Prof. Dr. Dr. h. c.
Scriba, Referent: Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vielen Dank für die Einladung zum vierten Bericht über die
Versorgungsforschung. Ich bin natürlich sehr gerne gekommen. Ihnen wurden
bereits die „Visitenkarten“ der durch die Bundesärztekammer geförderten
Projekte 2006/2007 bis 2010/2011 ausgeteilt. Das findet man im Übrigen auch auf
der Homepage. Ich möchte gleich darauf hinweisen, dass das eine ganz
ungewöhnliche Art von Transparenz ist. Ich kenne kein anderes Förderverfahren
für irgendwelche Forschungsvorhaben, bei dem man über die Projekte während der
laufenden Arbeit alles Wesentliche über Methodik, angestrebte Ergebnisse usw.
nachlesen kann. Das ist etwas, was dieses Verfahren schon einmal auszeichnet.
Ich bin noch immer voller
Hochachtung, sogar Bewunderung für den Weitblick und die Klugheit sowohl der
Delegierten des Deutschen Ärztetages als auch des Vorstands der
Bundesärztekammer, dass sie sich die Förderung der Versorgungsforschung
vorgenommen haben und dafür Mittel in die Hand nehmen. Der Zweck dieser Arbeit
besteht ja darin, zu demonstrieren, dass die Bundesärztekammer unabhängige
wissenschaftliche Kompetenz braucht und besitzt. Dieses der Öffentlichkeit
klarzumachen, erhöht die Bedeutung und die Aufmerksamkeit für Stellungnahmen
und Empfehlungen, von denen wir alle wissen, wie breit das Themenspektrum ist.
Das geht selbstverständlich bis in die Politikberatung hinein.
Ich möchte in aller Kürze daran
erinnern, dass im Rahmen der Förderinitiative Fragestellungen bearbeitet werden
sollen, die von besonderer gesundheitspolitischer Relevanz sowohl für die
gesamte Ärzteschaft als auch für die Patienten sind. Darüber hinaus soll die
Forschung Projekte mit Modellcharakter fördern, deren Ergebnisse in die Fläche
oder in andere Bereiche der gesundheitlichen Versorgung übertragen werden
können. Die Ergebnisse der Versorgungsforschung stehen für die Politikberatung
zur Verfügung und sollen, wo das möglich ist, Hinweise auf mögliche Verbesserungen
der Versorgungssituation geben.
Das ganze Verfahren wird nach einem
Rahmenkonzept abgewickelt, dessen wichtigsten Punkte sind: insgesamt sechs
Jahre; das Fördervolumen pro Jahr beträgt 750 000 Euro; die
Förderungsgegenstände werden auf wenige Themenfelder eingeengt; es gibt einen
jährlichen Zwischenbericht.
Es gibt drei Typen von Projekten,
drei Projektarten. Typ I läuft maximal drei Jahre mit maximal 200 000
Euro. Das sind selbstverständlich Mittel im Sinne einer Ergänzungsausstattung,
zu der die Grundausstattung des Projektnehmers im Sinne einer Eigenbeteiligung
hinzukommt. Das sind Einzelprojekte, die Modellcharakter haben sollen.
Projekte vom Typ II sind
Querschnittsprojekte. Das ist zum Beispiel der Report Versorgungsforschung. Er
beruht auf einem Workshop zu irgendeinem gegebenen, ausgesuchten Thema. Was an
Beiträgen im Workshop aufscheint, geht zusammen mit anderen aus der Literatur
auffälligen passenden Beiträgen in einen Band. Das ist dann der Report
Versorgungsforschung.
Ein Typ-III-Projekt ist eine
gezielte kurze Expertise, in der im Wesentlichen vorliegende Literatur
ausgewertet wird.
Die zweite Besonderheit des
Förderverfahrens, auf die ich aufmerksam machen möchte, ist die Rolle der
Projektpaten. Jedes Projekt hat einen Paten aus dem Kreis der Gutachter, der
von da an für ihren Zweck der Beratung zur Verfügung steht. Jedes Projekt
erstellt Zwischenberichte, die der Pate begutachtet und für die Sitzungen der
Ständigen Kommission Versorgungsforschung vorstellt und berichtet. Schließlich
findet ein jährlicher Projektworkshop statt, bei dem über die einzelnen
Projekte berichtet wird.
Ich möchte Sie jetzt über die
Projekte der erste Förderphase, die Typ-I-Projekte, informieren. Da haben wir
folgende Themenfelder ausgewählt. Themenfeld 1 betrifft die Implementierung von
Leitlinien in den ärztlichen Alltag, Themenfeld 2 den Einfluss der
Ökonomisierung der stationär und ambulant erbrachten ärztlichen Leistung auf
die Patientenversorgung und die Handlungsfreiheit der ärztlichen Tätigkeit. Themenfeld
3 betrifft die Wechselwirkung zwischen arztseitigen Faktoren und
Versorgungsrealität („Physician Factor“). Es gibt in dieser ersten Förderphase
insgesamt 19 geförderte Projekte. Von denen haben zehn den Endbericht schon
abgeliefert. Ich werde im Folgenden drei Beispiele etwas näher erläutern, damit
Sie sich ein wenig plastischer vorstellen können, was da eigentlich getan wird.
Ich komme zunächst zur
Implementierung von Leitlinien in den ärztlichen Alltag. Dabei geht es um
Leitlinien zur Prävention und Kontrolle von Methicillin-resistenten
Staphylococcus-aureus-Stämmen. Es geht um eine Leitlinie des
Robert-Koch-Instituts. Herausgekommen ist, dass die Leitlinien relativ gut
umgesetzt werden. Die Studien geben aber wichtige Hinweise darauf, dass ergänzende
Maßnahmen, also ein Ausnahmescreening auf einer Intensivstation, für die
Detektion von MRSA hilfreich sind. Es hat sich eine positive Rolle einer
Dekolonisierung mit Mupirocin-Nasensalbe und Ganzkörperwaschung gezeigt.
Sollten sich diese Studienergebnisse
in weiterführenden Untersuchungen bestätigen, so wäre das ein Hinweis darauf,
dass die existierende Leitlinie ergänzt und verbessert werden muss. Das ist ein
durchaus bemerkenswertes Ergebnis.
Zum Themenfeld 2, dem Einfluss der
Ökonomisierung, erwähne ich eine Studie aus Mecklenburg-Vorpommern, die ganz
besonders auf der Mitarbeit des Max-Planck-Instituts für Demografie in Rostock
beruht und daher ihren besonderen Wert hat. Es ist herausgekommen, dass der
demografische Wandel in Mecklenburg-Vorpommern einhergeht mit einer
Inanspruchnahme und einer Morbiditätslast, die trotz sinkender
Bevölkerungszahlen zunehmen. Das ist ein meiner Meinung nach wichtiges
Ergebnis.
Im ambulanten Bereich scheiden
bekanntermaßen viele Haus- und Fachärzte aus. Da gibt es akute, besonders
regional aufzufindende Unterbesetzungen. Im stationären Bereich zeigt eine
neuerliche Bedarfsberechnung mit neuer Methodik auf der Grundlage
differenzierterer Daten einen gegenüber der bisherigen Planung zusätzlichen
Bettenbedarf. Das ist ein überraschendes Ergebnis.
Man muss zusammenfassend sagen,
dass der demografische Wandel sehr viel präziser in die Bedarfsplanung
aufgenommen werden muss, als das bisher üblich war. Ich zeige Ihnen hier eine
Darstellung des Bettenbedarfs. Die grünen Punkte beziehen sich auf die
offizielle Berechnung. Die rote Kurve beruht auf eigenen Berechnungen der
Autoren. Das ist ein um doch immerhin 10 bis 15 Prozent abweichendes Ergebnis.
Das dritte Beispiel bezieht sich
auf den Physician Factor. Es geht um eine Studie aus München von Angerer und
Mitarbeitern. Die Forschungsfrage lautet: Welche wechselseitigen Zusammenhänge
gibt es zwischen den Arbeitsbedingungen von Klinikärzten, den arztseitigen
Faktoren wie Zufriedenheit, Befinden und Gesundheit, der Arzt-Patient-Interaktion
und der Qualität der ärztlichen Versorgung? Das ist eine sehr ambitionierte
Fragestellung. Kann man diese Zusammenhänge auch noch positiv beeinflussen?
Das jetzt vorliegende Ergebnis muss
ich etwas genauer erklären. Es ist eine Kohortenstudie mit 621 Ärzten, die
befragt wurden. Die daraus erhaltenen Informationen gehen dann in eine Studie
ein, bei der eine Intervention in einem Modellkrankenhaus durchgeführt wird. In
diesem Modellkrankenhaus werden mit 63 Ärzten zwei Gruppen gebildet: eine
Interventionsgruppe und eine Kontrollgruppe in jeweils zwei Abteilungen. Die
Intervention besteht erstens darin, dass Gesundheitszirkel gebildet werden,
deren Zusammensetzung Sie hier sehen. Diese identifizieren die Probleme. Wenn
die Umsetzung gelingt, wenn es beispielsweise möglich wird, das Feedback zum
Vorgesetzten und umgekehrt zu verbessern oder weniger Störungen bei der Visite
durchzusetzen, dann sind drei Ergebnisse nachgewiesen. Erstens. Die
Arbeitsbedingungen verbessern sich. Das ist subjektiv und objektiv zu
beobachten. Zweitens. Die Ärzte sind weniger erschöpft. Auch das ist gemessen
worden. Drittens. Die Patienten geben bei Befragungen an, dass sie sich besser
versorgt fühlen. Das kann man ablesen an Äußerungen wie „Die Ärzte haben mehr
Zeit“.
Das ist eine Studie, die nicht nur
die Klagen der Ärzte misst oder im Sinne einer Messzahl transportierbar werden
lässt, sondern darüber hinaus auch noch eine Intervention zeigt: Wie kann man
das Ganze verbessern?
So viel zur ersten Förderphase und
den Typ-I-Projekten, die wir bisher haben. Ich bitte Sie, alles Weitere den
inzwischen hoffentlich verteilten Skizzen, den „Visitenkarten“, zu entnehmen,
die Sie auch im Internet finden.
Ich komme zu Projekten der zweiten
Förderphase, die soeben begonnen haben. Als Themenfelder haben wir die
Versorgungsstrukturen und die Steuerungsmechanismen ausgesucht. Aus Zeitgründen
kann ich keine näheren Projektbeschreibungen geben. Das finden Sie alles in den
genannten Skizzen, in den „Visitenkarten“.
Ich komme zu den Typ-II-Projekten.
Das sind diejenigen Projekte, bei denen ein Workshop durchgeführt wird und die
Ergebnisse des Workshops anschließend ergänzt werden durch Literatur. Das erste
Beispiel – ich habe es schon im vorigen Jahr vorgestellt – ist das Buch von
Frau Kurth mit dem Titel „Monitoring der gesundheitlichen Versorgung in
Deutschland“. Alle Informationen dazu haben Sie schon.
Der zweite Band mit dem Thema
„Arbeitsbedingungen und Befinden von Ärztinnen und Ärzten“ ist die Arbeit der
Herren Angerer und Schwarz, die voraussichtlich des Jahres erscheinen wird.
Das dritte Thema, bearbeitet von
Frau Professor Stoppe, ist das Thema „Versorgung psychisch kranker alter
Menschen“. Der dazugehörige Workshop findet im Oktober dieses Jahres statt.
Schließlich komme ich noch zu den
Typ-III-Projekten. Das sind die gezielten Kurzexpertisen, von denen wir gelernt
haben, dass sie ein sehr wirksames Instrument sind, um sich schnell über eine
Fragestellung zu informieren. Drei davon sind bereits publiziert. Es geht zum
einen um die internationale Literatur zum Physician Factor. Das ist 2007 im
„Deutschen Ärzteblatt“ erschienen. Das Zweite ist die Machbarkeitsstudie zu den
Folgen der Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen. Darüber habe ich
schon berichtet. Das Ganze ist im Internet nachlesbar. Das Dritte ist der
Literatur-Review zu dem Nutzen und den Risiken von Telemonitoring-Verfahren.
Das wird im Laufe dieses Jahres publiziert werden.
Das Thema „Einfluss der
pharmazeutischen Industrie auf die wissenschaftlichen Ergebnisse und die Publikation
von Arzneimittelstudien“ entspricht einem Auftrag des 110. Deutschen
Ärztetages. Der erste Teil befasst sich mit der Frage, welche Mechanismen sich
identifizieren lassen. Das wurde vom Vorstand der Bundesärztekammer an die
Versorgungsforschungsgruppe weitergereicht bzw. an den Wissenschaftlichen
Beirat. Es wurde eine Ausschreibung vorgenommen. Das Ergebnis der Ausschreibung
war, dass die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft den Auftrag
annahm.
Den Ergebnisbericht haben Sie, wenn
ich richtig informiert bin, mit der Post zugeschickt bekommen. Er wird in Kürze
im „Deutschen Ärzteblatt“ veröffentlicht werden.
Der zweite Teil befasst sich mit
dem Thema: Gibt es Hinweise darauf, ob und wie diese Mechanismen zu veränderten
interessensgeleiteten Inhalten medizinischer Leitlinien führen können? Es wurde
beschlossen, dass dieser zweite Teil ausgeschrieben wird. Diese Ausschreibung
wurde vom Vorstand der Bundesärztekammer beschlossen. Die Ausschreibung erfolgt
in Kürze.
Weitere Typ-III-Projekte, die wir
in Arbeit haben, sind die Themen Kindesmisshandlungen – das ist nach Bayreuth
gegangen –, Effektivität von nicht ärztlichen Berufen in ambulanten
Versorgungskonzepten und die Fortsetzung der Studie Rostock/Greifswald, die ich
gerade vorgestellt habe, die sich speziell auf die ambulante Versorgung
bezieht.
Dann gibt es noch eine geplante
Typ-III-Expertise hinsichtlich der Datentransparenz für ärztliche
Körperschaften. Das ist eine Expertise zur Notwendigkeit und Realisierbarkeit
des ungehinderten Zugangs der ärztlichen Körperschaften zu sozial- und
krankheitsbezogenen Daten. Das ist ein auf dem 111. Deutschen Ärztetag
geäußerter Wunsch.
Ich glaube, dass man im Sinne eines
Fazits sagen kann: Die Förderinitiative der Bundesärztekammer liegt im Programmplan
und ist auf einem guten Weg, die vorgegebenen Ziele auch zu erreichen. Ab
Sommer 2009 werden in einer Reihe zur Förderinitiative Versorgungsforschung im
„Deutschen Ärzteblatt“ interessante Ergebnisse aus den bereits abgeschlossenen
Projekten nacheinander vorgestellt. Eine umfassende Berichterstattung zu den
Projektergebnissen erfolgt dann auf dem nächsten Deutschen Ärztetag in Dresden.
Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h.
c. Hoppe: Vielen Dank, Professor Scriba, für diese Darstellung. Ich glaube,
so klar war es das ganze Jahr über nicht für alle. Deswegen bedanken wir uns
sehr, sehr herzlich für diesen Bericht. Wir haben jetzt eine offene Diskussion
darüber, die folgende Anträge beinhaltet: 38, 58, 68, 72, 59, 60, 77 und 42.
Das sind insgesamt acht Anträge, die wir alle mit in die Aussprache
einbeziehen.
Bis jetzt liegen zwei Wortmeldungen
vor. Als erster Redner bitte Herr Calles aus Bayern.
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