TOP V: Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer

Freitag, 14. Mai 2010, Vormittagssitzung

Vizepräsident Dr. Montgomery: Wir kommen zum Antrag V-86:

Priorisierung wird von der deutschen Ärzteschaft abgelehnt

Der Antragsteller, Herr Kollege Kajdi, hat, wenn ich mich recht erinnere, ein engagiertes Plädoyer gehalten. Er möchte gern, dass der Begriff „Priorisierung“ abgelehnt wird. Der Antragstext lautet:

Der Deutsche Ärztetag möge beschließen, das Prinzip „Priorisierung“ im deutschen Gesundheitswesen abzulehnen.

Wir sollen beschließen, das Prinzip abzulehnen.

(Zuruf: Vorstandsüberweisung!)

– Müssen wir das an den Vorstand überweisen?

(Zuruf: Nichtbefassung!)

– Nichtbefassung ist der weitestgehende Antrag. Wünscht jemand, gegen Nichtbefassung zu sprechen? – Bitte, Herr Kajdi.

Dr. Kajdi, Saarland: Ich möchte gegen die Nichtbefassung sprechen. Bei meinem Antrag geht es um die Frage: Priorisierung, ja oder nein? Auf diese zentrale Frage des Ärztetages, die mittlerweile öffentlich diskutiert wird, erwarten die Kolleginnen und Kollegen draußen zu Recht eine direkte Stellungnahme von ihrer obersten demokratischen Vertretung, nämlich von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Hier hilft kein taktisches Ausweichen, kein „zurück an den Vorstand“ oder „Nichtbefassung“. Hier können nur Sie entscheiden. Ihre Entscheidung „ja“ oder „nein“ ist gefragt.

Der Antrag ist bewusst als Aufforderung zur Ablehnung formuliert. „Ja“ heißt: Ablehnung der Priorisierung durch die deutsche Ärzteschaft; „nein“ heißt: Sie sind für Priorisierung. „Zurück zum Vorstand“ oder „Nichtbefassung“ heißt: Sie fühlen sich als Vertreter Ihrer Kolleginnen und Kollegen in dieser Frage nicht zuständig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Frage, die so zentral für unsere Arztkolleginnen und -kollegen draußen ist, dass beispielsweise in einer repräsentativen Umfrage vom Februar dieses Jahres in Rheinland-Pfalz sich 80 Prozent der Niedergelassenen gegen eine Rationierung und für eine Kostenerstattung aussprechen, die eine ganze KV, nämlich die des Saarlands, dazu bringt, sich einstimmig über alle Gruppen hinweg für eine humane und das Individuum respektierende Ressourcenverteilung über Kostenerstattung auszusprechen, kann von einem Deutschen Ärztetag doch nicht mit Schweigen beantwortet werden!

(Vereinzelt Beifall)

Rationierung – das ist hier in den Diskussionen klar herausgekommen – will keiner von uns. Priorisierung ist ökonomisch dasselbe wie Rationierung. Aber einige unserer Taktiker meinen, weil sie die Rationierung ablehnen, sollten sie das Ganze lieber anders nennen und den Begriff der Priorisierung einfügen und versuchen, das der Politik an die Backe zu nähen. Aber „Priorisierung“ ist ökonomisch ein Synonym für „Rationierung“ und muss dann konsequenterweise von uns genauso abgelehnt werden, wie wir die Rationierung ablehnen.

Natürlich ist sie ethisch ebenso vehement abzulehnen wie die Rationierung, weil sie unzulässigerweise in das Grundrecht der Selbstbestimmung der Patienten eingreift. Politisch-faktisch ist die Forderung nach einer Priorisierung ein völliger Schuss in den Ofen,

(Zurufe)

weil die Politiker die menschlich verständliche Forderung einiger Ärzte nach Priorisierung durch die Politik selbst als genau das verstehen, als was sie gedacht ist:

(Erneute Zurufe)

als den Versuch, die Rationierung neu verpackt zu einer Aufgabe der Politik zu machen.

Vizepräsident Dr. Montgomery: Herr Kajdi, die Zeit ist leider um.

Dr. Kajdi, Saarland: Schade!

Vizepräsident Dr. Montgomery: Sie hatten Glück, dass mein Mikrofon eine Zeit lang nicht funktionierte. Ich danke Ihnen.

Bitte vergessen Sie nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir haben auf dem vorjährigen Deutschen Ärztetag eine sehr intensive Diskussion zu dieser Problematik gehabt und haben den Begriff der Priorisierung dort nicht abgelehnt, sondern ihn geradezu beschlossen.

(Beifall)

Aber es ist ja gut, wenn Herrn Kajdi selber klar ist, dass er den Antrag zur Ablehnung formuliert hat, das macht es dann vielleicht leichter.

Herr Kollege Schimanke aus Mecklenburg-Vorpommern zur Geschäftsordnung.

Dr. Schimanke, Mecklenburg-Vorpommern: Ich möchte kurz begründen, warum ich das Wort „Nichtbefassung“ in den Saal gerufen habe. Es ist so, dass die Debatte über Priorisierung längst im Fluss ist. Es sind ganz differenzierte Erklärungen abgegeben worden, vor allem von unserem Präsidenten, es ist aber letztlich auch vom Gesundheitsminister ein bisschen aufgenommen worden. Ich denke, dass dieser Antrag, der von uns ein klares Nein oder Ja fordert, gar nicht abstimmungsfähig ist. Deshalb tun wir am besten daran, uns damit nicht zu befassen.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Montgomery: Vielen Dank, Herr Kollege Schimanke. – Der weitestgehende Antrag ist der Antrag auf Nichtbefassung. Wer sich nicht mit diesem nun intensiv diskutierten Antrag befassen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Einzelne. Enthaltungen? – Wenige. Dann ist Nichtbefassung beschlossen.

© Bundesärztekammer 2010