TOP VIII: Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer

Freitag, 22. Mai 2009, Vormittagssitzung

Prof. Dr. Dr. h. c.
Scriba, ReferentProf. Dr. Dr. h. c. Scriba, Referent: Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank für die Einladung zum vierten Bericht über die Versorgungsforschung. Ich bin natürlich sehr gerne gekommen. Ihnen wurden bereits die „Visitenkarten“ der durch die Bundesärztekammer geförderten Projekte 2006/2007 bis 2010/2011 ausgeteilt. Das findet man im Übrigen auch auf der Homepage. Ich möchte gleich darauf hinweisen, dass das eine ganz ungewöhnliche Art von Transparenz ist. Ich kenne kein anderes Förderverfahren für irgendwelche Forschungsvorhaben, bei dem man über die Projekte während der laufenden Arbeit alles Wesentliche über Methodik, angestrebte Ergebnisse usw. nachlesen kann. Das ist etwas, was dieses Verfahren schon einmal auszeichnet.

Ich bin noch immer voller Hochachtung, sogar Bewunderung für den Weitblick und die Klugheit sowohl der Delegierten des Deutschen Ärztetages als auch des Vorstands der Bundesärztekammer, dass sie sich die Förderung der Versorgungsforschung vorgenommen haben und dafür Mittel in die Hand nehmen. Der Zweck dieser Arbeit besteht ja darin, zu demonstrieren, dass die Bundesärztekammer unabhängige wissenschaftliche Kompetenz braucht und besitzt. Dieses der Öffentlichkeit klarzumachen, erhöht die Bedeutung und die Aufmerksamkeit für Stellungnahmen und Empfehlungen, von denen wir alle wissen, wie breit das Themenspektrum ist. Das geht selbstverständlich bis in die Politikberatung hinein.

Ich möchte in aller Kürze daran erinnern, dass im Rahmen der Förderinitiative Fragestellungen bearbeitet werden sollen, die von besonderer gesundheitspolitischer Relevanz sowohl für die gesamte Ärzteschaft als auch für die Patienten sind. Darüber hinaus soll die Forschung Projekte mit Modellcharakter fördern, deren Ergebnisse in die Fläche oder in andere Bereiche der gesundheitlichen Versorgung übertragen werden können. Die Ergebnisse der Versorgungsforschung stehen für die Politikberatung zur Verfügung und sollen, wo das möglich ist, Hinweise auf mögliche Verbesserungen der Versorgungssituation geben.

Das ganze Verfahren wird nach einem Rahmenkonzept abgewickelt, dessen wichtigsten Punkte sind: insgesamt sechs Jahre; das Fördervolumen pro Jahr beträgt 750 000 Euro; die Förderungsgegenstände werden auf wenige Themenfelder eingeengt; es gibt einen jährlichen Zwischenbericht.

Es gibt drei Typen von Projekten, drei Projektarten. Typ I läuft maximal drei Jahre mit maximal 200 000 Euro. Das sind selbstverständlich Mittel im Sinne einer Ergänzungsausstattung, zu der die Grundausstattung des Projektnehmers im Sinne einer Eigenbeteiligung hinzukommt. Das sind Einzelprojekte, die Modellcharakter haben sollen.

Projekte vom Typ II sind Querschnittsprojekte. Das ist zum Beispiel der Report Versorgungsforschung. Er beruht auf einem Workshop zu irgendeinem gegebenen, ausgesuchten Thema. Was an Beiträgen im Workshop aufscheint, geht zusammen mit anderen aus der Literatur auffälligen passenden Beiträgen in einen Band. Das ist dann der Report Versorgungsforschung.

Ein Typ-III-Projekt ist eine gezielte kurze Expertise, in der im Wesentlichen vorliegende Literatur ausgewertet wird.

Die zweite Besonderheit des Förderverfahrens, auf die ich aufmerksam machen möchte, ist die Rolle der Projektpaten. Jedes Projekt hat einen Paten aus dem Kreis der Gutachter, der von da an für ihren Zweck der Beratung zur Verfügung steht. Jedes Projekt erstellt Zwischenberichte, die der Pate begutachtet und für die Sitzungen der Ständigen Kommission Versorgungsforschung vorstellt und berichtet. Schließlich findet ein jährlicher Projektworkshop statt, bei dem über die einzelnen Projekte berichtet wird.

Ich möchte Sie jetzt über die Projekte der erste Förderphase, die Typ-I-Projekte, informieren. Da haben wir folgende Themenfelder ausgewählt. Themenfeld 1 betrifft die Implementierung von Leitlinien in den ärztlichen Alltag, Themenfeld 2 den Einfluss der Ökonomisierung der stationär und ambulant erbrachten ärztlichen Leistung auf die Patientenversorgung und die Handlungsfreiheit der ärztlichen Tätigkeit. Themenfeld 3 betrifft die Wechselwirkung zwischen arztseitigen Faktoren und Versorgungsrealität („Physician Factor“). Es gibt in dieser ersten Förderphase insgesamt 19 geförderte Projekte. Von denen haben zehn den Endbericht schon abgeliefert. Ich werde im Folgenden drei Beispiele etwas näher erläutern, damit Sie sich ein wenig plastischer vorstellen können, was da eigentlich getan wird.

Ich komme zunächst zur Implementierung von Leitlinien in den ärztlichen Alltag. Dabei geht es um Leitlinien zur Prävention und Kontrolle von Methicillin-resistenten Staphylococcus-aureus-Stämmen. Es geht um eine Leitlinie des Robert-Koch-Instituts. Herausgekommen ist, dass die Leitlinien relativ gut umgesetzt werden. Die Studien geben aber wichtige Hinweise darauf, dass ergänzende Maßnahmen, also ein Ausnahmescreening auf einer Intensivstation, für die Detektion von MRSA hilfreich sind. Es hat sich eine positive Rolle einer Dekolonisierung mit Mupirocin-Nasensalbe und Ganzkörperwaschung gezeigt.

Sollten sich diese Studienergebnisse in weiterführenden Untersuchungen be­stätigen, so wäre das ein Hinweis darauf, dass die existierende Leitlinie ergänzt und verbessert werden muss. Das ist ein durchaus bemerkenswertes Ergebnis.

Zum Themenfeld 2, dem Einfluss der Ökonomisierung, erwähne ich eine Studie aus Mecklenburg-Vorpommern, die ganz besonders auf der Mitarbeit des Max-Planck-Instituts für Demografie in Rostock beruht und daher ihren besonderen Wert hat. Es ist herausgekommen, dass der demografische Wandel in Mecklenburg-Vorpommern einhergeht mit einer Inanspruchnahme und einer Morbiditätslast, die trotz sinkender Bevölkerungszahlen zunehmen. Das ist ein meiner Meinung nach wichtiges Ergebnis.

Im ambulanten Bereich scheiden bekanntermaßen viele Haus- und Fachärzte aus. Da gibt es akute, besonders regional aufzufindende Unterbesetzungen. Im stationären Bereich zeigt eine neuerliche Bedarfsberechnung mit neuer Methodik auf der Grundlage differenzierterer Daten einen gegenüber der bisherigen Planung zusätzlichen Bettenbedarf. Das ist ein überraschendes Ergebnis.

Man muss zusammenfassend sagen, dass der demografische Wandel sehr viel präziser in die Bedarfsplanung aufgenommen werden muss, als das bisher üblich war. Ich zeige Ihnen hier eine Darstellung des Bettenbedarfs. Die grünen Punkte beziehen sich auf die offizielle Berechnung. Die rote Kurve beruht auf eigenen Berechnungen der Autoren. Das ist ein um doch immerhin 10 bis 15 Prozent abweichendes Ergebnis.

Das dritte Beispiel bezieht sich auf den Physician Factor. Es geht um eine Studie aus München von Angerer und Mitarbeitern. Die Forschungsfrage lautet: Welche wechselseitigen Zusammenhänge gibt es zwischen den Arbeitsbedingungen von Klinikärzten, den arztseitigen Faktoren wie Zufriedenheit, Befinden und Gesundheit, der Arzt-Patient-Interaktion und der Qualität der ärztlichen Versorgung? Das ist eine sehr ambitionierte Fragestellung. Kann man diese Zusammenhänge auch noch positiv beeinflussen?

Das jetzt vorliegende Ergebnis muss ich etwas genauer erklären. Es ist eine Kohortenstudie mit 621 Ärzten, die befragt wurden. Die daraus erhaltenen Informationen gehen dann in eine Studie ein, bei der eine Intervention in einem Modellkrankenhaus durchgeführt wird. In diesem Modellkrankenhaus werden mit 63 Ärzten zwei Gruppen gebildet: eine Interventionsgruppe und eine Kontrollgruppe in jeweils zwei Abteilungen. Die Intervention besteht erstens darin, dass Gesundheitszirkel gebildet werden, deren Zusammensetzung Sie hier sehen. Diese identifizieren die Probleme. Wenn die Umsetzung gelingt, wenn es beispielsweise möglich wird, das Feedback zum Vorgesetzten und umgekehrt zu verbessern oder weniger Störungen bei der Visite durchzusetzen, dann sind drei Ergebnisse nachgewiesen. Erstens. Die Arbeitsbedingungen verbessern sich. Das ist subjektiv und objektiv zu beobachten. Zweitens. Die Ärzte sind weniger erschöpft. Auch das ist gemessen worden. Drittens. Die Patienten geben bei Befragungen an, dass sie sich besser versorgt fühlen. Das kann man ablesen an Äußerungen wie „Die Ärzte haben mehr Zeit“.

Das ist eine Studie, die nicht nur die Klagen der Ärzte misst oder im Sinne einer Messzahl transportierbar werden lässt, sondern darüber hinaus auch noch eine Intervention zeigt: Wie kann man das Ganze verbessern?

So viel zur ersten Förderphase und den Typ-I-Projekten, die wir bisher haben. Ich bitte Sie, alles Weitere den inzwischen hoffentlich verteilten Skizzen, den „Visitenkarten“, zu entnehmen, die Sie auch im Internet finden.

Ich komme zu Projekten der zweiten Förderphase, die soeben begonnen haben. Als Themenfelder haben wir die Versorgungsstrukturen und die Steuerungsmechanismen ausgesucht. Aus Zeitgründen kann ich keine näheren Projektbeschreibungen geben. Das finden Sie alles in den genannten Skizzen, in den „Visitenkarten“.

Ich komme zu den Typ-II-Projekten. Das sind diejenigen Projekte, bei denen ein Workshop durchgeführt wird und die Ergebnisse des Workshops anschließend ergänzt werden durch Literatur. Das erste Beispiel – ich habe es schon im vorigen Jahr vorgestellt – ist das Buch von Frau Kurth mit dem Titel „Monitoring der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland“. Alle Informationen dazu haben Sie schon.

Der zweite Band mit dem Thema „Arbeitsbedingungen und Befinden von Ärztinnen und Ärzten“ ist die Arbeit der Herren Angerer und Schwarz, die voraussichtlich des Jahres erscheinen wird.

Das dritte Thema, bearbeitet von Frau Professor Stoppe, ist das Thema „Versorgung psychisch kranker alter Menschen“. Der dazugehörige Workshop findet im Oktober dieses Jahres statt.

Schließlich komme ich noch zu den Typ-III-Projekten. Das sind die gezielten Kurzexpertisen, von denen wir gelernt haben, dass sie ein sehr wirksames Instrument sind, um sich schnell über eine Fragestellung zu informieren. Drei davon sind bereits publiziert. Es geht zum einen um die internationale Literatur zum Physician Factor. Das ist 2007 im „Deutschen Ärzteblatt“ erschienen. Das Zweite ist die Machbarkeitsstudie zu den Folgen der Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen. Darüber habe ich schon berichtet. Das Ganze ist im Internet nachlesbar. Das Dritte ist der Literatur-Review zu dem Nutzen und den Risiken von Telemonitoring-Verfahren. Das wird im Laufe dieses Jahres publiziert werden.

Das Thema „Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf die wissenschaftlichen Ergebnisse und die Publikation von Arzneimittelstudien“ entspricht einem Auftrag des 110. Deutschen Ärztetages. Der erste Teil befasst sich mit der Frage, welche Mechanismen sich identifizieren lassen. Das wurde vom Vorstand der Bundesärztekammer an die Versorgungsforschungsgruppe weitergereicht bzw. an den Wissenschaftlichen Beirat. Es wurde eine Ausschreibung vorgenommen. Das Ergebnis der Ausschreibung war, dass die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft den Auftrag annahm.

Den Ergebnisbericht haben Sie, wenn ich richtig informiert bin, mit der Post zugeschickt bekommen. Er wird in Kürze im „Deutschen Ärzteblatt“ veröffentlicht werden.

Der zweite Teil befasst sich mit dem Thema: Gibt es Hinweise darauf, ob und wie diese Mechanismen zu veränderten interessensgeleiteten Inhalten medizinischer Leitlinien führen können? Es wurde beschlossen, dass dieser zweite Teil ausgeschrieben wird. Diese Ausschreibung wurde vom Vorstand der Bundesärztekammer beschlossen. Die Ausschreibung erfolgt in Kürze.

Weitere Typ-III-Projekte, die wir in Arbeit haben, sind die Themen Kindesmisshandlungen – das ist nach Bayreuth gegangen –, Effektivität von nicht ärztlichen Berufen in ambulanten Versorgungskonzepten und die Fortsetzung der Studie Rostock/Greifswald, die ich gerade vorgestellt habe, die sich speziell auf die ambulante Versorgung bezieht.

Dann gibt es noch eine geplante Typ-III-Expertise hinsichtlich der Datentransparenz für ärztliche Körperschaften. Das ist eine Expertise zur Notwendigkeit und Realisierbarkeit des ungehinderten Zugangs der ärztlichen Körperschaften zu sozial- und krankheitsbezogenen Daten. Das ist ein auf dem 111. Deutschen Ärztetag geäußerter Wunsch.

Ich glaube, dass man im Sinne eines Fazits sagen kann: Die Förderinitiative der Bundesärztekammer liegt im Programmplan und ist auf einem guten Weg, die vorgegebenen Ziele auch zu erreichen. Ab Sommer 2009 werden in einer Reihe zur Förderinitiative Versorgungsforschung im „Deutschen Ärzteblatt“ interessante Ergebnisse aus den bereits abgeschlossenen Projekten nacheinander vorgestellt. Eine umfassende Berichterstattung zu den Projektergebnissen erfolgt dann auf dem nächsten Deutschen Ärztetag in Dresden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank, Professor Scriba, für diese Darstellung. Ich glaube, so klar war es das ganze Jahr über nicht für alle. Deswegen bedanken wir uns sehr, sehr herzlich für diesen Bericht. Wir haben jetzt eine offene Diskussion darüber, die folgende Anträge beinhaltet: 38, 58, 68, 72, 59, 60, 77 und 42. Das sind insgesamt acht Anträge, die wir alle mit in die Aussprache einbeziehen.

Bis jetzt liegen zwei Wortmeldungen vor. Als erster Redner bitte Herr Calles aus Bayern.

© Bundesärztekammer 2009