TOP III: Der Beruf des Arztes – ein freier Beruf heute und in Zukunft

Mittwoch, 20. Mai 2009, Nachmittagssitzung

Prof. Dr. Fuchs, ReferentProf. Dr. Fuchs, Referent: Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, Professor Hommerich gilt unser aller Dank dafür, dass er den Wert der Freiberuflichkeit für unsere Gesellschaft aufgezeigt hat. Ich fand es eindrucksvoll. Als langjähriger Experte auf diesem Gebiet hat er uns seine Zielvorstellungen, aber auch seine Zukunftsfragen aus soziologischer Perspektive fokussiert auf den Arztberuf dargestellt. Dafür unseren herzlichen Dank.

Meine Aufgabe ist es nun, aus spezifisch ärztlicher Sicht unseren Beruf als freien Beruf darzustellen. Was bedeutet denn diese Freiheit für unsere Patienten, für uns als Ärztinnen und Ärzte und nicht zuletzt für unsere Gesellschaft?

Die Bundesgesundheitsministerin jedenfalls hat dazu schon eine dezidierte Meinung. Frau Ministerin Schmidt führte am 21. Juli 2003 im Rahmen einer Pressekonferenz der SPD im Willy-Brandt-Haus in Berlin wörtlich aus, man müsse „endlich Schluss machen mit der Ideologie der Freiberuflichkeit“. Bei dem Versuch, diese in meinen Augen verbale Entgleisung zu deuten, komme ich zu dem Ergebnis, dass die Ministerin in puncto Freiberuflichkeit entweder nicht weiß, wovon sie redet, oder sie weiß es eben sehr genau. Ich denke, Letzteres ist richtig. Sie wird um die gesellschaftliche Bedeutung und um die Kraft, die in der Freiberuflichkeit begründet ist, sehr wohl wissen – und sie will sie abschaffen. Sie will sie abschaffen, weil die Freiberuflichkeit auf dem Weg der Ministerin zu einer Medizin unter staatlicher Einflussnahme stört.

(Beifall)

Sie will Staatsmedizin. Staatsmedizin aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist mit Freiberuflichkeit nicht vereinbar.

(Beifall)

So will ich mit meinen Ausführungen darlegen, weshalb es sich lohnt, für den Beruf des Arztes als freier Beruf zu kämpfen.

Ich beginne mit den Merkmalen des Arztberufs als freier Beruf. Der Arztberuf ist kein Gewerbe, er ist seiner Natur nach ein freier Beruf. Dies ist nachzulesen in § 1 der Bundesärzteordnung. Darüber kann sich auch eine Bundesgesundheitsministerin nicht einfach hinwegsetzen.

(Beifall)

Die Begrifflichkeit „Der Beruf des Arztes – ein freier Beruf“ ist eine deklaratorische Feststellung und damit mehr als der soziologische Begriff „Freiberuflichkeit“. Bei der Beratung der Bundesärzteordnung im Jahre 1959 heißt es dazu im schriftlichen Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen zu § 1,

dass grundsätzlich die Freiheit ärztlichen Tuns gewährleistet sein muss, unabhängig davon, in welcher Form der Beruf ausgeübt wird.

Offensichtlich sollte kein Bezug genommen werden auf die soziologische Einordnung von Ärztinnen und Ärzten, sei es als Angestellte im Krankenhaus, sei es als Beamte oder sei es als freiberuflich Tätige. Auch die Ärztinnen und Ärzte als Sanitätsoffizier sind in einem freien Beruf tätig, ebenso wie die angestellten Ärztinnen und Ärzte in medizinischen Versorgungszentren, selbst wenn diese von Kapitalgesellschaften betrieben werden.

Es ist also ein großer Irrtum, zu glauben, nur der niedergelassene Arzt in eigener Praxis übt den freien Beruf des Arztes aus. So ist es eben nicht.

(Vereinzelt Beifall)

Das Spezifische des Arztberufs als freier Beruf ist die Weisungsunabhängigkeit von nicht ärztlichen Dritten in fachlichen und medizinischen Fragen. Diese professionelle Autonomie dient einzig und allein dem Interesse der Patienten. Ich glaube, Herr Professor Katzenmeier hat das vorhin sehr gut herausgearbeitet.

Der Beruf des Arztes als freier Beruf ist daher kein Selbstzweck. In seiner Orientierung am Patienten ist der Arzt Dienstleister. Er geht eine Garantenpflicht ein inklusive einer haftungsrechtlichen Verantwortung. Diese Art von Freiheit ist auf das Engste verbunden mit der Übernahme von fachlicher Verantwortung.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 15. Januar 2008 bestätigt, dass sich der freie Beruf zu Recht vom Gewerbe unterscheidet. Auch für den Europäischen Gerichtshof haben freiberufliche Tätigkeiten ausgesprochen intellektuellen Charakter, verlangen eine hohe Qualifikation und unterliegen oft einer genauen und strengen berufsständischen Regelung.

Bei der Ausübung der freiberuflichen Tätigkeit hat das persönliche Element eine besondere Bedeutung. Selbst das Europäische Parlament und die Kommission in Brüssel erkennen die gesellschaftliche Bedeutung der Freiberuflichkeit an. Nur die Ministerin muss vielleicht noch das eine oder andere dazulernen.

Anstelle definitorischer Überlegungen geht es mir nun mehr um die Frage, welches die spezifischen Merkmale des Arztberufs als freier Beruf sind, das heißt, was seine Alleinstellungsmerkmale sind. Genannt habe ich die Orientierung am Patientenwohl als das Primat ärztlichen Handelns und genannt habe ich die professionelle Autonomie. Dabei geht es nicht um Beliebigkeit oder Pfründesicherung. Es geht um den Auftrag, der Gesundheit des Einzelnen wie der gesamten Bevölkerung zu dienen.

Diese Professionalität geht uns alle an, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich möchte an dieser Stelle aus einer Rede der Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann anlässlich der 60-Jahr-Feier des Bundesverbands der Freien Berufe in Berlin im März dieses Jahres zitieren. Frau Käßmann führte zur Professionalität des Pfarrberufs aus:

Ein wesentliches Kennzeichen von Professionen ist es, dass sie allesamt keine strikte Trennung von Personen und Beruf vorsehen und Bindungen für die gesamte Lebensführung erzeugen. Der Grund für diese ungewöhnliche Koppelung von Personen und Beruf ist darin zu sehen, dass die Professionen zentral von ihrer Glaubwürdigkeit leben.

Dies gilt auch für uns Ärztinnen und Ärzte!

Der Beruf des Arztes als freier Beruf findet seine Selbstbeschränkung in der Verantwortung, die der Arzt für seine Patienten übernimmt. Freiheit und Verantwortung sind das Fundament der Vertrauensbeziehung zwischen Patient und Arzt und damit auch zwischen Ärzteschaft und Gesellschaft.

Neben diesen Kernmerkmalen des Arztberufs als freier Beruf gehören zum ärztlichen Wertekanon

      das ärztliche Berufsethos: Damit sind vor allem ethische Grundsätze gemeint, die sich im Studium und im weiteren Verlauf der beruflichen Sozialisation entwickeln. Sie werden als Verhaltensregeln verinnerlicht und – so ist zu hoffen – vorgelebt und weitergegeben.

      Die auf hochwertiger Aus- und Weiterbildung sowie auf ständiger Fortbildung begründete fachliche Kompetenz: Ärztliches Wissen, Kompetenz, Erfahrung und Kreativität sind idealtypisch in der Person des Arztes in freier Berufsausübung vereint.

      Diese Bündelung findet ihre Anwendung beim Patienten, der in seiner Individualität zu berücksichtigen ist. Dies ist eine der Kernbotschaften aus dem „Ulmer Papier“, das Sie vor einem Jahr beschlossen haben. Gerade an dieser Stelle, in der Berücksichtigung der Einzigartigkeit einer jeden Patient-Arzt-Beziehung, findet die ärztliche Kunst des Heilens ihre Ausprägung. Diese Kunst aber kann nicht gelingen ohne die Freiheit der Behandlungsmethode und ohne der Individualität des Patienten, seiner Krankheit und auch der Individualität des Arztes Rechnung zu tragen.

      Der Umgang mit der Wissensasymmetrie zwischen Patient und Arzt erfordert ebenfalls ein hohes Maß an Verantwortung. Nur selten kann der Patient die Erfahrung des Arztes erreichen. Auch der mit Internetinformationen vollgestopfte Patient sucht das Wissen und die Erfahrung des Arztes. Der Patient geht in Vorleistung. Er schenkt Vertrauen. Es gilt, diesem Vertrauensvorschuss als Arzt gerecht zu werden.

      Vertrauen bedeutet aber auch Vertraulichkeit. Der Patient hat einen unabdingbaren Anspruch darauf, dass seine dem Arzt anvertrauten Daten nicht preisgegeben werden. Nur dann bleibt das Fundament einer intakten Vertrauensbeziehung zwischen Patient und Arzt erhalten.

      Bewusst wiederhole ich: Eigenverantwortung und Unabhängigkeit sind konstitutive Elemente des Arztberufs als freier Beruf. Ärztinnen und Ärzte sind frei in der Bildung ihres Urteils, sie tragen aber auch die volle Verantwortung für ihr Handeln. Dabei ist die Rechtsform des Arbeitsverhältnisses für die Einordnung der Ausübung des Arztberufs als freier Beruf irrelevant. Auch ein Arzt ohne eigene Praxis ist in einem freien Beruf tätig. Dies gilt auch für Krankenhausärzte.

(Beifall)

      Ärzte in einem freien Beruf erbringen ihre Leistungen in persönlicher Verantwortung.

      Die Ausübung eines freien Berufs gewährt Freiheit. Aber diese Freiheit ist keine absolute. Sie hängt ab vom Maß der erworbenen fachlichen Kompetenz, die naturgemäß zu Beginn einer Weiterbildung nicht so ausgeprägt sein kann wie bei einem Facharzt.

      Die Freiheit ist aber auch deshalb keine absolute, weil sie an öffentlich-rechtliche Pflichten – wie z. B. Pflichtmitgliedschaft in einer Körperschaft des öffentlichen Rechts – gebunden ist. Denn mit dem Gedanken des Arztes in freier Berufsausübung ist die ärztliche Selbstverwaltung als Organisationsprinzip untrennbar verbunden. Ärztekammern regeln die Berufsausübung in Eigenverantwortung. Sie werden verstanden als mittelbare Staatsverwaltung, betreiben Berufsaufsicht, stellen die hohe Qualität ärztlichen Handelns sicher, vermitteln, schlichten und ahnden bei Verstößen gegen die beruflichen und ethischen Standards und Normen. Die Übertragung dieser Verantwortung auf die Ärzteschaft bedeutet Vertrauen seitens des Gesetzgebers und der Gesellschaft. Sie bedeutet aber auch aufgrund sachlicher Nähe und hoher Kompetenz der ärztlichen Selbstverwaltung mehr Effizienz bei der Lösung von Problemen und Aufgaben. Der Gesetzgeber hat sich tunlichst auf die Ausübung von Rechtsaufsicht zu beschränken. Er sollte keine Fachaufsicht ausüben, auch wenn die staatsmedizinischen Ansätze immer wieder dorthin weisen.

(Vereinzelt Beifall)

      Wir befinden uns in einem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Gemeinwohlinteressen. Der Umgang mit diesem Spannungsfeld gelingt umso mehr, wenn die Entscheidungsprozesse in den Ärztekammern transparent und demokratisch legitimiert sind. Dann wird auch Pflichtmitgliedschaft verstanden als eine Chance, um die Anliegen der Ärzteschaft fachlich kompetent und rechtsstaatlich in freier Verantwortung zu regeln. Es geht dabei nicht allein um Interessen der ärztlichen Profession, sondern ebenso um das Interesse der Allgemeinheit, das heißt letztlich um die Gesundheitsversorgung der in Deutschland lebenden Bevölkerung.

Dies leitet über zum Gemeinwohlbezug von Ärztinnen und Ärzten in einem freien Beruf. Satz 1 in § 1 der Bundesärzteordnung lautet bekanntlich:

Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes.

Damit kommt zum Ausdruck, dass die Ärzteschaft als Angehörige der freien Berufe in ihrem Handeln auch auf die gesamte Gesellschaft ausgerichtet ist. Ärztliche Berufsausübung dient zwar auch, aber nicht nur der Einkommenserzielung. Wenn die Ärzteschaft durch ihre Berufsethik das Wohl des Patienten ebenso wie das der Allgemeinheit im Auge behält, geschieht dies auf der Basis eines professionellen Selbstverständnisses, das an Werten orientiert ist. Die aufgezeigten Merkmale des Arztberufs als freier Beruf sind Ausdruck dieser gemeinsamen Werte. Sie sind das Fundament, auf das die Gesellschaft ihr Vertrauen in die Ärzteschaft stützen kann.

So halte ich als Zwischenergebnis fest: Ärztliche Tätigkeit in einem freien Beruf beruht auf professioneller Autonomie mit ethisch begründeten Normen und Werten, auf der Basis hoher fachlicher Kompetenz unter Berücksichtigung der Individualität des Patienten, verbunden mit Leistungsbereitschaft, Integrität und Verschwiegenheit. Dies gilt vor dem Hintergrund freiwilliger Selbstbeschränkung zur Verwirklichung übergeordneter gesellschaftlicher Ziele.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle müssen und dürfen wir uns fragen: Stimmen die Rahmenbedingungen denn noch, um einem solchen Wertekanon gerecht zu werden? Meine Ausführungen mögen Ihnen teils als idealistisch erschienen sein. Nur bedenken Sie bitte: Ohne Ideale und ohne Visionen gibt es keine Ziele und eine Ärzteschaft ohne Ziele verliert ihre Orientierung.

Ich denke, wir müssen schonungslos entlarven, was eigentlich politisch gespielt wird. Wir müssen gerade im Wahljahr der Öffentlichkeit deutlich machen, weshalb die Ministerin die Ausübung des freien Arztberufs offensichtlich nicht will und wie sie dabei vorgeht.

Was uns sicherlich eint, ist die Gefahr von außen. Es ist die Gefahr, dass wir uns das Gut der Freiberuflichkeit aus der Hand schlagen lassen. Die Ministerin hat erkannt, welch hohen gesellschaftlichen Stellenwert die Ärzteschaft hat und wie viel Anerkennung uns aus der Bevölkerung und von den Patienten entgegengebracht wird. Wir sind eine gesellschaftlich relevante Berufsgruppe. Wir haben uns zur guten Patientenversorgung verpflichtet. Wir setzen uns ein für Patientenrechte und kämpfen gegen heimliche Rationierung. Aber damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir politisch unbequem. Wir sind im Weg. Die Rückbesinnung auf den Arztberuf als freier Beruf kann von der Ministerin nicht gewollt sein. Es ist ein Modell, das ihrem politischen Ziel der Staatsmedizin widerspricht. Müsste sie sich zur freien Berufsausübung bekennen, wäre eine Dramaturgie des Scheiterns ihrer Politik eingeleitet.

Die Politik der Ministerin ist eine völlig andere. In ihrer Ratlosigkeit beim Umgang mit der Mittelknappheit im Gesundheitswesen bekennt sie sich nach außen zum Wettbewerb. Aber dies ist nur ein Lippenbekenntnis. Denn sie weiß nur zu genau, dass unter Wettbewerbsbedingungen der Schwächere unterliegt. So will sie den Wettbewerb auch nur zum Schein. Ihre Ideologie ist geprägt von der Vorstellung, nur der angestellte und für sie weisungsabhängige Arzt ist ein guter Arzt.

Dabei geht sie aus von einem Arzt, der als Erfüllungsgehilfe Listenmedizin betreibt – und dies allein unter dem Aspekt der Finanzierbarkeit.

Sie ist zutiefst überzeugt, dass nur der Staat in der Lage ist, zu entscheiden, welche medizinische Versorgung der Einzelne braucht. Sie will Staatsmedizin. Und damit verzettelt sie sich in einer hochkomplexen gesetzlichen Regelungsdichte. Sie glaubt, dass sie Einzelfallgerechtigkeit gesetzlich erzwingen kann. Ihr Scheinwettbewerb ist vom staatlichen Misstrauen geprägt. Die Ärzteschaft wird überzogen mit unsäglichen Forderungen nach Kosten- und Qualitätskontrolle, mit Dokumentationszwängen und überbordender Bürokratie.

(Beifall)

Die Ministerin glaubt, den Schutz des Schwächeren nur durch staatliche Kontrolle erzielen zu können. Sie greift dabei zu allen Mitteln und landet dabei in zentralistischen und höchst widersprüchlichen Lösungsansätzen:

      Der Wettbewerb der Krankenkassen mündet auf Dauer in Einheitsversicherungen.

      Der Einheitsbeitragssatz der GKV wird staatlich festgelegt.

      Der GKV-Spitzenverband mutiert zu einer nachgeordneten Behörde des BMG, wobei die Trennung zwischen Rechts- und Fachaufsicht verwischt wird.

      Ähnlich geht es dem Gemeinsamen Bundesausschuss, in dem die fachlichen Einflussnahmen des BMG immer deutlicher spürbar werden. Wir können froh und dankbar sein, dass das Bundessozialgericht heute vor zwei Wochen das BMG in die Schranken verwiesen hat.

(Beifall)

Wir Ärztinnen und Ärzte als Angehörige der freien Berufe geraten dabei in zweifacher Hinsicht unter Druck:

      Einerseits ist von Gesundheitswirtschaft, Wettbewerb, Deregulierung und Vergewerblichung die Rede;

      andererseits werden die Handlungskorridore durch staatliche Lenkung und sozialrechtliche Einbindung immer enger; Handlungsspielraum gibt es kaum noch.

Thiemann weist zu Recht darauf hin, dass sowohl Versozialrechtlichung als auch Kommerzialisierungstendenzen mit zum Teil völlig konträren, höchst widersprüchlichen und inkonsistenten Reformansätzen das Leitbild des freien Berufs vor existenzielle Herausforderungen stellen.

Für einen freien Beruf sind solche Rahmenbedingungen nicht nur widersprüchlich, sie sind völlig kontraproduktiv. Die Rahmenbedingungen stimmen einfach nicht mehr.

Im Übrigen: Es müsste sich von selber verstehen, dass die hohen Erwartungen an die ärztliche Berufsausübung, die die Gesellschaft zu Recht hat, eine angemessene und faire Honorierung verdienen.

(Beifall)

Die Zielkonflikte zwischen der ethischen Pflicht mit dem ärztlichen Behandlungsauftrag einerseits und den wirtschaftlichen Rentabilitätsentwicklungen andererseits sind unerträglich geworden und nicht lösbar. Das ist kein Zufall, das ist gewollt. Das Gesundheitssystem soll destabilisiert, der Selbstverwaltung Versagen vorgeworfen und die angeblich rettende Staatsmedizin eingeführt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb sage ich: Die Zeit ist reif für einen Politikwechsel.

(Beifall)

Wollen wir in dieser Konfliktlage weiter die Getriebenen sein, wollen wir resignieren oder wollen wir für die Merkmale und Werte kämpfen, die die Attraktivität des Arztberufs ausmachen?

Ich meine, wir können und dürfen den inkohärenten Systemmix aus liberalen und staatsdirigistischen Versatzstücken nicht länger hinnehmen.

(Beifall)

Wir müssen uns wehren, wenn Klinikträger oder Krankenkassen versuchen, die Therapiefreiheit und die Verantwortung der Ärzte zu beschneiden, wenn das Patient-Arzt-Verhältnis durch Misstrauenskultur unterminiert wird, wenn bürokratiebedingte ärztliche Arbeitsanteile zunehmen und wenn Ärzte zu Diagnosen bewegt werden sollen, die der Wahrheit nicht entsprechen.

(Beifall)

Das Bedrohungspotenzial für Ärzte in einem freien Beruf wächst von Tag zu Tag. Wenn wir das nicht ändern, geraten wir in die Mühlsteine zwischen Staatsmedizin mit Sozialrecht auf der einen Seite und Verdrängungswettbewerb mit kapitalgesteuerten Großunternehmen auf der anderen Seite. Aus dieser Falle müssen wir heraus.

Wir brauchen ein klares Bekenntnis zum Arztberuf als freier Beruf – nach innen wie nach außen. In dieser Zielsetzung müssen wir uns einig sein.

Wir müssen uns darüber hinaus mit den von uns selbst gesetzten Zielen, Normen und Werten als glaubwürdig erweisen. Ich sage in aller Deutlichkeit: Die Forderung nach Vorkasse ist mit ärztlichem Verständnis für freiberufliche Berufsausübung nicht vereinbar.

(Vereinzelt Beifall)

Dieses Verhalten hat der Gesamtärzteschaft enorm geschadet und zu einem großen Vertrauensverlust in unserer Gesellschaft geführt. Das müssen wir ändern.

Es gilt, die heranwachsende Ärztegeneration von den Werten des Arztberufs als freier Beruf zu überzeugen und zu begeistern. Hierzu haben wir Vorbilder und Führungspersönlichkeiten, die den Arztberuf als freien Beruf auch vorleben.

Die staatsmedizinische Ausrichtung der jetzigen Bundesministerin müssen wir entlarven und deren Folgen unserer Gesellschaft verdeutlichen. Dies bedeutet ein klares Bekenntnis zur Individualität der Patientenversorgung und ein klares Votum gegen Einheitsversorgung, Einheitskassen und Einheitsvergütung.

Wir brauchen eine radikale Abkehr von überbordender Regelungsdichte und Bürokratie. Beides stranguliert. Es nimmt uns den Freiraum und die Zeit für die bitter notwendige Patientenversorgung. Im Übrigen ist sie Ausdruck einer unerträglichen Misstrauenskultur, die für Freiberufler einfach unwürdig ist.

(Beifall)

Der Arztberuf als freier Beruf ist gegenüber gewinnorientierten Kapitalgesellschaften zu schützen. Ärzte, auch ohne eigene Praxis, sind als Ausübende eines freien Berufs berufsrechtlich abzusichern, zum Beispiel als Angestellte in einem ärztlichen Versorgungszentrum oder im Krankenhaus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein klares Bekenntnis zur ärztlichen Selbstverwaltung. Die ärztliche Selbstverwaltung ist die einerseits freiheitssichernde und die andererseits qualitätssichernde kollektive Handlungsautonomie der Ärzteschaft im Interesse der Gesellschaft und des Staats. Dabei denke ich an die vielfältigen Aufgaben wie Weiterbildung, Fortbildung und Qualitätssicherung bis hin zur Überwachung unserer Berufspflichten. Dies dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Die Verleihung dieser Autonomie normativer Berufsbildprägung sichert unsere Identität als Angehörige eines freien Berufs. Die Bundesärztekammer und die Landesärztekammern verstehen sich als funktionale Selbstverwaltung, die Ausdruck des freien Arztberufs und zugleich das Instrument zu dessen Sicherung sind. Die sich schnell ändernden Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen verpflichten, sich mit besonderer Kompetenz auf die neuen Herausforderungen aktiv einzustellen. Professor Hommerich hat uns deutlich gemacht, welche Arbeitsfelder vor uns liegen.

Der Erhalt und die weitere Ausgestaltung des Arztberufs als freier Beruf wird daher nicht nur von dem Bewusstsein der einzelnen Ärztinnen und Ärzte, sondern auch von der Modernisierungskraft der ärztlichen Institutionen abhängen.

Lassen Sie mich schließen mit einem deutlichen Plädoyer für den Beruf des Arztes als freier Beruf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sieht derzeit die Realität aus? Die Diskreditierungen und Trivialisierungen ärztlicher Tätigkeit sind unerträglich geworden. Ich nenne auch das Stichwort Deprofessionalisierung. Die zunehmende Zentralisierung und Verstaatlichung des Gesundheitswesens wie auch die rückhaltlose Einführung marktwirtschaftlicher Elemente in das Gesundheitssystem tun ihr Übriges.

Dass angesichts dieser Bedingungen junge Kolleginnen und Kollegen nach Abschluss ihres Studiums ihr Glück im Ausland oder in anderen Berufszweigen suchen, ist durchaus nachvollziehbar, aber weder aus der Sicht der Ärzteschaft noch aus der Sicht der Gesellschaft eine akzeptable Lösung. Die vielfältige Flucht aus dem Arztberuf muss uns mahnen und motivieren, dass wir uns verstärkt mit der Vermittlung der Wertigkeit des Arztberufs als freier Beruf befassen. Dies müssen wir verstärkt der Gesellschaft und der Politik klarmachen.

Allein der Arztberuf als freier Beruf, sei es als Angestellter oder in freiberuflicher Berufsausübung, kann in einem System zunehmender Rationierung und Bürokratisierung die Therapiefreiheit im ärztlichen Alltag soweit wie möglich bewahren und die Patienten vor staatsmedizinischen Zwangsentscheidungen schützen.

In Zeiten, in denen in vielen anderen Gesellschaftsbereichen alles unternommen wird, um verspieltes Vertrauen wieder herzustellen, kann das Grundverständnis des Arztberufs als freier Beruf dem Gesundheitswesen wie der Politik insgesamt ein Modell bieten, ein Modell, das gesellschaftliche Fragen auf der Grundlage von Vertrauen und sozialer Verpflichtung löst.

Ärzte in einem freien Beruf stellen einen Mehrwert für die Vertrauensbeziehung von Patienten, Ärzteschaft und Gesellschaft dar. Sie sind eine Stütze der Gesellschaft und stehen für Innovation, Stabilität und Wettbewerb in sozialer Verantwortung. Sie werden auf Dauer aber nur dann eine gesellschaftlich relevante Gruppe bleiben, wenn sie sich weiter als Teil der Gesellschaft verstehen und von dieser getragen werden.

Dabei spielt die gemeinsame ethische Grundlage mehr denn je eine wichtige Rolle. Der „Code of ethics” und das Selbstverständnis des freien Berufs müssen dabei einer ständigen Überprüfung des ärztlichen Selbstbilds unterliegen. Nur nach dieser insbesondere innerärztlichen Diskussion kann der Mehrwert der freien Berufsausübung für die Gesellschaft glaubwürdig dargelegt und das unabdingbare Vertrauen auf Dauer belegt werden.

Berufsethos, persönliche Integrität, Eigenverantwortung, Unabhängigkeit und Expertise sind die entscheidenden Stützpfeiler unserer freien Berufsausübung.

Wenn im freien Beruf tätige Ärztinnen und Ärzte ihre Leistungen nicht nur unmittelbar für den Patienten erbringen, sondern auch mittelbar für die Allgemeinheit, dann sind sie eine Stütze der Gesellschaft.

Nur die freie ärztliche Berufsausübung kann das Gegenmodell zur Staatsmedizin sein. Dies ist meine Botschaft. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir diesen Politikwechsel, und zwar jetzt.

Es geht um nicht weniger als um die zukunftsfähige Perspektive von Ärztinnen und Ärzten. Es geht um die nachrückende Ärztegeneration.

(Beifall)

Denn der Arztberuf in Freiheit und Verantwortung ist ein einzigartiger und besonders erfüllender Beruf. Es lohnt sich, ihn zu beschützen, ihn zu bewahren und für ihn zu kämpfen.

Deshalb fordere ich die Politiker auf: Geben Sie uns diese Freiheit, damit wir unsere Verantwortung wahrnehmen können!

Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank, Professor Fuchs, für diesen Vortrag, der unsere Situation als Ärztinnen und Ärzte unter dem Dach der Freiberuflichkeit insgesamt und die aktuelle politische Situation so intensiv beleuchtet und auch dargestellt hat, in welcher Klemme wir uns befinden. Das passt gut in den Gesamtkontext, den wir bisher diskutiert haben. Ich glaube, wir sind sehr dankbar, dass das noch einmal so intensiviert worden ist. Wir werden in der Diskussion die entsprechenden Resonanzen erfahren.

Vielen Dank den beiden Referenten, die uns eingeführt haben, sodass wir jetzt eine ersprießliche Diskussion führen können. Wir haben einige Wortmeldungen. Wir haben, wenn ich richtig gezählt habe, bisher 12 Anträge. Das hört sich doch schon einmal gut an, denn das bedeutet, dass das Thema wichtig ist.

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich Herr Kollege Lenhard aus Rheinland-Pfalz. Er hat jetzt das Wort.

© Bundesärztekammer 2009