TOP III: Der Beruf des Arztes – ein freier Beruf heute und in Zukunft

Mittwoch, 20. Mai 2009, Nachmittagssitzung

Dr. Emminger, Bayern: Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber vor allen Dingen: liebes Präsidium! Ich bedanke mich, dass dieses Thema auch heute ein Diskussionspunkt auf diesem Ärztetag ist. Ich darf vorab eine Bitte an Sie, Herr Hoppe, äußern, ob Sie sich gegebenenfalls überlegen könnten, in Ihrem Antrag 01 auf der ersten Seite im dritten Absatz das Wort „lediglich“ zu streichen. Ich will dies auch begründen.

Unsere ärztliche Berufsfreiheit findet ihre Selbstbeschränkung, wie Sie geschrieben haben, in der Verantwortung für unseren Patienten, aber wie es die Berufsordnung ziemlich am Anfang auch festschreibt, ebenso im Gemeinwohlbezug. Es ist nur eine kleine redaktionelle Korrektur. Aber vielleicht kann man das Wort „lediglich“ streichen.

Ich will auf einen anderen Aspekt eingehen, der mir heute noch nicht richtig zur Sprache gekommen ist. Worauf gründet sich eigentlich unsere Freiheit, die Freiheit unseres ärztlichen Berufs? Ich will Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf das Grundgesetz, das in den nächsten Tagen seinen 60. Geburtstag feiert, hinweisen, und zwar auf Artikel 12 Abs. 1, einen Artikel, der sehr eng mit den ersten zehn Artikeln unserer Verfassung in Verbindung steht. Dort steht – ich darf zitieren und bitte Sie, beide Teile sehr wohl zu hören –:

Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.

Das ist der zentrale Satz, auf den sich in unserem Staat – ich meine jetzt nicht den Parteienstaat – die Freiheit aller Berufe gründet und damit auch die Freiheit des ärztlichen Berufs. Wir sollten dieses wohl verstehen: Auch derjenige, der Kühlschränke oder Autos baut, hat vom Grundgesetz her dieselbe Freiheit wie Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater oder andere verkammerte Berufe.

Aber dann kommt der zweite, für uns ebenso entscheidende Satz:

Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

Jetzt kommt das Besondere der sogenannten freien Berufe. Ich beziehe mich hier nur auf die verkammerten Berufe. Der Staat – Herr Hommerich, Sie werden mir vermutlich zustimmen – hält beispielsweise die Rechtspflege und die gesundheitliche Versorgung unserer Bevölkerung für so entscheidend, dass er auf der Grundlage des Satzes 2 im ersten Absatz des Artikels 12 für uns Ärzte ähnlich wie für die Rechtsanwälte Einschränkungen vornimmt. Theodor Heuss, der erste Präsident dieser Republik, hat das vor 93 Jahren, nämlich 1916, folgendermaßen sehr schön formuliert – ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren –:

Der Staat regelt dreifach die Grenzen dieser Berufe. Er kontrolliert die Eignung, tarifiert einen Teil der Einnahmen und verordnet ihnen

– den freien Berufen –

Körperschaften, die mit disziplinaren Rechten ausgestattet sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der Zustand, in dem wir uns heute befinden. Der Staat ist der Ansicht, dass die beiden Bereiche Rechtspflege und Gesundheitsversorgung eine so hohe Bedeutung haben, dass er hier Einschränkungen machen muss, wie Theodor Heuss sie schon vor 93 Jahren vorhergesehen hat.

Was ist unsere Freiheit, unsere Freiheit als Mitglieder dieses Berufs? Diese Freiheit ist vom Staat auf der Grundlage des Grundgesetzes definiert. Diese Freiheit liegt darin, dass wir unsere eigenen Angelegenheiten selber regeln können. Deswegen haben wir Kammern und deswegen haben wir eine Berufsordnung. Ich bin inzwischen – ich gebe zu: Es hat lange gedauert – zu der Erkenntnis gekommen, dass die Berufsordnung, die wir uns im Rahmen des Grundgesetzes gegeben haben, die Verfassung ist, mit der wir miteinander umgehen, mit der wir unsere Patienten behandeln wollen, mit der wir auch die Verantwortung gegenüber dem Gemeinwohl wahrnehmen wollen.

Wenn Sie die ersten Artikel dieser Berufsordnung lesen und vor allen Dingen die Präambel, sehen Sie, dass es dort einen ganz entscheidenden und zentralen Begriff gibt – darauf hat Herr Professor Hommerich genügend hingewiesen –: Unsere Freiheit beruht auf dem Vertrauen, das der Patient, aber auch die Gesellschaft uns entgegenbringt.

Zum mündigen Patienten: Der Patient ist uns mit unserem Expertenwissen immer unterlegen. Wir müssen hier einmal begrifflich sauber definieren, was wir unter dem „mündigen Patienten“ oder dem „aufgeklärten Patienten“ oder dem „entscheidungsbefugten Patienten“ verstehen. Aber den Patienten, der mit uns, den medizinischen Experten, auf Augenhöhe verhandelt, den wird und kann es nicht geben, es sei denn, er ist selber Arzt.

Der entscheidende Punkt ist folgender; damit will ich schließen. Wir stellen uns ja die Frage: Wie können wir unsere Freiberuflichkeit aufrechterhalten und verteidigen? Wichtig ist, dass wir die Idee, die uns das Grundgesetz vorgibt, nämlich dass wir unsere Belange selber regeln können, dass wir das im Hinblick auf die Patienten und das Gemeinwohl tun müssen, weitergeben an die nächste Generation, an unsere jungen Kolleginnen und Kollegen. Wir haben das Recht und die Verpflichtung, diese Idee mit Inhalten zu füllen. Wir müssen das innerärztlich selbst definieren. Nur dann können wir das wohlverstanden an unsere jungen Kolleginnen und Kollegen weitergeben. Nur dann können uns Staat und Gesellschaft – ich rede hier nicht vom Parteienstaat – dasjenige Vertrauen entgegenbringen, dass wir tatsächlich dem einzelnen Patienten und dem Gemeinwohl gegenüber verpflichtet sind.

Gerade in der jetzigen Situation ist es so elementar wichtig, dass wir uns mit dem Thema „Arzt als freier Beruf“ und mit seinem Bezug zum Grundgesetz, zur Verfassung, beschäftigen. Dazu fordere ich Sie auf.

Vielen Dank.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank, Herr Emminger.

(Zuruf: Begrenzung der Redezeit!)

– An sich geht das nur über eine schriftliche Wortmeldung. Aber wir wollen es einmal so zulassen. Bitte schön.

© Bundesärztekammer 2009