Dienstag, 18. Februar
2003
Berlin, Axica Kongress- und Tagungszentrum, Nachmittagssitzung
Axel Auler, geladener Gast:
Sehr geehrter Herr Präsident! Danke, dass Sie mir Gelegenheit
geben, an dieser Stelle zu sprechen. Herr Professor Hoppe, Sie haben
kürzlich im „Deutschen Ärzteblatt“ in einem
Interview die schwierige Situation, in der die Klinikärzte
derzeit arbeiten, aufgezeigt. Als Betroffener muss ich sagen: Sie
haben es auf den Punkt gebracht, Sie haben es kurz und knapp beschrieben.
Ich kann dem nichts hinzufügen. Ich muss mich leider in der
Situation, die Sie geschildert haben, wiederfinden.
Ich möchte Sie jetzt aber nicht zitieren; alle hier anwesenden
Kolleginnen und Kollegen haben das „Deutsche Ärzteblatt“
gelesen. Ich möchte etwas aufgreifen, worauf Sie hingewiesen
haben, nämlich die DRGs, die neuen Fallpauschalen, auf deren
Basis wir unsere Patientenabrechnungen erstellen.
Ich begrüße dazu die Gäste des Ärztetages
und die Kolleginnen und Kollegen und bitte um fünf Minuten
Aufmerksamkeit. Um es von vornherein klarzustellen: Ich stehe einem
Abrechnungssystem, das nicht mehr auf tagesgleichen Pflegesätzen
beruht, positiv gegenüber. Aber bei den DRGs erlebe ich seit
dem 1. Januar eine Vielzahl von Beobachtungen; über einige
möchte ich knapp berichten.
Muss jemand von Ihnen, die Sie hier im Saal sitzen, in absehbarer
Zeit für einen Eingriff in die Klinik? Leiden Sie gleichzeitig
an Hypertonie, Diabetes, haben Sie einen Herzinfarkt überstanden
oder nehmen Sie Antikoagulantien? Dann hoffen Sie doch, dass auch
diese zusätzlichen Erkrankungen bei der Behandlung Ihres Grundleidens
berücksichtigt und dass dafür auch Ressourcen bereit gestellt
werden.
Das ist nicht der Fall. Viele Erkrankungen behandeln wir heute
nur noch mit der Grunderkrankung. Da ist es völlig egal, welche
Zusatzerkrankungen vorliegen: Man erhält nur noch den Erlös,
den man in aller Regel benötigt, um die Basisbehandlung durchzuführen.
Für einen Patienten mit einer Entzündung im Kieferbereich,
der Diabetiker ist und entgleist in die Klinik kommt, braucht man
erheblich mehr Ressourcen als für einen Patienten, der das
alles nicht hat. Das ist für jeden Behandler klar.
Die DRGs gelten übrigens auch für alle Privatpatienten.
Auch bei ihnen wird nach DRGs abgerechnet.
Ein weiteres Beispiel: Leiden Sie an einem Mundschleimhautkarzinom
und möchten Sie gern nach international gültigen Standards
behandelt werden? Der Erlös aus der Fallpauschale würde
an unserer Klinik 2 000,70 Euro betragen. Dafür müssen
wir erbringen: ein umfangreiches Staging mit allen Untersuchungen
- Computertomographie, MRT und alles, was dazugehört -,
wir würden in Narkose eine PE entnehmen und sie genau untersuchen;
dann würden wir Sie operieren. Sie müssten auf die Intensivstation.
Wenn alles gut verläuft, können Sie nach 14 Tagen nach
Hause gehen.
Sie alle wissen, dass wir das für 2 000 Euro einfach nicht
erbringen können. Trotzdem bekommen wir nicht mehr.
Sie müssen für einen Tag wegen eines Lungenkarzinoms
oder einer Metastasierung in die Klinik: Erlös der Behandlung
459 Euro. Kosten allein für das nach derzeitigem Standard richtige
Präparat: 1 160 Euro.
Nun die andere Seite: Sie haben stundenlang um das Leben eines
Herzinfarktpatienten gekämpft, sind primär erfolgreich,
aber der Patient verstirbt nach drei Tagen. Jetzt wird der Erlös
der Fallpauschale auf die Hälfte gesenkt, obwohl der Ressourcenverbrauch
gerade in den ersten Tagen besonders hoch war. Überlebt der
Patient den ersten Tag nicht, bekommen Sie nur ein Drittel dessen,
was Ihnen normalerweise zustünde - und auch das ist meistens
schon zu wenig. Das ist schlecht für jene Kliniken, die dem
Rettungsdienst vital bedrohte Patienten abnehmen müssen.
Auch ich möchte noch auf die Kodierrichtlinien zu sprechen
kommen; hier habe ich genauso einen dicken Hals wie die Kollegin,
die dazu gesprochen hat. Ich zitiere nochmals aus den Kodierrichtlinien:
Die Verantwortung für die Dokumentation von Diagnosen bzw.
Prozeduren, insbesondere der Hauptdiagnose, liegt beim behandelnden
Arzt.
Wie viel Prozent darf ich für diese Kodierung und alles, was
zusätzlich an Schreibkram anfällt, dem Patienten entziehen?
Ich habe einmal die Seiten durchgezählt: Bei uns sind es in
den Arztzimmern 1 800 Seiten an Literatur, die wir benutzen sollen.
Hinzu kommen noch etliche teure Literatur und besondere Hilfsmittel,
EDV-gestützt oder in Papierform, die wir erwerben sollen, weil
die DRGs ja so einfach sind, selbsterklärend. Da kommt ein
Riesenwust auf uns zu. Ich meine: Hätte man das Geld, was das
gekostet hat und noch immer kostet, nicht einfach dem Gesundheitswesen
zur Verfügung stellen können? Das hätte den Patienten
sicher besser getan als das, was wir jetzt mit dem ganzen Papier
anfangen müssen!
Das Wort „Kodierqualität“ ist ein ganz neues Schlagwort.
„Benchmarking“ ist ein ganz tolles Wort, durch das wir
geknechtet werden, uns mit der Nachbarklinik zu vergleichen. Über
„Kodierqualität“ sprechen wir jeden Tag; das Wort
„Behandlungsqualität“ ist in der Klinik selten
geworden.
(Zustimmung)
Eine interessante Beobachtung ist, dass mit diesen DRG-Problemen
eine gewisse Solidarität zwischen Klinikleitung und Ärzten
entstanden ist, weil die Klinikleistungen ganz katastrophal eingeschränkt
sind. Unser Verwaltungsleiter weiß überhaupt nicht mehr,
wie er das abrechnen soll. Ich kann gut verstehen, dass die Klinikleitung
einen sehr dicken Hals dabei hat.
In den Kodierrichtlinien steht, dass die DRGs ein durchgängig
leistungsorientiertes und pauschaliertes Entgeltungssystem für
die Vergütung von Krankenhausleistungen darstellen sollen.
Durch die zwangsläufige Eingruppierung von einzelnen Patienten
in eine bestimmte Fallpauschale wird es fast immer bereits vor dem
Behandlungsbeginn transparent, ob es mir möglich ist, eine
Behandlung kostendeckend nach dem State of the art durchzuführen.
Natürlich soll niemand dieses Instrument zur Patientenselektion
missbrauchen. Die kaufmännischen Geschäftsführer
sagen uns, dass Ärzte so geschult werden, dass sie wissen,
dass ein Krankenhaus heute wie ein Unternehmen zu führen ist,
das zumindest keine Verluste machen kann. Wie viele nicht kostendeckende
Aufträge kann ein Unternehmen verkraften, bis es insolvent
wird?
Es darf nicht die Aufgabe des Klinikarztes werden, das wirtschaftliche
Überleben des Krankenhauses auf Kosten einzelner Patienten
zu sichern.
Vielen Dank.
(Beifall)
Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe,
Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:
Schönen Dank, Herr Kollege Auler, für Ihre Darstellung.
- Das Wort hat jetzt Herr Kollege Snakker aus Hildesheim, Chirurg
in einer Gemeinschaftspraxis, wie wir aus dem Fernsehen erfahren
konnten. Bitte schön, Herr Kollege Snakker.
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