TOP IV: Medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung

Donnerstag, 21. Mai 2009, Vormittagssitzung

Dr. Dewitz, Berlin: Sehr geehrte Vorsitzende! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fand die Referate von Herrn Dr. Peters und von Herrn Professor Seidel sehr gut und wichtig. Ich halte aber diese Seitenhiebe in beiden Referaten in Richtung Kostenerstattung und KV-System, wie Herr Merchel schon gesagt hat, für überflüssig und schädlich. Ich finde, dass sich Kostenerstattung, Einzelleistungsvergütung und der Bezug von Transferleistungen nicht ausschließen. Auch Menschen, die Transferleistungen erhalten, zahlen ihre Miete in aller Regel selber, überweisen sie selber. Das wurde irgendwann einmal umgestellt: Früher wurde die Miete direkt von der hilfegewährenden Stelle überwiesen. Später hat man gesagt: Nein, diese Menschen müssen zur Selbstständigkeit erzogen werden, sie bekommen das Geld auf ihr Konto überwiesen und reichen es dann weiter.

Genauso würde es auch weiterlaufen, wenn wir die Kostenerstattung hätten. Das Sachleistungsprinzip führt nämlich genau zu dem beklagenswerten Zustand, dass es zu einer Rationierung kommt. Die Pauschalierung führt zu einer Nivellierung der Vergütung. Es werden Wirtschaftlichkeitsreserven gehoben. Das heißt, uns wird das Geld aus dem Portemonnaie genommen. Unsere Leistungen werden nicht vergütet. Als Orthopäde mit Röntgen und Elektrotherapie erbringe auch ich Leistungen für 11 Euro im Monat bzw. 30 Euro im Quartal. Da bin ich eher schlechtergestellt als ein Hausarzt, weil ich hohe Kosten habe durch ständige Prüfungen oder auch TÜV-Prüfungen. Nicht zu vergessen ist auch das Material, das man sich beschaffen muss.

Ich denke, wir kommen aus dieser Falle des weiteren Absinkens der Vergütung nur heraus, wenn wir vom Sachleistungsprinzip endlich wieder zur Kostenerstattung kommen, wenn Einzelleistungen erstattet werden.

Ich möchte auch noch zu den Zuzahlungen, die Sie kritisiert haben, Stellung nehmen. Zuzahlungen führen zu einem Rückgang der Zahl der Arztbesuche, nicht nur bei Behinderten, auch in sozial schwachen Bezirken. Es gibt Erhebungen seitens der KV Berlin, dass die generelle Einführung der Zuzahlung 2004 zu einem Rückgang der Zahl der Arztbesuche in sozial schwachen Bezirken von über 15 Prozent geführt hat, während in bessergestellten sozialen Bezirken die Zahl der Arztbesuche nach einem Rückgang von 8 Prozent nach einem Jahr wieder auf das alte Niveau angestiegen ist. Ich glaube, im Bundesdurchschnitt liegt der Rückgang bei 6 oder 7 Prozent. Dadurch gehen sozial Schwache dreimal weniger zum Arzt, als das in sozial stärkeren Regionen der Fall ist.

Als Orthopäde beobachte ich in den letzten Jahren, dass die Patienten später zu mir kommen. Sie kommen nicht mehr im ersten Quartal, das früher eines der stärksten Quartale war, sondern sie müssen zunächst einmal zum Hausarzt und zum Kardiologen, um sich ihre Medikamente fürs Herz und gegen Diabetes zu holen. Wenn sie nach einigen Monaten wieder Geld haben, kommen sie zum Orthopäden, weil sie wissen, dass das Medikament gegen die Osteoporose auch wieder Zuzahlung kostet. Wenn sie Krankengymnastik aufgeschrieben bekommen, müssen sie auch Zuzahlungen leisten.

Das letztendlich von der SPD eingeführte System führt zu einer starken sozialen Benachteiligung von Menschen mit niedrigem Einkommen. Ich denke, das kann auf Dauer so nicht sein.

Vielen Dank.

(Beifall)

Vizepräsidentin Dr. Goesmann: Vielen Dank. – Jetzt nochmals Herr Bolay. Bitte.

© Bundesärztekammer 2009