Eröffnungsveranstaltung

Dienstag, 11. Mai 2010, Vormittagssitzung

Stanislaw TillichStanislaw Tillich, Ministerpräsident des Freistaates Sachsen: Sehr geehrter Herr Professor Schulze! Sehr geehrter Herr Hoppe! Sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Rösler! Meine sehr verehrten Abgeordneten! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Sie recht herzlich hier bei uns im Freistaat Sachsen im Namen der Sächsischen Staatsregierung willkommen heißen. Ich möchte mich bei Herrn Professor Schulze für die sehr herzliche Begrüßung bedanken und daran anschließen. Es ist nicht nur so, dass in Chemnitz das Geld erarbeitet, in Leipzig gehandelt und in Dresden verprasst wird. Sie haben das Gegenteil dessen gesehen. Wir haben im Kabinett gerade über die Griechenlandhilfe und den Euro diskutiert. Ich glaube, das, was Sie bei dem jungen Musiker und seinem Vater gesehen haben, ist in Sachsen gut investiertes Geld.

(Beifall)

Sie haben auch schon etwas über die historischen medizinischen Beiträge Sachsens gehört, ebenso über die kulturellen Spitzenleistungen. Sie haben gerade wunderschöne Zitate über Dresden vernommen. Ich wünsche Ihnen natürlich, dass Sie die Möglichkeit haben, über Ihren Ärztetag hinaus den Freistaat Sachsen und die Stadt Dresden näher kennenlernen zu können. Ich habe Ihrem Programm entnommen, dass Sie sich mit dem Rahmenprogramm nicht auf die Stadt Dresden beschränken, sondern Sie werden die vielen Schönheiten unseres Landes und die Gastfreundschaft unserer Menschen kennenlernen dürfen. Ich wünsche mir und Ihnen, dass Sie tolle Eindrücke mit nach Hause nehmen und dies Anlass genug ist, nach Dresden und Sachsen zurückzukehren.

Ich gehe davon aus, dass diese Eindrücke das eine sind; darüber hinaus geht es natürlich auch um die Wirkungen dieses Ärztetages für die Republik und letztendlich auch für Ihren Berufsstand. Es geht um die Weiterentwicklung des deutschen Gesundheitswesens, die hier diskutiert werden soll.

Ich sehe mit Interesse, dass Sie sich eines Problems annehmen, dessen wir uns in Sachsen seit Längerem – Herr Professor Schulze hat darauf hingewiesen – angenommen haben, bei dem wir nach Lösungen suchen und Lösungen gefunden haben. Es geht darum, die medizinische Versorgung einer alternden Bevölkerung zu sichern, und zwar bei steigendem Versorgungs- und Finanzierungsbedarf.

Eine Facette dieses Themas haben Sie, Herr Bundesminister Rösler, kürzlich auch angesprochen: Das ist der Ärztemangel. Herr Bundesminister, ich kann Ihnen nur freundlich zurufen: willkommen im Klub! Sie finden im Freistaat Sachsen und in unserer Gesundheitspolitik einen Partner, der Ihnen gern dabei behilflich ist – wenn Sie es sich wünschen –, praxistaugliche Lösungsansätze mit zu entwickeln und sie letztendlich in die Praxis umzusetzen. Dabei sichere ich Ihnen unsere Unterstützung zu.

Wir in Sachsen haben die Frage der ärztlichen Versorgung präzise analysiert und drei Handlungsfelder identifiziert. Erstens haben wir es mit einem Verteilungsproblem zu tun. Es gibt überversorgte und unterversorgte Regionen, gut besetzte und schwach besetzte Disziplinen. Das ist nichts Neues. Als eine Gegenmaßnahme geben wir in Sachsen Ärzten Zuschüsse, wenn sie sich im unterversorgten Raum niederlassen oder eine Praxis übernehmen.

Zweitens. Die Ärzteschaft altert selbst, das heißt, die Ärzte werden älter. Es gibt einen Mangel an Nachwuchs. Wir setzen deshalb Anreize für junge Leute, ein Medizinstudium aufzunehmen und bis zum Abschluss durchzustehen. Medizinstudenten, die sich für eine mindestens fünfjährige Tätigkeit als Landarzt verpflichten, bekommen in Sachsen ein Stipendium. Darüber hinaus, Herr Bundesminister, sind wir dafür, dass die Universitäten selbst über die Aufnahme von Medizinstudenten entscheiden sollten und dass die zentrale Vermittlung und der Numerus clausus nicht die Angelegenheit einer Zentralverwaltung sein sollten.

(Beifall)

Drittens. Die Alterung der Gesellschaft sorgt für steigende Fallzahlen pro Arzt. Wir müssen also schauen: Wo können wir die Ärzte entlasten? Eine sächsische Antwort darauf lautet: Wir tun das durch die Praxisassistentinnen oder -assistenten, die den Hausarzt bei Hausbesuchen vertreten. Diese Praxisassistentinnen und -assistenten gehören in Sachsen inzwischen zur Regelversorgung.

Das sind drei von einem ganzen Bündel von Maßnahmen, die die Staatsregierung, KV und Krankenkassen gemeinsam entwickelt haben, um dem Ärztemangel in Sachsen die Schärfe zu nehmen.

An dieser Stelle möchte ich nochmals einen Dank im Namen der Staatsregierung, aber auch im Namen meiner Sozial- und Gesundheitsministerin an den Berufsstand und die Krankenkassen aussprechen. Nur wenn es sich um eine gemeinsame Anstrengung handelt, sind wir auch erfolgreich. Allein an diesen drei Beispielen von vielen können Sie sehen: Diese Zusammenarbeit findet auf einer vertrauensvollen, aber auch kritischen Basis in Sachsen statt.

Im Hinblick auf unsere Erfahrungen sind mir drei Dinge wichtig:

Erstens. Bei einigen Maßnahmen, insbesondere den Sicherstellungszuschlägen, ist inzwischen die bundesrechtliche Grundlage entfallen. Meine Damen und Herren, wenn wir eine effektive regionale Steuerung wollen, brauchen wir auch an dieser Stelle mehr Kompetenzen für die Länder. Hier scheint mir eine Stärkung der Regionalisierung und des Wettbewerbspluralismus angebracht, ganz im Gegensatz zur Einnahmenseite des Gesundheitssystems, wo eine Regionalisierung eher zu einer Entsolidarisierung führen würde.

Zweitens. Wenn man etwas erreichen will, sollte man alle denkbaren Maßnahmen zügig umsetzen und nicht erst nacheinander langjährig erproben, diskutieren und, wie das in Deutschland so oft der Fall ist, am Schluss zerreden. Das kostet Zeit und löst im Zweifel die Probleme nicht. Nicht zuletzt: Jeder Zeitverzug bedeutet, dass die Krankenhäuser weiter in den ambulanten Sektor expandieren und die niedergelassenen Ärzte geschwächt werden.

Drittens. Meine Damen und Herren, alle müssen an einem Strang ziehen. Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung ist in erster Linie eine ureigene Aufgabe der KV. Selbstverwaltung heißt auch, Selbstverantwortung zu übernehmen.

(Vereinzelt Beifall)

Sehr geehrter Herr Professor Hoppe und sehr geehrter Herr Professor Schulze, Sie sehen die Verantwortung der Ärzteschaft unter anderem darin, eine Diskussion über die Priorisierung medizinischer Leistungen zu führen. Sie und Ihre Kollegen fordern einen politisch beschlossenen Katalog, welcher Patient bei welchen medizinischen Problemen mit welcher Dringlichkeit behandelt wird. Mit anderen Worten: Der Deutsche Bundestag soll am Ende dieser Diskussion beschließen, dass Patienten mit bestimmten Erkrankungen auf Wartelisten gesetzt werden, möglicherweise wie in den skandinavischen Ländern.

Das zu fordern, ist Ihr Recht als Interessenvertreter. Aber ich fände es besser, wir würden gemeinsam konstruktive Lösungen erarbeiten, statt unsere Zeit mit Diskussionen über eine Priorisierung zu verschwenden, die wir gar nicht brauchen. Denn seien wir ehrlich: So schlecht ist unser Gesundheitssystem in Deutschland nicht. Das merkt man nicht nur, wenn die Thailandurlauber unbedingt zu Hause behandelt werden wollen und nicht in Thailand, sondern Ende letzten Jahres hat die OECD neue Vergleichszahlen zu den Gesundheitsausgaben pro Kopf vorgelegt. Dort steht Deutschland an zehnter Stelle. Die finanzielle Ausstattung unseres Gesundheitssystems ist im internationalen Vergleich ordentlich oder recht großzügig.

Noch etwas: Von 2005 bis 2007 – neuere Zahlen lagen mir nicht vor – ist den OECD-Zahlen zufolge der Anteil der Gesundheitsausgaben am deutschen Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozentpunkte zurückgegangen. Das entspricht 7,3 Milliarden Euro. Wir Deutschen sind volkswirtschaftlich betrachtet in Sachen Kostendämpfung also auch gar nicht so schlecht.

Wir sollten besser darüber reden, wie wir die vorhandenen Mittel noch effektiver, noch besser einsetzen, beispielsweise indem wir die Effizienz der Gesundheitswirtschaft verbessern und die Prävention stärken. Da haben wir in Deutschland, meine ich, noch einiges an Luft oder, wie es andere auszudrücken pflegen, noch viel Potenzial.

Ich wünsche mir, dass die Ärzteschaft daran nicht nur mitwirken kann, sondern auch mitwirkt, um das zu nutzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben nicht nur spannende Themen auf Ihrer Agenda, sondern Sie tagen ja auch in einem inspirierenden Umfeld. Herr Professor Schulze hat darauf hingewiesen, was sich an Leistungen aus diesem Umfeld heraus entwickelt hat. Ich hoffe, dass Dresdens barockes Flair und die vielen künstlerischen Highlights im Tagungsprogramm helfen, kreative Lösungen zu finden, damit Deutschlands Gesundheitssystem noch besser wird. Das ist das Signal, welches vom 113. Deutschen Ärztetag in Dresden ausgehen sollte.

Dazu begrüße ich Sie nochmals recht herzlich bei uns im Freistaat Sachsen hier in Dresden. Ich wünsche Ihnen natürlich interessante, aber vor allem auch konstruktive Diskussionen.

Herzlichen Dank.

(Beifall)

© Bundesärztekammer 2010