Dr. Emminger, Bayern:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber vor allen Dingen: liebes Präsidium! Ich
bedanke mich, dass dieses Thema auch heute ein Diskussionspunkt auf diesem
Ärztetag ist. Ich darf vorab eine Bitte an Sie, Herr Hoppe, äußern, ob Sie sich
gegebenenfalls überlegen könnten, in Ihrem Antrag 01 auf der ersten Seite im
dritten Absatz das Wort „lediglich“ zu streichen. Ich will dies auch begründen.
Unsere ärztliche Berufsfreiheit
findet ihre Selbstbeschränkung, wie Sie geschrieben haben, in der Verantwortung
für unseren Patienten, aber wie es die Berufsordnung ziemlich am Anfang auch
festschreibt, ebenso im Gemeinwohlbezug. Es ist nur eine kleine redaktionelle
Korrektur. Aber vielleicht kann man das Wort „lediglich“ streichen.
Ich will auf einen anderen Aspekt
eingehen, der mir heute noch nicht richtig zur Sprache gekommen ist. Worauf
gründet sich eigentlich unsere Freiheit, die Freiheit unseres ärztlichen
Berufs? Ich will Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf das Grundgesetz, das
in den nächsten Tagen seinen 60. Geburtstag feiert, hinweisen, und zwar auf
Artikel 12 Abs. 1, einen Artikel, der sehr eng mit den ersten zehn Artikeln
unserer Verfassung in Verbindung steht. Dort steht – ich darf zitieren und
bitte Sie, beide Teile sehr wohl zu hören –:
Alle Deutschen haben das
Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.
Das ist der zentrale Satz, auf den
sich in unserem Staat – ich meine jetzt nicht den Parteienstaat – die Freiheit
aller Berufe gründet und damit auch die Freiheit des ärztlichen Berufs. Wir
sollten dieses wohl verstehen: Auch derjenige, der Kühlschränke oder Autos
baut, hat vom Grundgesetz her dieselbe Freiheit wie Ärzte, Rechtsanwälte,
Steuerberater oder andere verkammerte Berufe.
Aber dann kommt der zweite, für uns
ebenso entscheidende Satz:
Die Berufsausübung kann durch
Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
Jetzt kommt das Besondere der sogenannten
freien Berufe. Ich beziehe mich hier nur auf die verkammerten Berufe. Der Staat
– Herr Hommerich, Sie werden mir vermutlich zustimmen – hält beispielsweise die
Rechtspflege und die gesundheitliche Versorgung unserer Bevölkerung für so
entscheidend, dass er auf der Grundlage des Satzes 2 im ersten Absatz des
Artikels 12 für uns Ärzte ähnlich wie für die Rechtsanwälte Einschränkungen
vornimmt. Theodor Heuss, der erste Präsident dieser Republik, hat das vor 93
Jahren, nämlich 1916, folgendermaßen sehr schön formuliert – ich darf mit
Erlaubnis des Präsidenten zitieren –:
Der Staat regelt dreifach die
Grenzen dieser Berufe. Er kontrolliert die Eignung, tarifiert einen Teil der
Einnahmen und verordnet ihnen
– den freien Berufen –
Körperschaften, die mit disziplinaren
Rechten ausgestattet sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das
ist der Zustand, in dem wir uns heute befinden. Der Staat ist der Ansicht, dass
die beiden Bereiche Rechtspflege und Gesundheitsversorgung eine so hohe
Bedeutung haben, dass er hier Einschränkungen machen muss, wie Theodor Heuss
sie schon vor 93 Jahren vorhergesehen hat.
Was ist unsere Freiheit, unsere
Freiheit als Mitglieder dieses Berufs? Diese Freiheit ist vom Staat auf der
Grundlage des Grundgesetzes definiert. Diese Freiheit liegt darin, dass wir
unsere eigenen Angelegenheiten selber regeln können. Deswegen haben wir Kammern
und deswegen haben wir eine Berufsordnung. Ich bin inzwischen – ich gebe zu: Es
hat lange gedauert – zu der Erkenntnis gekommen, dass die Berufsordnung, die
wir uns im Rahmen des Grundgesetzes gegeben haben, die Verfassung ist, mit der
wir miteinander umgehen, mit der wir unsere Patienten behandeln wollen, mit der
wir auch die Verantwortung gegenüber dem Gemeinwohl wahrnehmen wollen.
Wenn Sie die ersten Artikel dieser
Berufsordnung lesen und vor allen Dingen die Präambel, sehen Sie, dass es dort
einen ganz entscheidenden und zentralen Begriff gibt – darauf hat Herr Professor
Hommerich genügend hingewiesen –: Unsere Freiheit beruht auf dem
Vertrauen, das der Patient, aber auch die Gesellschaft uns entgegenbringt.
Zum mündigen Patienten: Der Patient
ist uns mit unserem Expertenwissen immer unterlegen. Wir müssen hier einmal
begrifflich sauber definieren, was wir unter dem „mündigen Patienten“ oder dem
„aufgeklärten Patienten“ oder dem „entscheidungsbefugten Patienten“ verstehen.
Aber den Patienten, der mit uns, den medizinischen Experten, auf Augenhöhe
verhandelt, den wird und kann es nicht geben, es sei denn, er ist selber Arzt.
Der entscheidende Punkt ist folgender;
damit will ich schließen. Wir stellen uns ja die Frage: Wie können wir unsere
Freiberuflichkeit aufrechterhalten und verteidigen? Wichtig ist, dass wir die
Idee, die uns das Grundgesetz vorgibt, nämlich dass wir unsere Belange selber
regeln können, dass wir das im Hinblick auf die Patienten und das Gemeinwohl
tun müssen, weitergeben an die nächste Generation, an unsere jungen Kolleginnen
und Kollegen. Wir haben das Recht und die Verpflichtung, diese Idee mit
Inhalten zu füllen. Wir müssen das innerärztlich selbst definieren. Nur dann
können wir das wohlverstanden an unsere jungen Kolleginnen und Kollegen
weitergeben. Nur dann können uns Staat und Gesellschaft – ich rede hier nicht
vom Parteienstaat – dasjenige Vertrauen entgegenbringen, dass wir tatsächlich
dem einzelnen Patienten und dem Gemeinwohl gegenüber verpflichtet sind.
Gerade in der jetzigen Situation
ist es so elementar wichtig, dass wir uns mit dem Thema „Arzt als freier Beruf“
und mit seinem Bezug zum Grundgesetz, zur Verfassung, beschäftigen. Dazu
fordere ich Sie auf.
Vielen Dank.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h.
c. Hoppe: Vielen Dank, Herr Emminger.
(Zuruf: Begrenzung der
Redezeit!)
– An sich geht das nur über eine
schriftliche Wortmeldung. Aber wir wollen es einmal so zulassen. Bitte schön.
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