Stanislaw
Tillich, Ministerpräsident des Freistaates Sachsen: Sehr
geehrter Herr Professor Schulze! Sehr geehrter Herr Hoppe! Sehr geehrter Herr
Bundesminister Dr. Rösler! Meine sehr verehrten Abgeordneten! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich darf Sie recht herzlich hier bei uns im Freistaat
Sachsen im Namen der Sächsischen Staatsregierung willkommen heißen. Ich möchte
mich bei Herrn Professor Schulze für die sehr herzliche Begrüßung bedanken und
daran anschließen. Es ist nicht nur so, dass in Chemnitz das Geld erarbeitet,
in Leipzig gehandelt und in Dresden verprasst wird. Sie haben das Gegenteil
dessen gesehen. Wir haben im Kabinett gerade über die Griechenlandhilfe und den
Euro diskutiert. Ich glaube, das, was Sie bei dem jungen Musiker und seinem
Vater gesehen haben, ist in Sachsen gut investiertes Geld.
(Beifall)
Sie haben auch schon etwas über die
historischen medizinischen Beiträge Sachsens gehört, ebenso über die
kulturellen Spitzenleistungen. Sie haben gerade wunderschöne Zitate über
Dresden vernommen. Ich wünsche Ihnen natürlich, dass Sie die Möglichkeit haben,
über Ihren Ärztetag hinaus den Freistaat Sachsen und die Stadt Dresden näher
kennenlernen zu können. Ich habe Ihrem Programm entnommen, dass Sie sich mit
dem Rahmenprogramm nicht auf die Stadt Dresden beschränken, sondern Sie werden
die vielen Schönheiten unseres Landes und die Gastfreundschaft unserer Menschen
kennenlernen dürfen. Ich wünsche mir und Ihnen, dass Sie tolle Eindrücke mit
nach Hause nehmen und dies Anlass genug ist, nach Dresden und Sachsen
zurückzukehren.
Ich gehe davon aus, dass diese
Eindrücke das eine sind; darüber hinaus geht es natürlich auch um die Wirkungen
dieses Ärztetages für die Republik und letztendlich auch für Ihren Berufsstand.
Es geht um die Weiterentwicklung des deutschen Gesundheitswesens, die hier
diskutiert werden soll.
Ich sehe mit Interesse, dass Sie
sich eines Problems annehmen, dessen wir uns in Sachsen seit Längerem – Herr
Professor Schulze hat darauf hingewiesen – angenommen haben, bei dem wir nach
Lösungen suchen und Lösungen gefunden haben. Es geht darum, die medizinische
Versorgung einer alternden Bevölkerung zu sichern, und zwar bei steigendem
Versorgungs- und Finanzierungsbedarf.
Eine Facette dieses Themas haben
Sie, Herr Bundesminister Rösler, kürzlich auch angesprochen: Das ist der
Ärztemangel. Herr Bundesminister, ich kann Ihnen nur freundlich zurufen:
willkommen im Klub! Sie finden im Freistaat Sachsen und in unserer
Gesundheitspolitik einen Partner, der Ihnen gern dabei behilflich ist – wenn
Sie es sich wünschen –, praxistaugliche Lösungsansätze mit zu entwickeln und
sie letztendlich in die Praxis umzusetzen. Dabei sichere ich Ihnen unsere
Unterstützung zu.
Wir in Sachsen haben die Frage der
ärztlichen Versorgung präzise analysiert und drei Handlungsfelder
identifiziert. Erstens haben wir es mit einem Verteilungsproblem zu tun. Es
gibt überversorgte und unterversorgte Regionen, gut besetzte und schwach
besetzte Disziplinen. Das ist nichts Neues. Als eine Gegenmaßnahme geben wir in
Sachsen Ärzten Zuschüsse, wenn sie sich im unterversorgten Raum niederlassen
oder eine Praxis übernehmen.
Zweitens. Die Ärzteschaft altert
selbst, das heißt, die Ärzte werden älter. Es gibt einen Mangel an Nachwuchs.
Wir setzen deshalb Anreize für junge Leute, ein Medizinstudium aufzunehmen und
bis zum Abschluss durchzustehen. Medizinstudenten, die sich für eine mindestens
fünfjährige Tätigkeit als Landarzt verpflichten, bekommen in Sachsen ein
Stipendium. Darüber hinaus, Herr Bundesminister, sind wir dafür, dass die
Universitäten selbst über die Aufnahme von Medizinstudenten entscheiden sollten
und dass die zentrale Vermittlung und der Numerus clausus nicht die
Angelegenheit einer Zentralverwaltung sein sollten.
(Beifall)
Drittens. Die Alterung der
Gesellschaft sorgt für steigende Fallzahlen pro Arzt. Wir müssen also schauen:
Wo können wir die Ärzte entlasten? Eine sächsische Antwort darauf lautet: Wir
tun das durch die Praxisassistentinnen oder -assistenten, die den Hausarzt bei
Hausbesuchen vertreten. Diese Praxisassistentinnen und -assistenten gehören in Sachsen
inzwischen zur Regelversorgung.
Das sind drei von einem ganzen
Bündel von Maßnahmen, die die Staatsregierung, KV und Krankenkassen gemeinsam
entwickelt haben, um dem Ärztemangel in Sachsen die Schärfe zu nehmen.
An dieser Stelle möchte ich
nochmals einen Dank im Namen der Staatsregierung, aber auch im Namen meiner
Sozial- und Gesundheitsministerin an den Berufsstand und die Krankenkassen
aussprechen. Nur wenn es sich um eine gemeinsame Anstrengung handelt, sind wir
auch erfolgreich. Allein an diesen drei Beispielen von vielen können Sie sehen:
Diese Zusammenarbeit findet auf einer vertrauensvollen, aber auch kritischen
Basis in Sachsen statt.
Im Hinblick auf unsere Erfahrungen
sind mir drei Dinge wichtig:
Erstens. Bei einigen Maßnahmen,
insbesondere den Sicherstellungszuschlägen, ist inzwischen die bundesrechtliche
Grundlage entfallen. Meine Damen und Herren, wenn wir eine effektive regionale
Steuerung wollen, brauchen wir auch an dieser Stelle mehr Kompetenzen für die
Länder. Hier scheint mir eine Stärkung der Regionalisierung und des
Wettbewerbspluralismus angebracht, ganz im Gegensatz zur Einnahmenseite des
Gesundheitssystems, wo eine Regionalisierung eher zu einer Entsolidarisierung
führen würde.
Zweitens. Wenn man etwas erreichen
will, sollte man alle denkbaren Maßnahmen zügig umsetzen und nicht erst
nacheinander langjährig erproben, diskutieren und, wie das in Deutschland so
oft der Fall ist, am Schluss zerreden. Das kostet Zeit und löst im Zweifel die
Probleme nicht. Nicht zuletzt: Jeder Zeitverzug bedeutet, dass die
Krankenhäuser weiter in den ambulanten Sektor expandieren und die
niedergelassenen Ärzte geschwächt werden.
Drittens. Meine Damen und Herren,
alle müssen an einem Strang ziehen. Die Sicherstellung der ärztlichen
Versorgung ist in erster Linie eine ureigene Aufgabe der KV. Selbstverwaltung
heißt auch, Selbstverantwortung zu übernehmen.
(Vereinzelt Beifall)
Sehr geehrter Herr Professor Hoppe
und sehr geehrter Herr Professor Schulze, Sie sehen die Verantwortung der
Ärzteschaft unter anderem darin, eine Diskussion über die Priorisierung
medizinischer Leistungen zu führen. Sie und Ihre Kollegen fordern einen
politisch beschlossenen Katalog, welcher Patient bei welchen medizinischen
Problemen mit welcher Dringlichkeit behandelt wird. Mit anderen Worten: Der
Deutsche Bundestag soll am Ende dieser Diskussion beschließen, dass Patienten
mit bestimmten Erkrankungen auf Wartelisten gesetzt werden, möglicherweise wie
in den skandinavischen Ländern.
Das zu fordern, ist Ihr Recht als
Interessenvertreter. Aber ich fände es besser, wir würden gemeinsam
konstruktive Lösungen erarbeiten, statt unsere Zeit mit Diskussionen über eine
Priorisierung zu verschwenden, die wir gar nicht brauchen. Denn seien wir
ehrlich: So schlecht ist unser Gesundheitssystem in Deutschland nicht. Das
merkt man nicht nur, wenn die Thailandurlauber unbedingt zu Hause behandelt
werden wollen und nicht in Thailand, sondern Ende letzten Jahres hat die OECD
neue Vergleichszahlen zu den Gesundheitsausgaben pro Kopf vorgelegt. Dort steht
Deutschland an zehnter Stelle. Die finanzielle Ausstattung unseres
Gesundheitssystems ist im internationalen Vergleich ordentlich oder recht
großzügig.
Noch etwas: Von 2005 bis 2007 –
neuere Zahlen lagen mir nicht vor – ist den OECD-Zahlen zufolge der Anteil der
Gesundheitsausgaben am deutschen Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozentpunkte
zurückgegangen. Das entspricht 7,3 Milliarden Euro. Wir Deutschen sind
volkswirtschaftlich betrachtet in Sachen Kostendämpfung also auch gar nicht so
schlecht.
Wir sollten besser darüber reden,
wie wir die vorhandenen Mittel noch effektiver, noch besser einsetzen,
beispielsweise indem wir die Effizienz der Gesundheitswirtschaft verbessern und
die Prävention stärken. Da haben wir in Deutschland, meine ich, noch einiges an
Luft oder, wie es andere auszudrücken pflegen, noch viel Potenzial.
Ich wünsche mir, dass die
Ärzteschaft daran nicht nur mitwirken kann, sondern auch mitwirkt, um das zu
nutzen.
Meine sehr verehrten Damen und
Herren, Sie haben nicht nur spannende Themen auf Ihrer Agenda, sondern Sie
tagen ja auch in einem inspirierenden Umfeld. Herr Professor Schulze hat darauf
hingewiesen, was sich an Leistungen aus diesem Umfeld heraus entwickelt hat.
Ich hoffe, dass Dresdens barockes Flair und die vielen künstlerischen Highlights
im Tagungsprogramm helfen, kreative Lösungen zu finden, damit Deutschlands
Gesundheitssystem noch besser wird. Das ist das Signal, welches vom 113.
Deutschen Ärztetag in Dresden ausgehen sollte.
Dazu begrüße ich Sie nochmals recht
herzlich bei uns im Freistaat Sachsen hier in Dresden. Ich wünsche Ihnen
natürlich interessante, aber vor allem auch konstruktive Diskussionen.
Herzlichen Dank.
(Beifall)
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