TOP I: Forderungen und Vorschläge der Ärzteschaft für die Gesundheitsreform 2003

Dienstag, 18. Februar 2003

Berlin, Axica Kongress- und Tagungszentrum, Nachmittagssitzung

Dr. Arndt Snakker, geladener Gast:

Vielen Dank für die Einladung nach Berlin. - Unser Gesundheitssystem ist geprägt von einer wachsenden Nachfrage nach haus- und fachärztlichen Leistungen im ambulanten Bereich durch die Patienten. Bei gedeckelten Ausgaben für ambulante Leistungen kommt es damit unaufhaltsam zu einem Punktwertverfall, der allein im Jahr 2000 - hier spreche ich für Niedersachsen - bis zu 25 Prozent betrug, nicht zuletzt auch durch die Umverteilungen, die gesetzlich verordnet waren.

Vermehrte Leistungsnachfrage erzeugt aber in unseren Praxen vermehrte Kosten und die Einsparpotenziale sind schon seit Jahren aufgebraucht. Die Nullrunde setzt hier nur noch einen weiteren Trend in diese Richtung.

Neben den unaufhaltsamen Honorarkürzungen versucht man zusätzlich, uns für unsere Verordnungen haftbar zu machen, ungeachtet der zunehmenden Verlagerung stationärer Leistungen in den ambulanten Bereich und der daraus resultierenden Mehrverordnungen. Ungeachtet der Preisentwicklung werden wir in unrealistische Richtgrößen eingezwängt. Das bedeutet für uns entweder eine strikte Einhaltung der Richtgrößen zur Regressvermeidung oder die Verpflichtung zur Verordnung des medizinisch Notwendigen bis hin zum verbrieften Anspruch des Patienten auf das medizinisch Optimale.

Es ist unwürdig, mit anzusehen, wie eingeschüchterte Kollegen unter dem Eindruck der Regressandrohung sich scheuen, das medizinisch Notwendige zu verordnen. Nur die ausgeprägte Leidensfähigkeit und vielleicht auch die mangelnde Solidarität unter den niedergelassenen Ärzten erhalten dieses System noch am Leben. Erste Verweigerungen, in dieses System einzusteigen, das auf Ausbeutung von Angestellten und Selbstausbeutung von niedergelassenen Ärzten aufbaut, sehen wir bereits beim Nachwuchs.

Flankiert wird das ganze Szenario durch die gezielten Versuche der Rufschädigung aller Ärzte. Hier werden leichtfertig Einzelfälle noch vor der Aufklärung zum regelhaften Kollektivverbrechen abgestempelt. So macht Arbeit dann irgendwann keinen Spaß mehr.

Wie die Zukunft des Gesundheitssystems aussehen wird, ist zurzeit schwer abzuschätzen. Die niedergelassenen Fachärzte sind aber bereits als überflüssige Spezies identifiziert worden. Sie werden allein zum Selbstzweck tätig und sind die eigentlichen Kostenverursacher in diesem System, indem sie überflüssige Doppeluntersuchungen durchführen, um ebenso überflüssige Therapien zu veranlassen.

Trotz dieser öffentlichen Diffamierung begeben sich die Patienten weiterhin massenhaft in unsere Betreuung. Wir bedanken uns für dieses Vertrauen.

Von den Experten werden folgende Unterscheidungen quasi als Synonyme gehandelt: Ambulant steht für den nicht fortgebildeten Facharzt, der Doppeluntersuchungen macht und dann ineffektive oder auch nicht notwendige Therapien in minderer Qualität durchführt. Der Begriff Krankenhaus steht heute für ein Kompetenzzentrum, das in der Lage ist, neben den stationären Leistungen bedarfsgerecht und hoch qualifiziert alle erforderlichen Leistungen unter Facharztstandards jederzeit durchzuführen.

Wir alle wissen, unter welch schwierigen Bedingungen die Assistenz- und Fachärzte der Krankenhäuser den stationären Betrieb nur mit Mühe aufrechterhalten. Dies geschieht großen Teils unter Umgehung der Arbeitszeitgesetze und unter den Vorwehen der Verknappung des ärztlichen Personals. Wie soll es da möglich werden, von dort aus auch noch ambulante fachärztliche Leistungen anzubieten? Es ist von der DKG geradezu fahrlässig, sich auch noch offiziell um diese Funktion zu bewerben, abgesehen davon, dass sie hiermit natürlich den ambulanten Fachärzten in den Rücken fällt.

Vielen Dank für die „Solidarität“ und viel Spaß bei der zukünftigen Tätigkeit als Kompetenzzentrum ohne kompetentes Personal!

Ich habe nichts gegen eine Kooperation zwischen niedergelassenen Fachärzten und Krankenhäusern. Dies macht in den operativen Fächern sogar Sinn. Es ist also ziemlich klar, dass es ohne die niedergelassenen Fachärzte nicht gehen wird, es sei denn, man will eine ganz andere Form der fachärztlichen Versorgung mit deutlich längeren Wartezeiten und deutlich weniger Leistungen. Das wäre in der Tat ein echtes Sparmodell, entspräche aber nicht den bisherigen Vorstellungen über eine zeitgemäße und moderne medizinische Versorgung.

Auch der Hausarzt, eine im Übrigen auch aussterbende Spezies, würde in einem solchen Modell schon allein aus Arbeitsüberlastung bei seiner Lotsentätigkeit keine fachärztlichen Funktionen mehr übernehmen können.

Wir brauchen in der Tat eine substanzielle Reform des Gesundheitswesens; wir brauchen eine GKV, die wirklich über die volle Summe der Mitgliedsbeiträge verfügen kann, um sie für die Honorierung der präventiven und kurativen Leistungen auszugeben. Ferner brauchen wir eine nach betriebswirtschaftlichen Gesichts­punkten gestaltete Gebührenordnung, meinetwegen auch in Form von Fallpau­schalen - aber bitte in Euro.

Die Qualitätssicherung in der Medizin halte ich zukünftig sogar für erforderlich, wo immer sie sinnvoll durchführbar ist. Es ist aber wichtig, dass diese nicht von Ökonomen, sondern von Ärzten definiert wird, denn unter der Verknappung der Mittel haben die Leistungsträger schon einen Anspruch auf einen Wirksamkeitsnachweis unserer Tätigkeit.

Aber lassen Sie uns nicht vergessen: Realität ist auch der hohe Grad an Zufriedenheit bei den Patienten, den wir in unserem Beruf täglich erfahren. Dies muss auch weiterhin die Triebfeder unserer Arbeit bleiben.

Danke schön.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe,
Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Vielen Dank, Herr Snakker, für diese realistische, aber trotzdem nicht mutlos machende Einschätzung und für Ihren Beitrag. - Das Wort hat jetzt Herr Kollege Albers aus Berlin.

© 2003, Bundesärztekammer.