Prof. Dr. Seidel, Referent:
Meine Damen und Herren! Wenn man hier oben sitzt und die Diskussion verfolgt,
ist das ein ganz bewegender Moment. Ich meine, es ist sehr beeindruckend, mit
welchem Engagement so viele Redner zu dem Thema Stellung genommen haben.
Mir ist noch ein verrückter Gedanke
gekommen: Sie haben hier fast vollzählig die gesamte Diskussion durchgestanden,
haben aufmerksam gelauscht. Ich mache jetzt ein gedankliches Experiment und
stelle mir eine ähnliche Sitzung zu demselben Thema im Bundestag vor. Wie viele
wären da wohl anwesend gewesen? Man muss sagen: Da haben die Ärzte, denen man
immer vorwirft, es ginge ihnen nur ums Geld, ein blendendes Beispiel eines
guten Engagements geliefert.
(Beifall)
Ich weiß nicht genau, auf wen das
Zitat zurückgeht, aber ich würde sagen: Yes, we can!
Meine Damen und Herren, ich will
nur auf einige wenige Argumente aus der Diskussion eingehen. Ich komme zunächst
zur Kostenerstattung. Ich zumindest habe nicht gesagt, dass ich sie pauschal
verwerfe, sondern ich habe die Frage gestellt: Was geschieht mit Menschen, die
behindert sind, die im Sozialhilfebezug sind oder ansonsten in prekären
Verhältnissen leben? Ich habe gesagt: Bitte überdenken Sie diesen Beschluss.
Das war alles. Das war keine pauschale Verwerfung.
Wir haben einige Fragen bezüglich
der hausärztlichen Zuständigkeit gehört. Meine Damen und Herren, alle
Bekenntnisse, die hier zur primären hausärztlichen Zuständigkeit abgegeben
worden sind, sind ohne Einschränkung willkommen zu heißen. Selbstverständlich
hat das primärärztliche Versorgungssystem die erste Rolle zu spielen, auch bei
der Versorgung behinderter Menschen. Daran gibt es gar nichts zu deuteln.
(Beifall)
In meinem Referat hieß es immer
zuerst: die Verbesserung der Rahmenbedingungen des Regelversorgungssystems. Das
ist politisch richtig, das ist menschenrechtspolitisch richtig und das ist
fachlich richtig – und berufspolitisch sowieso.
Aber es wird immer Fragen geben,
bei denen das Regelversorgungssystem, wie immer es im Einzelfall aussehen mag,
überfordert sein mag. Für diese Fragestellungen benötigen wir ein ergänzendes
spezialisiertes System, das möglicherweise zeitweilig oder zu bestimmten
Aspekten die Mitbehandlung übernimmt.
Ich danke ausdrücklich für den
Hinweis auf die Problematik der seelischen Behinderung. Das heutige Thema hat
nur auf eine Teilgruppe der Menschen mit Behinderung abgehoben, nämlich die
Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Das war bewusst so gewählt.
Viele der Fragestellungen und der Problemlagen, die wir beschrieben haben,
treffen in abgewandelter Form durchaus auch auf Menschen mit anderen
Behinderungen zu.
Folgenden Punkt will ich
unterstreichen: Es gibt einen Zusammenhang zwischen geistiger und mehrfacher
Behinderung auf der einen Seite und psychiatrischem Versorgungsbedarf auf der
anderen Seite. Es ist bekannt, dass Menschen mit geistiger Behinderung während
ihrer Lebenszeit etwa vier- bis fünfmal so häufig eine psychiatrische
Fragestellung aufwerfen wie die Durchschnittsbevölkerung. Leider kommt diese
Thematik auch im Regelversorgungssystem zu kurz. Leider gibt es eine ganze
Reihe von wichtigen psychiatrischen Versorgungsansätzen, die aus politischen
Gründen oder auf der Ebene der Selbstverwaltung noch nicht umgesetzt wurden.
Ich nenne nur das Stichwort Soziotherapie.
Wir haben auch einige Rückmeldungen
zum Thema KV gehört. Ich darf Herrn Kollegen Massing beruhigen: Meine Kritik
bezog sich nicht auf die KV Westfalen-Lippe. Ich darf Frau Gräfin Vitzthum
darauf hinweisen, dass ich sehr wohl die gute Regelung aus Stetten kenne. Wir arbeiten
selbstverständlich eng mit den Kollegen in Stetten zusammen. Uns verbinden
viele fachliche Zusammenhänge.
Aber die KV in Baden-Württemberg
hat es abgelehnt, einen Antrag nach § 119 a der Moosbacher Anstalten
anzuerkennen. Im Widerspruch waren sie erfolgreich, trotzdem verweigert die KV
– so hat es mir ein Kollege erzählt; das wäre nachzuprüfen – die Zulassung zu
dieser Ermächtigung nach § 119 a. Hier bedarf es einer Aufklärungsarbeit.
Da es sich um eine kleine
Patientengruppe handelt, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass das zum
Nachteil der Gemeinschaft der niedergelassenen Ärzte unter finanziellen
Gesichtspunkten wäre.
Damit genug meiner Stellungnahme.
Noch einmal herzlichen Dank für Ihre engagierte Diskussion und für Ihre vielen
freundlichen Rückmeldungen. Den weiteren Beratungen einen guten Verlauf!
(Beifall)
Vizepräsidentin Dr.
Goesmann: Herr Professor Seidel, auch Ihnen noch einmal den herzlichen Dank
des Auditoriums. Als Hausärztin kann ich nur sagen: Natürlich begleiten wir
gern die Familien von betroffenen Behinderten. Aber wir sind sehr dankbar für
die spezialisierte Versorgung, die Sie und Ihre Mitarbeiter und alle in diesem
Bereich Tätigen anbieten. Wir greifen das immer wieder gern auf. Wir
unterstützen vor allem auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die an ihrer
schweren Arbeit mit Menschen mit Behinderungen krank werden können. Das
wünschen wir ihnen nicht, sondern hoffen, dass es eine Freude ist, mit diesen
Menschen arbeiten zu dürfen.
Ich greife gern Ihr Lob für das
Auditorium auf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben sehr konzentriert und
ohne Verlassen des Auditoriums sehr intensiv bei diesem Thema mitgearbeitet,
und zwar unter fachlichen, sozialpolitischen, ethischen und berufspolitischen
Gesichtspunkten.
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