Prof. Dr. Dr. habil.
Dietrich, Bayern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin
Kardioanästhesist, beschäftige mich seit Jahren aber auch mit der
Transfusionsmedizin. Ich bin also auch Transfusionsmediziner. Ich beschäftige
mich seit Jahren mit Leitlinien und Richtlinien in der Transfusionsmedizin.
Dabei fällt mir immer wieder die enorme Diskrepanz zwischen dem, was wir in
unserer Leitliniendiskussion besprechen, und dem, was in der täglichen Praxis
stattfindet, auf. Ich denke, dass wir in der Transfusionsmedizin etwa 25
Prozent aller Bluttransfusionen, die in Deutschland stattfinden, unnötigerweise
geben.
Weshalb sage ich das jetzt zu
Ihnen, meine Damen und Herren? Ich finde durch das Referat von Herrn Montgomery
bestätigt, dass eine enorme Diskrepanz zwischen der Theorie und der täglichen
Praxis besteht. Wir haben – da gebe ich Herrn Montgomery ohne Weiteres recht –
in der Berufsordnung für Ärzte sehr gute Paragrafen, die die Patientenrechte
regeln. Wir haben auch mit der ÄZQ sehr gute Leitlinien entwickelt. Dort waren
Patientenvertreter beteiligt.
Ich vermisse allerdings ehrliche
Zahlen. Wem von Ihnen ist es in der täglichen Praxis noch nie passiert, dass
irgendwo ein Fehler gemacht wurde? Ich kann von mir, der ich seit über 30
Jahren in der Kardioanästhesie, also einem relativ risikoreichen Gebiet, tätig
bin, sagen, dass ich sehr viel Mist erlebt habe, dass ich sehr viele Fehler erlebt
habe. Ich habe sehr oft erlebt, dass die Patienten nicht wussten, was mit ihnen
passiert.
Ich habe das auch aus dem
ambulanten Bereich erfahren, indem ich Arztbriefe gelesen habe, bei denen ich
dachte: Das gibt es doch nicht, wie kann man so einen Schwachsinn machen, das
hat mit Medizin nichts mehr zu tun!
Das mag meine subjektive Erfahrung
sein. Aber jeder Kollege, den ich frage, sagt, dass er diese Erfahrung auch
schon gemacht hat. Das ist mein Problem bei dieser ganzen Diskussion. Warum
brauchen wir Patientenrechte? Wo fehlen diese Rechte? Was passiert mit den
Patienten in unserem System? Es gibt Zahlen, die in der Presse veröffentlicht
sind – ich weiß nicht, woher die wissenschaftliche Grundlage dafür kommt –,
wonach 20 000 bis 40 000 Patienten pro Jahr in deutschen
Krankenhäusern sterben, nicht obwohl sie behandelt werden, sondern weil sie
behandelt wurden. Ich will nicht sagen, dass diese Zahlen stimmen. Ich will nur
darauf hinweisen, dass wir überhaupt keine wissenschaftliche Grundlage dafür
haben, was wir mit unseren Patienten anstellen und wo es einen wirklichen
Regelungsbedarf zur Verbesserung der Rechte der Patienten gibt. Bessere
Patientenrechte führen letztendlich auch zu einer besseren Behandlung der
Patienten.
Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich
mir schon sehr oft überlegt habe: Wem sage ich eigentlich etwas, wenn Pfusch
passiert ist? Ich war sehr oft sehr feige und habe es nicht gesagt. Ich habe
mich an den Kopf gegriffen und versucht, bei diesem Patienten oder diesem
Operateur die Anästhesie zu verweigern. Ich wusste nie eine Stelle, zu der ich
gehen konnte, um zu sagen: Hört mal zu, so geht es doch nicht, das darf nicht
sein, dem Patienten wird Schaden zugefügt bzw. der Patient weiß überhaupt
nicht, was mit ihm gemacht wird! Das galt auch für den Fall, dass das Ergebnis
der Operation positiv für den Patienten ausfiel.
Das heißt, die Patienten sind uns
in einer ganz eklatanten Art und Weise ausgeliefert. Sie haben meiner Meinung
nach sehr wenig Chancen, sich in realiter über das, was ihnen zusteht, zu
informieren.
Ich kritisiere an dem Beitrag von
Herrn Montgomery, dass wir überhaupt keine Zahlen über Patientenschäden, über
Fehlbehandlung gehört haben. Er hat das CIRS erwähnt. Das CIRS ist eine sehr
gute Sache. Ich kenne viele Kliniken, die es einrichten. Auch wir haben uns
bemüht, so etwas einzurichten. Aber was hat es bisher genützt? Wir wissen es
nicht. Es gibt nichts über die Fehlerkultur bei uns in Deutschland.
Es ist ja bezeichnend, dass bei der
Evaluation der Weiterbildung herausgekommen ist: Der schlechteste Punkt, den
die Weiterzubildenden angeführt haben, war, dass Leitlinien und Richtlinien in
den Kliniken nicht eingehalten wurden. Es ist meiner Meinung nach eines der
ersten Patientenrechte, dass die Patienten verlangen können, dass sie nach dem
Stand der medizinischen Wissenschaft behandelt werden. Das werden sie zum Teil
nicht. Das müssen wir offen sagen. Deswegen müssen wir uns überlegen, wie wir
das verbessern können und wie wir da Fortschritte erzielen können.
Es nützt einfach nichts, wenn wir
uns auf die Schultern klopfen und sagen: Wir sind so gut, wir haben die
tollsten Paragrafen in unserer Berufsordnung, wir haben die tollsten Vorschläge
für Patientenaufklärung, wenn in der täglichen Praxis nichts passiert. In der
täglichen Praxis – das sehen wir immer wieder – passiert es gerade heutzutage
unter dem ökonomischen Druck, unter dem wir stehen. Ich habe schon zig
Patienten operiert, die ich nur vom Computer her kannte, wo ich überhaupt nicht
wusste, wer es ist, einfach weil gewechselt wurde, irgendetwas passierte oder
ich keine Zeit hatte, den Patienten anzuschauen. Das passiert täglich. Es
passiert zunehmend.
Wir haben heute die Situation, dass
wir beispielsweise fachübergreifende Bereitschaftsdienste in manchen Kliniken
leisten müssen. Das ist Patientengefährdung. Ein Patient hat das Recht, dass
ihm so etwas nicht widerfahren darf.
Da müssen wir ansetzen. Da geht es
darum, dass wir den Patienten schützen. Es geht nicht darum, dass wir immer
wieder sagen: Wir sind die Besten, wir sind so toll, wir haben die tollsten
Paragrafen. Diese Paragrafen – das sage ich Ihnen hier ganz offen und ehrlich –
werden bei uns genauso wenig wie die Leitlinien und Richtlinien zur
Transfusionsmedizin eingehalten. Sie werden tagtäglich verletzt. Darüber
sollten wir diskutieren. Da sollten wir Zahlen sammeln. Da sollten wir
versuchen, eine Verbesserung des Patientenschutzes zu erreichen, nicht durch
ein Patientenschutzgesetz, ein Patientenrechtegesetz oder die Kodifizierung
bestehender Paragrafen.
Ich war immer der Meinung: Ein
Patientenrechtegesetz ist gut. Nachdem ich gemerkt habe, wie wenig die
Ärzteschaft bereit ist, darauf einzugehen, war ich sogar dafür, ein
Patientenschutzgesetz zu schaffen. Ich habe klipp und klar gesagt: Die
Patienten gehören geschützt vor manchen Ärzten.
Ich bin mir allerdings sicher:
Weder ein Schutzgesetz noch ein Rechtegesetz werden irgendetwas an der
täglichen Praxis ändern. Wir müssen unten anfangen, wir müssen die Fehlerkultur
verbessern, wir müssen schauen, dass wir besser mit den Patienten ins Gespräch
kommen, dass wir die Patienten besser durch ihre Erkrankung leiten können usw.
Das sind die wesentlichen Punkte,
nicht irgendwelche Paragrafen oder irgendwelche Rechte, die wir in einem Gesetz
kodifizieren oder neu formulieren.
Meine Kritik an dem Referat von
Herrn Montgomery lautet: Dazu fehlte jegliche Information, keinerlei
Selbstkritik oder Kritik an dem, wie die Situation bei uns ist, keinerlei
Information über Fortschritte, die wir durch CIRS-Systeme, Qualitätssicherung
oder Ähnliches gemacht haben. Es war nur das Beharren auf dem, was ist: Wir
sind die Besten, wir sind gut, was will die Politik, was wollen die
Patientenverbände!
Das ist ein Punkt, den ich
kritisiere. Hier hätte ich erwartet, mehr ehrliche Informationen über das zu
bekommen, was in unserem System mit unseren Patienten geschieht.
Diese acht Punkte, die Herr
Montgomery vorgeschlagen hat, sind ja sehr gut. Ein besseres Gesundheitswesen
ist gut für den Patienten. Wenn das der beste Patientenschutz ist, ist es gut.
Aber es geht einfach an der täglichen Praxis vorbei.
Natürlich sind wir für eine
solidarische Krankenversicherung und für Solidarität in der Gesellschaft. Die
acht Punkte sind eigentlich nicht zu diskutieren. Aber was das mit dem direkten
Patientenschutz zu tun hat, ist mir völlig unklar, meine Damen und Herren. Von
daher bitte ich darum, in die Diskussion darüber einzusteigen, was in der
täglichen Praxis geschieht, wo es einen Nachholbedarf gibt, wo wir die
Patienten schädigen, wo die Patienten wirklich einen Anspruch auf ein besseres
Recht haben.
Vielen Dank.
(Vereinzelt Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h.
c. Hoppe: Danke, Herr Dietrich. – Der nächste Redner ist Herr Kajdi aus dem
Saarland.
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