TOP II: Versorgungsforschung

Mittwoch, 12. Mai 2010, Nachmittagssitzung

Prof. Dr. Dr. h. c. ScribaProf. Dr. Dr. h. c. Scriba, Referent: Frau Vizepräsidentin Dr. Goesmann! Hohes Präsidium! Meine Damen und Herren! Vor fünf Jahren fiel die bemerkenswerte und richtungsweisende Entscheidung des 108. Deutschen Ärztetages in Berlin, dass sich die Ärzteschaft aktiv mit einem eigenfinanzierten Programm an der Versorgungsforschung beteiligt.

Bevor wir die nun fällige Bilanz dieser fünf Jahre ziehen, möchte ich Sie kurz daran erinnern, womit Sie uns damals dankenswerterweise beauftragt haben. Es gibt zwei Materialien, die ausgeteilt wurden. Sie sind eben von der Frau Vizepräsidentin bereits angesprochen worden. Das sind zum einen die „Visitenkarten“; es sind ein bisschen unhandliche „Visitenkarten“, wie ich zugebe. Ferner haben Sie als Beratungsunterlage erhalten „Versorgungsforschung – Richtungsweisende Förderinitiative“. Dies ist aus meiner Sicht die kürzestmögliche Darstellung dessen, was von mir aus heute hier vorgetragen werden soll.

Das rote Logo „Versorgungsforschung“ finden Sie inzwischen bei sehr vielen Artikeln im „Deutschen Ärzteblatt“. Das gibt mir Gelegenheit, mich beim „Deutschen Ärzteblatt“ für die außerordentlich konstruktive Zusammenarbeit bei der Publikation der Berichte zu bedanken. In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich die Namen Stüwe und Baethge erwähnen.

Ich möchte Sie in aller Kürze an das erinnern, was wir vor fünf Jahren gesagt haben, was mit der Versorgungsforschung für die Ärzteschaft erreicht werden soll. Die wissenschaftliche Kompetenz und Verantwortung für die Versorgung in der Selbstverwaltung soll demonstriert werden. Ferner soll nachgewiesen werden, dass die Ärzteschaft in der Lage ist, auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse aktiv an der Gestaltung des Gesundheitswesens und der Optimierung der gesundheitlichen Versorgung der Patienten mitzuwirken. Ferner sollte der zunehmenden Tendenz zur Fremdbestimmung durch den Ausbau der eigenen wissenschaftlichen Kompetenz entgegengewirkt werden.

Was ist mit Versorgungsforschung gemeint? Versorgungsforschung ist die wissenschaftliche Untersuchung der Versorgung von Einzelnen und der Bevölkerung mit gesundheitsrelevanten Produkten und Dienstleistungen unter Alltagsbedingungen. Das ist die berühmte letzte Meile, die hier gemeint ist. Die wichtigste Aufgabe dieses grundlagen- und anwendungsorientierten fachübergreifenden Forschungsgebiets ist, zu fragen, wie weit die Versorgung des Einzelnen im Krankenhaus oder in der Praxis vom möglichen Optimum abweicht.

Uneingeschränkt zur Versorgungsforschung zählen unter anderem Untersuchungen zur Arbeitszufriedenheit und zu den Arbeitsbedingungen der Ärzte und der anderen Gesundheitsberufe und die Qualitätsforschung – beispielsweise Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung, Qualitätsmanagement – zu Versorgungsleistungen. Zur Versorgungsforschung zählen ferner klinische Studien, Meta-Analysen und systematische Reviews zur „effectiveness“, also zur Wirksamkeit in der routinemäßigen Anwendung unter Alltagsbedingungen. Nicht zur Versorgungsforschung gehören klinische Studien zur „efficacy“, die unter Idealbedingungen durchgeführt werden.

Wie hat der beauftragte Wissenschaftliche Beirat den Auftrag des Deutschen Ärztetages umgesetzt? Die beiden wichtigsten Schritte waren erstens die Einrichtung der Ständigen Koordinationsgruppe Versorgungsforschung (SKV) und zweitens die Festlegung einer thematischen Ausrichtung der Förderung.

Die SKV ist paritätisch mit Vertragsärzten und Klinikärzten besetzt. Zugleich sind Vorstandsmitglieder von Landesärztekammern und Bundesärztekammer aktiv involviert. Diese werden ergänzt durch Sachverständige, die nicht (mehr) klinisch/praktisch tätig sind, und durch ständige Gäste.

Mit diesen Maßnahmen wird erreicht, dass die wissenschaftliche „Szene“ inzwischen von einer methodischen Solidität der Projekte ausgehen kann und die anerkannte Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Sachverständigen einen möglichen berufspolitischen Bias-Verdacht entkräftet.

Sie sehen auf der Leinwand die Zusammensetzung der Ständigen Koordinationsgruppe Versorgungsforschung (SKV). Sie sehen die Vertragsärzte und die Klinikärzte in einem ausgewogenen Verhältnis. Sie sehen die Sachverständigen, die nicht mehr klinisch oder praktisch tätig sind, sowie die Gäste. Ich darf darauf hinweisen, dass diese Zusammensetzung auf einer engen Absprache und engen Zusammenarbeit mit der AWMF beruht, darüber hinaus auch mit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, der ÄZQ und der KBV, die in der Person von Herrn Dr. Köhler in der SKV vertreten ist. Professor Encke, Professor Gaebel und Professor Selbmann wurden von der AWMF benannt. Professor Encke hat ja gestern die Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft erhalten.

Es ist mir ein Anliegen, den genannten Persönlichkeiten für ihr ehrenamtliches
Engagement zu danken.

Wie wurde nun gefördert? Gefördert wurde zunächst einmal auf der Basis von Forschungsanträgen. Das sind die sogenannten Typ-I-Projekte. Sie laufen maximal drei Jahre und erfahren maximal 200 000 Euro Förderung. Das ist bei Forschungsprojekten, die ja den Zweck haben, neue Erkenntnis zu generieren, notwendig, dass man Zeit und nicht unerhebliche Mittel einsetzt. Anderenfalls kommt man nicht zu neuen Ergebnissen.

Zunächst einmal hat man Skizzen angefordert. Aus diesen Skizzen hat man Antragskandidaten ausgewählt. Dann wurden die Anträge gestellt. In beiden Schritten wurden jeweils vier bis sechs schriftliche Gutachten angefordert. Für beide Schritte gab es eine zweitägige Auswahlklausur. Das ist vergleichsweise gründlich.

Der eigentliche Förderungsbeschluss erfolgte durch den Vorstand der Bundesärztekammer. Mehr als die Hälfte der Projekte hatten einen Bezug zum ambulanten Sektor. Jedes Projekt wird von einem „Projektpaten“ aus dem Kreis der SKV betreut. Er steht für eine methodische Beratung laufend zur Verfügung. Das ist eine Besonderheit unseres Verfahrens.

Einzigartig ist die Transparenz des Verfahrens; denn schon während des laufenden Projekts werden Informationen über das Forschungsvorhaben und die Projektnehmer bekannt gegeben in Form der Ihnen vorliegenden „Visitenkarten“, die jedes Jahr aktualisiert werden. Es gibt bei uns also keine „Geheimforschung“.

Jetzt noch ganz kurz zur Festlegung der thematischen Ausrichtung bei diesen normalen Typ-I-Förderprojekten. Themenfelder der ersten Förderphase waren erstens die Implementierung von Leitlinien in den ärztlichen Alltag, zweitens der Einfluss der Ökonomisierung der stationär und ambulant erbrachten Leistungen auf die Patientenversorgung und die Handlungsfreiheit der ärztlichen Tätigkeit sowie drittens die Wechselwirkung zwischen arztseitigen Faktoren und Versorgungsrealität, der sogenannte „Physician Factor“.

Neben diesen drei Themen wurde auch zu den Grundlagen der Versorgungsforschung gearbeitet, und zwar Grundlagen, die man für alle drei Themenbereiche, darüber hinaus aber auch in der gesamten Versorgungsforschung benötigt. Mit diesen Grundlagen befasst sich der Report Versorgungsforschung. Das sind diese blauen Bände, die nach einem eintägigen Symposium mit einer Reihe ausgewiesener Referenten, zusätzlichen Posterbeiträgen und angeforderten ergänzenden Beiträgen entstehen. In dem Report „Monitoring der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland – Konzepte, Anforderungen, Datenquellen“ der von der heute leider verhinderten Professor Dr. Bärbel-Maria Kurth gestaltet wurde, findet sich auch ein Beitrag von Herrn Professor Mansky.

Das bringt mich zu dem Auftrag des 111. Deutschen Ärztetages 2008, wir sollten uns um Datentransparenz für ärztliche Körperschaften kümmern. Hierzu wurden zwei Aufträge für Expertisen – Typ-III-Projekte – vergeben. Einer dieser Aufträge ging an Herrn Professor Mansky, der heute freundlicherweise für Frau Professor Kurth eingesprungen ist. Er wird zum Thema „Routinedaten in der Versorgungsforschung“ referieren. Herr Professor Mansky ist inzwischen an der TU Berlin tätig und berichtet sozusagen über „work in progress“.

So viel zunächst von mir. Ich werde mich nach den beiden angekündigten Referaten noch einmal zu Wort melden, um die Referate abzurunden und Perspektiven aufzuzeigen.

Zunächst einmal danke ich Ihnen.

(Beifall)

Vizepräsidentin Dr. Goesmann: Herzlichen Dank, Herr Professor Scriba. – Ich glaube, meine Damen und Herren, Sie sehen sehr deutlich, dass die Zusammensetzung unserer SKV dafür bürgt, dass sowohl die theoretische Forschung als auch die tägliche Praxis gleichermaßen vertreten sind, um die vielen Anträge, die bei uns eingegangen sind, zu begutachten. Ich glaube, wir mussten weit über 200 Anträge begutachten. Wir haben dabei gut und viel zusammengearbeitet.

Als nächsten Referenten hören wir Herrn Professor Selbmann. Er erläutert uns das Themenfeld „Implementation von medizinischen Leitlinien“. Das entspricht einem Förderschwerpunkt, der mit dem Rahmenkonzept der Förderinitiative gesetzt wurde. Herr Professor Selbmann ist vielen von Ihnen als einer der Hauptverantwortlichen des Leitlinienprogramms der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) bekannt. Er gehört der Ständigen Koordinationsgruppe Versorgungsforschung der Bundesärztekammer an und hat in dieser Funktion unsere Förderinitiative sehr intensiv mitgestaltet. Herr Professor Selbmann, ich freue mich, dass Sie hier sind und zu uns sprechen.

© Bundesärztekammer 2010