des Arztes als freier
Beruf ist daher kein Selbstzweck. In seiner Orientierung am Patienten ist der
Arzt Dienstleister. Er geht eine Garantenpflicht ein inklusive einer
haftungsrechtlichen Verantwortung. Diese Art von Freiheit ist auf das Engste
verbunden mit der Übernahme von fachlicher Verantwortung.
Das Bundesverfassungsgericht hat am
15. Januar 2008 bestätigt, dass sich der freie Beruf zu Recht vom Gewerbe
unterscheidet. Auch für den Europäischen Gerichtshof haben freiberufliche
Tätigkeiten ausgesprochen intellektuellen Charakter, verlangen eine hohe
Qualifikation und unterliegen oft einer genauen und strengen berufsständischen
Regelung.
Bei der Ausübung der
freiberuflichen Tätigkeit hat das persönliche Element eine besondere Bedeutung.
Selbst das Europäische Parlament und die Kommission in Brüssel erkennen die
gesellschaftliche Bedeutung der Freiberuflichkeit an. Nur die Ministerin muss
vielleicht noch das eine oder andere dazulernen.
Anstelle definitorischer
Überlegungen geht es mir nun mehr um die Frage, welches die spezifischen
Merkmale des Arztberufs als freier Beruf sind, das heißt, was seine
Alleinstellungsmerkmale sind. Genannt habe ich die Orientierung am
Patientenwohl als das Primat ärztlichen Handelns und genannt habe ich die
professionelle Autonomie. Dabei geht es nicht um Beliebigkeit oder Pfründesicherung.
Es geht um den Auftrag, der Gesundheit des Einzelnen wie der gesamten
Bevölkerung zu dienen.
Diese Professionalität geht uns
alle an, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich möchte an dieser Stelle aus einer
Rede der Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann anlässlich der 60-Jahr-Feier des
Bundesverbands der Freien Berufe in Berlin im März dieses Jahres zitieren. Frau
Käßmann führte zur Professionalität des Pfarrberufs aus:
Ein wesentliches Kennzeichen
von Professionen ist es, dass sie allesamt keine strikte Trennung von Personen
und Beruf vorsehen und Bindungen für die gesamte Lebensführung erzeugen. Der
Grund für diese ungewöhnliche Koppelung von Personen und Beruf ist darin zu
sehen, dass die Professionen zentral von ihrer Glaubwürdigkeit leben.
Dies gilt auch für uns Ärztinnen
und Ärzte!
Der Beruf des Arztes als freier
Beruf findet seine Selbstbeschränkung in der Verantwortung, die der Arzt für
seine Patienten übernimmt. Freiheit und Verantwortung sind das Fundament der
Vertrauensbeziehung zwischen Patient und Arzt und damit auch zwischen
Ärzteschaft und Gesellschaft.
Neben diesen Kernmerkmalen des
Arztberufs als freier Beruf gehören zum ärztlichen Wertekanon
– das
ärztliche Berufsethos: Damit sind vor allem ethische Grundsätze gemeint, die
sich im Studium und im weiteren Verlauf der beruflichen Sozialisation
entwickeln. Sie werden als Verhaltensregeln verinnerlicht und – so ist zu
hoffen – vorgelebt und weitergegeben.
– Die
auf hochwertiger Aus- und Weiterbildung sowie auf ständiger Fortbildung
begründete fachliche Kompetenz: Ärztliches Wissen, Kompetenz, Erfahrung und
Kreativität sind idealtypisch in der Person des Arztes in freier Berufsausübung
vereint.
– Diese
Bündelung findet ihre Anwendung beim Patienten, der in seiner Individualität zu
berücksichtigen ist. Dies ist eine der Kernbotschaften aus dem „Ulmer Papier“,
das Sie vor einem Jahr beschlossen haben. Gerade an dieser Stelle, in der
Berücksichtigung der Einzigartigkeit einer jeden Patient-Arzt-Beziehung, findet
die ärztliche Kunst des Heilens ihre Ausprägung. Diese Kunst aber kann nicht
gelingen ohne die Freiheit der Behandlungsmethode und ohne der Individualität
des Patienten, seiner Krankheit und auch der Individualität des Arztes Rechnung
zu tragen.
– Der
Umgang mit der Wissensasymmetrie zwischen Patient und Arzt erfordert ebenfalls
ein hohes Maß an Verantwortung. Nur selten kann der Patient die Erfahrung des
Arztes erreichen. Auch der mit Internetinformationen vollgestopfte Patient
sucht das Wissen und die Erfahrung des Arztes. Der Patient geht in Vorleistung.
Er schenkt Vertrauen. Es gilt, diesem Vertrauensvorschuss als Arzt gerecht zu
werden.
– Vertrauen
bedeutet aber auch Vertraulichkeit. Der Patient hat einen unabdingbaren
Anspruch darauf, dass seine dem Arzt anvertrauten Daten nicht preisgegeben
werden. Nur dann bleibt das Fundament einer intakten Vertrauensbeziehung
zwischen Patient und Arzt erhalten.
– Bewusst
wiederhole ich: Eigenverantwortung und Unabhängigkeit sind konstitutive
Elemente des Arztberufs als freier Beruf. Ärztinnen und Ärzte sind frei in der
Bildung ihres Urteils, sie tragen aber auch die volle Verantwortung für ihr
Handeln. Dabei ist die Rechtsform des Arbeitsverhältnisses für die Einordnung
der Ausübung des Arztberufs als freier Beruf irrelevant. Auch ein Arzt ohne
eigene Praxis ist in einem freien Beruf tätig. Dies gilt auch für
Krankenhausärzte.
(Beifall)
– Ärzte
in einem freien Beruf erbringen ihre Leistungen in persönlicher Verantwortung.
– Die
Ausübung eines freien Berufs gewährt Freiheit. Aber diese Freiheit ist keine
absolute. Sie hängt ab vom Maß der erworbenen fachlichen Kompetenz, die
naturgemäß zu Beginn einer Weiterbildung nicht so ausgeprägt sein kann wie bei
einem Facharzt.
– Die
Freiheit ist aber auch deshalb keine absolute, weil sie an
öffentlich-rechtliche Pflichten – wie z. B. Pflichtmitgliedschaft in einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts – gebunden ist. Denn mit dem Gedanken des
Arztes in freier Berufsausübung ist die ärztliche Selbstverwaltung als
Organisationsprinzip untrennbar verbunden. Ärztekammern regeln die
Berufsausübung in Eigenverantwortung. Sie werden verstanden als mittelbare
Staatsverwaltung, betreiben Berufsaufsicht, stellen die hohe Qualität ärztlichen
Handelns sicher, vermitteln, schlichten und ahnden bei Verstößen gegen die
beruflichen und ethischen Standards und Normen. Die Übertragung dieser
Verantwortung auf die Ärzteschaft bedeutet Vertrauen seitens des Gesetzgebers
und der Gesellschaft. Sie bedeutet aber auch aufgrund sachlicher Nähe und hoher
Kompetenz der ärztlichen Selbstverwaltung mehr Effizienz bei der Lösung von
Problemen und Aufgaben. Der Gesetzgeber hat sich tunlichst auf die Ausübung von
Rechtsaufsicht zu beschränken. Er sollte keine Fachaufsicht ausüben, auch wenn
die staatsmedizinischen Ansätze immer wieder dorthin weisen.
(Vereinzelt Beifall)
– Wir
befinden uns in einem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Gemeinwohlinteressen.
Der Umgang mit diesem Spannungsfeld gelingt umso mehr, wenn die
Entscheidungsprozesse in den Ärztekammern transparent und demokratisch
legitimiert sind. Dann wird auch Pflichtmitgliedschaft verstanden als eine
Chance, um die Anliegen der Ärzteschaft fachlich kompetent und rechtsstaatlich
in freier Verantwortung zu regeln. Es geht dabei nicht allein um Interessen der
ärztlichen Profession, sondern ebenso um das Interesse der Allgemeinheit, das
heißt letztlich um die Gesundheitsversorgung der in Deutschland lebenden
Bevölkerung.
Dies leitet über zum Gemeinwohlbezug
von Ärztinnen und Ärzten in einem freien Beruf. Satz 1 in § 1 der
Bundesärzteordnung lautet bekanntlich:
Der Arzt dient der Gesundheit
des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes.
Damit kommt zum Ausdruck, dass die
Ärzteschaft als Angehörige der freien Berufe in ihrem Handeln auch auf die
gesamte Gesellschaft ausgerichtet ist. Ärztliche Berufsausübung dient zwar
auch, aber nicht nur der Einkommenserzielung. Wenn die Ärzteschaft durch ihre
Berufsethik das Wohl des Patienten ebenso wie das der Allgemeinheit im Auge
behält, geschieht dies auf der Basis eines professionellen
Selbstverständnisses, das an Werten orientiert ist. Die aufgezeigten Merkmale
des Arztberufs als freier Beruf sind Ausdruck dieser gemeinsamen Werte. Sie
sind das Fundament, auf das die Gesellschaft ihr Vertrauen in die Ärzteschaft
stützen kann.
So halte ich als Zwischenergebnis
fest: Ärztliche Tätigkeit in einem freien Beruf beruht auf professioneller
Autonomie mit ethisch begründeten Normen und Werten, auf der Basis hoher
fachlicher Kompetenz unter Berücksichtigung der Individualität des Patienten,
verbunden mit Leistungsbereitschaft, Integrität und Verschwiegenheit. Dies gilt
vor dem Hintergrund freiwilliger Selbstbeschränkung zur Verwirklichung
übergeordneter gesellschaftlicher Ziele.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, an
dieser Stelle müssen und dürfen wir uns fragen: Stimmen die Rahmenbedingungen
denn noch, um einem solchen Wertekanon gerecht zu werden? Meine Ausführungen
mögen Ihnen teils als idealistisch erschienen sein. Nur bedenken Sie bitte:
Ohne Ideale und ohne Visionen gibt es keine Ziele und eine Ärzteschaft ohne
Ziele verliert ihre Orientierung.
Ich denke, wir müssen schonungslos
entlarven, was eigentlich politisch gespielt wird. Wir müssen gerade im
Wahljahr der Öffentlichkeit deutlich machen, weshalb die Ministerin die
Ausübung des freien Arztberufs offensichtlich nicht will und wie sie dabei
vorgeht.
Was uns sicherlich eint, ist die
Gefahr von außen. Es ist die Gefahr, dass wir uns das Gut der Freiberuflichkeit
aus der Hand schlagen lassen. Die Ministerin hat erkannt, welch hohen
gesellschaftlichen Stellenwert die Ärzteschaft hat und wie viel Anerkennung uns
aus der Bevölkerung und von den Patienten entgegengebracht wird. Wir sind eine
gesellschaftlich relevante Berufsgruppe. Wir haben uns zur guten
Patientenversorgung verpflichtet. Wir setzen uns ein für Patientenrechte und
kämpfen gegen heimliche Rationierung. Aber damit, liebe Kolleginnen und
Kollegen, sind wir politisch unbequem. Wir sind im Weg. Die Rückbesinnung auf
den Arztberuf als freier Beruf kann von der Ministerin nicht gewollt sein. Es
ist ein Modell, das ihrem politischen Ziel der Staatsmedizin widerspricht.
Müsste sie sich zur freien Berufsausübung bekennen, wäre eine Dramaturgie des
Scheiterns ihrer Politik eingeleitet.
Die Politik der Ministerin ist eine
völlig andere. In ihrer Ratlosigkeit beim Umgang mit der Mittelknappheit im
Gesundheitswesen bekennt sie sich nach außen zum Wettbewerb. Aber dies ist nur
ein Lippenbekenntnis. Denn sie weiß nur zu genau, dass unter
Wettbewerbsbedingungen der Schwächere unterliegt. So will sie den Wettbewerb
auch nur zum Schein. Ihre Ideologie ist geprägt von der Vorstellung, nur der
angestellte und für sie weisungsabhängige Arzt ist ein guter Arzt.
Dabei geht sie aus von einem Arzt,
der als Erfüllungsgehilfe Listenmedizin betreibt – und dies allein unter dem
Aspekt der Finanzierbarkeit.
Sie ist zutiefst überzeugt, dass
nur der Staat in der Lage ist, zu entscheiden, welche medizinische Versorgung
der Einzelne braucht. Sie will Staatsmedizin. Und damit verzettelt sie sich in
einer hochkomplexen gesetzlichen Regelungsdichte. Sie glaubt, dass sie
Einzelfallgerechtigkeit gesetzlich erzwingen kann. Ihr Scheinwettbewerb ist vom
staatlichen Misstrauen geprägt. Die Ärzteschaft wird überzogen mit unsäglichen
Forderungen nach Kosten- und Qualitätskontrolle, mit Dokumentationszwängen und
überbordender Bürokratie.
(Beifall)
Die Ministerin glaubt, den Schutz
des Schwächeren nur durch staatliche Kontrolle erzielen zu können. Sie greift
dabei zu allen Mitteln und landet dabei in zentralistischen und höchst
widersprüchlichen Lösungsansätzen:
– Der
Wettbewerb der Krankenkassen mündet auf Dauer in Einheitsversicherungen.
– Der
Einheitsbeitragssatz der GKV wird staatlich festgelegt.
– Der
GKV-Spitzenverband mutiert zu einer nachgeordneten Behörde des BMG, wobei die
Trennung zwischen Rechts- und Fachaufsicht verwischt wird.
– Ähnlich
geht es dem Gemeinsamen Bundesausschuss, in dem die fachlichen Einflussnahmen
des BMG immer deutlicher spürbar werden. Wir können froh und dankbar sein, dass
das Bundessozialgericht heute vor zwei Wochen das BMG in die Schranken
verwiesen hat.
(Beifall)
Wir Ärztinnen und Ärzte als
Angehörige der freien Berufe geraten dabei in zweifacher Hinsicht unter Druck:
– Einerseits
ist von Gesundheitswirtschaft, Wettbewerb, Deregulierung und Vergewerblichung
die Rede;
– andererseits
werden die Handlungskorridore durch staatliche Lenkung und sozialrechtliche
Einbindung immer enger; Handlungsspielraum gibt es kaum noch.
Thiemann weist zu Recht darauf hin,
dass sowohl Versozialrechtlichung als auch Kommerzialisierungstendenzen mit zum
Teil völlig konträren, höchst widersprüchlichen und inkonsistenten
Reformansätzen das Leitbild des freien Berufs vor existenzielle Herausforderungen
stellen.
Für einen freien Beruf sind solche
Rahmenbedingungen nicht nur widersprüchlich, sie sind völlig kontraproduktiv.
Die Rahmenbedingungen stimmen einfach nicht mehr.
Im Übrigen: Es müsste sich von
selber verstehen, dass die hohen Erwartungen an die ärztliche Berufsausübung,
die die Gesellschaft zu Recht hat, eine angemessene und faire Honorierung
verdienen.
(Beifall)
Die Zielkonflikte zwischen der
ethischen Pflicht mit dem ärztlichen Behandlungsauftrag einerseits und den
wirtschaftlichen Rentabilitätsentwicklungen andererseits sind unerträglich
geworden und nicht lösbar. Das ist kein Zufall, das ist gewollt. Das
Gesundheitssystem soll destabilisiert, der Selbstverwaltung Versagen
vorgeworfen und die angeblich rettende Staatsmedizin eingeführt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
deshalb sage ich: Die Zeit ist reif für einen Politikwechsel.
(Beifall)
Wollen wir in dieser Konfliktlage
weiter die Getriebenen sein, wollen wir resignieren oder wollen wir für die
Merkmale und Werte kämpfen, die die Attraktivität des Arztberufs ausmachen?
Ich meine, wir können und dürfen
den inkohärenten Systemmix aus liberalen und staatsdirigistischen
Versatzstücken nicht länger hinnehmen.
(Beifall)
Wir müssen uns wehren, wenn
Klinikträger oder Krankenkassen versuchen, die Therapiefreiheit und die
Verantwortung der Ärzte zu beschneiden, wenn das Patient-Arzt-Verhältnis durch
Misstrauenskultur unterminiert wird, wenn bürokratiebedingte ärztliche
Arbeitsanteile zunehmen und wenn Ärzte zu Diagnosen bewegt werden sollen, die
der Wahrheit nicht entsprechen.
(Beifall)
Das Bedrohungspotenzial für Ärzte
in einem freien Beruf wächst von Tag zu Tag. Wenn wir das nicht ändern, geraten
wir in die Mühlsteine zwischen Staatsmedizin mit Sozialrecht auf der einen
Seite und Verdrängungswettbewerb mit kapitalgesteuerten Großunternehmen auf der
anderen Seite. Aus dieser Falle müssen wir heraus.
Wir brauchen ein klares Bekenntnis
zum Arztberuf als freier Beruf – nach innen wie nach außen. In dieser
Zielsetzung müssen wir uns einig sein.
Wir müssen uns darüber hinaus mit
den von uns selbst gesetzten Zielen, Normen und Werten als glaubwürdig
erweisen. Ich sage in aller Deutlichkeit: Die Forderung nach Vorkasse ist mit
ärztlichem Verständnis für freiberufliche Berufsausübung nicht vereinbar.
(Vereinzelt Beifall)
Dieses Verhalten hat der
Gesamtärzteschaft enorm geschadet und zu einem großen Vertrauensverlust in
unserer Gesellschaft geführt. Das müssen wir ändern.
Es gilt, die heranwachsende
Ärztegeneration von den Werten des Arztberufs als freier Beruf zu überzeugen
und zu begeistern. Hierzu haben wir Vorbilder und Führungspersönlichkeiten, die
den Arztberuf als freien Beruf auch vorleben.
Die staatsmedizinische Ausrichtung
der jetzigen Bundesministerin müssen wir entlarven und deren Folgen unserer
Gesellschaft verdeutlichen. Dies bedeutet ein klares Bekenntnis zur
Individualität der Patientenversorgung und ein klares Votum gegen
Einheitsversorgung, Einheitskassen und Einheitsvergütung.
Wir brauchen eine radikale Abkehr
von überbordender Regelungsdichte und Bürokratie. Beides stranguliert. Es nimmt
uns den Freiraum und die Zeit für die bitter notwendige Patientenversorgung. Im
Übrigen ist sie Ausdruck einer unerträglichen Misstrauenskultur, die für
Freiberufler einfach unwürdig ist.
(Beifall)
Der Arztberuf als freier Beruf ist
gegenüber gewinnorientierten Kapitalgesellschaften zu schützen. Ärzte, auch
ohne eigene Praxis, sind als Ausübende eines freien Berufs berufsrechtlich
abzusichern, zum Beispiel als Angestellte in einem ärztlichen Versorgungszentrum
oder im Krankenhaus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
brauchen ein klares Bekenntnis zur ärztlichen Selbstverwaltung. Die ärztliche
Selbstverwaltung ist die einerseits freiheitssichernde und die andererseits
qualitätssichernde kollektive Handlungsautonomie der Ärzteschaft im Interesse
der Gesellschaft und des Staats. Dabei denke ich an die vielfältigen Aufgaben
wie Weiterbildung, Fortbildung und Qualitätssicherung bis hin zur Überwachung
unserer Berufspflichten. Dies dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Die
Verleihung dieser Autonomie normativer Berufsbildprägung sichert unsere
Identität als Angehörige eines freien Berufs. Die Bundesärztekammer und die
Landesärztekammern verstehen sich als funktionale Selbstverwaltung, die
Ausdruck des freien Arztberufs und zugleich das Instrument zu dessen Sicherung
sind. Die sich schnell ändernden Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen
verpflichten, sich mit besonderer Kompetenz auf die neuen Herausforderungen
aktiv einzustellen. Professor Hommerich hat uns deutlich gemacht, welche Arbeitsfelder
vor uns liegen.
Der Erhalt und die weitere
Ausgestaltung des Arztberufs als freier Beruf wird daher nicht nur von dem
Bewusstsein der einzelnen Ärztinnen und Ärzte, sondern auch von der
Modernisierungskraft der ärztlichen Institutionen abhängen.
Lassen Sie mich schließen mit einem
deutlichen Plädoyer für den Beruf des Arztes als freier Beruf. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, wie sieht derzeit die Realität aus? Die
Diskreditierungen und Trivialisierungen ärztlicher Tätigkeit sind unerträglich
geworden. Ich nenne auch das Stichwort Deprofessionalisierung. Die zunehmende
Zentralisierung und Verstaatlichung des Gesundheitswesens wie auch die
rückhaltlose Einführung marktwirtschaftlicher Elemente in das Gesundheitssystem
tun ihr Übriges.
Dass angesichts dieser Bedingungen
junge Kolleginnen und Kollegen nach Abschluss ihres Studiums ihr Glück im
Ausland oder in anderen Berufszweigen suchen, ist durchaus nachvollziehbar,
aber weder aus der Sicht der Ärzteschaft noch aus der Sicht der Gesellschaft
eine akzeptable Lösung. Die vielfältige Flucht aus dem Arztberuf muss uns
mahnen und motivieren, dass wir uns verstärkt mit der Vermittlung der
Wertigkeit des Arztberufs als freier Beruf befassen. Dies müssen wir verstärkt
der Gesellschaft und der Politik klarmachen.
Allein der Arztberuf als freier
Beruf, sei es als Angestellter oder in freiberuflicher Berufsausübung, kann in
einem System zunehmender Rationierung und Bürokratisierung die Therapiefreiheit
im ärztlichen Alltag soweit wie möglich bewahren und die Patienten vor
staatsmedizinischen Zwangsentscheidungen schützen.
In Zeiten, in denen in vielen
anderen Gesellschaftsbereichen alles unternommen wird, um verspieltes Vertrauen
wieder herzustellen, kann das Grundverständnis des Arztberufs als freier Beruf
dem Gesundheitswesen wie der Politik insgesamt ein Modell bieten, ein Modell,
das gesellschaftliche Fragen auf der Grundlage von Vertrauen und sozialer
Verpflichtung löst.
Ärzte in einem freien Beruf stellen
einen Mehrwert für die Vertrauensbeziehung von Patienten, Ärzteschaft und
Gesellschaft dar. Sie sind eine Stütze der Gesellschaft und stehen für
Innovation, Stabilität und Wettbewerb in sozialer Verantwortung. Sie werden auf
Dauer aber nur dann eine gesellschaftlich relevante Gruppe bleiben, wenn sie
sich weiter als Teil der Gesellschaft verstehen und von dieser getragen werden.
Dabei spielt die gemeinsame
ethische Grundlage mehr denn je eine wichtige Rolle. Der „Code of ethics” und
das Selbstverständnis des freien Berufs müssen dabei einer ständigen
Überprüfung des ärztlichen Selbstbilds unterliegen. Nur nach dieser
insbesondere innerärztlichen Diskussion kann der Mehrwert der freien
Berufsausübung für die Gesellschaft glaubwürdig dargelegt und das unabdingbare
Vertrauen auf Dauer belegt werden.
Berufsethos, persönliche
Integrität, Eigenverantwortung, Unabhängigkeit und Expertise sind die
entscheidenden Stützpfeiler unserer freien Berufsausübung.
Wenn im freien Beruf tätige
Ärztinnen und Ärzte ihre Leistungen nicht nur unmittelbar für den Patienten
erbringen, sondern auch mittelbar für die Allgemeinheit, dann sind sie eine
Stütze der Gesellschaft.
Nur die freie ärztliche
Berufsausübung kann das Gegenmodell zur Staatsmedizin sein. Dies ist meine
Botschaft. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir diesen
Politikwechsel, und zwar jetzt.
Es geht um nicht weniger als um die
zukunftsfähige Perspektive von Ärztinnen und Ärzten. Es geht um die
nachrückende Ärztegeneration.
(Beifall)
Denn der Arztberuf in Freiheit und
Verantwortung ist ein einzigartiger und besonders erfüllender Beruf. Es lohnt
sich, ihn zu beschützen, ihn zu bewahren und für ihn zu kämpfen.
Deshalb fordere ich die Politiker
auf: Geben Sie uns diese Freiheit, damit wir unsere Verantwortung wahrnehmen
können!
Ich danke Ihnen.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h.
c. Hoppe: Vielen Dank, Professor Fuchs, für diesen Vortrag, der unsere
Situation als Ärztinnen und Ärzte unter dem Dach der Freiberuflichkeit
insgesamt und die aktuelle politische Situation so intensiv beleuchtet und auch
dargestellt hat, in welcher Klemme wir uns befinden. Das passt gut in den
Gesamtkontext, den wir bisher diskutiert haben. Ich glaube, wir sind sehr
dankbar, dass das noch einmal so intensiviert worden ist. Wir werden in der
Diskussion die entsprechenden Resonanzen erfahren.
Vielen Dank den beiden Referenten,
die uns eingeführt haben, sodass wir jetzt eine ersprießliche Diskussion führen
können. Wir haben einige Wortmeldungen. Wir haben, wenn ich richtig gezählt
habe, bisher 12 Anträge. Das hört sich doch schon einmal gut an, denn das
bedeutet, dass das Thema wichtig ist.
Als Erster zu Wort gemeldet hat
sich Herr Kollege Lenhard aus Rheinland-Pfalz. Er hat jetzt das Wort.
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