TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

Dienstag, 15. Mai 2007, Nachmittagssitzung

Prof. Dr. habil. Dietrich, Bayern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Tagesordnungspunkt, den wir derzeit behandeln, lautet „Gesundheits- und Sozialpolitik“, nicht „Ärztliche Standespolitik“. Wir sollen also nicht nur darüber reden, was für uns 300 000 Ärzte gut ist, sondern wir sollen auch darüber diskutieren, was für die 80 Millionen Versicherten in unserem Lande gut, richtig und notwendig ist.

(Beifall)

Ich glaube, das sollten wir primär tun und nicht so sehr nur darüber reden, wie die Belegärzte, wie die Gynäkologen oder wie die Rettungsdienste organisiert werden. Ich glaube, das sind Spezialpunkte, die nicht zu diesem Tagesordnungspunkt gehören.

Herr Rösler hat heute Morgen – er ist mit sehr viel Beifall bedacht worden – zwei Dinge gesagt, die ich für wichtig halte. Er sagte: Traue keiner Frau, sage ihr nicht die Wahrheit. Das Zweite war: Sage einem Dicken nicht, dass er dick ist. Sie alle haben dazu geklatscht. Damit hat er der deutschen Ärzteschaft gesagt: Ihr bekommt nicht mehr Geld, es ist nichts mehr drin in diesem System. Er hat gesagt, mehr als 170 Milliarden Euro zu fordern, sei unethisch. Er meinte, es gebe eine Überversorgung. Auch da haben Sie geklatscht.

Mir tut es ein bisschen leid, dass wir nicht darüber diskutieren, wie wir dieses Geld besser verteilen können. Wir sagen immer nur: Wir müssen mehr Geld ins System bringen, wir müssen priorisieren, damit wir Leistungen abschneiden können, die der Patient dann aus der eigenen Tasche bezahlen soll. Wir reden aber überhaupt nicht über die Frage: Wie können wir eine bessere medizinische Versorgung mit geringeren Mitteln möglich machen?

Es gibt in unserem System so viele Möglichkeiten. Gestern stand in der „Süddeutschen Zeitung“, dass 50 Prozent aller Röntgenaufnahmen in Deutschland unsinnig sind, überflüssig sind. Dort war auch zu lesen, dass 20 Prozent aller Herzkatheter bei Privatpatienten gelegt werden, die letztlich nur 10 Prozent des Versichertenpotenzials ausmachen. Das heißt, Herzkatheter werden aus finanziellen Interessen heraus gelegt. Es gibt Rückenleiden, es gibt Knieprobleme, es gibt so viel Probleme, über die wir uns unterhalten sollten, wo wir sagen können: Hier können wir in vernünftiger Weise die medizinischen Leistungen zum Wohle des Patienten, zum Wohle der Sozialversicherten und zum Wohle des Sozialstaats und letztlich auch zu unserem Wohl reduzieren. Wir hätten weniger Arbeit, aber dasselbe Einkommen.

Über diese Fragen sollten wir diskutieren und nicht immer darüber lamentieren, dass der Staat hier wieder eine Verordnung macht, die Kassen uns dort erneut vors Knie treten oder die Patienten zu viel von uns fordern. Ich glaube, es stünde uns gut an, wenn wir über diese Form der Überversorgung redeten und nicht immer nur über die Priorisierung.

Das ist auch meine Kritik, die ich am Vorstandsantrag zum Tagesordnungspunkt I habe. Über das, was ich gerade ausgeführt habe, steht in diesem Antrag gar nichts. Dort steht nur: Wir müssen zusehen, dass wir die Finanzierungsmittel erhöhen, damit wir das, was notwendig ist, auch leisten. Ich glaube, das bringt uns überhaupt nicht weiter, sondern das isoliert uns in der Bevölkerung. Das wird der Ärzteschaft und dem Patienten nichts bringen.

Herr Rösler schloss seine Ausführungen mit dem Zitat: Der Sturm kann den Bambus biegen, aber er kann ihn nicht brechen. Das heißt, Herr Rösler wird weiterhin seine Politik verfolgen. Er will weiterhin seine unsoziale Kopfpauschale verfolgen. Er wird weiterhin auf Kostenerstattung setzen. Das sollte uns bei all der Freundlichkeit und all der Verbindlichkeit der Rede klar sein. Wir sollten etwas kritischer damit umgehen und nicht meinen, nur weil da vorne jetzt ein Arzt steht, sei es jemand, der uns in unsere Taschen arbeitet.

Vielen Dank.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank, Herr Dietrich. – Der nächste Redner ist Herr Kollege Metke aus Baden-Württemberg.

© Bundesärztekammer 2010