Prof. Dr. Dr. habil.
Dietrich, Bayern: Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist
inzwischen ziemlich klar, dass Versorgungsforschung notwendig ist und dass wir
sie bezahlen müssen. Deswegen möchte ich auf diesen Punkt gar nicht weiter
eingehen. Ich möchte zu Beginn betonen: Ich unterstütze voll und ganz den
Antrag des Vorstands.
Ich möchte aber zwei Punkte
erwähnen, die mir noch kritisch erscheinen.
Der erste Punkt betrifft die
Durchsetzung von Leitlinien. Wir haben sehr, sehr viele Leitlinien. Nur: Wie
bringen wir sie an den Mann? Ein Beispiel aus meinem Fachgebiet: Wir haben eine
S3-Leitlinie, die sich auf die postoperative intensivmedizinische Versorgung
von kardiochirurgischen Patienten bezieht. Das ist eine sehr gute Leitlinie.
Aber nachdem wir sie beschlossen hatten, war die Luft raus und keiner hat sich
Gedanken darüber gemacht: Wie setzen wir das überhaupt um? Wie kommen wir an
die Leute heran? Wie können wir kontrollieren, dass die Qualität dieser
Leitlinie in der täglichen Praxis umgesetzt wird?
Es gibt ein riesengroßes Problem –
ich habe das bereits gestern erwähnt – mit der Transfusionsleitlinie. Sie ist
eine der ältesten Leitlinien, die wir haben. Sie wird in der täglichen Praxis
nur sehr, sehr mangelhaft umgesetzt. Das ist ein Riesenproblem. Wir müssen uns
Gedanken darüber machen: Wie bringen wir die Leitlinien an den Mann? Es geht
nicht so sehr um die Frage, ob wir noch viel mehr neue Leitlinien brauchen.
Der zweite Punkt, der mir sehr am Herzen
liegt, lautet: Wie gut sind die Leitlinien? „Gut“ bezieht sich dabei nicht auf
die Evaluierung der Recherchen, sondern auf die Frage: Welches Wissen steckt in
diesen Leitlinien? Da müssen wir etwas vorsichtig sein. Es gibt eine große
Leitlinie, die von der amerikanischen herzchirurgischen Fachgesellschaft
zusammen mit der amerikanischen kardioanästhesistischen Gesellschaft entwickelt
wurde. Da geht es um Bluttransfusionen, post- oder perioperativ in der
Herzchirurgie. Es wurden 800 Arbeiten gescreent, fast 60 Methoden wurden
untersucht. Von diesen 60 Methoden, die sich mit der Sinnhaftigkeit bestimmter
Methoden beschäftigten, hatten ganze sieben Methoden eine 1a-Empfehlung, das
heißt, man sollte diese Methoden anwenden. Die restlichen 53 Methoden, diese
gefühlten Methoden – „Das habe ich schon immer gemacht, das könnte man so
machen“ – hatten eine Klasse-2- bzw. eine Klasse-3-Empfehlung. Elf hatten eine
Klasse-3-Empfehlung, was bedeutet: Das soll man gar nicht machen.
Selbst wenn wir unser ganzes Wissen
zusammenfassen, sehen wir auf einmal, dass wir gar nicht so viel wissen, wie
wir immer denken. Die Frage ist nicht – vielleicht kann Herr Selbmann in seinem
Schlusswort darauf eingehen –, wie gut wir diese Leitlinien zusammenfassen,
sondern wie gut die Medizin ist, die wir in diesen Leitlinien zusammenfassen.
Ich glaube, da haben wir einen zu großen Optimismus, dass wir ein absolutes
Wissen über das haben, was richtig und falsch ist.
Vielen Dank.
(Vereinzelt Beifall)
Vizepräsidentin Dr. Goesmann:
Danke, Herr Professor Dietrich. – Jetzt kommt meine Kollegin Buckisch-Urbanke
aus Niedersachsen.
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