Arbeitstagungen des Plenums

1. Tag: Mittwoch, 20. Mai 1998

Diskussionsverlauf - Vormittagssitzung

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen den 101. Deutschen Ärztetag in Köln mit der ersten Arbeitssitzung fort. Ich begrüße insbesondere Sie, meine Damen und Herren Delegierten des 101. Deutschen Ärztetages, herzlich. Mein besonderer Gruß gilt dem Ehrenpräsidenten dieses Ärztetages, Herrn Dr. med. Wilhelm Baldus. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich begrüße weiter den Ersten Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Herrn Dr. Schorre, der in Begleitung des Hauptgeschäftsführers, Herrn Dr. Hess, anwesend ist. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ihre Anwesenheit dokumentiert die Gemeinsamkeit der beiden Spitzenorganisationen in der Vertretung der gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft. Vielen Dank für Ihre Anwesenheit.

Ich begrüße weiter Herrn Dr. Klemm, den Vorsitzenden der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, sowie Herrn Professor Stockhausen, ehemaliger Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer und langjähriges Ehrenmitglied des ehemaligen Präsidiums des Deutschen Ärztetages.

(Beifall)

Auch diesmal haben wir die Freude, zahlreiche Ehrengäste aus dem Ausland hier begrüßen zu können:

Ich nenne an erster Stelle Herrn Dr. André Wynen, ehemaliger Generalsekretär des Weltärztebundes, Träger des Ehrenzeichens der deutschen Ärzteschaft und der Paracelsus-Medaille. Herzlich willkommen, André Wynen!

(Beifall)

Ich begrüße den Generalsekretär des Weltärztebundes, Herrn Dr. Delon Human. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich begrüße ebenso herzlich die Generalsekretärin des Internationalen Ärztinnenverbandes, Frau Dr. Carolyn Motzel. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Es ist uns eine ganz besondere Freude, aus Anlaß des zehnjährigen Bestehens des Kooperationsvertrages zwischen der Bundesärztekammer und der MOTESZ, der noch vor der Wende abgeschlossen wurde, eine große ungarische Delegation hier begrüßen zu können. Ich begrüße ganz herzlich Herrn Professor György Berentey, ehemaliger Präsident des Verbandes der Ungarischen Medizinischen Gesellschaften (MOTESZ) und jetziger Vorsitzender des Ausschusses für Internationale Beziehungen der MOTESZ.

(Beifall)

Ich begrüße Herrn Dr. Béla Szalma, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Ungarischen Medizinischen Gesellschaften.

(Beifall)

Ich begrüße ebenso Frau Orsolya Zólomy, Leiterin der Abteilung für Organisation und Internationale Beziehungen des Verbandes der Ungarischen Medizinischen Gesellschaften.

(Beifall)

Ich erinnere daran, daß der Kooperationsvertrag, wie eben erwähnt, schon vor der Wende abgeschlossen wurde, damals noch unter Beteiligung der Außenministerien der beiden Länder. Ich erinnere ferner daran, daß sich insbesondere Ungarn ganz dezidiert und sehr wirksam dafür eingesetzt hat, daß in Europa alle Länder die Freiheit wiedergewinnen konnten.

(Beifall)

Es ist ausschließlich dem Mut der Ungarn und ihrer Grenzöffnung zu verdanken, daß der Eiserne Vorhang und die Mauer in Berlin zum Einsturz gebracht wurden. Dafür an dieser Stelle nochmals ganz herzlichen Dank!

(Beifall)

Anwesend ist auch der Präsident der MOTESZ, Herr Professor Péter Sotonyi. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich begrüße als Vertreter der Griechischen Ärzteorganisation Herrn Dr. Panagiotis Kontoulakos. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Aus Warschau ist der Vizepräsident der Polnischen Ärztekammer und Präsident der Regionalärztekammer Warschau zu uns gekommen, Herr Dr. Lek. med. Krzyztof Makuch.

(Beifall)

Ich begrüße den Vorsitzenden des Schlesischen Medizinerverbandes, Herrn Dr. Anthon Kost. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich begrüße ferner den Stellvertreter des Vorsitzenden des Schlesischen Medizinerverbandes, Herrn Dr. Adam Horzela.

(Beifall)

Unter uns weilt auch die Präsidentin der Finnischen Ärzteorganisation, Frau Kati Myllymäki. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich begrüße Herrn Dr. Daniel Grünwald, den stellvertretenden Generalsekretär der Französischen Ärztekammer. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Wir haben die Freude, Herrn Primarius Egidio Cépulic, den Präsidenten der Kroatischen Ärztekammer, hier begrüßen zu können.

(Beifall)

Ferner begrüßen wir den Vorsitzenden des Ausschusses für die Berufsaufsicht der Kroatischen Ärztekammer, Herrn Professor Zlatko Domljan.

(Beifall)

Mit dem Ehrenpräsidenten der Luxemburgischen Ärzteorganisation, Herrn Dr. André Thibeau, begrüßen wir einen alten Bekannten auf Deutschen Ärztetagen. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Unter uns ist das Vorstandsmitglied der Estnischen Ärzteorganisation, Frau Kai Tamm. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Wir begrüßen ferner Herrn Dr. Eduard Eicher, den Schriftführer des Zentralverbandes der Verbindung Schweizer Ärzte.

(Beifall)

Für mich ist es eine besondere Freude, auch Herrn Dr. Joseph Kearns, Mitglied des Vorstandes der Britischen Ärzteorganisation, hier willkommen zu heißen.

(Beifall)

Ferner begrüße ich den Generalsekretär der Norwegischen Ärzteorganisation, Herrn Dr. Harry Martin Svabø.

(Beifall)

Aus Böhmen ist das Mitglied des Vorstands der Revisionskommission der Böhmischen Ärzteorganisation, Herr Tomás Merhaut, zu uns gekommen. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich begrüße Herrn Prof. Dr. Igor Korol, Mitglied des Rates des Ärzteverbandes der Republik Belarus, Professor des Instituts für ärztliche Fortbildung. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erwarten noch weitere Gäste aus dem Ausland. Wir werden sie begrüßen, sobald sie hier eingetroffen sind.

Wie in den früheren Jahren sind auch heute wieder eine Reihe von Grußtelegrammen eingegangen, die wir umdrucken und Ihnen vorlegen werden. Wir verzichten wie in den Vorjahren auf eine gesonderte Verlesung dieser Grußtelegramme. Bisher eingetroffene Grußtelegramme liegen Ihnen umgedruckt vor; mit weiteren eintreffenden Grüßen wird ebenso verfahren.

Zur Feststellung der Beschlußfähigkeit und zur Erläuterung von Regularien erteile ich nunmehr dem Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer, Herrn Professor Fuchs, das Wort. Wir beenden diese Ausführungen traditionsgemäß mit der Abstimmung darüber, ob hier geraucht werden darf oder nicht.

Bitte, Herr Fuchs.

Prof. Dr. Fuchs, Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Einladung zum 101. Deutschen Ärztetag ist den Delegierten fristgerecht und formgerecht unter Bekanntgabe der Tagesordnung mehr als vier Wochen vor dem Ärztetag, nämlich am 30. März 1998, zugegangen. Dieser Einladung waren der Bericht über die Jahresrechnung für das Geschäftsjahr 1996/97 und der Haushaltsvoranschlag für das Geschäftsjahr 1998/99 beigefügt.

Gemäß § 4 Abs. 3 der Satzung der Bundesärztekammer beträgt die Zahl der Delegierten 250. Ich stelle fest, daß mehr als die Hälfte der Delegierten anwesend ist. Der 101. Deutsche Ärztetag ist damit beschlußfähig.

Die Liste der Delegierten des 101. Deutschen Ärztetages mit aktuellem Stand liegt bei Ihren Tagungsunterlagen.

Der Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer "98" wurde mit Schreiben vom 24. April 1998 zugesandt.

Ich möchte an dieser Stelle dem Deutschen Ärzte-Verlag danken für die Mühe, die mit der rechtzeitigen Erstellung des Tätigkeitsberichts verbunden war.

Nach einem satzungsauslegenden Beschluß des Vorstandes der Bundesärztekammer kann ein Ersatzdelegierter nach Beginn des Deutschen Ärztetages nur dann an die Stelle des benannten Delegierten treten, wenn dieser für die gesamte weitere Dauer an der Teilnahme aus zwingenden Gründen verhindert ist. Ein nochmaliger Wechsel oder ein Zurückwechseln ist daher ausgeschlossen.

Nun ein paar Bemerkungen zum Ablauf der Sitzungen des Deutschen Ärztetages:

Die Tagesordnung umfaßt zehn Punkte. Gemäß § 9 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Deutschen Ärztetage müssen dringende Anträge über Gegenstände, die nicht auf der Tagesordnung stehen, vor Eintritt in den ersten Verhandlungsgegenstand vorgebracht werden. Sie sind zu verhandeln, wenn die Mehrheit dafür ist. Der Vorstand der Bundesärztekammer kann jederzeit die Tagesordnung ändern oder ergänzen.

Sie finden in Ihrer Tagungsmappe Hinweise zur Wortmeldung und Antragstellung sowie zum Verfahren zur Begrenzung der Redezeit.

Bei der Antragstellung ist es möglich, bis zu drei Namen in der Rubrik "Name des Antragstellers" aufzuführen. Wir bitten Sie, diese Namen leserlich in Druckschrift in die entsprechende Zeile einzutragen. Die Verfasser des Antrags sollten sich jedoch auf einen Antragsteller einigen, der dann auch zum Antrag spricht. Dieser kann in seinem Redebeitrag die übrigen Verfasser des Antrags nennen, so daß diese im Wortprotokoll erfaßt werden.

Die Stellen für die Antragsannahme und für die Annahme von Wortmeldungen befinden sich an der - von Ihnen aus gesehen - linken Bühnenseite. Um dies zu personifizieren: Frau Hess und Herr Kleinken nehmen die Anträge und Herr Brüggemann und Herr Butz die Wortmeldungen entgegen.

Vom Vorstand eingebrachte Beschluß- und Entschließungsanträge finden Sie ebenfalls auf Ihren Plätzen.

Weitere Anträge und Vorlagen werden sukzessive verteilt. Wir bitten Sie deshalb, uns Ihre Anträge, die Sie bereits vorbereitet haben - auch wenn sie erst bei späteren Tagesordnungspunkten abgehandelt werden -, schon jetzt abzugeben, damit wir sie so schnell wie möglich umdrucken und verteilen können.

Bei allen Wortmeldungen und Anträgen bitten wir, den entsprechenden Gegenstand genau zu bezeichnen und nicht lediglich den Tagesordnungspunkt anzugeben.

Bei Tagesordnungspunkt VI - Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer - bitten wir, alle Anträge allgemeinen und speziellen Inhalts einzureichen, die nicht zu einem der anderen Tagesordnungspunkte gehören.

Bezieht sich eine Wortmeldung auf keinen konkreten "Unterpunkt" des jeweiligen Tagesordnungspunkts, so sollte die Formulierung "Allgemein" benutzt werden.

Wir haben die dringende Bitte, stets deutlich zu schreiben. Sie vermeiden so unnötige Verzögerungen und Rückfragen.

Alle Ärztetags-Drucksachen liegen nach Tagesordnungsziffern geordnet vor der Bühne auf den Tischen. Die Reihenfolge entspricht der Numerierung der Anträge: zunächst die römische Ziffer des Tagesordnungspunkts, dann diejenige des Antrags, arabisch geschrieben.

Auch dieses Jahr können Sie wieder Ihre hier abgehende Post mit einem Sonderstempel mit dem Bildnis von Gustav Giemsa versehen lassen. Ein besonders gekennzeichneter Briefkasten der Deutschen Post AG im Eingangsfoyer steht hierzu zur Verfügung.

Um Zeit zu sparen, bitten wir die Redner, möglichst rechtzeitig nach vorn zu kommen, um auf den bereitgestellten Stühlen bis zum Aufruf ihrer Wortmeldung Platz zu nehmen.

Noch ein paar Bemerkungen zum Zeitplan: Die Beratungen finden jeweils zu den im Programmheft angegebenen Zeiten statt. Wir beginnen immer um 9 Uhr und tagen bis 12.30 Uhr, dann wieder von 14.30 Uhr bis 17.30 Uhr. Für Samstag ist die Sitzungsdauer von 9 Uhr bis 12.30 Uhr vorgesehen.

Ihre Unterlagen können Sie bis Ende der Plenarsitzung am Samstag auf Ihrem Platz liegenlassen. Wir können jedoch keine Haftung übernehmen.

Die Tagesordnungspunkte, welche Finanzfragen betreffen, sollten so beraten werden, daß die Delegierten, sofern notwendig, vor der abschließenden Abstimmung Gelegenheit haben, Einzelfragen noch im Kreise der Delegierten der einzelnen Landesärztekammern zu erörtern.

Im Foyer dieser Tagungsstätte finden Sie folgende Ausstellungen und Informationsstände: Die Ausstellung "50 Jahre BÄK", die ich Ihnen sehr ans Herz legen und empfehlen möchte, den Bücherstand des Deutschen Ärzte-Verlags und einen Informationsstand der Stadt Cottbus mit Informationen über den nächsten Deutschen Ärztetag. Sie finden im Foyer weitere Informationsstände.

Zum Schluß noch einige technische Hinweise. Wir machen ausdrücklich darauf aufmerksam, daß nur Delegierte, Ärzte und Gäste, die im Besitz der vom Tagungsbüro ausgegebenen Namensschilder sind, den Verhandlungssaal betreten dürfen.

Die Deutsche Apotheker- und Ärztebank ist wie in den Vorjahren wieder vor Ort und für die üblichen Bankgeschäfte mit einem besonderen Stand beim Tagungsbüro vertreten. Herzlichen Dank für diesen Service.

Zum Konsum von Getränken: Die Getränkestände werden von der Restauration des Congress-Centrums betreut. Sie sind daher nicht kostenlos. Während der Mittagspause besteht die Möglichkeit, im Foyer einen Imbiß einzunehmen. Für ausreichend Kapazität ist gesorgt.

Das Rauchen ist in diesem Saal nicht verboten. Sie können daher demokratisch darüber abstimmen - ich möchte den Präsidenten bitten, die Konsensfähigkeit des 101. Deutschen Ärztetags an dieser Stelle schon einmal zu testen -, ob Sie rauchen wollen oder nicht.

Vielen Dank.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Vielen Dank, Herr Fuchs. - Sie haben gehört: Das Rauchen ist hier erlaubt. Wer ist jedoch dafür, daß wir hier nicht rauchen? - Das ist sicher die Mehrheit. Die Gegenprobe! Wer möchte rauchen? - Eine. Das ist auch wieder bezeichnend; vor allen Dingen die jüngeren Frauen rauchen heute überwiegend. Bei den Männern läßt das eher nach. Die Damen sollten nicht gerade darin ihre Emanzipation suchen; es gibt bessere Möglichkeiten.

Die Mehrheit war also eindeutig dafür, daß wir hier nicht rauchen.

Wir treten jetzt ein in die Behandlung des Tagesordnungspunktes I, zu dem ich gestern bei der Eröffnungsveranstaltung das einleitende Referat gehalten habe. Wir wollen entsprechend den Entschließungsanträgen des Vorstands vorgehen: Sozialpolitik am Scheideweg - Gesundheitswesen medizinisch orientieren, das ist der Antrag I-1; die Zukunft der gesundheitlichen Versorgung im vereinten Europa, Antrag I-2; Integration von ambulanter und stationärer Versorgung, Antrag I-3; Initiativprogramm zur Sicherstellung der Weiterbildung in Allgemeinmedizin, Antrag I-4. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Wortmeldungen nach diesen Unterpunkten sortieren und das bei der Wortmeldung entsprechend angeben. Dann tun wir uns leichter.

Es liegen schon eine Reihe weiterer Anträge vor, die wir dann, wenn die Diskussion zu den einzelnen Blöcken abgeschlossen ist, zur Abstimmung bringen.

Bevor wir nun in die Diskussion eintreten, habe ich hier einen Geschäftsordnungsantrag von Herrn Martin aus Rheinland-Pfalz auf Redezeitbegrenzung. Hier ist nicht angegeben, wie viele Minuten die Redezeit betragen soll. Vielleicht können Sie es eben begründen. Bitte.

Dr. Martin, Rheinland-Pfalz:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Vergangenheit hat sich gezeigt, daß die Diskussion mit Koreferaten und Vorträgen begonnen und mit einer Redezeitbegrenzung geendet hat. Ich bitte darum, die Redezeit von vornherein auf drei Minuten zu begrenzen, damit jeder eine zwar knappe, aber ausreichende Redezeit zur Verfügung hat, um seine Meinung kundzutun.

Vielen Dank.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke sehr. - Wünscht jemand dagegen zu sprechen? - Formal. Wer ist für die Begrenzung der Redezeit auf drei Minuten? - Das ist sicher die Mehrheit. Damit ist die Begrenzung der Redezeit auf drei Minuten beschlossen.

Entgegen einer langjährigen Tradition - das zeugt vielleicht auch von einem Wandel - hat diesmal Herr Huber nicht als erster das Wort.

(Beifall - Heiterkeit)

Als erster hat jetzt Herr Drexler aus Hessen das Wort. Bitte, Herr Drexler.

Dr. Drexler, Hessen:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter Tagesordnungspunkt I beschäftigen wir uns traditionell auch mit dem Referat des Herrn Präsidenten bei der Eröffnungsveranstaltung. Das war schon eine märchenhafte Stunde, zu der einiges an Kommentar erforderlich ist. Im Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein warnt die Mutter die Geißlein vor dem Wolf, auch wenn er sich verkleidet oder Kreide gefressen hat. Ich denke, der Wolf hat Kreide gefressen.

(Zustimmung)

Wir haben erlebt, daß derjenige, welcher der Hauptverantwortliche ist für die Situation, die wir beklagen - mit einem Verlust von Strukturen, mit einer Bedrohung des Versorgungsrechts und der Ansprüche eines großen Teils der Bevölkerung, mit zunehmender Armut und Arbeitslosigkeit -, als unser Freund und Retter aufzutreten versucht hat. Dies sollten wir sehr klar erkennen und auch analysieren.

(Zustimmung)

Ob es darüber hinaus ein guter Stil ist, uns Ärzten den Weltuntergang vor Augen zu halten, wenn am 27. September eine Wahlentscheidung getroffen wird, die nicht mit einer Kontinuität im Amt für Herrn Seehofer verbunden wäre, weiß ich nicht. Ich persönlich halte es für einen schlechten politischen Stil.

Darüber hinaus halte ich es für einen schlechten politischen Stil, wenn Sie, Herr Vilmar, sich während eines großen Teils Ihres Referats damit beschäftigt haben, den Weltuntergang im Falle einer gewissen Wahlentscheidung zu prophezeien. Das ist nicht Ihre Aufgabe als Präsident der Bundesärztekammer, völlig unabhängig davon, wie wir uns in der Wahl entscheiden.

(Beifall)

Das ist Ihrem Amt als Präsident der Bundesärztekammer, als Repräsentant der deutschen Ärzteschaft nicht angemessen, sich derartig zu äußern.

Kolleginnen und Kollegen, die letzten sechs Jahre haben einen Abbau in der Gesundheitspolitik gebracht, der beispiellos ist. Strukturen, die sich bewährt haben und vor 100 Jahren zum Schutz derjenigen eingeführt wurden, die nicht ausreichend für sich persönlich sorgen können, sind so verändert worden, daß damit eine unglaubliche Erhöhung der Eigenbeteiligung und somit eine Abwälzung der Krankheitsrisiken auf den einzelnen verbunden waren. Die Tradition der Deutschen Ärztetage und die Tradition des Selbstverständnisses der deutschen Ärzteschaft waren immer sozial verpflichtet. Wir sollten dieses verteidigen und nicht riskieren, daß uns später Vorwürfe gemacht werden können, uns falsche Partner gesucht zu haben.

Vielen Dank.

(Beifall)
 
Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Als nächster Redner hat Herr Mausbach, Hessen, das Wort.

Prof. Dr. Mausbach, Hessen:

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich auf das Thema "Gesundheitswesen am Scheideweg" beziehen und an das anknüpfen, was gestern im Gürzenich gesagt wurde. Was dort gesagt wurde, war ja nicht einheitlich. Wir haben die Worte von Frau Renate Canisius gehört, wir haben ein Referat aus dem Bereich des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen gehört, und wir haben die Referate von Herrn Seehofer und unserem Präsidenten Vilmar gehört.

Es war sehr deutlich ein Unterschied bei der Einschätzung der Lage im Bereich der Gesundheits- und Sozialpolitik feststellbar. Sie haben gesagt, Herr Vilmar: Ein Staat, der alles Soziale bezahlen will, wird am Ende nichts mehr bezahlen können. Auch hier gilt die Forderung, die Sie selbst unterstrichen haben: Man muß erst analysieren, eine Diagnose erstellen, bevor man eine Therapie durchführt. Vor die Therapie haben, wie wir alle wissen, die Götter die Diagnose gestellt.

Wir in Deutschland haben es nicht mit einem Gesundheitswesen wie etwa in Großbritannien oder den meisten skandinavischen Ländern zu tun, das überwiegend staatlich finanziert wird. So ist es ja nicht. Wir haben ein gemischtes System der Finanzierung über die Sozialversicherung und über andere Bereiche. Wir haben in diesem System in den letzten Jahren ständig steigende Zuzahlungen unter der Ägide von Minister Seehofer und auf der Grundlage der Leitlinien der Regierungskoalition erlebt. Das hat dazu geführt, daß wir am Scheideweg stehen, daß sich die Bevölkerung fragt - das sieht man auch an den Pressereaktionen auf die gestrige Veranstaltung im Gürzenich -: Werden wir wie bisher ein Gesundheitswesen haben, das für alle Bürgerinnen und Bürger in gleichmäßiger Weise eine ärztliche Versorgung garantiert? Oder werden wir ein Gesundheitswesen bekommen, das eine Art Grundversorgung und zusätzlich - für Privilegierte - eine umfassende Versorgung anbietet?

Ich meine - übrigens in Übereinstimmung mit den Sozialtraditionen, welche diese Stadt Köln geprägt haben; ich erinnere nur an Kardinal Frings, der diese Positionen in der Nachkriegszeit immer wieder unterstrichen hat -: Es geht um eine allgemeine Versorgung für die gesamte Bevölkerung. Es geht nicht um eine Versorgung, welche die Armen, die weniger gut Gestellten benachteiligt. Das wäre eine unsoziale Aufteilung.

 
Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Prof. Dr. Mausbach, Hessen:

Deswegen ist es falsch, eine solche Richtung zu befürworten und zu unterstützen. Die soziale Struktur des Gesundheitswesens muß erhalten werden.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Herr Mausbach, ich bin froh, daß ich mit Ihnen einer Meinung bin, daß wir eine gleichmäßige Versorgung für alle Patienten wollen, egal ob reich oder arm. Ich bin auch froh, daß Sie ebenso erkannt haben, daß wir an einem Scheideweg stehen. In der Versammlung wurde ganz deutlich, daß zwei Wege in die Zukunft führen. Nur wenn man am Scheideweg steht und diese Unterschiede erkennt, kann man sich entscheiden. Es ging um nichts anderes, als dieses Bewußtsein für die notwendige Entscheidung zu stärken und zu wecken.

Ich halte es keineswegs für einen schlechten politischen Stil, wenn man als Präsident der Bundesärztekammer die von den Deutschen Ärztetagen seit vielen Jahren in den gesundheitspolitischen Programmen und in vielen Beschlüssen, zuletzt auf dem 100. Deutschen Ärztetag, getroffenen Entscheidungen für einen derartigen Weg in das künftige Gesundheitswesen deutlich macht, wenn man die Position des Deutschen Ärztetages mit den politischen Aussagen der Parteien vergleicht. Dann muß man sicher erkennen, daß ganz wesentliche Unterschiede bestehen.

Ich habe nichts weiter getan, als auf diese Unterschiede hinzuweisen und unseren Standpunkt zu vertreten. Das ist die Aufgabe des Präsidenten der Bundesärztekammer.

(Beifall)

Wir haben uns gemeinsam mit großer Mehrheit - sicher bei einigen Gegenstimmen - für diese Richtung entschieden, und daran wollen wir meiner Auffassung nach doch auch weiterhin festhalten.

Ich habe nicht von "Weltuntergang" gesprochen. Ich halte Herrn Seehofer auch nicht für den Weltenlenker. Schon deswegen konnte man nicht von "Weltuntergang" sprechen, auch nicht im Hinblick auf das Jahr 2000. Dieser willkürlich gewählte Termin hat sicher nichts mit den Milliarden Jahren der Existenz des Universums zu tun. Das Leben wird auch nach dem September so oder so weitergehen. Nur: Wir sind als Staatsbürger und als Ärzte in besonderem Maße aufgerufen, uns Gedanken um die künftige gesundheitliche Versorgung zu machen. Das halte ich nach wie vor für meine Pflicht und meine Aufgabe.

(Zustimmung)

Mein Referat wird Ihnen umgedruckt noch verteilt. Es befindet sich derzeit in der technischen Herstellung.

Nunmehr begrüße ich das Vorstandsmitglied des Lettischen Ärztevereins, Herrn Kollegen Janis Ozols. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Nun hat Herr Huber das Wort. Bitte sehr.
 
Dr. Huber, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da stehen wir nun und fragen uns: Wie geht es weiter? Nach den Beifallsstürmen um den Bundesgesundheitsminister gestern ertappen wir uns dabei, wie die nüchterne Realität wieder einzieht. Die Lage auf dem Dampfer des Gesundheitswesens der Bundesrepublik Deutschland ist unverändert: Die Vertragsärzte feilschen um Honorarbudgets und verstricken sich in der Honorarverteilung; die Krankenhausträger sind weiter dabei, Abrechnungen zu optimieren und zu fragen, wie man beim selben Problem zweimal zur Kasse bitten darf; die Kassenspitzen versuchen sich aggressiv in der Risikoselektion, durchaus erfolgreich.

Wir alle merken, wie das gesellschaftliche Wasser kalt wird zwischen den Interessen eines globalisierten Kapitalmarkts und der handfesten Perspektivlosigkeit von Kindern, Jugendlichen, Arbeitslosen und alleinerziehenden Eltern. Die einfachen Leute warnen uns bereits vor dem, was auf uns zukommen kann, und sie beklagen die Gefahren der sozialen Spaltung.

Und was tun wir? - Die deutsche Ärzteschaft leidet an einem Titanic-Syndrom: Auf der Brücke streiten die Kapitäne der KV um den richtigen Kurs; die Präsidenten der Ärztekammern streiten um die richtige Geschwindigkeit; der Deutsche Ärztetag tanzt jubelnd um den Chefreeder Horst Seehofer.

(Widerspruch)

In der Tat: Das System auf diesem Schiff ist marode, es ist durch und durch korrupt. Die Mannschaften sind zerstritten, und die Passagiere, die Lahmen, Kranken und Siechen, sind besorgt. Wem dient die Ärzteschaft - das ist die zentrale Frage. Herr Hoppe hat gestern dankenswerterweise den Vertrag angesprochen, den wir Ärzte mit der Bevölkerung geschlossen haben. Die zentrale Frage lautet: Wollen wir preiswerte Gesundheit für alle anstreben, also ein Gesundheitswesen, das sozialen Gewinn bei günstigen Preisen anstrebt, oder wollen wir ein Gesundheitssystem, das maximierte individuelle Profitabschöpfung zu Lasten der Kranken ermöglicht? Moral oder Profit - das ist die zentrale Entscheidung.

Wir müssen das Schiff stoppen, das Gesundheitssystem neu denken, unser soziales Gewissen reanimieren und ein sozialverträgliches Gesundheitssystem neu praktisch durchsetzen, eines, das nicht den Gewinnzielen individueller Kapitalisten, sondern den Gewinnzielen der Gesellschaft insgesamt dient, ein System, welches das soziale Bindegewebe schützt.

(Zustimmung - Widerspruch)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Huber. - Als nächster Redner bitte Herr Wildmeister aus Nordrhein.

Prof. Dr. Wildmeister, Nordrhein:

Wir sind hier auf einem Deutschen Ärztetag. Wenn Ärzte ihre Meinung äußern - ich weiß nicht, ob der vorige Redebeitrag ein Arztbeitrag war -, sollten wir ein bißchen konstruktiv vorgehen. Eine knallharte Analyse und Diagnostik ist bei unserer Arbeit in Klinik und Praxis unser tägliches Brot. Aber dann muß der Kompromiß in einer Therapie gefunden werden.

Genauso sollten wir in unserer Berufspolitik, in unserer Honorarpolitik und in der Gesundheitspolitik vorgehen. Ich finde es nicht statthaft, daß man die sehr moderate Richtungslenkung durch unseren Präsidenten hier diskreditiert. Es ist wichtig, daß jeder Arzt in Deutschland weiß, wo er sich im Herbst aus dem Fenster hängt, ob wir das kleinste Übel wollen oder ob wir eine Weltverbesserung à la Ellis Huber haben wollen, der andere Ärztegruppen - außer der eigenen; ich weiß nicht, in welcher Ärztegruppe er sich selber zu Hause fühlt - sehr diskreditiert hat.

Ich erinnere an die öffentlichen Auftritte von Herrn Huber, in denen er die verantwortlichen Ärzte in Fernsehsendungen beschimpft hat, ohne Roß und Reiter zu nennen. Es ist überhaupt in unserer oberen Hierarchie die Entwicklung zu verzeichnen, daß man sich durch Negativäußerungen profiliert. Wir haben in Deutschland in unserer Ärzteschaft eine sehr gesunde Konstruktion. Wir haben solide Verhältnisse. Wir haben in den letzten Jahren sehr viel geschafft. Denken Sie an die Weiterbildungsordnung 1992, denken Sie an die sehr weit gediehene Problemlösung, die mit § 72 SGB V zu tun hat. Wir Internisten haben unseren Beitrag bis an die Grenze des Möglichen geleistet.

Jetzt erwarten wir aber Ruhe an der Front. Es kann nicht alles in Frage gestellt werden. Auch eine neue Politik kann nicht alles in Frage stellen, sondern das, was wir in den vergangenen Jahren beschlossen haben, muß einmal ausprobiert werden. Modellvorhaben, wie sie jetzt überall angeregt werden, tragen den Charakter des Unzufriedenen in sich. Wir müssen sehr vorsichtig sein, wenn jetzt auf dem Ärztetag viel über Modellvorhaben gesprochen wird. Das ist ein Ausweichen.

Unser Appell lautet, das Gestandene zu bewahren, die Rechte des einzelnen Arztes im Sinne der Betreuung der Patienten zu realisieren.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Wildmeister. - Als nächster Redner hat Herr Pickerodt, Berlin, das Wort. Bitte, Herr Pickerodt.

Dr. Pickerodt, Berlin:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen immer noch über die gestrige Eröffnungsveranstaltung. Der Kollege Drexler hat zur Rede unseres Präsidenten einiges gesagt. Es mag sein, daß sich unser Präsident mittlerweile in Köln so zu Hause fühlt, daß er glaubte, in Bremen auf einer ähnlichen Veranstaltung zu sein. So klang es zumindest, so kam es rüber.

Aber dazu möchte ich nichts weiter sagen, sondern Stellung nehmen zu der Rede des Gesundheitsministers, der uns eine heile Welt in "fünf gesunden Wahrheiten" dargestellt hat und von Ihnen entsprechend mit Beifall bejubelt worden ist. Vor einem Jahr habe ich den Bundesgesundheitsminister darauf aufmerksam gemacht, daß es Aufgabe der Politik ist, die Arbeitslosigkeit in diesem Lande zu bekämpfen und damit auch die Basis für die Finanzierung des Gesundheitswesens zu verbessern. Die Realität ist, daß wir heute
70 000 Arbeitslose mehr haben als vor einem Jahr. Die Pleite der gesetzlichen Krankenversicherung ist dadurch abgemildert worden, daß der Griff in die Taschen der Versicherten 5 bis 6 Milliarden DM erbracht hat - nicht etwa deshalb, weil in diesen Taschen soviel Geld vorhanden ist, vielmehr weil es sich nicht um einen kleinen Taschendiebstahl handelt, sondern um eine flächendeckende Aktion, die diese Summen zutage gefördert hat.

Ich glaube nicht, daß wir auf diesem Wege fortfahren können. Der eingeschlagene Weg ist falsch. Dennoch hat, wie ich der Presse entnehme, der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bereits den nächsten Griff in die andere Tasche der Versicherten angekündigt. Ich glaube nicht, daß wir diesen Weg weitergehen sollten. Die Ärzteschaft sollte in sozialer Verantwortung Bewahrer eines Gesundheitswesens sein, das einen Versichertenschutz für alle beinhaltet. Sie sollte sich auch zum Förderer des Abbaus der Arbeitslosigkeit machen.

Wir wissen alle, daß die Arbeitslosigkeit ein krank machender Faktor an sich ist. Wenn es uns gelingt, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren oder zu beseitigen, werden wir auch die finanziellen Probleme des Gesundheitswesens gelöst haben und brauchen nicht weiter zum Taschendieb in bezug auf die Versicherten zu werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Als nächster Redner bitte Herr Müllerleile, Hamburg.

Dr. Müllerleile, Hamburg:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Antrag, über den wir abstimmen sollen, wird vorgeschlagen, daß der Ärztetag fordert:

Der Grundsatz der einnahmenorientierten Ausgabenpolitik muß den veränderten Einkommensstrukturen der Bevölkerung angepaßt werden. Der Leistungskatalog der GKV muß auf den ... Umfang des Notwendigen, Zweckmäßigen und Ausreichenden ... zurückgeführt werden. Darüber kann und muß man ernsthaft diskutieren. Es liegen seit einigen Wochen in der Öffentlichkeit Vorschläge auf dem Tisch, die zeigen, an welchem Abgrund man sich bewegt. Ich meine zum einen die Liste der KBV zu den individuellen Gesundheitsleistungen, bei der, wenn ich die Presse richtig verstanden habe, gestern noch nachgeschoben wurde, daß beispielsweise auch die Kosten der Methadonsubstitution zu denjenigen Leistungen zu rechnen seien, die individuell von den Betreffenden zu erbringen sind. Es sollen auch Maßnahmen gegen das Ärzte-Hopping ergriffen werden. Das ist als zusätzliche kostendämpfende Maßnahme vorgesehen. Es gibt vom Vorsitzenden des Marburger Bundes, Herrn Montgomery, den Vorschlag, eine "Armenkasse", wie das in der Presse genannt wurde, einzuführen, nämlich eine Reduktion der gesetzlichen Krankenkassen auf die 50 Prozent der am schlechtesten Gestellten.

Ich meine, daß allen diesen Vorschlägen, über die man natürlich diskutieren kann und muß, eines zugrunde liegt: daß ärztliche Probleme auf die Patienten abgewälzt werden. Um mit dem Einfachsten zu beginnen, dem Ärzte-Hopping: Das Problem, daß es Ärzte gibt, die keine Linie haben oder, wenn sie eine haben, diese aus Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen nicht vertreten, wird auf den Patienten abgewälzt. Was passiert mit solchen Patienten, wenn sie auf einen Arzt treffen, der eher Abrechnungskünstler als Arzt ist? Was passiert mit den Patienten, die zu den erwähnten 50 Prozent gehören und mit einem rationierten Leistungskatalog auskommen müssen?

Ich meine, wenn man sich auf solche Denkspiele einläßt, wird sich die Medizin in folgender Weise verändern: Die Medizin wird als soziale Aufgabe endgültig abdanken; sie wird ein Geschäftsfeld werden, was sie heute teilweise bereits ist. Es wird zu einer zunehmenden Rationierung und zu einer Entmündigung gerade bei denen kommen, welche die Hilfe am nötigsten haben. Es wird eine Pseudosouveränität bei denjenigen geben, die zu den oberen Einkommensgruppen gehören.

Ich empfehle Ihnen, von solchen Planspielen Abstand zu nehmen und statt dessen die Medizin so zu entwickeln, daß wir uns auf wissenschaftlich und ethisch begründete Standards besinnen. Dort, wo sie nicht vorhanden sind, müssen sie entwickelt werden. Wir müssen die Medizin als soziale Aufgabe verteidigen. Wir sollten uns um Formen der Organisation unserer Arbeit bemühen, bei denen es zumindest möglich ist, die individuelle ärztliche Leistung vom individuellen Einkommen zu trennen. Das bedeutet, daß man im ambulanten Bereich beispielsweise poliklinikähnliche Modelle zuläßt.

Vielen Dank.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Als nächste Rednerin bitte Frau Jacoby, Berlin.

Dr. Jacoby, Berlin:

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich beziehe mich auf folgende Aussage im Antrag I-1:

Entsprechend dem unterschiedlichen individuellen Sicherheitsbedürfnis müssen dem mündigen Bürger zur Wahrnehmung seiner Verantwortung wieder mehr Entscheidungsfreiräume geschaffen werden. Sozialpolitisch gewollte Leistungen aus dem Gesundheitsbereich müssen dagegen durch Steuern bezahlt werden. Mir reicht das nicht. Wir sehen im Moment in Berlin, was sozialpolitisch gewollt ist. Gegenwärtig wird in Berlin die Grundversorgung plattgemacht. Genau die Häuser der Regel- und Grundversorgung wurden geschlossen. Die hauspflegerische und hausärztliche Versorgung ist nicht mehr gewährleistet. Es ist eine unerträgliche Versorgungslücke zwischen Krankenkassen und Pflegekassen entstanden, wodurch oft monatelang die Zahlung der notwendigen Pflege verhindert wird.

Genau bei denjenigen, welche die medizinische Versorgung unbedingt notwendig haben, erfolgt ein Abbau. Ich plädiere daher dafür, eine andere Formulierung zu wählen:

Jedem Patienten/jeder Patientin steht unabhängig vom finanziellen Zahlungsvermögen und unabhängig von der Krankenversicherungsform die medizinische Versorgung zu, die medizinisch notwendig ist. Danke schön.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke sehr. - Als nächster Redner hat Herr Hirschmann, Bayern, das Wort.

Dr. Hirschmann, Bayern:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer sich etwas mit der Anatomie des menschlichen Gehirns beschäftigt hat, wird wissen, daß nahezu alle afferenten Bahnen über den Thalamus, über das limbische System kommen und dort emotional eingefärbt werden. Nur wenige Bahnen gehen weiter in den Kortex, in die zwei Millimeter dicke Großhirnrinde.

Nur so kann ich mir den stürmischen Beifall erklären, den unser Gesundheitsminister gestern erhalten hat.

(Zustimmung)

Das ist derselbe Minister, dem Sie, Herr Präsident, vor drei Jahren in München erst nach zwei Stunden die Hand geben wollten! Es mußten sich Dutzende von Leuten bemühen, daß Sie ihm damals überhaupt die Hand gegeben haben.

Wer hat denn 18 Jahre lang in Deutschland die Gesundheitspolitik bestimmt? Wir sehen die Folgen einer Gesundheitspolitik, die wir viele Jahre lang als eine sozialistische betrachtet haben. Darüber sollte man nachdenken. Mir hat ein bayerischer Minister aus dem Umfeld von Herrn Seehofer vor zwei Jahren gesagt: Herr Hirschmann, die Gruppen können so viele Reformen fordern, wie sie wollen, erst wenn sie reif sind, werden sie durchgeführt, aber dann werden wir, die CSU, sie umsetzen.

An diesen Satz erinnere ich mich immer wieder. Wir sollten den Schalmeienklängen, den Sirenenklängen des Ministers etwas vorsichtiger gegenübertreten. Ich bin ein gebranntes Kind. Herr Seehofer hat mir in einer stundenlangen Diskussion in Oberaudorf Dinge versprochen, die ich als Verbandsvorsitzender als Wahrheit betrachtet habe. Hinterher habe ich die Prügel bezogen. Nachdem die Ärzteschaft domestiziert war, war alles vorbei.

Ich empfand den Auftritt des Ministers gestern als einen Kotau, als eine Proskynesis, also sich wie ein Hund vor den Großkönig zu werfen.

Danke schön.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. Es ist aber gut, daß wenigstens nicht er der Großkönig war; das wäre uns noch unangenehmer. - Als nächster Redner bitte Herr Henke als Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer.

Henke, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Wir diskutieren an dieser Stelle im wesentlichen über die Annahme oder Ablehnung des Antrags I-1. Das ist der Vorstandsantrag, der den Ausführungen des Präsidenten zugrunde gelegen hat. Deswegen denke ich, daß viele der Kritikpunkte, die hier vorgebracht werden, auch in bezug auf den Antrag beantwortet werden müssen. Ich will dies als Vorstandsmitglied auch tun.

1993/94/95 ist das Gesundheitswesen von einer sektoralen Budgetierung überzogen gewesen. 1996 hat sich diese sektorale Budgetierung jedenfalls für den Bereich der Krankenhäuser sogar noch einmal deutlich verschärft. Wir haben die Situation, daß - am Beispiel des Krankenhauses dargestellt - das Prinzip der angemessenen Vergütung für die Leistungserbringer nicht eingehalten wird. Die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen werden das für ihren Bereich vielleicht anders schildern können.

Für uns ist es so - das hat eine Umfrage des Marburger Bundes in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ergeben mit 1300 Antworten -, daß wir, auf Deutschland hochgerechnet, im Jahr als Krankenhausärztinnen und Krankenhausärzte 51 Millionen Überstunden leisten. Davon werden 80 Prozent nicht vergütet. Damit subventionieren wir als Krankenhausärztinnen und Krankenhausärzte das Gesundheitswesen mit 2,6 Milliarden DM, ohne daß uns jemand eine Spendenquittung dafür ausstellt.

(Beifall)

Angesichts dieser Situation muß ich sagen, daß wesentliche Prinzipien der Solidarität nicht eingehalten sind, denn zur Solidarität gehört auch die angemessene Vergütung für diejenigen, die Leistungen erbringen. Dazu gehören natürlich auch das Prinzip, eine hohe Qualität sicherzustellen, und die Zugänglichkeit aller erforderlichen Leistungen für jedermann. Erforderlich ist eine verläßliche Solidarität von Gesunden und Kranken sowie eine dauerhafte Sicherung der ärztlichen Freiberuflichkeit.

Die Tatsache, daß genau diese Prinzipien jetzt allmählich zumindest zu einem Teil in den politischen Köpfen, bei einem Teil der politischen Akteure wieder Platz greifen, nachdem sie von 1993 bis 1995 völlig verschüttet waren, darf man weiß Gott nicht der Bundesärztekammer vorwerfen. Das ist ein großer Erfolg des Vorstands, das ist auch ein großer Erfolg ihres Präsidenten.

Schönen Dank.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Henke. - Als nächster Redner bitte Herr Huber.

Dr. Huber, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Wildmeister, ich bin leidenschaftlich von der Überzeugung beseelt, daß die Mehrzahl der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland eine gewissenhafte Medizin betreiben will - und das inzwischen unter Rahmenbedingungen, die dies nicht mehr zulassen.

Wenn ich sage, das Versorgungssystem sei korrupt, und hinzufüge, daß in einem korrumpierenden System selbst der korrupt gewordene Arzt eher Opfer als Täter ist, weise ich darauf hin, daß wir aufgerufen sind, dieses Versorgungssystem grundsätzlich zu reformieren. Unser Land befindet sich in einer Umbruchphase von der Industrie- zur Informationsgesellschaft. Wir alle wissen ganz genau, daß es so wie bisher nicht weitergehen kann.

Der Antrag des Vorstands zur Gesundheits- und Sozialpolitik ist lieb formuliert. Im großen und ganzen ist dem auch zuzustimmen. Aber er enthebt uns nicht der Aufgabe, den Gesellschaftsvertrag der Ärzteschaft mit der Bevölkerung neu mit Leben zu erfüllen und uns klarzumachen, daß im Kampf zwischen Moral und Profit sich die Ärzteschaft auf die Seite der Kranken, der Schwachen und der Ausgegrenzten in dieser Bevölkerung zu stellen hat.

Natürlich müssen wir künftig eine Grenze ziehen zwischen dem Bedarf, der in der Gesundheitsversorgung solidarisch abgesichert werden muß, und dem Bedürfnis nach allgemeinem Wohlbefinden. Diese Grenzziehung kann zugunsten von Profitorientierung oder zugunsten einer sozialen Integration erfolgen. Es ist die zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe der Ärzteschaft, an dieser Stelle klar und eindeutig zu sein, eindeutig auf der Seite der Mehrheit der Bevölkerung. Das schaffen wir nicht mit dem bestehenden System. Das EBM-System muß ebenso weg wie das vorhandene Chefarztsystem.

(Zustimmung - Widerspruch)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Huber. - Als nächster Redner bitte Herr Rudat, Thüringen.

Dr. Rudat, Thüringen:

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Politik ist die Kunst des Möglichen. Ich denke, es ist viel zu kurz gesprungen, wenn man sich an der gestrigen Veranstaltung aufhängt und sagt, daß Herr Minister Seehofer an allem schuld sei, was wir heute zu Recht zu beklagen haben. Demokratie funktioniert über Mehrheiten. Ich glaube, das vergessen wir sehr oft. Das vergessen diejenigen, die nicht die Last der Verantwortung kennen.

Herr Minister Seehofer kann nicht alleine entscheiden; es sind Entscheidungen der politischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland und anderer Gremien. Ich bitte Sie ganz herzlich, sich bewußt zu sein, daß wir hier mitverantwortlich sind. Die deutsche Ärzteschaft mischt sich einfach zuwenig in die politische Aktivität unseres Landes ein. Sie macht es sich an dieser Stelle einfach zu leicht. Einige Redner haben aus meiner Sicht völlig überzogen argumentiert.

Denken Sie daran, was in den neuen Bundesländern passiert, wenn sich Demokraten und demokratische Parteien nicht einig werden: Wenn sich Demokraten nicht einigen und nicht vertragen, werden die radikalen Kräfte die Oberhand gewinnen.

(Beifall)

Es gibt auch in der deutschen Ärzteschaft ein eindeutiges Symptom, das wir als Ärzte erkennen und behandeln müssen: Wir müssen uns einfach als konsensfähiger erweisen. Das ist im Moment unser Problem.

Die Sachprobleme treten für mein Gefühl bei diesem Streit zu sehr in den Hintergrund.

Ich möchte unserem Präsidenten Vilmar ausdrücklich danken, daß er sich gestern politisch eingemischt hat. Ich tue das auch.

Vielen Dank.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Rudat. - Als nächster Redner bitte Herr Bialas, Hamburg.

Prof. Dr. Bialas, Hamburg:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich nach den ersten Wortmeldungen des heutigen Tages gemeldet, weil ich den Eindruck habe, einige der Vorredner wollten hier ideologische Bekenntnisse abgeben.

(Zustimmung)

Ich kann nur sagen: Wir sind uns immer alle einig gewesen, daß die soziale Verpflichtung, die ethische Grundlage unseres Berufes, immer Vorrang haben muß. Aber ich möchte darauf hinweisen, daß das kaufmännische Denken deswegen nicht verlorengehen darf. Einige von Ihnen haben beklagt, es gebe zuwenig Geld für die ambulante Medizin; andere haben beklagt, daß die Krankenhäuser nicht genügend Geld haben. Ich möchte hinzufügen: Es gibt auch große Schwierigkeiten für die Politik, der Bevölkerung heute noch höhere Abgaben für die Krankenversicherung zuzumuten.

Wir müssen uns in Ruhe überlegen, was möglich ist. Entweder müssen wir mit weniger Geld auskommen - dann können wir das allgemeine Gesundheitswesen vielleicht so erhalten, wie es ist -, oder wir erklären, wir brauchen mehr Geld, und dann müssen wir fragen, woher es kommen kann. Die eine Möglichkeit ist, daß die Beitragszahler insgesamt mehr zahlen. Dann kann man überlegen, ob es nur die Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber treffen soll. Oder man fragt - das ist der Weg, von dem ich meine, daß er jetzt vernünftigerweise von der Regierung vorgegeben ist -: Gibt es nicht bei der Situation unserer Zweidrittel-/Eindrittelgesellschaft in Deutschland noch genügend Bürger, die durchaus einen größeren Teil der Kosten tragen können?

Insofern finde ich sowohl das Modell IGEL - es geht nicht um jede Einzel-
heit - als auch andere Überlegungen richtig, denjenigen einen höheren Eigenanteil zuzumuten, die es tragen können. Lassen Sie uns über diese Sachfragen diskutieren; die Ideologie bringt uns nicht weiter.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Bialas. - Es ist die Frage aufgetaucht, wo das Initiativprogramm ist. Es wird derzeit umgedruckt. Die Technik kommt nicht so schnell hinterher. Sobald es fertig ist, wird es an Sie verteilt. Das gilt auch für den Themenkomplex der Integration zwischen ambulanter und stationärer Versorgung sowie für meine gestrige Rede. All das bekommen Sie in Kürze auf den Tisch.

Als nächster Redner bitte Herr Huber.

Dr. Huber, Vorstand der Bundesärztekammer:

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Rudat, ich mische mich politisch ein. Es wird die Zeit kommen, da werden Sie alle noch froh sein, daß ich mich politisch einmische.

(Lachen)

Herr Seehofer hatte gestern Gelegenheit, seine eigenen Äußerungen mit Taten zu beweisen. Der GOÄ-Abschlag Ost ist schreiendes Unrecht. Er ist in der Sache nicht gerechtfertigt. Wenn man wirklich den Fall der sozialen Mauer will, hat man den gesellschafts- und gesundheitspolitischen Mut zu haben, an dieser Stelle, wo es wirklich wenig kostet, ein klares Zeichen zu setzen. Die Verordnung kann sofort verändert werden; sie ist nicht zustimmungspflichtig. Man kann diesen Abschlag morgen abschaffen, wenn man es politisch will.

Genau an dieser Stelle zeigt Herr Seehofer nicht jene Stärke, mit der er vor Ihnen aufgetreten ist und für die Sie ihn bejubelt haben.

Herr Bialas, ich bin beileibe nicht ein Ideologe, wenn ich vor dem Titanic-Syndrom der deutschen Ärzteschaft warne.

(Widerspruch)

Wohin man kommt, und das spürt man in den Praxen und in den Krankenhausstationen: Die Bevölkerung in Deutschland hat eine tiefe Sehnsucht nach einer gesunden Mitte zwischen Eigennutz und Nächstenliebe, zwischen gruppenegoistischer Interessenvertretung und sozialer Verantwortlichkeit. Sie erwartet von uns, der Ärzteschaft, daß wir die individuelle Gesundheit ebenso schützen wie die soziale Gesundheit. Sie erwartet von uns einen Ausgleich zwischen individuellem und allgemeinem Wohl. Sie erwartet von uns die glaubwürdige Ausfüllung des sozialen Berufes des Arztes.

Genau an dieser Stelle erfahren und erleben wir gegenwärtig einen systemischen Machtkampf zwischen Krankenkassen und Ärzteschaft. Wir sind im Hintertreffen, wenn wir Ärzte nicht bereit sind, die ökonomische Verantwortung zu übernehmen, wenn wir nicht bereit sind, einen vernünftigen Mittel-einsatz für optimale Ergebnisse in der Gesundheitsversorgung aus eigener Kraft anzustreben. Dafür brauchen wir neue Finanzierungssysteme, dafür brauchen wir ein Ende der unerträglichen, entwürdigenden und kränkenden Honorarverteilungskämpfe im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung. Dazu brauchen wir auch ein Ende der steilen Hierarchie eines Chefarztsystems, das den kleinen Assistenzarzt zum ausgebeuteten Matrosen macht.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Huber. - Ich begrüße inzwischen Herrn Dr. Dimiter Ignatov, den Präsidenten des Bulgarischen Ärzteverbandes. Herzlich willkommen, Herr Kollege Ignatov!

(Beifall)

Als nächster Redner hat Herr Henke als Mitglied des Vorstands der Bundesärztekammer das Wort.

Henke, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil es wahr ist - das muß auch unser Bekenntnis und unsere Aussage sein -, daß es einen Ausgleich geben muß zwischen der sozialen Verantwortung auf der einen Seite, der sozialen Verantwortlichkeit gegenüber den Schwachen in der Gesellschaft, gegenüber denen, die finanziell schwächer sind, gegenüber denen, die gesundheitlich schwächer sind, und der Forderung nach einer angemessenen Vergütung und nach wirksamen finanziellen Grundlagen für das Gesundheitswesen auf der anderen Seite.

Ich denke, man muß auch über diesen Spannungsbogen zwischen den beiden Bereichen sprechen. Dann muß man sich, wenn man darüber nachdenkt, welche Vorschläge denn gemacht werden können, um zusätzliche Finanzmittel aufzubringen, über zweierlei im klaren sein. Ich will hier ebenso wie bei der Hauptversammlung des Marburger Bundes auf folgendes hinweisen. Bei einem Bruttosozialprodukt von 3500 Milliarden DM werden heute 560 Milliarden DM durch Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft umgesetzt. Bei einer absolut konservativen Schätzung würden diese Mittel, auf dem legalen Markt eingesetzt, zu mindestens 150 Milliarden DM zusätzlichen Steuereinnahmen und zusätzlichen Zuflüssen in das System der sozialen Sicherungsnetze führen.

Wenn es uns also gelänge, durch einen klugen Impuls und durch eine kluge Finanzpolitik zu erreichen, daß die Menschen diese 150 Milliarden DM nicht mehr sozusagen als Zitterprämie dafür einstreichen, daß sie lieber das Risiko der Illegalität in Kauf nehmen, als sich an die Gesetze für Steuern und Sozialabgaben zu halten, hätten wir einen erheblichen Teil der Einnahmenprobleme in der gesetzlichen Krankenversicherung beseitigt.

Ich beanspruche keine besondere Rolle für diesen Vorschlag. Es gibt eine Vielzahl weiterer Vorschläge; eine Reihe sind in der Diskussion erwähnt worden. Mir scheint aber wichtig zu sein, daran zu erinnern, daß wir in der Tat versuchen müssen, mit einer Stimme zu sprechen. Das setzt voraus, daß wir uns darauf konzentrieren, das Einigende der Ärzteschaft zum Ausdruck zu bringen, und daß wir uns nicht selber über die unterschiedlichsten Konzeptionen zerstreiten. Das halte ich für wichtig; denn es ist wahr: Die Wachstumsdynamik, die aus dem Fortschritt im Gesundheitswesen und dem zunehmenden Alter der Bevölkerung herrührt, und die Finanzierungsquellen müssen in Einklang miteinander gebracht werden.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Henke. - Als nächster Redner bitte Herr Mausbach aus Hessen.

Prof. Dr. Mausbach, Hessen:

Werte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Vilmar, wahrscheinlich ist es ja so, daß wir uns an bestimmten Punkten verständigen können. Es ist sicherlich sinnvoll, wenn eine individuelle Lebensführung aus der sozialen Krankenversicherung subventioniert wird. Das wäre nicht der Punkt, an dem ich mich engagieren möchte. Da werden wir wahrscheinlich einen interessanten Dialog haben, wie wir die soziale Struktur der Krankenversicherung verstehen und erhalten wollen.

Aber die Positionen, die Minister Seehofer gestern genannt hat, gehen in eine andere Richtung. Wir hoffen und verstehen es so, daß es eine Position Vilmar und eine Position Seehofer gibt - zwei sehr verschiedene Positionen.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, das mir wichtig erscheint: Als wir anfingen, über Prävention zu diskutieren, haben wir immer gesagt, man muß den Weg des Patienten zum Arzt erleichtern und nicht erschweren. Weshalb muß zugezahlt werden, wenn Menschen ins Krankenhaus müssen? Niemand geht furchtbar gern zu einer eingreifenden Behandlung ins Krankenhaus. Solche Zuzahlungen sind antipräventiv und müssen verschwinden. Sie sind sozial schwer zu verkraften, vor allem für die Menschen, die ohnehin alles, was sie zum Leben haben, ausschöpfen müssen.

Ich denke, wenn wir uns in solchen Punkten treffen, werden wir auch in der Lage sein, die soziale Struktur der Krankenversicherung zu verteidigen.

Vielen Dank.

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Mausbach. - Als nächster Redner bitte Herr Hirschmann, Bayern.

Dr. Hirschmann, Bayern:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich greife die Beiträge von Herrn Bialas und von Herrn Henke auf. Natürlich müssen wir uns um die Finanzierung kümmern. Aber wir sollten davon wegkommen, immer nur die Zuzahlung der Patienten ins Auge zu fassen. Wir sollten überlegen, ob wir nicht einmal unser lohnbezogenes System mit dem hälftigen Anteil jeweils der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber zur Diskussion stellen. Die Industrie, die hohe Gewinne einfährt, beschäftigt immer weniger Arbeitskräfte. Die Rationalisierung der Arbeitskraft ist in vollem Gange. Ausgerechnet diese Bereiche werden bei der lohnbezogenen Refinanzierung der Krankenversicherung weitgehend aus der Verantwortung herausgenommen. Die mittelständischen Betriebe, die kleinen Betriebe, bekommen immer größere Lasten aufgebürdet.

Wir müssen auch über eine Finanzierung im Hinblick auf die Wertschöpfung nachdenken. Anderenfalls können wir in keiner Weise erreichen, daß die Finanzströme, die in die Krankenkassen fließen, annähernd dem entsprechen, was wir auf der anderen Seite herausnehmen wollen. Hier brauchen wir ein neues Nachdenken.

Herr Bialas, natürlich ist es so: Wer mehr verdient, zahlt auch mehr Beitrag. Das läßt sich auch im bestehenden System praktizieren. Wir müssen die Frage enttabuisieren, daß vielleicht auch andere Teile der Bevölkerung in die gesetzliche Krankenversicherung zahlen müssen. Es gibt tausend Wege, um die Finanzierung zu erweitern, nicht nur über den Blick auf den Geldbeutel des einzelnen.

Über diese Dinge sollten wir uns einmal unterhalten und nicht nur eine total liberalisierte Politik der FDP auf unsere Fahnen schreiben.

Danke schön.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Hirschmann. - Als nächster Redner bitte Herr Hoppe als Vizepräsident.

Prof. Dr. Hoppe, Vizepräsident:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man sagt: Der Teufel steckt im Detail. Ich glaube, als deutsche Ärzteschaft und als Deutscher Ärztetag sollten wir gerade in einer solchen Generaldebatte nicht die Diskussion über Partikularthemen in den Vordergrund stellen. Wir betreiben hier keine Wirtschaftspolitik. Wir betreiben Sozialpolitik nur insoweit, als dies nicht den Eindruck vermitteln könnte - das ist zumindest meine Meinung -, als ginge es uns nur um unser Geld.

Es geht - da stimmen wir alle überein - um eine gute Versorgung der bundesrepublikanischen Bevölkerung. Wenn uns Konzepte angeboten werden, die im Hinblick auf die Gestaltung der Gesundheitspolitik allein von ökonomischen Daten ausgehen, und wenn uns ferner Konzepte angeboten werden, die von einer medizinischen Orientierung ausgehen, dann, so glaube ich, haben wir kein großes Problem - egal welcher politischen Richtung, vielleicht sogar welcher Partei wir angehören -, daß wir uns mit den Konzepten besonders beschäftigen, welche die medizinische Orientierung in den Vordergrund stellen.

Diese Entwicklungen haben bei allem, was zuvor in beklagenswerter Weise zur Verschlechterung der Situation beigetragen hat, in der letzten Zeit stattgefunden. Ich glaube, daß wir alles tun müssen, um argumentativ nicht verwässern zu lassen - der Wahltag ist ein anderes Thema -, daß dieser Wechsel hin zur medizinischen Orientierung, um den wir jahrelang gekämpft haben, nun stattgefunden hat. Es muß die Aufgabe auch des Deutschen Ärztetages in diesem Jahr sein, das einhellig zu unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Hoppe. - Als nächster Redner bitte Herr Schmolke, Hamburg.

Dr. Schmolke, Hamburg:

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Natürlich haben wir eine soziale Verantwortung, eine soziale Aufgabe. Aber erfüllen wir sie nicht schon? Herr Henke hat darauf hingewiesen: Im Krankenhaus wird sehr viel geleistet, was nicht bezahlt wird. Im niedergelassenen Bereich sieht es ähnlich aus. Mindestens 30 bis 40 Prozent unserer Leistungen werden nicht bezahlt. Dieser EBM ist eine Entwürdigung. Auch das, was wir mit uns machen lassen, ist entwürdigend.

Ein Arzt, der finanzielle Sorgen hat, kann kein guter Arzt sein. Wir dürfen die Schuld nicht nur bei uns suchen, sondern wir müssen unsere Patienten auch sozusagen dazu erziehen, daß sie einsehen, daß das, was wir ihnen bieten, notwendig und ausreichend ist. Es sollten keine aufwendigen Leistungen von uns gefordert werden, die nicht bezahlt werden können. Hier muß ein Weg gefunden werden, den Patienten mit zu beteiligen. Es ist ja auch Geld für die Heilpraktiker vorhanden. Ich meine, dies ist ein Zeichen dafür, daß nicht überall Armut herrscht. Es ist ein Beweis dafür, daß unser Gesundheitssystem sich in die falsche Richtung entwickelt.

Wir müssen unseren Patienten das bieten, was sie brauchen. Der Patient soll das bezahlen, was wir ihm bieten.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Schmolke. - Als nächster Redner bitte Herr Drexler, Hessen.

Dr. Drexler, Hessen:

Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zu Wort gemeldet, um einiges zum IGEL-Katalog zu sagen, der gestern sowohl vom Präsidenten als auch von Minister Seehofer erwähnt wurde. Es ist nicht nur nicht in Ordnung, daß wir den Keil des Geldes zwischen die Patienten und uns treiben, es ist nicht nur nicht in Ordnung angesichts der Tatsache, daß unsere Patienten zunehmend weniger Geld in der Tasche haben, weil die Reallohnentwicklung erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik rückläufig ist, sondern das ist ein ethisches Infragestellen unserer Ordnung. Wenn es erforderlich ist, einen Katalog von Leistungen zu definieren, so hätte das im Rahmen einer Negativliste geschehen müssen, die nicht wir veröffentlichen, sondern der Bewertungsausschuß.

(Zuruf: Quatsch!)

- Ich weiß nicht, ob das Quatsch ist. Es ist nicht Aufgabe der Ärzteschaft, sich angesichts bedrohter Einnahmen mit Feldern zu beschäftigen, bei denen die Einnahmen vermehrt werden können.

Es ist nicht Aufgabe der Ärzteschaft, etwas als über das Notwendige Hinausgehendes medizinisch zu definieren. Mehr als das Notwendige und Angemessene ist für unsere Patienten nicht nur nicht erforderlich, sondern bedrohlich und gefährlich. Dieses haben wir nicht nötig, und wir sollten es unseren Patienten auch nicht zumuten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten den IGEL-Katalog in unserer Praxis nicht einführen und ihm hier auch nicht zustimmen.

Vielen Dank.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Als nächster Redner bitte Herr Huber.

Dr. Huber, Vorstand der Bundesärztekammer:

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland befindet sich heute in einem tiefgreifenden Wandlungsprozeß, der jenem der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts in nichts nachsteht und ihn wahrscheinlich noch übertrifft. Deutschland wird diesen Wandel nicht durch punktuelle Korrekturen, sondern nur durch weitreichende, tiefgehende Reformen bewältigen können.

Das, was ich eben zitiert habe, war der erste Satz des Leipziger Manifests der Christlich-Demokratischen Union. Man spürt im politischen Raum, daß wir vor grundlegenden Reformen stehen. Herr Hoppe, die Hauptversammlung des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) läßt am 16. Juni in Berlin Oskar Lafontaine als Hauptredner auftreten, weil die Lobbyisten dort bereits spüren, welche Wandlungsprozesse auf uns zukommen können. Man versucht, die argumentative und die emotionale Brücke zur möglichen künftigen Regierung zu schlagen.

Diese Klugheit fehlt der Ärzteschaft gegenwärtig in der Tat. Herr Schmolke, es gibt nicht den Gegensatz zwischen medizinischer und ökonomischer Orientierung. Es ist Aufgabe einer sozial verantwortlichen Ärzteschaft, eine vernünftige Gesundheitsversorgung, also eine medizinisch-ärztlich orientierte Zielsetzung, mit einem wirtschaftlichen Umgang mit den Ressourcen in diesem System zu verknüpfen.

Die Verantwortung für eine klare Ökonomie in den Versorgungsprozessen liegt im Versorgungsprozeß selbst. Wir haben heute deswegen die Probleme, weil genau das die Ärzteschaft immer leugnen will und den Krankenkassen in die Schuhe schieben möchte. Dies wird bei dem zu verzeichnenden Wandlungsprozeß der Gesellschaft so nicht weitergehen können. Herr Schmolke, wir wissen doch, daß der EBM-Katalog alles definiert, aber nicht das, was den Arzt mit seiner emotionalen und fachlichen Leistungsfähigkeit ausmacht. Wenn ich ein nicht leistungsbezogenes System weiter reformiere, weiter kosmetisch verbräme, darf ich mich nicht wundern, wenn das Ansehen der Leistung der Ärzteschaft in der Bevölkerung weiter sinkt. Wir müssen den Mut haben, unsere von uns selbst zu gestaltenden Honorarsysteme wieder leistungsgerecht an der Person des Arztes und nicht an seinen Instrumenten auszurichten.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Huber. - Zur Geschäftsordnung hat jetzt Herr Herborn aus Hessen das Wort. Bitte, Herr Herborn.

Dr. Herborn, Hessen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fühle mich ausreichend informiert. Vor allem fühle ich mich moralisch und politisch ganz hervorragend informiert, und zwar aus einer ganz bestimmten Richtung. Dafür danke ich Ihnen, Herr Huber! Ich möchte Ihnen sagen, daß ich mich in meiner fast 30jährigen ärztlichen Tätigkeit nicht als Ausbeuter gesehen habe, obwohl ich als Kassenarzt tätig bin. Es ist unerhört, wie Sie hier mit uns Ärzten umspringen!

(Beifall)

Aus diesem Grund stelle ich den Antrag auf Schluß der Rednerliste zu diesem Antrag I-1.

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Das ist kein Geschäftsordnungsantrag. Schluß der Rednerliste ist in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen.

(Zuruf Dr. Herborn, Hessen)

- Es wird von Herrn Herborn Schluß der Debatte beantragt. Wünscht jemand dagegen zu sprechen? - Formal. Wer ist für Schluß der Debatte zu diesem Punkt? - Wer ist dagegen? - Das erste war die Mehrheit. Dann ist die Debatte zum Leitantrag I-1 - noch nicht zu dem ganzen Tagesordnungspunkt; das ist ja klar - geschlossen.

Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache Nr. I-1. Wer wünscht dem Antrag I-1 zuzustimmen?

(Zuruf)

- Es liegen keine schriftlichen Änderungsanträge vor.

(Widerspruch)

- Wo denn? Ich kann nicht mehr tun, als mich zu erkundigen. Ich habe hier dreimal gefragt, ob Änderungsanträge vorliegen. - Ich höre, daß es nur schriftliche und keine mündlichen Änderungsanträge gibt. Diese Änderungsanträge beziehen sich aber auf irgendwelche gesundheits- und sozialpolitischen Themen, es sind aber keine Änderungsanträge zum Antrag I-1.

(Zurufe: Doch!)

- Jetzt geht hier einer ein, nachdem wir bereits in der Abstimmung waren. Sie können ihn noch nicht vorliegen haben, weil bisher nur das Original existiert und nicht einmal eine Kopie angefertigt werden konnte. Danach soll im Antrag I-1 auf Seite 2 unter Punkt 2 ergänzt werden:

Dieser Katalog muß die medizinisch optimale Versorgung umfassen. Ein medizinisch zu begründender Unterschied zwischen ausreichender und optimaler Versorgung existiert nicht. Das ist der Antrag von Herrn Diettrich aus Bayern.

Es gibt einen weiteren Änderungsantrag von Frau Jacoby. Danach soll der dritte Absatz auf Seite 2 im vorletzten Satz wie folgt geändert werden:

Jedem Patienten/jeder Patientin steht unabhängig vom Zahlungsvermögen und von der Krankenversicherungsform die medizinische Versorgung zu, die medizinisch notwendig ist. Das sind die beiden Änderungsanträge. Wissen Sie, worüber Sie abstimmen?

(Zurufe: Nein! Umdrucken!)

- Dann müssen wir die Abstimmung aufschieben, bis die Anträge umgedruckt vorliegen. Dann stellen wir die Abstimmung über den Antrag I-1 und die dazu gehörigen Anträge zurück, bis die Änderungsanträge umgedruckt vorliegen. Wir sind uns aber einig, daß wir dann nicht noch einmal die Debatte eröffnen.

Wir kommen jetzt zu dem Themenkomplex "Zukunft der gesundheitlichen Versorgung im vereinten Europa". Dazu hat sich als erster Herr Huber gemeldet.

(Unruhe)

- Da kommt Freude auf! - Bitte, Herr Huber.
 
Dr. Huber, Vorstand der Bundesärztekammer:

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Herborn, das ist die Rache der Regie. Ich empfehle Ihnen, Herr Kollege Herborn, die Vorurteile, die Sie haben, nicht weiter zu pflegen. Das ist genau die innere Haltung des "Weiter so wie bisher, Augen zu und durch!" Damit lenken Sie den Dampfer des deutschen Gesundheitssystems sehenden Auges auf den gesellschaftspolitischen Eisberg. Sie können das so wollen, aber nicht mit mir. Sie werden damit leben müssen, daß ich versuche, eine gestoppte Fahrt nach einer Neuorientierung in sozialer Verantwortlichkeit neu und besser wiederaufzunehmen. Ich appelliere an Sie, da mitzumachen.

Im Rahmen der europäischen Vereinigung ist es unsere Aufgabe als Ärzteschaft in Europa, die sozialen Wände für das europäische Haus zu bauen. Wenn wir uns die unterschiedlichen gesellschaftlichen Versorgungssysteme anschauen, sehen wir, daß die US-amerikanische Bevölkerung etwa 15 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für ihr gesundheitliches Versorgungssystem aufwenden muß. In Europa wendet Griechenland etwa 40 Prozent dessen auf, was wir in Deutschland ausgeben. Die Griechen haben aber eine der höchsten Lebenserwartungen von Frauen und Männern im europäischen Raum. Das sind nüchterne Fakten.

Wir geben zehn Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für die gesundheitliche Versorgung aus. Hätten wir amerikanische Finanzierungsverhältnisse, stünden dem deutschen Gesundheitssystem 175 bis 200 Milliarden DM im Jahr zusätzlich zur Verfügung. Mit 200 Milliarden DM könnten wir gut zwei bis vier Millionen Ärzte im Praktikum, Krankenschwestern, Altenpfleger und Yogalehrer finanzieren. 200 Milliarden DM sind aber in einer am Shareholder value orientierten Medizin individualisierte Profiterwartungen in der Größenordnung von bis zu 50 Milliarden DM.

Das ist der zentrale Gegensatz, bei dem ich der Ärzteschaft empfehle, sich für eine sozial verantwortliche Medizin bewußt und aktiv zu entscheiden. Dann sind wir in der Tat in der Lage, bis zu zwei Millionen weitere Arbeitsplätze in unserem deutschen Versorgungssystem zu finanzieren. Dieses Ziel dürfte sich gesellschaftspolitisch lohnen und auch dem Image der deutschen Ärzteschaft beileibe nicht abträglich sein.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Jetzt bitte Herr Everz vom Vorstand der Bundesärztekammer.

Dr. Everz, Vorstand der Bundesärztekammer:

Sehr verehrter Herr Präsident Vilmar! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zum Entschließungsantrag des Vorstands der Bundesärztekammer im Hinblick auf die Zukunft der gesundheitlichen Versorgung in einem vereinten Europa sprechen. Der Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Santer, hat in der BSE-Debatte im Europäischen Parlament vor mehr als einem Jahr festgestellt:

Es ist an der Zeit, Gesundheit in Europa in den Vordergrund zu stellen. Padraig Flynn, Mitglied der Europäischen Kommission und zuständig für die Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Gesundheitspolitik, möchte das Thema "öffentliche Gesundheit" und die Zuständigkeit der Kommission für diesen Bereich in der Gemeinschaft durch den Vertrag über die Europäische Union übertragen sehen und mit Leben erfüllen.

Der am 2. Oktober 1997 unterzeichnete Vertrag von Amsterdam enthält eine Neufassung der Bestimmung zur Kompetenz der Europäischen Union im Gesundheitswesen. Nach Art. 152 Abs. 1 EG-Vertrag in der Fassung des Vertrages von Amsterdam wird bei der Feststellung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und Maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Dinge geben dem Vorstand der Bundesärztekammer letztendlich Anlaß, eine gewisse Gefahr darin zu sehen, daß im Rahmen einer Vereinheitlichung der Gesundheitspolitik in Europa das hohe qualitative Niveau der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung in Deutschland in Gefahr gerät. Ich denke, es besteht auch die Gefahr, daß es uns als Ärzten so gehen könnte wie den Bauern, die ihre Schweine nicht mehr gegen die Schweinepest impfen dürfen, wenn sie dies für notwendig und sinnvoll erachten.

Ich empfehle Ihnen wärmstens die Annahme des Entschließungsantrags des Vorstands. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf das Institut für Europäische Gesundheits- und Sozialpolitik hinweisen, das vor wenigen Wochen gegründet wurde. Diesem Institut gehören die Bundesärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und bereits viele Kammern und KVen an. Ich möchte auch Ihr Interesse für dieses Institut wecken.

Danke schön.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Everz. - Als nächste Rednerin bitte Frau Jacoby, Berlin.

Dr. Jacoby, Berlin:

Meine Damen und Herren! Ich begrüße im Antrag I-2 Punkt 7 auf der letzten Seite, nämlich daß der 101. Deutsche Ärztetag eine Kommerzialisierung der Medizin entschieden ablehnt. Ich möchte das ergänzen, indem ich mich gegen die Privatisierung der kommunalen Krankenhäuser ausspreche, die derzeit überall diskutiert wird. Diesen Antrag werde ich noch schriftlich formulieren.

Weite Teile der Ärzteschaft in Berlin meinen, daß eine Kommerzialisierung, ein Verkauf der kommunalen Krankenhäuser zu einer betriebswirtschaftlichen Denkweise und damit zu einer Profitorientierung führen wird. Das führt weg von einer patientenorientierten und allein an der Medizin orientierten Medizin. Deshalb möchte ich formulieren:

... lehnt die Kommerzialisierung der Medizin entschieden ab und spricht sich gegen eine Privatisierung der kommunalen Krankenhäuser aus, da sie zu einer betriebswirtschaftlichen Orientierung und damit Profitorientierung der Medizin führt und damit dem Patienten schadet. Danke schön.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Frau Jacoby. Legen Sie den Antrag bitte rasch schriftlich vor, damit wir entsprechend darüber abstimmen können. - Als nächster Redner bitte Herr Herborn, Hessen.

Dr. Herborn, Hessen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wende mich in bezug auf meinen vorhergehenden Redebeitrag noch einmal ausdrücklich an Sie, Herr Huber. Persönlich mag ich Sie. Ich finde, es ist gut, daß wir jemanden wie Sie unter uns haben, der für ein bißchen Wind sorgt. Aber wir sollten aufpassen, daß einzelne unter uns diesen Ärztetag nicht zum Instrument ihres persönlichen Ehrgeizes und ihrer persönlichen Strategie machen.

Danke.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Als nächster Redner bitte Herr Mausbach aus Hessen.

Prof. Dr. Mausbach, Hessen:

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen über die europäischen Perspektiven. Es ist sehr verständlich, daß es in dieser Beziehung Nachdenklichkeit gibt, wie die Entwicklung weitergehen soll. Werden wir möglicherweise eine Senkung des Niveaus der ärztlichen Versorgung erleben? Diese Sorge teile ich.

Wir haben aber eine interessante Möglichkeit, an vorhandenen Orientierungspunkten anzuknüpfen. Wahrscheinlich kennen Sie diese Anknüpfungsmöglichkeit, Herr Vilmar. Ich gehe davon aus, daß Sie sie kennen. Es ist die existierende Europäische Sozialcharta, die dafür eintritt, daß das Niveau der sozialen und gesundheitlichen Versorgung erhalten bleibt. Es ist hier, denke ich, eine Frage des Dialogs und des Kompromisses, wie man erreichen kann, daß bestimmte Orientierungspunkte respektiert werden.

Ich möchte in diesem Zusammenhang drei Punkte nennen. Die qualitativ hochwertige Versorgung muß erhalten bleiben, wie wir sie gewohnt sind. Das ist eine berechtigte Forderung.

Zweitens muß das Solidarprinzip in der Krankenversicherung erhalten bleiben. Es ist in sehr vielen Nachbarländern ebenfalls eine Orientierung.

Am schnellsten können wir uns in einem Kompromißdialog finden, wenn es um die medizinische Orientierung geht. Da stimme ich zu. Die medizinische und die soziale Orientierung gehören zusammen. Dann haben wir eine europäische Perspektive, die uns hoffen läßt, daß das System der Versorgung stabil und gut bleibt.

Vielen Dank.

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Zu diesem Komplex liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Es waren Änderungsanträge angekündigt. Ich weiß nicht, ob sie bereits schriftlich vorliegen. - Nein. Wir müssen also auch diese Anträge zurückstellen.

Wir kommen jetzt zum Komplex der Integration von ambulanter und stationärer Versorgung. Dazu liegt der Antrag I-3 vor. Es gibt Wortmeldungen. Als erster Redner hat Herr Montgomery das Wort. Bitte.

Dr. Montgomery, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank dafür, daß ich hier zu Beginn dieses Themenkomplexes zu Ihnen sprechen darf. Dieses Papier, das uns an derselben Stelle vor zwei Jahren heftig beschäftigt hat und keine Annahme durch Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung erfuhr, liegt jetzt in einer neuen Form vor, erarbeitet von Bundesärztekammer, Marburger Bund und KBV. Ich bedanke mich ausdrücklich bei Herrn Dr. Weisner, dem Zweiten Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der zugleich Präsident der Landesärztekammer Schleswig-Holstein ist. Er hat bei der Abfassung dieses Papiers unsere Überlegungen zur personellen Integration ganz hervorragend vertreten. Er hat es uns sehr erleichtert, dieses Papier über die Bühne zu bringen.

Ich möchte bei Ihnen sehr dafür werben, dieses Papier so anzunehmen, wie es die Vertreterversammlung der KBV ohne Einschränkungen getan hat. Dies bedeutet einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer vernünftigen Integration. Es stellt aber beileibe noch kein endgültiges und befriedigendes Ergebnis dar. Ich erinnere Sie an die Aussage von Norbert Blüm: Ein wirklicher Kompromiß ist ein Kompromiß, dem alle zustimmen können, der aber keinem gefällt.

Vielleicht haben wir hier ein solches Papier vor uns liegen, das uns nicht endgültig befriedigt, das uns zu weiterer Arbeit auffordert, dem wir aber so uneingeschränkt hier und heute zustimmen können.

Vielen Dank.

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Zum Antrag I-3 ist zu bemerken, daß nur die ersten fünf Zeilen den Antragstext darstellen. Im weiteren folgt das Konsenspapier. Herr Montgomery hat eben schon darauf hingewiesen, daß dieses Konsenspapier vorgestern von der Vertreterversammlung der KBV angenommen wurde. Es ist daher nicht möglich, Änderungsanträge und Formulierungen in diesem Konsenspapier unterzubringen, denn dann ist es kein Konsenspapier mehr. Geschieht das, müssen wir davon ausgehen, daß ein Konsenspapier nicht zustande gekommen ist. Bedenken Sie das bitte mit.

Als nächster Redner bitte Herr Weisner.

Dr. Weisner, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Auch ich bitte Sie, diesem Papier unverändert zuzustimmen. Es ist der Versuch, auf der ärztlichen Schiene dieses schwierige Problem der besseren Zusammenarbeit zwischen ambulantem und stationärem Sektor anzugehen. Wir haben auf der Vertreterversammlung der KBV gesagt: Es ist nur dann ein Konsenspapier, wenn es so verabschiedet wird, wie wir es in mehreren sehr intensiven Sitzungen zwischen KBV, Bundesärztekammer und Marburger Bund seit Anfang April entwickelt haben. Ich bin überzeugt, daß es einen Schritt nach vorn darstellt und eine Chance eröffnet, diese Problematik auf der ärztlichen Schiene zu lösen, um nicht von außen eine Lösung aufgedrückt zu bekommen.

Vielen Dank.

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Weisner. - Als nächster Redner hat Herr Martin, Rheinland-Pfalz, das Wort.

Dr. Martin, Rheinland-Pfalz:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich für dieses Papier aussprechen und zugleich anregen, es weiterzuentwickeln. Es stellt einen Anfang dar. Dahinter steckt viel Arbeit. Dieses Papier beinhaltet in wenigen Sätzen einen großen Teil der Geschichte der deutschen Ärzteschaft und vieler Deutscher Ärztetage, auf denen wir uns gestritten haben. Bedenken Sie bitte, daß die Ziffer IV im Antrag I-3 allein von den endverantwortlichen Lebensstellungen im Krankenhaus spricht. Das ist mir im Grunde genommen zuwenig. Wir brauchen eine Transparenz zwischen ambulanter Tätigkeit und der Tätigkeit im Krankenhaus. Hier muß es Flexibilität in größtmöglichem Umfang geben. Lebensstellungen an Krankenhäusern schaden dem nur. Auch hier muß die Flexibilität gewahrt werden, wie dies im niedergelassenen Bereich sicherlich auch notwendig sein wird.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Martin. - Als nächster Redner bitte Herr Flenker.

Dr. Flenker, Vorstand der Bundesärztekammer:

Sehr geehrter Herr Präsident Vilmar! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Meine sehr geehrten Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich kann sehr gut verstehen, daß diejenigen, die dieses Konsenspapier zur Integration von ambulanter und stationärer Behandlung lesen, enttäuscht sind, daß sie den großen Wurf vermissen. Ich bin sicher, daß sowohl die Vertragsärzte als auch die Krankenhausärzte größere Erwartungen an ein solches Konsenspapier hatten und auch mehr Wünsche. Ich glaube aber, daß zum jetzigen Zeitpunkt mehr nicht zu erreichen ist. Dies ist bedingt durch die Ängste, die sowohl die Vertragsärzte als Praxisinhaber als auch die Krankenhausärzte, die um ihren Arbeitsplatz fürchten, haben. Angesichts des Vorhandenseins solcher Ängste ist nicht mehr zu erreichen.

Ich glaube aber, daß es eine wesentliche Zukunftsfrage unseres Gesundheitswesens sein wird, wie wir die Integration von ambulanter und stationärer Versorgung erreichen, wie wir die Problematik der Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung beseitigen können, damit wir zu einer ganzheitlichen statt zu einer sektoralen Betrachtung unseres Gesundheitswesens kommen, zum Wohle der Versorgungsqualität, insbesondere auch unter Berücksichtigung der immer enger werdenden ökonomischen Ressourcen in unserem Gesundheitswesen.

Aus diesem Grunde muß man dieses Konsenspapier als ersten Schritt des Aufeinander-Zugehens betrachten. Wir müssen dieses Konsenspapier mit Leben erfüllen und weiterentwickeln, um diese Zukunftsfragen gemeinschaftlich als Ärzteschaft lösen zu können.

Aus diesem Grunde darf ich Sie ebenso wie meine Vorredner bitten, diesem Konsenspapier ohne jedwede Änderung zuzustimmen.

Ich danke Ihnen.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke sehr, Herr Flenker. - Als nächste Rednerin bitte Frau Barth-Stopik, Berlin.

Dr. Barth-Stopik, Berlin:

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sicherlich werde ich hier nicht gegen ein Konsenspapier, das zwischen Bundesärztekammer und KBV ausgehandelt wurde, sprechen. Ich möchte aber auf einen ganz bestimmten Punkt aufmerksam machen, der vielleicht zur Weiterentwicklung dieses Papiers gehören wird.

Wir haben in der ambulanten Medizin immer das Problem, daß wir die Komplexleistungen, die im Krankenhaus erbracht werden, mit nicht ärztlichen Therapeutinnen und Therapeuten, Krankenschwestern, Logopäden usw. nicht erbringen können. Hier nutzt es uns nichts, daß wir uns mitleidig auf die Schulter klopfen und sagen: Ihr in der ambulanten Medizin könnt das ja leider nicht leisten, das muß ins Krankenhaus!

Ich bitte Sie, daß Sie sich zusammen mit uns ambulant tätigen Ärzten dafür einsetzen, daß diese Komplexleistungen auch im ambulanten Bereich möglich gemacht werden.

Danke schön.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Frau Barth-Stopik. - Als nächster Redner bitte Herr Windhorst, Westfalen-Lippe.

Dr. Windhorst, Westfalen-Lippe:

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche zum Antrag I-3. Wir haben dazu schon einiges gehört, das ich wärmstens unterstützen möchte. In einer Zeit, in der wir nach einer Guildo-Horn-Mentalität leben, in der alles auf einem oberflächlichen Niveau abläuft und sich manchmal auch die Politik in diese Mentalität einreiht, glaube ich, daß dieser Entschließungsantrag einer der wichtigsten Anträge ist, über die wir auf diesem Deutschen Ärztetag entscheiden müssen.

Der Antrag zeigt gewiß nicht die großen Möglichkeiten auf, die sich auch ein Krankenhausarzt vorstellen kann. Der Antrag hat einen ganz charmanten Hintergrund: Es gibt, so meine ich, keine Verlierer. Es handelt sich um eine Zweibahnstraße, um die Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu überbrücken. Er stellt eine Zweibahnstraße dar, vertragsärztlich und krankenhausärztlich zu arbeiten. Das ist meiner Meinung nach wichtig.

Der zweite Punkt, der sicherlich in den Vordergrund zu stellen ist: Es werden Lösungsansätze aufgezeigt. Wir haben durch die Wortwahl den Eindruck, daß es sich um einen dynamisierten Entwicklungsgang handelt, der jederzeit verändert werden kann, den man jederzeit den gegebenen Möglichkeiten angleichen kann.

Dort ist formuliert, daß die Ärzteschaft einen Katalog spezialisierter Leistungen definiert. Nicht die Krankenkassen definieren diesen Katalog, sondern die Ärzteschaft. Wir sollten diesen Antrag nicht zerpflücken, sondern in toto annehmen. Er stellt eine Möglichkeit dar, in Zukunft besser miteinander zu arbeiten und Ressourcen zu sparen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Windhorst. - Als nächster Redner bitte Herr Busch, Westfalen-Lippe.

Dr. Busch, Westfalen-Lippe:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte Sie bitten, den Antrag I-3 anzunehmen, da ich meine, daß es uns hier zum ersten Mal gelingt, die Gräben zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung zu überwinden und gemeinsam zu zeigen, daß die deutsche Ärzteschaft bereit ist, eine vernünftige ambulante Versorgung der Patienten unter Einbeziehung aller Ressourcen in der Bundesrepublik gemeinsam sicherzustellen.

Ich habe zu diesem Antrag einen Änderungsantrag hinsichtlich des Konsenspapieres gestellt, denn dort wird unter der Auflistung von Aids-Erkrankungen gesprochen. Das wird redaktionell geändert.

Die Tatsache, daß bei schweren Infektionskrankheiten durch ambulante und stationäre Versorgungseinrichtungen hochspezialisierte Leistungen erbracht werden, zeigt den richtigen Weg auf, um die Ressourcen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der deutschen Medizin voll auszuschöpfen.

Ich bitte Sie, dem Antrag so, wie er gestellt ist, zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke sehr. - Als nächster Redner bitte Herr Huber.

Dr. Huber, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

(Zuruf Dr. Koch, Baden-Württemberg)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Er ist hier eingegangen, nachdem ich Herrn Huber das Wort erteilt habe. Sie sind sofort nach Herrn Huber an der Reihe, Herr Koch.

Dr. Huber, Vorstand der Bundesärztekammer:

Keine Sorge. Ich empfehle Ihnen allen, diesem Antrag zuzustimmen. Er öffnet eine Tür, nimmt uns die Arbeit jetzt aber nicht ab.

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Ich habe jetzt noch eine Wortmeldung. Zunächst aber eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung von Herrn Koch.

Dr. Koch, Baden-Württemberg:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle den Geschäftsordnungsantrag auf Schluß der Debatte. Ich wollte Ihnen eigentlich den Vortrag von Herrn Huber ersparen. Aber diesmal hat er zum ersten Mal etwas Positives für uns alle gesagt, nämlich wir sollten uns integrieren.

Ich bitte Sie, meinem Geschäftsordnungsantrag zuzustimmen, damit wir weiterkommen.

Danke.

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Wir sollten zunächst noch Herrn Rudat aus Thüringen als KBV-Mann hören. Bitte.

Dr. Rudat, Thüringen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde die Harmonie nicht stören. Ich werde mich kurz fassen. Ich bitte Sie, diesem Antrag unbedingt zuzustimmen. Wir haben sektorale Probleme; diese kann man am besten lösen, wenn man sie sektorübergreifend angeht.

Ich möchte allerdings - das ist der Grund meiner Wortmeldung - nicht den Eindruck vermitteln, daß alles in Friede, Freude, Eierkuchen geschehen könne. Dieser Konsens ist ein mühsam errungener Konsens. Unter dem dünnen Eis stecken einige Probleme. Da ich KV-Vorsitzender bin, werden Sie mir sicher abnehmen, daß ich hier in aller Deutlichkeit auf eine Stelle aufmerksam machen möchte: Ein zentrales Problem zwischen niedergelassenen und stationär tätigen Ärzten und auch den Krankenkassen ist die stationäre Belegung in den Krankenhäusern. Man muß sehr deutlich darauf hinweisen, daß hier dringender Handlungsbedarf besteht.

Ich möchte in aller Deutlichkeit folgende berufspolitische Botschaft loswerden: Bemühungen der Kassenärztlichen Vereinigungen, über Strukturverträge oder andere Maßnahmen in diesem Bereich Veränderungen herbeizuführen, haben überhaupt nichts damit zu tun, daß es hier etwa Aktivitäten oder Bestrebungen im Hintergrund gibt gegen die stationär tätigen Kollegen. Wenn doch, besteht die Notwendigkeit, die Geldflüsse einfach den Notwendigkeiten anzupassen.

Meine eindringliche Botschaft lautet, solche Bemühungen nicht so mißzuverstehen, als solle es in irgendeiner Weise den stationär tätigen Kollegen ans Leder gehen.

Ich bedanke mich.

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke sehr. - Damit haben wir die Diskussion zum Antrag I-3 beendet. Änderungsanträge liegen nicht mehr vor, nachdem Herr Busch seinen Änderungsantrag unter dem Eindruck der Argumentation zurückgezogen hat.

Wir können nunmehr über den Antrag auf Drucksache Nr. I-3 abstimmen. Wer wünscht diesem Antrag I-3 zuzustimmen? - Das ist sicher die Mehrheit. Wer ist dagegen? - Einzelne Gegenstimmen. Wer enthält sich? - Einzelne Enthaltungen. Dann ist dieser Antrag mit großer Mehrheit bei einzelnen Gegenstimmen und einzelnen Enthaltungen angenommen.

(Zustimmung)

Dann kommen wir zum nächsten Komplex: Initiativprogramm zur Sicherstellung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin. Ich bin überfragt, ob das Initiativprogramm bereits verteilt wurde. - Es wird in diesem Moment ausgeteilt.

Zur Vorgeschichte möchte ich Ihnen sagen, daß wir auf Grund des Beschlusses des 100. Deutschen Ärztetages in Eisenach zur Novellierung der (Muster-)Weiterbildungsordnung mit der Kondition, daß die fünfjährige Weiterbildung erst dann eingeführt wird, wenn die entsprechenden zusätzlichen Stellen vorhanden sind und deren Finanzierung gesichert ist, nach dem Ärztetag sofort die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, Frau Ministerin Barbara Wackernagel-Jacobs aus dem Saarland, und auch Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer angeschrieben haben. Beiden haben wir den Beschluß mitgeteilt und sie gebeten, die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.

Es kam im Sommer zu einem Gespräch über diesen Antrag mit dem Bundesgesundheitsminister. Er hat grundsätzlich begrüßt, daß der Deutsche Ärztetag dieses beschlossen hat, hat aber hinzugefügt, daß es im wesentlichen um Länderdinge gehe, da es eine Weiterbildungsfrage betreffe, also eine Berufsausübungsfrage, keine Berufszulassungsfrage, für die der Bund zuständig ist.

Der Bundesgesundheitsminister hat sehr zustimmend zur Kenntnis genommen, daß wir auch die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz bereits angeschrieben hatten. Mit Frau Ministerin Wackernagel-Jacobs kam es zu einem weiteren Gespräch. Sie hatte dieserhalb Vertreter der Ärzteschaft eingeladen, also der Bundesärztekammer und der KBV, sowie Vertreter der Krankenkassen, Vertreter der Deutschen Krankenhausgesellschaft, und es waren auch Vertreter aus den übrigen Ländern anwesend.

Wir haben in dieser Gesprächsrunde in Saarbrücken die Gesamtproblematik sehr eingehend diskutiert und als Ergebnis dieses ersten Gesprächs von Frau Wackernagel-Jacobs den Vorschlag erhalten, es sei wohl das zweckmäßigste, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, welche die Thematik erörtern möge und ein Papier erarbeiten soll.

Der Vorstand der Bundesärztekammer hatte für diese Arbeitsgruppe Vorstandsmitglieder benannt. Von Frau Wackernagel-Jacobs wurde aber der Weg gewählt, daß sie eine Arbeitsgruppe ad personam berufen hat, die zwar Persönlichkeiten aus den verschiedenen Bereichen umfaßte, die dort aber nicht als Vertreter ihrer jeweiligen Organisation anwesend waren.

Diese Arbeitsgruppe hat mehrfach getagt. Im März wurde ein erstes Ergebnis vorgelegt, das auch auf Bitten der Arbeitsgruppe und der Ministerin in den einzelnen Bereichen erörtert wurde. Es gab ein weiteres Gespräch der Arbeitsgruppe am 23. April. Unter dem 24. April wurde ein Ergebnis mitgeteilt, das Ihnen gleich vorgelegt werden wird.

Wir haben uns in der Vorstandssitzung eingehend mit dem Ergebnis dieser Arbeitsgruppe befaßt, das vorsieht, daß eine finanzielle Förderung der Weiterbildung zur Allgemeinmedizin ab 1. Januar 1999 für zwei Jahre erfolgt, also bis zum 31. Dezember 2000, daß eine Förderung aber nicht beinhalten kann, daß eine Ausweitung der Stellen erfolgt, also zusätzliche Stellen geschaffen werden.

Es wurde im Anhang für die einzelnen Bereiche aufgelistet, daß Änderungen in den Heilberufsgesetzen im SGB V notwendig sind. Es wurde verankert, daß die Anrechenbarkeit der AiP-Phase auf die Weiterbildung zum Allgemeinarzt beschränkt bleiben soll und für andere Weiterbildungen nicht erfolgen darf. Ferner steht dort, daß die Mittel für die Krankenhäuser nicht in dem allgemeinen Topf verschwinden sollten. Das war eine Anregung von uns.

Wir hatten am 12. Mai, also vor wenigen Tagen, ein Gespräch in der Landesvertretung des Saarlandes in Bonn. Es ist dort noch einmal vorgetragen worden, daß wir eine finanzielle Unterstützung dieser Weiterbildung für die Dauer von zwei Jahren nicht für ausreichend halten, sondern daß diese Dauer auf fünf Jahre verlängert werden muß, da mit einer zugesicherten Finanzierung von lediglich zwei Jahren noch nicht einmal ein Vertragsabschluß auf gesicherter Grundlage über die Dauer von drei Jahren im Krankenhaus ermöglicht ist.

Wir haben weiter gesagt, daß der Beginn der Förderungsmaßnahmen nicht starr auf den 1. Januar 1999 festgelegt werden soll, weil nämlich für diese Weiterbildung Änderungen in den Weiterbildungsordnungen der Länder durch die Beschlußgremien der jeweiligen Kammer und daran anschließende Genehmigungen durch die Aufsichtsbehörde erforderlich sind. Wir haben gesagt, daß die Förderdauer jeweils für einen bestimmten Zeitraum - nach unserer Auffassung drei Jahre, nach deren Auffassung zwei Jahre - dann einsetzen möge, wenn die jeweiligen genehmigten Weiterbildungsordnungen vorliegen, so daß man tatsächlich auf dieser Basis arbeiten kann.

Wir haben ferner gefordert, daß die Anrechenbarkeit der AiP-Phase relativiert werden sollte, weil wir es auch aus rechtlichen Gründen nicht für vertretbar halten, daß in der Weiterbildungsphase zum Allgemeinarzt erworbenes Wissen nicht für etwas anderes genutzt werden kann, wenn sich der Betreffende anders entscheidet. Man kann ja nicht ein Zwangsvergessen vorschreiben, daß bestimmte Inhalte verlernt werden sollen. Wir haben uns allenfalls damit einverstanden erklärt, daß man überlegen kann, eine analoge Regelung zur Bundeswehr zu finden, daß dann eventuell etwas zurückgezahlt werden soll.

Wir haben weiter darauf hingewiesen, daß die ganze AiP-Phase nach der neuen Approbationsordnung auslaufen wird und insoweit dann auch keine Anrechenbarkeitsproblematik mehr besteht.

Die Gesamtproblematik wurde in dem Kreis, den ich eben erwähnte, sehr eingehend diskutiert. Bundesminister Seehofer war mit dabei. Insbesondere die Krankenkassen wiesen sehr nachdrücklich darauf hin, daß sie nur bereit seien, eine Förderung für zwei Jahre mitzutragen, wenn diese Fördermöglichkeit ab 1. Januar 1999 einsetze und am 31. Dezember 2000 ende.

Die Krankenkassen waren auch nicht bereit, über einen Kompromißvorschlag überhaupt nur zu diskutieren, der darauf hinauslief, die Fördermöglichkeit auf den 1. April 1999 beginnend festzulegen und die Förderung bis 2001 laufen zu lassen. Sie begründeten dies damit, daß sie mit dieser stringenten Begrenzung Druck auf alle Beteiligten ausüben wollten, um in dieser Zeit die Dinge auch tatsächlich anlaufen zu lassen.

Bundesminister Seehofer wies in dieser Besprechung darauf hin, daß bei der Aufgabenverteilung insbesondere für Bund- und Länderparlamente Komponenten enthalten sind - ich habe es gestern angesprochen -, die erhebliche systemverändernde Weichenstellungen einleiten könnten oder solche sogar darstellen. Er sei zwar bereit, die finanzielle Förderung, für welche die Rechtsgrundlagen im SGB V allerdings fehlten, mitzutragen, jedoch nur dann, wenn keinerlei strukturelle Veränderungen Gegenstand der weiteren Überlegungen seien.

Von der Krankenhausgesellschaft wurde ebenso wie von anderer Seite darauf hingewiesen, daß diese stringente Begrenzung des Zeitraums auch unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten sehr schwierig und nicht praktikabel sei, weil die Verträge in den Krankenhäusern gerade nach dem Gesetz zur Befristung von Arbeitsverträgen für Ärzte in der Weiterbildung auf die Dauer der Weiterbildung abgestellt seien und man nicht zum 1. April auf einmal schlagartig Stellen freiräumen könne, die mit anderen Ärztinnen oder Ärzten besetzt sind, um sie für die Weiterbildung zum Allgemeinarzt zu nutzen.

Es ist von den Krankenkassen in diesem Zusammenhang noch einmal gesagt worden, daß es nicht möglich sei, zusätzliche Stellen zu schaffen, was auch von der Deutschen Krankenhausgesellschaft gefordert wurde, um dies überhaupt anlaufen lassen zu können.

Es wurde von der Vorsitzenden der Gesundheitsministerkonferenz der Länder erläutert, daß aus den Ländern bislang Zustimmung zu diesem Projekt vorliege. Es wurde allerdings sowohl vom Bundesminister als auch von der Vorsitzenden der Gesundheitsministerkonferenz der Länder darauf hingewiesen, daß die Gesamtregelung es erfordere, daß sowohl im SGB V als auch in den Heilberufsgesetzen der Länder die entsprechenden rechtlichen Regelungen geschaffen werden.

Man ist nach längerer Diskussion auseinandergegangen, nachdem von Minister Seehofer und Frau Wackernagel-Jacobs erklärt wurde, daß man die Finanzierungsgrundlagen für die zwei Jahre schaffen solle, auch unter diesen einengenden Bedingungen der Krankenkassen, daß man eine Absichtserklärung abgeben wolle, die rechtlichen Voraussetzungen im Bund und in den Ländern schaffen zu wollen, und daß man weiterhin auch beabsichtige, nach den zwei Jahren der Anschubfinanzierung eventuell über weitere Regelungen nachzudenken, daß aber diese Gesamtphase der finanziellen Förderung und der Realisierung dieses Initiativprogramms nicht mit irgendwelchen systemverändernden Regelungen verbunden werden dürfte.

In diesem Sinne ist ein abschließendes Protokoll in relativ kurzer Frist vom Ministerium der Vorsitzenden der Gesundheitsministerkonferenz der Länder erstellt worden, in dem es heißt:

Nach zum Teil kontroverser Diskussion, insbesondere der Punkte Anrechenbarkeit der AiP-Phase, Nichtanrechenbarkeit auf andere Weiterbildungszeiten und evtl. Rückzahlungsverpflichtungen der Fördermittel konzentrierte sich die weitere Beratung auf folgende Schwerpunkte: Beginn und Dauer des Programms, Frage der Bereitstellung der benötigten Stellen in den Krankenhäusern, Zeitpunkt und Realisierungsstufen einschließlich der von Bundes- und Landesgesetzgebern zu schaffenden erforderlichen Rechtsgrundlagen. Wir haben, wie weiter aus dem Protokoll ersichtlich, erklärt, daß wir dieses Ergebnis dem Deutschen Ärztetag mitteilen wollten, und von der anderen Seite wurde erklärt, daß man sich Mitte Juni damit befassen werde, um die förmlichen Beschlüsse zu fassen. Wir haben dann unter Zurückstellung weitgehender Bedenken, die wir aufrechterhalten haben, die auch von Bundesminister Seehofer, der gesetzlichen Krankenversicherung und anderen Beteiligten aufrechterhalten wurden, erklärt, daß wir dieses Programm in dieser Konstellation insoweit mittragen, als wir es Ihnen heute zur Beschlußfassung vorlegen.

Der Vorstand der Bundesärztekammer hat sich am vergangenen Sonntag noch einmal sehr eingehend mit dieser Problematik befaßt. Herr Hoppe, der von der Vorsitzenden der Landesgesundheitsministerkonferenz für diese Tätigkeit berufen war, hat noch einmal die Schwierigkeiten erläutert, die in der Arbeitsgruppe bestanden haben, um überhaupt das Ergebnis, wie es Ihnen jetzt vorliegt, zu erreichen. Aus der Besprechung mit der Vorsitzenden der Landesgesundheitsministerkonferenz am 14. Juni haben außer Herrn Hoppe und mir noch die Herren Hege und Montgomery die Stimmung wiedergegeben, die letztlich zu dem Ergebnis geführt hat, das Ihnen nun zur Beratung vorliegt.

Soviel zur Einführung in dieses Programm, damit Sie es richtig einordnen können. Sicher stecken für viele von uns Schwierigkeiten in einzelnen Formulierungen. Wir sollten jetzt überlegen, ob gemäß dem Konditionalbeschluß des 100. Deutschen Ärztetages in Eisenach unseres Erachtens die Voraussetzungen für das Anlaufen der fünfjährigen Weiterbildung gegeben sind. Für uns waren die Voraussetzungen, daß die erforderliche Finanzierung sichergestellt ist und daß zusätzliche Stellen geschaffen werden.

Wir sollten uns hier nicht in eine allgemeine Debatte zum Inhalt der Weiterbildung verlieren. Das haben wir auf dem 100. Deutschen Ärztetag gesagt. Wir haben unsere ärztliche Position klargelegt. Es geht jetzt lediglich um die Frage, ob Sie der Meinung sind, daß die in dem zweiten Absatz des damaligen Beschlusses genannten Forderungen erfüllt sind oder nicht. Der entsprechende Beschluß lautete:

Der Deutsche Ärztetag fordert Krankenkassen und Politik auf, die zur Umsetzung des neuen Weiterbildungsganges erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Dazu gehören die Bereitstellung ausreichender und zusätzlicher Stellen, auf denen eine Weiterbildung im Gebiet Allgemeinmedizin stattfinden kann, und deren angemessene Finanzierung. Der Deutsche Ärztetag hat sich vorbehalten, das Inkraftsetzen dieses fünfjährigen Weiterbildungsganges davon abhängig zu machen, daß diese Voraussetzungen erfüllt sind. Dieses ist nun Gegenstand unserer heutigen Diskussion.

Wie zu verstehen ist, gibt es bereits eine Reihe von Wortmeldungen. Als erster Redner hat sich zu diesem Komplex zur Geschäftsordnung Herr Bialas gemeldet. Sie haben das Wort, Herr Bialas.
 
Prof. Dr. Bialas, Hamburg:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Ich stelle den Geschäftsordnungsantrag, die Debatte auf den morgigen Tag oder auf übermorgen zu verschieben. Herr Präsident, ich habe sicher hohes Vertrauen zu Ihnen und zu unserem Vorstand, aber ich finde, bei einem so wichtigen Tagesordnungspunkt, zu dem es 16 Seiten Papier gibt, müssen wir die Möglichkeit haben, das einmal in Ruhe durchzulesen, bevor wir darüber diskutieren und abstimmen.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. Wenn, dann müssen wir das auf morgen verschieben. Am Freitag ist es auch zu spät. Es geht ja nur um diesen Punkt. - Jetzt bitte Herr Kossow zur Geschäftsordnung.

Dr. Kossow, Niedersachsen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gegen den Antrag von Herrn Bialas sprechen. Es mag sein, daß Gäste und mit der Thematik nicht ständig Vertraute Probleme haben, diesem sehr komplexen Sachverhalt zu folgen. Das gilt aber nicht für die Delegierten. Sie sind wohl zu keinem Thema dieses Ärztetages sorgfältiger in Vorberatungen vorbereitet worden. Es ist zum Teil schon über das erforderliche Maß der sachlichen Vorbereitung hinaus diskutiert worden.

Ich finde, nach den sehr umfassenden einführenden Worten des Herrn Präsidenten haben wir sehr wohl die Möglichkeit, in eine fruchtbare Debatte einzusteigen, welche die letzten Punkte klärt. Wir sollten dies heute tun, auch aus zeitökonomischen Gründen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Jetzt zur Geschäftsordnung bitte Herr Windhorst, Westfalen-Lippe.

Dr. Windhorst, Westfalen-Lippe:

Ich denke, zu der Rede ist eine Gegenrede zugelassen. Ich muß ganz klar den Antrag von Herrn Bialas unterstützen. Es entsteht hier der Eindruck, daß etwas durchgeprügelt werden soll.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Das geht jetzt nicht. Das ist kein Geschäftsordnungsantrag. Die Gegenrede wurde bereits gehalten. Ich nehme an, das ist Ihnen in der Aufregung entgangen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag, diesen Komplex "Initiativprogramm" - nur darum geht es - auf morgen zu vertagen. Ich mache darauf aufmerksam: Morgen haben wir geladene Gäste. Es könnte notwendig sein, daß wir es auf Freitag vertagen.

Wer wünscht dem Antrag auf Vertagung auf später, möglicherweise auf Freitag, zuzustimmen? - Wer ist dagegen? - Das ist die Mehrheit. Ich möchte dennoch bitten, daß das ausgezählt wird, weil damit viel Emotionen verbunden sind.

Ich frage also noch einmal: Wer ist für den Geschäftsordnungsantrag von Herrn Bialas, das zu vertagen? - Die Gegenprobe! Wer ist gegen das Vertagen und für die Meinungsbildung jetzt? - Ich frage noch nach Enthaltungen: Wer möchte sich enthalten? - Einzelne. Dann ist der Antrag bei einzelnen Enthaltungen mit 121 Gegenstimmen bei 80 befürwortenden Stimmen abgelehnt worden. Wir werden also jetzt über die Problematik sprechen und uns eine Meinung bilden.

Damit kommen wir zur Abwicklung der recht umfangreichen Rednerliste. Es gilt immer noch die Begrenzung der Redezeit auf drei Minuten.

Als erster hat Herr Everz das Wort. Bitte, Herr Everz.

Dr. Everz, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in Eisenach gemeinsam einen Konditionalbeschluß gefaßt. Dieser Konditionalbeschluß forderte die Politik und die Kassen auf, die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen zu schaffen, um die fünfjährige Weiterbildung des Allgemeinmediziners auf den Weg zu bringen. Wir haben nun ein Initiativprogramm vorgelegt bekommen. Es wurde vor einigen Wochen publiziert und liegt heute in der endgültigen Fassung vor. Sicherlich bietet dieses Programm noch einige Haken und Ösen. Aber ich denke, daß wir auf der Grundlage dieses Initiativprogramms sicherlich den Schritt tun können, den wir vor einem Jahr eingeläutet haben.

Auf die inhaltlichen Aspekte, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich aus Zeitgründen vielleicht erst später eingehen. Ich möchte mich nach den weitreichenden erklärenden Worten unseres Präsidenten Vilmar auf die rein politische Bewertung Ihres jetzt anstehenden Votums beschränken.

Wir werden sicherlich auch in bezug auf unsere Zuverlässigkeit als politische Partner an diesem Beschluß gemessen werden. Würde diese Beschlußvorlage, wie sie Ihnen der Vorstand der Bundesärztekammer heute vorlegt, von Ihnen nicht in die Realität umgesetzt, das heißt, würde der Konditionalbeschluß weiter aufrechterhalten, würden wir dieses Ansehen der Ärzteschaft, vor allen Dingen der verfaßten Ärzteschaft, eindeutig verspielen. Wir würden unser Ansehen als zuverlässiger und glaubwürdiger Partner in der Politik und gegenüber den Krankenkassen verlieren. Glauben Sie mir eines: Die Wahl im September dieses Jahres wird hier mit Sicherheit einige Änderungen bringen. Davon gehe ich persönlich aus. Ich weiß, egal wie diese Wahl ausgehen wird, daß wir dann, wenn wir dies heute nicht so beschließen, wahrscheinlich eine Lösung par ordre du mufti übergestülpt bekommen.

Deshalb bitte ich Sie, dem Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer Ihr Votum zu geben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Everz. - Als nächster Redner bitte Herr Flenker.

Dr. Flenker, Vorstand der Bundesärztekammer:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Meine sehr geehrten Kollegen! Sind Sie nicht überrascht, unter Tagesordnungspunkt I - Gesundheits- und Sozialpolitik - mit dem Initiativprogramm eigentlich ein Weiterbildungsthema vorzufinden, das im Grunde unter Tagesordnungspunkt V - Weiterbildung - behandelt werden müßte? Ich glaube aber, es ist von der Regie dieses Ärztetages sehr richtig gewesen, dieses Initiativprogramm unter Tagesordnungspunkt I - Gesundheits- und Sozialpolitik - diskutieren und abstimmen zu lassen.

Es geht nämlich in diesem Programm nicht nur um 320 Millionen DM, die für die Stärkung der dringend erforderlichen Weiterbildung in der Allgemeinmedizin sicherlich sehr sinnvoll sind; es geht in diesem Programm um sehr viel mehr. Das stellt man fest, wenn man es sehr sorgfältig liest, was man tun sollte. Herr Everz hat gerade ausgeführt: Die endgültige Fassung liegt Ihnen erst jetzt vor. In diesem Programm sind gravierende strukturelle Elemente enthalten. Durch dieses Programm wird zugestimmt, daß die Politik über Änderungen der Heilberufsgesetze einen massiven Eingriff in die Selbstverwaltungsregelungen der Kammern im Hinblick auf die Weiterbildung vornehmen kann. Wenn man die Anlage 1 durchliest, stellt man fest, daß die Bundesärztekammer dem zustimmt. In Anhang 5 stimmt die Bundesärztekammer allen strukturellen Veränderungen zu. Dort heißt es, daß man letztlich auch einem Primärarztsystem zustimmen will.

Will man dies für 320 Millionen DM? Will man sich hierfür so wesentliche strukturelle Elemente abkaufen lassen, indem man schon im voraus Zustimmung zu den entsprechenden Gesetzesvorhaben signalisiert? Dabei muß man auch berücksichtigen, daß diese 320 Millionen DM mit Sicherheit nicht fließen werden. Der Zeitraum zwischen dem 1. Januar 1999 und dem 31. Dezember 2000 ist viel zu kurz, um dieses überhaupt realisieren zu können.

Es gibt zahlreiche Änderungsanträge, die diese strukturellen Elemente erkennen und streichen wollen. Ich bitte Sie, beispielsweise dem Antrag I-6 von Herrn Jonitz zuzustimmen.

Danke sehr.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke sehr, Herr Flenker. Sie haben aber selbst die Begründung dafür geliefert, daß es sich keineswegs um ein Weiterbildungsthema handelt. Wir wollen nämlich nicht ärztliche Inhalte diskutieren, sondern es ist ein eminent politisches Thema, das weit über die ärztlichen Inhalte hinausgeht. Das haben Sie auch ausgeführt; insoweit möchte ich Sie bestätigen. Zu Beginn Ihrer Ausführungen haben Sie die Richtigkeit der Zuordnung etwas angezweifelt. Es gehört hierher, und es hat eine eminent politische Bedeutung.

Als nächster Redner hat Herr Kossow das Wort. Bitte sehr.

Dr. Kossow, Niedersachsen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir waren eben Zeuge von zwei Beiträgen aus Kreisen des Vorstands der Bundesärztekammer: eine Mehrheitsmeinung für den Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer, eine Minderheitsmeinung, die Herr Flenker vorgetragen hat. Dies ist Demokratie. Auch in Eisenach waren wir uns nicht vollständig einig. Es ist immerhin bemerkenswert, daß diese Einigkeit nicht einmal im Vorstand der Bundesärztekammer herbeigeführt werden konnte. Allein darin liegt ein erhebliches politisches Problem, das die Ärzteschaft nun einmal hat.

Dieses politische Problem hat auch dazu geführt, daß wir in Eisenach - sehr ungewöhnlich - eine Weiterbildungsregelung, nämlich das fünfjährige Curriculum in Allgemeinmedizin, mit einer interessenpolitischen Regelung verknüpft haben, nämlich für diese Weiterbildung in Allgemeinmedizin Stellen zu schaffen und damit insgesamt die Qualität der hausärztlichen Versorgung für die nächste Generation zu sichern. Es ist ganz ungewöhnlich, daß dieses Angebot der Ärzteschaft in Eisenach schon nach einem Jahr durch die Politik teilweise angenommen ist.

Damit mich jetzt niemand falsch versteht: Auch ich bin mit dem Umfang der Annahme durch die Politik keineswegs zufrieden. Ich hätte mir eine umfangreichere, vorbehaltlosere und eindeutigere Förderungszusage durch Krankenkassen, Bundesländer, Bundesregierung und Krankenhausgesellschaften gewünscht. Aber ich weiß, wer verhandelt hat und wie hart verhandelt wurde. Es waren die besten Spitzen der deutschen Ärzteschaft. Ich nenne nur Herrn Schorre, Herrn Hess, Herrn Hoppe, Herrn Vilmar, Herrn Montgomery.

Wenn es diesen Personen nicht gelungen ist, eine weitergehende Regelung durchzusetzen, müssen wir heute darüber entscheiden, ob uns dieses Angebot als zu knapp erscheint - dann wird in Zukunft die Knappheit in der Allgemeinmedizin durch die Politik, beispielsweise durch die Bundesländer, geregelt - oder ob wir auf der Grundlage dieses knappen Angebots weiter mitbestimmen wollen. Dann sollten wir dieses heute annehmen, und zwar nicht mit so weitgehenden Vorbehalten, daß für dieses Angebot die Geschäftsgrundlage entfällt. Dies wäre dann der Fall, wenn wir den Anträgen
4 a, 5 usw. zustimmten. Deswegen stimmen Sie bitte dem Antrag I-4 des Vorstands der Bundesärztekammer zu und den anderen Anträgen nicht.

Vielen Dank.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Kossow. - Als nächster Redner bitte Herr Montgomery.
 
Dr. Montgomery, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kossow, ich werde immer etwas nervös, wenn Sie mich loben. Aber ich nehme es gern zur Kenntnis.

Der Marburger Bund hat in seiner Hauptversammlung das Initiativprogramm sehr intensiv diskutiert, und zwar als einer der ersten Verbände. Er hat in diesem Programm eine ganze Reihe positiver Ansätze erkennen können. Er konnte ihm dennoch nicht zustimmen, sondern fordert die Verhandlungsparteien auf, weiter zu verhandeln.

Es gibt sehr viele Gründe für diese Haltung. Ich bedaure sehr, daß die Komplexität des Programms hier überhaupt nicht dargestellt wird. Das hat politische Gründe. Es geht derartig ins Detail des Weiterbildungsrechts und auch des Vertragsarztrechts, daß ich schon glaube, man sollte einmal die Summe der einzelnen Punkte aufzählen. Da ich nur drei Minuten Redezeit habe, will ich das nicht tun, sondern verweise Sie auf den Antrag I-8, in dem die Argumente und Gegenargumente zusammengefaßt sind.

Meine Damen und Herren, Herr Kossow hat gesagt: Wir wollen die Zukunft für die nächste Generation der Allgemeinmediziner sichern. Brauchen wir wirklich ein Notprogramm zur Rettung der Allgemeinmedizin? Ausweislich der jährlich erstellten Statistik der Bundesärztekammer sind im Jahre 1995 fast 5000 Allgemeinmediziner weitergebildet worden. 1996 waren es 2800, 1997 waren es 2200. In Vorbereitung dieses Ärztetages hat es eine Umfrage gegeben, die versucht hat, auch die Übergangsregelungen mit zu erfassen. Sie hat ergeben, daß eine reine allgemeinmedizinische Weiterbildung neuer Art 1995 1500 absolviert haben, 1996 1200 und 1997 1100.

Betrachtet man die Altersstruktur hinsichtlich der Allgemeinmedizin in Deutschland, stellt man fest, daß wir in den nächsten 15 Jahren 17 717 Ärztinnen und Ärzte, die durch den natürlichen Altersprozeß aus dem Erwerbsleben ausscheiden, ersetzen müssen.

Ich ziehe daraus die Konsequenz: Wir sind von falschen Zahlen ausgegangen, weil wir dachten, daß es nur 400 Niederlassungen im Jahr bei der Allgemeinmedizin geben werde gegenüber 1800 bei den Internisten. Zugleich stellen wir fest, daß 62 Prozent aller Planungsbezirke für die Allgemeinmedizin gesperrt sind. Das Problem besteht in der Niederlassung, nicht in der Weiterbildung. Wir müssen die Niederlassungssperren aufheben, wir müssen dort Chancen für junge Ärztinnen und Ärzte schaffen. Wir dürfen nicht die Weiterbildung erschweren.

Es besteht keine Notwendigkeit für ein Notprogramm, aber das Initiativprogramm brauchen wir unbedingt. Wir sollten uns nicht von den Kassen ins Bockshorn jagen lassen mit der Behauptung, sie seien überhaupt nur bereit, vom 1. Januar 1999 bis zum 31. Dezember 2000 zu bezahlen. Wer - wie
wir - bereit ist, die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin zu fördern, kann das auch noch danach tun. Wenn diese Forderung aufgehoben wird, erinnere ich Sie nur daran: Wir leben in einer Demokratie und nicht in einer "Erpressokratie". Deswegen bitte ich Sie, diesem Programm nicht unkonditioniert zuzustimmen, sondern es zu akzeptieren und Weiterverhandlungen einzufordern.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Montgomery. - Als nächste Rednerin Frau Hauenstein.

Dr. Hauenstein, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Vorstand der Bundesärztekammer hat sich die Entscheidung zum Initiativpapier nicht leichtgemacht. Wir haben Stunden analysiert, diskutiert und abgewogen. Insbesondere wurden auch diese Zahlen, die Herr Montgomery gerade vorgestellt hat, abgewogen. Es sind Zahlen, die in einer Blitzumfrage innerhalb weniger Tage erhoben wurden und von der Geschäftsführung massiv hinterfragt wurden, weil sie um mehr als 30 Prozent von den sorgfältig erhobenen statistischen Daten der Bundesärztekammer abweichen.

Mit großer Mehrheit, bei wenigen Gegenstimmen, hat der Vorstand der Bundesärztekammer die Entscheidung getroffen, daß die Chancen des Papiers wesentlich größer sind als die Risiken und daß wir diese 320 Millionen DM, mit denen wir über 7000 Stellen für junge Kollegen schaffen können, nicht sorglos vertun dürfen, denn es wird keine Weiterverhandlung geben. Die Kassen und die Politik - das weiß Herr Montgomery - haben signalisiert: Wenn wir hier nicht grünes Licht geben, ist das Geld weg.

Wir, die wir hier sitzen, haben fast alle den Sprung ins System geschafft, wobei es dem einen besser, dem anderen schlechter geht. Aber es stehen viele arbeitslose junge Kolleginnen und Kollegen vor uns. Jeder von uns weiß, daß in Deutschland auf eine freie Stelle oft über 100 Bewerber kommen. Viele der jungen Kolleginnen und Kollegen sind verzweifelt.

Ich bitte Sie, über alle verbandstaktischen Spielchen hinweg, deren Hintergründe man manchmal hinterfragt: Raffen wir uns auf, geben wir den jungen Kolleginnen und Kollegen durch diese zusätzlichen Weiterbildungsstellen eine Chance, als Ärztin bzw. Arzt zu arbeiten, so wie wir es tun können!

Danke schön.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Als nächster Redner bitte Herr Crusius.

Dr. Crusius, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jörg Hoppe hat im Zusammenhang mit diesem Initiativprogramm Hervorragendes geleistet. Der Eisenacher Konditionalbeschluß hat im letzten Jahr erhebliches "Kossow-Blut" gefordert. Jetzt ist es gelungen, ein Papier zustande zu bringen, das auch den jungen Kollegen für die Zukunft eine Entwicklungschance bietet. Diese Kolleginnen und Kollegen haben zur Zeit keine andere Chance, Weiterbildungsstellen für Allgemeinmedizin zu bekommen.

Ich habe Ihnen auf dem letzten Deutschen Ärztetag gesagt, von wem ich, wenn ich mit 70 Jahren einmal krank sein sollte, betreut werden möchte: Dies soll der qualifizierte Allgemeinmediziner sein, der eine Koordinationsfunktion übernimmt.

Wir in Mecklenburg-Vorpommern müssen in den nächsten 15 Jahren allein 54,9 Prozent der Allgemeinmediziner aus Altersgründen ersetzen. Die Zahlen, die Ihnen Herr Montgomery eben genannt hat, sind zum Teil Zahlen, die sich aus Übergangsbestimmungen rekrutieren.

(Beifall)

Es sind auch Ärzte älterer Jahrgänge dabei, die irgendwann auch in den Ruhestand gehen. Dies darf man nicht unkommentiert stehen lassen.

Uns in Mecklenburg-Vorpommern ist es gelungen, eine Absichtserklärung aller Beteiligten zustande zu bringen. Dort ist niedergelegt, daß zum 1. September alle Beteiligten - Krankenhausgesellschaft, Ärztekammer, Kassenärztliche Vereinigung, Sozialministerium und Krankenkassen - die Verträge abgeschlossen haben wollen und daß zum 1. September die ersten Assistenten in die Rotation Allgemeinmedizin eintreten können, und zwar auf der Basis dieses Initiativprogramms.

(Beifall)

Diese Erklärung ist von den Vorstandsvorsitzenden der Krankenkassen und der Krankenhausgesellschaft unterschrieben, auch der Minister persönlich hat unterschrieben. Das datiert aus der vergangenen Woche, nachdem das Gespräch mit Herrn Seehofer stattgefunden hatte.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, stimmen Sie dem Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer auf Drucksache Nr. I-4 zu. Lieber Herr Jonitz, lieber Freund, so leid es mir tut: Deinem Antrag können wir nicht zustimmen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, gegen den Antrag I-6 zu stimmen. Herr Minister Seehofer hat gesagt - damit muß ich Herrn Flenker widersprechen -, daß es keine strukturellen Änderungen geben wird.

Danke.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Als nächster Redner bitte Herr Diettrich vom Vorstand.
 
Prof. Dr. Diettrich, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben eine Minderheitsmeinung von Herrn Flenker und von Herrn Montgomery gehört, die mich deshalb traurig stimmt, weil einige ehrenwerte Kollegen alles unternehmen, den Antrag zu Fall zu bringen. Wollen wir denn nicht endlich die Qualität unserer Medizin zum Gegenstand unserer Erörterungen machen und nicht einzelne Strukturmerkmale, die ohne Zweifel noch zu verbessern sind? Die Initiativkommission für Allgemeinmedizin hat ein Programm erarbeitet, an dem auch die Bundesärztekammer mitwirkte. Wir in den Ländern haben die Vorarbeit geleistet. Wir in Sachsen haben vor drei Jahren eine gemeinsame Kommission von Sozialministerium und Kammer gegründet. Wir haben im Osten Deutschlands von jeher für eine Stärkung der Allgemeinmedizin plädiert. Wir stehen auch weiterhin auf dem Standpunkt, daß ein hochqualifizierter Allgemeinmediziner mit einer fünfjährigen Weiterbildung das Ziel sein soll.

Der Ihnen vorliegende Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer bejaht das bisher erreichte Verhandlungsergebnis, auch wenn noch nicht alle rechtlichen Prämissen dafür gegeben sind. Haben wir Mut, nehmen wir das Finanzierungsangebot der Kassen ab 1. Januar 1999 an! Wir wären bei einer anderen Entscheidung dieses Hohen Hauses unglaubwürdig. Dabei sollte die Kontrollfunktion der Kammern für die ordnungsgemäße Verteilung der Stellen in den Krankenhäusern und Arztpraxen zum Tragen kommen.

Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, dem Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer zuzustimmen.

Danke.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Diettrich. - Als nächste Rednerin hat Frau Gitter aus Bremen das Wort. Bitte.

Dr. Gitter, Bremen:

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Die Weigerung der Kassen, den Stichtag 1. Januar 1999 zu verändern, hat mich nachdenklich werden lassen. Ich möchte deswegen eine Frage stellen, weil mir die Rechtsproblematik nicht ganz klar ist. Ich möchte wissen, ob die Rechtsgrundlagen für die Zahlung der Kassen vorhanden sind. Dürfen die Kassen zahlen? Wenn nein: Wie schnell könnte eine Korrektur erfolgen, damit der 1. Januar 1999 gehalten werden kann?

Ich möchte auch wissen, wie die Umsetzung der rechtlichen Voraussetzungen in den einzelnen Heilberufs- und Krankenhausgesetzen aussieht. Nach meinem Verständnis ist das eine Voraussetzung, damit das Geld fließt. Wenn wirklich der Wille der Kassen vorhanden ist, das zu subventionieren - das würde ich gutheißen -, dann verstehe ich überhaupt nicht, warum man nicht die Stichtagsregelung so ändert, daß man sagt: Es erfolgt eine Förderung über zwei Jahre, gerechnet ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens in den Landesärztekammern. Bei der jetzigen Regelung muß man den Verdacht haben, daß die Kassen das Geld lieber sparen wollen, wohl wissend, daß die rechtlichen Änderungen und auch die Änderungen in den einzelnen Landesärztekammern soviel Zeit in Anspruch nehmen, daß gar nicht mehr gezahlt werden muß. Das fände ich verlogen.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Frau Gitter. Ich hatte ausgeführt, daß der Minister erklärt hat, daß die Rechtsgrundlagen im SGB V derzeit nicht gegeben sind und die Aufsicht das im Vorgriff tolerieren müsse und möge, daß er sich dafür stark machen wolle. Er hat erklärt, es gebe die Absicht, die Rechtsgrundlagen zu schaffen. Soweit der Minister.

Ich wäre dankbar, wenn Herr Schirmer von der Rechtsabteilung eine entsprechende Erläuterung geben könnte.

Zunächst hören wir den nächsten Redner, nämlich Herrn Zimmermann aus Niedersachsen.

Dr. Zimmermann, Niedersachsen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben auf dem Ärztetag in Eisenach im Konditionalbeschluß erklärt: ausreichende und zusätzliche Stellen. Das jetzt vorgelegte Programm wird sich, wenn ich nur die finanzielle Förderung betrachte, hauptsächlich in den Praxen abspielen, denn im Krankenhaus werden diese Dinge im Rahmen der Pflegesatzverhandlungen abgehandelt. Dabei erfolgt eine Gegenrechnung mit anderen Dingen, so daß für das Krankenhaus letztendlich eine Nullrunde herauskommt.

(Zustimmung)

Herr Kossow, ich verstehe folgendes nicht. Wenn es denn so brennt - ich glaube nicht, daß es so brennt; unsere Umfrage in Niedersachsen belegt, daß es kein so ganz dringendes Notprogramm sein muß - und man die Förderung in Anspruch nehmen möchte, warum dann diese Strukturveränderungen, die im Programm enthalten sind? Was wollen Sie denn nun? Wollen Sie das Primärarztsystem durch die Hintertür einführen? Oder wollen Sie die Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin? Darauf habe ich bis heute hier keine Antwort gehört.

(Zustimmung)

Wir wollen die fünfjährige Weiterbildung in der Allgemeinmedizin fördern. Dafür stimme ich. Ich stimme aber nicht für die Einführung des Primärarztsystems durch die Hintertür. Deswegen bitte ich Sie, dem Antrag 4 a zuzustimmen.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Zimmermann. - Als nächster Redner bitte Herr Gruber, Sachsen.

Prof. Dr. Gruber, Sachsen:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der ehemaligen DDR war auch für uns Ärzte vieles erschwert, einiges nahezu unerreichbar. Ich meine damit die apparative Ausstattung in den Praxen und den Krankenhäusern, ich meine den Zugang zu den Medikamenten. Das änderte sich schlagartig mit der Wende. Das war unsere große Freude.

Aber mit der Wende kam auch ein Rückschritt: in der Ausbildung im Fachgebiet Allgemeinmedizin. Wir hatten eine fünfjährige diffizil strukturierte Ausbildung in der Allgemeinmedizin. Es war keine Weiterbildung, da die Facharztpflicht gegeben war. In fünf Jahren konnten sich unsere Allgemeinmediziner ein umfangreiches, breites Wissen aneignen. Sie fanden in der Bevölkerung eine große Akzeptanz.

Meine Damen und Herren, nichts wünschen sich unsere Allgemeinmediziner in den neuen Bundesländern mehr als die schnelle Umsetzung der fünfjährigen Weiterbildung. Die Betonung liegt auf dem Wort "schnelle". Stimmen Sie bitte dem Initiativprogramm zu, auch mit der Einschränkung der zweijährigen Konditionierung. Kleine Schritte sind besser als Stillstand, sind besser als Rückschritt. Stimmen Sie bitte dem Antrag zu, lehnen Sie die anderen Anträge ab.

Vielen Dank.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Gruber. - Als nächster Redner bitte Herr Hege vom Vorstand.

Dr. Hege, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der sachliche Kernpunkt unserer Diskussion ist die Sorge, man würde mit dem vom Vorstand der Bundesärztekammer vorgeschlagenen Text den gesamten Inhalt des Initiativprogramms, wie er Ihnen vorliegt, konsentiert haben. Genau das ist nicht der Fall. Bundesminister Seehofer hat im Wissen um die sowohl vom Präsidenten als auch von mehreren Rednern hier vorgetragenen differenten Sichtweisen der Beteiligten und aus dem Motiv heraus, das Vorhaben nicht völlig scheitern zu lassen, den Vorschlag gemacht, in einer ersten Stufe die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, die für die Finanzierung erforderlich sind, und in einer zweiten Stufe über die rechtliche Ausgestaltung eine Einigung herbeizuführen.

Der Eindruck, der hier erweckt wird, daß mit der Annahme des Textes, der Ihnen vorliegt, eine endgültige Zustimmung zu den auch unserer Ansicht nach - der Präsident hat es ausgeführt - kritikfähigen Vorschlägen des Initiativprogramms verbunden sei, ist ein falscher Eindruck. Wir müssen einen Beschluß fassen, der insbesondere den Krankenkassen und auch anderen, die nicht an diesem Programm interessiert sind, nicht den Vorwand liefert, anschließend erklären zu können: Wir brauchen nichts zu tun, die Ärzteschaft will ja nicht. Wenn Sie eine endgültige Klärung herbeiführen wollen, bevor Sie in den Prozeß des Aushandelns der Einzelheiten einsteigen, blockieren Sie die Sache ad infinitum.

Sie sollten den ersten Einstieg wagen. Schlimmstenfalls fließen dann zwei Jahre lang Kassengelder, dann ist Schluß. Wenn wir jetzt nein sagen, fließt überhaupt nichts; dann treten wir wieder in eine endlose Diskussion ein, die das Ende bereits fixiert haben will, bevor man den Anfang gewagt hat.

Ich meine, Sie sollten die Texte genau lesen. Wir schlagen Ihnen vor, daß die Beschlußfassung auf der Basis der im Initiativprogramm enthaltenen und noch zu schaffenden gesetzlichen Grundlagen erfolgt. Das bedeutet nicht, daß jeder einzelne Punkt in diesem Initiativprogramm von uns abgesegnet ist. Wir haben in den Verhandlungen unsere Bedenken deutlich gemacht. Ich habe überhaupt keine Sorge, daß eine ganze Reihe solcher Dinge auch von anderer Seite für nicht durchführbar gehalten werden. Aber jetzt aus lauter Angst vor diesen an die Wand gemalten und nicht konsentierten endgültigen Details gar nicht anfangen zu wollen würde uns den Vorwurf einbringen, daß wir zwar beim Fordern sehr tapfer sind, aber gar nichts tun, wenn es ums Handeln geht.

Danke.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Hege. - Als nächster Redner bitte Herr Wönne aus Hessen.

PD Dr. Wönne, Hessen:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen vor dem Problem, daß uns von der Politik ein Angebot gemacht wurde auf einen Antrag des Ärztetags in Eisenach hin, der nach der Politik gerufen hat. Das war unser Fehler. Wir hätten von vornherein auf diesen Konditionalbeschluß verzichten und eigentlich sagen müssen: Wir finden Wege, das selbst zu regeln. Leider ist das nicht so geschehen. Jetzt haben wir ein Angebot mit einer erstaunlich komplexen Wechselwirkung vorliegen, das Folgen in vielerlei Hinsicht haben wird. Diesem fast blauäugig zu nennenden Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer können wir so sicher nicht zustimmen.

Ich sehe eine Reihe gravierender Probleme. Die Krankenkassen sind nicht bereit, in Pflegesatzverhandlungen über die Stellenpläne im Krankenhaus, die schon heute oftmals nicht ausreichen, wo die Mehrarbeit oftmals nicht vergütet wird, etwas zu tun. Wären sie bereit, diesen eklatanten Mißstand in den Krankenhäusern im Rahmen der Pflegesatzverhandlungen zu beseitigen, hätten wir schon die Stellen, die wir brauchen, um die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin zu verbessern.

(Beifall)
 
Ich denke, daß ein weiteres Problem angesprochen werden muß: 2000 DM für ärztliche Arbeit bedeuten, wenn wir vom AiP absehen, der eine Zwischenposition zwischen Ausbildung und Weiterbildung darstellt, einen Wertverfall. Das können wir in dieser Form auch nicht hinnehmen. Wir ziehen hier ein Trojanisches Pferd in die Kammern, in die Weiterbildungsordnungen und müssen die entsprechenden Probleme in den nächsten Jahren ausbaden.

Deswegen rate ich dringend dazu: Wenn Sie dem Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer auf Drucksache I-4 zustimmen, stimmen Sie auch dem Antrag auf Drucksache I-8 zu, der auf die Schwachstellen hinweist.

Vielen Dank.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Als nächster Redner bitte Herr Nick aus Rheinland-Pfalz.

Dr. Nick, Rheinland-Pfalz:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Schauen Sie sich bitte einmal die gesamtpolitische Situation an: Von wem ging denn dieses Initiativprogramm aus? Haben wir es uns erbettelt? Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen, daß es ein Beschluß der Gesundheitsministerkonferenz war, diese Dinge auf den Weg zu bringen. Das Initiativprogramm ist das Produkt der Initiativen, welche die Gesundheitsminister ergriffen haben. Wenn wir dieses Angebot, das nicht wesentlich verbesserungsfähig sein wird, vom Tisch wischen, wird man genau dies über die Heilberufsgesetze durchziehen, allerdings unter wesentlicher Aufgabe unserer Mitspracherechte im Sinne der Weiterbildungsordnung.

Wenn Bedenken vorgetragen werden, die ich sehr wohl nachvollziehen kann, hier handele es sich um einen planwirtschaftlichen Eingriff in unser Weiterbildungsrecht, den Kollegen werde die Anrechenbarkeit bestimmter Weiterbildungsabschnitte aufgedrückt, möchte ich entgegnen, daß wir heute eine planwirtschaftliche Weiterbildung haben, weil heute niemand in der Klinik die Chance hat, das vorgeschriebene Programm für die Weiterbildung zu absolvieren. Man muß, ob man will oder nicht, spezialisierter Gebietsarzt werden, weil man sonst keine Chance der Beschäftigung am Krankenhaus hat. Hier liegen Chancen und Möglichkeiten, den Wechsel im Krankenhaus zu ermöglichen, der heute verbaut ist.

Ein Wort zu der Frage, ob Handlungsbedarf besteht oder nicht. Herr Crusius hat bereits richtiggestellt, daß die Zahlen, die Herr Montgomery genannt hat, unzutreffend sind. Als jemand, der über Jahre hinweg 24 Kolleginnen und Kollegen weitergebildet hat und wöchentlich mehrfach von jungen Ärztinnen und Ärzten konsultiert wird, die Weiterbildungsstellen suchen, möchte ich sagen: Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Je eher wir diesbezügliche finanzielle Angebote unterbreiten können, desto schneller werden wir Praxen finden, die über das heutige Maß hinaus Weiterbildungsassistenten aufnehmen. Gegenüber den nachwachsenden Ärztinnen und Ärzten ist es unverantwortlich, 320 Millionen DM abzulehnen und zusätzliche Weiterbildungsplätze, die dringend gesucht werden, in den Wind zu schreiben.

Planwirtschaftliche Elemente bestehen. Sie werden aus meiner Sicht aufgelockert im Sinne einer dringenden Förderung der Basisversorgung. Unser gesamtes Gesundheitssystem läßt sich à la longue nur finanzieren, wenn wir der Bevölkerung auf der richtigen Arbeitsebene die adäquat ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte anbieten.

Unterstützen Sie bitte den Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer; tragen Sie damit ungeachtet aller Detailbedenken zu einer raschen Umsetzung bei.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Nick. - Als nächster Redner bitte Herr Bicker, Nordrhein.

Bicker, Nordrhein:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten uns bei dieser ganzen Diskussion überlegen: Welches Ziel können wir erreichen? Wir wollen - Herr Nick hat das sehr schön gesagt - mehr Allgemeinärzte in den niedergelassenen Praxen haben. Wir müssen Weiterbildungsstellen schaffen. Das können wir auch dadurch, indem wir jenen, die im Moment in der Klinik als weitergebildete Allgemeinmediziner sitzen, die Möglichkeit eröffnen, sich in der Praxis niederzulassen. Wir müssen die Zulassungssperren aufheben oder mindestens die Zahlen verändern.

(Beifall)

Wenn wir, wie es zunächst vorgesehen ist, nur für zwei Jahre Kolleginnen und Kollegen weiterbilden und dann Schluß ist, ist das Jammern groß. Dann haben wir das Geld der Kassen für eine zweijährige Weiterbildung in die Hand genommen, aber es ist ohne Effekt verpufft. Wir müssen dafür sorgen, daß es auch nach den zwei Jahren weitergeht.

Wir brauchen dringend eine gesetzliche Grundlage, damit die Kassen das Geld überhaupt erst einmal herausrücken dürfen. Herr Hege hat sehr schön die Bedenken dargestellt, die auch der Vorstand der Bundesärztekammer sieht. Wir brauchen nicht die strukturverändernden Elemente, welche die Gesundheitsministerkonferenz der Länder unter anderen Gesichtspunkten mit hineingepackt hat. Wir brauchen im Moment gesetzliche Änderungen, damit die Kassen das finanzieren dürfen.

Ich bitte den Vorstand der Bundesärztekammer, den Antrag von Herrn Zimmermann - das ist der Antrag 4 a -, der diesen Grundsatz klarlegt, mit in den eigenen Antrag aufzunehmen. Ich glaube, daß wir damit auch Ihren Ausführungen, Herr Hege, entsprechen würden.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Bicker. - Zu den Rechtsgrundlagen hatte Frau Gitter vorhin bereits eine Frage gestellt. Dazu kann jetzt zunächst Herr Schirmer Ausführungen machen, damit wir in dieser Beziehung Klarheit haben. Zunächst also bitte Herr Schirmer.

Schirmer, Justitiar der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist die Frage nach der rechtlichen Realisierbarkeit der Bereitstellung entsprechender Mittel für die Stellenfinanzierung in den Krankenhäusern und in der ambulanten Versorgung gestellt worden. Soweit es die ambulante Versorgung angeht, gibt es bereits heute eine Rechtsgrundlage; soweit es die Kassenärztlichen Vereinigungen betrifft, gibt es die Regelung des § 75 Abs. 8
SGB V.

Es gäbe auch eine Möglichkeit, über die Vereinbarung von Regelleistungsvolumen teilweise die Möglichkeit mitzufinanzieren, daß niedergelassene Ärzte Weiterbildungswillige in der Allgemeinmedizin beschäftigen können. Was die übrigen Finanzierungsfragen angeht, wird man wohl davon ausgehen müssen, daß zumindest zweifelhaft ist, ob derzeit eine gesicherte Rechtsgrundlage dafür bestünde, daß die Krankenkassen entsprechende Mittel bereitstellen. Nach dem Protokoll über das politische Spitzengespräch vom 14. Mai 1998, das Ihnen vorliegt, soll ja in dem Zweistufenprogramm zunächst eine Rechtsgrundlage für die Sofortfinanzierung realisiert werden. Bereits im Vorgriff auf die Schaffung einer entsprechenden Rechtsgrundlage - ich unterstelle, daß damit alle Zweifel beseitigt würden - könnten die zuständigen Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder dulden, daß entsprechende Mittel gezahlt werden, da sie ja im Rahmen ihrer Aufsichtsprüfung dem Opportunitätsprinzip unterliegen und einen Ermessensspielraum haben. Im Hinblick darauf, daß eine entsprechende gesetzliche Absicherung erfolgen würde, könnten sie eine bereits vorweggenommene Finanzierung dulden.

Was die übrigen in diesem Programm angesprochenen rechtlichen Regelungen angeht - verkürzt ausgedrückt: die Weiterbildungsproblematik und die Regelungen über die vertragsärztliche Versorgung -, obläge dies der Kompetenz des Bundesgesetzgebers, soweit es das SGB V betrifft, und der Landesgesetzgeber, soweit entsprechende gesetzliche Absicherungen der weiterbildungsrechtlichen Folgen dieses Programms vorgenommen werden müßten.

Dies würde voraussetzen, daß die Länder, die in diesem Falle ja die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit haben, demnächst oder im Anschluß an das Sofortfinanzierungsprogramm entsprechende Gesetzesinitiativen auf Länderebene ergreifen müßten, damit die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen werden, daß die Kammern ihrerseits in Ausschöpfung ihrer Befugnis, das Weiterbildungsrecht als Satzungsrecht zu gestalten, Folgerungen ziehen könnten.

Das ist gleichsam eine Stufenfolge von Gesetzgebung. Das wäre eine Aufgabe dieser Beteiligten. Wenn sich alle einig sind, könnte das so ablaufen.

Vielen Dank, Herr Präsident.

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Vielen Dank, Herr Schirmer, für diese Aufklärung in den Rechtsfragen. - Als nächster Redner bitte Herr Dietz, Bayern.

Dr. Dietz, Bayern:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich hatte voriges Jahr Bedenken, daß mit dem Vorbehaltsbeschluß IV-13 zu hoch gepokert wurde. Aber die große Mehrheit der deutschen Ärzteschaft hatte damals recht: Zahl und Finanzierung von Weiterbildungsstellen in der Allgemeinmedizin müssen gesichert sein, damit die Allgemeinmedizin, über die wir seit vielen, vielen Jahren ohne Erfolg diskutieren, wieder auf die Beine kommt.

Es gab und gibt eine Reihe von Wortmeldungen und Anträgen, die durch das Zerpflücken von Detailproblemen nur ein Ziel im Auge haben, nämlich die Verhinderung der Annahme des Antrags I-4. Beispielsweise wird behauptet, gewisse Maßnahmen wären systemfremd. Ich sage: Systemfremd mit dramatischen Auswirkungen für die gesamte Ärzteschaft und für unser Sozialwesen wird es, wenn weiterhin das Aussterben der Allgemeinmedizin riskiert wird. Der massive Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung ist nirgends erkennbar, denn der Fünfjahresbeschluß ist demokratischer Konsens der Ärzteschaft. Damit würden wir uns das Gesetz des Handelns und der Gestaltungsfreiheit erhalten. Anderenfalls droht eine Ersatzvornahme durch den Staat nach einem anderen, von uns nicht gewollten Zuschnitt. Ein ganz anderes Primärarztsystem wäre die Folge.

Die Zukunft der qualifizierten Allgemeinmedizin ist nicht eine bloße innerärztliche Weiterbildungsfrage, sondern eine Strukturfrage der medizinischen Versorgung. Deshalb wird es auch zu Recht unter Tagesordnungspunkt I behandelt. Das "Blaue Papier", das Grundsatzpapier der deutschen Ärzteschaft, hat das immer wieder klargestellt. Wir müssen endlich die Anreize und die besonderen Vorteile der Spezialisierung in der Medizin überwinden, indem wir durch eine qualifizierte Weiterbildung ein Gegengewicht schaffen, indem wir gleiche Chancen bei der Weiterbildung und der Berufsausübung wiederherstellen. Mehr als 1800 Internisten pro Jahr beim Differenzierungsbeschluß, darunter mehr als 750 Fachspezialisierungen, gegenüber 800 Allgemeinmedizinern mit dramatisch sinkender Tendenz - das bedeutet Systemveränderungen.

An uns wird von jungen Ärzten, die in ihrem Berufsleben die Allgemeinmedizin praktizieren wollen, vergeblich die Bitte herangetragen: Gebt uns bitte Stellen! Wir aber haben kein Geld dafür. Wie verantworten Sie es, Herr Montgomery, daß eine weitere Überproduktion von Spezialisten zur Entspezialisierung im Berufsalltag führt bzw. zur Arbeitslosigkeit? Wie verkaufen Sie es Ihren Mitgliedern, wenn jungen Ärzten 7000 gesicherte Stellen nicht zur Verfügung gestellt werden können?

Vielen Dank.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Dietz. - Als nächster Redner bitte Herr Kunze aus Bayern.

Prof. Dr. Kunze, Bayern:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bundesminister Seehofer hat gestern in seiner "fünften gesunden Wahrheit" gesagt: Ein freiheitliches Gesundheitssystem verträgt keinen Primärarzt und auch keine Ausweitung der Macht der Krankenkassen. Genau diese beiden Konditionen, die Bundesgesundheitsminister Seehofer gestern der Ärzteschaft vorgetragen hat, sind aber Teil dieses Initiativprogramms. Es geht der Politik darum, das Primärarztsystem einzuführen. Das will die Gesundheitsministerkonferenz. Den Krankenkassen geht es um die Macht, auf die Weiterbildung Einfluß zu nehmen.

Es ist ein Unterschied, ob man - wie der Präsident - sagt, daß dieser Deutsche Ärztetag zu entscheiden hat, ob der Konditionalbeschluß von Eisenach erfüllt ist, oder ob man sagen kann, mit dem Initiativprogramm geht man zu weit. Der Beschluß kann ja erfüllt sein hinsichtlich der Schaffung von Ausbildungsstellen für Allgemeinmediziner. Aber warum müssen denn diese ganzen strukturellen Fragen mit hinein? Das geschieht doch nur, weil Krankenkassen und die Gesundheitsministerkonferenz dies wollen. Daraus wird ein Junktim, und dieses Junktim muß endlich abgeschafft werden.

(Beifall)

Wir wollen eine qualitativ hochstehende fünfjährige allgemeinmedizinische Weiterbildung; sie muß gesichert werden. Da ist es sehr gut, wenn die Krankenkassen bei ihrer Zusage bleiben, die entsprechenden Mittel bereitzustellen. Wir wollen aber nicht, daß die Krankenkassen Geld bereitstellen und wir dadurch 7000 arbeitslose Allgemeinärzte produzieren, die sich nicht niederlassen können. Das Junktim muß lauten: Wenn wir gut qualifizierte Weiterbildungsstellen für Allgemeinärzte schaffen, dann müssen sich die Allgemeinärzte hinterher auch niederlassen können. Also muß die Niederlassungssperre für Allgemeinärzte aufgehoben werden.

(Beifall)

Deswegen gehören die strukturellen Systemveränderungen herausgenommen. Im Antrag 6 und im Antrag 8 ist dies eindeutig klargestellt.

Bundesgesundheitsminister Seehofer hat gestern auch betont: Die Zitrone des Sparens ist ausgequetscht. Da frage ich mich, wieso die Krankenkassen willens und in der Lage sind, bis zu 1 Milliarde DM sozusagen als Stillegungsprämien zu zahlen, damit sich künftige Allgemeinärzte nicht niederlassen können. Diese Frage muß beantwortet werden. Diese Frage stellt der Antrag 7. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Antrag. Wenn der Ärztetag diesem Antrag nicht zustimmte, wäre das eine Katastrophe.

Vielen Dank.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Als nächste Rednerin bitte Frau Auerswald vom Vorstand.

Dr. Auerswald, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sicherlich unverdächtig, weil ich weder dem BDA noch dem Marburger Bund angehöre. Ich bitte Sie, dem Antrag I-4 des Vorstands zuzustimmen. Seit fünf Jahren diskutieren wir über die fünfjährige Weiterbildung in Allgemeinmedizin. Sie haben selber beschlossen, dies ins "Blaue Papier" aufzunehmen. Dort steht unter Punkt 8.3:

In erster Linie ist der Allgemeinarzt auf die Funktion des Hausarztes vorbereitet, weil er in umfassender Weise die gesundheitliche Betreuung des einzelnen und der Familie übernehmen kann. Sie beschließen die fünfjährige Weiterbildung, Sie beschließen in Eisenach die Inhalte der fünfjährigen Weiterbildung und sagen, es soll nun finanziert werden. Wir haben selber darum gebeten. Jetzt wird finanziert, aber wir erklären: Nein, so wollen wir das auch nicht.

Wie mag die Politik mit einer Ärzteschaft umgehen, die mit der Allgemeinmedizin so rumeiert?

(Beifall)

Das Ganze wird auch nicht dadurch besser, daß Herr Kossow auf dem Hausärztetag den Primärarzt fordert. Wir haben die fünfjährige Weiterbildung in der Allgemeinmedizin gefordert. In Bremen haben wir Gespräche mit allen Krankenhäusern geführt. Alle Krankenhäuser im Lande Bremen haben zugesagt, sich daran zu beteiligen, wenn sie finanziell unterstützt werden. Das bedeutet aber doch nicht, daß der angestellte Arzt nur 2000 DM bekommt, sondern er wird nach BAT angestellt.

Ich glaube, wir suchen nach allen Möglichkeiten, um die fünfjährige Weiterbildung in der Allgemeinmedizin nicht umzusetzen. So kommt es mir jedenfalls vor.

Vielen Dank.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Jetzt liegt ein Geschäftsordnungsantrag von Herrn Sause auf Schluß der Debatte vor. Wollen Sie es begründen, Herr Sause? - Bitte.

Dr. Sause, Niedersachsen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht darum, entsprechend dem Konditionalbeschluß von Eisenach zuzustimmen oder nicht. Die Argumente wiederholen sich, die Thematik ist immer dieselbe, es läuft alles in gleichen Bahnen. Ich bitte Sie, die Debatte zu beenden und zur Abstimmung zu kommen. Dann können wir alles klären.

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Wünscht jemand dagegen zu sprechen? - Bitte, Herr Lummert, Niedersachsen.

Dr. Lummert, Niedersachsen:

Ich möchte mich gegen den Antrag auf Schluß der Debatte aussprechen, weil ich der Auffassung bin, daß noch nicht alle Aspekte dieses wichtigen Themas erörtert worden sind.

(Beifall)

Bisher wurden auch nur recht viele einseitige Meinungen vorgetragen. Ich fürchte, es entstehen Vermutungen und Gerüchte, wenn nicht alle ihre Meinung vortragen konnten.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Lummert. - Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag von Herrn Sause auf Schluß der Debatte. Wer diesem Antrag zu folgen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Letzteres ist die große Mehrheit. Dann debattieren wir weiter.

Nunmehr hat Herr Lummert das Wort in der Sache. Bitte.

Dr. Lummert, Niedersachsen:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist unbestritten, daß die hausärztliche Versorgung, die Grundversorgung der Bevölkerung, in wenigen Jahren nicht mehr gesichert ist. Die Zahlen von Herrn Montgomery sind nicht relevant. Wer sich ein objektives Bild verschaffen will - Herr Montomery hat ja von Niederlassungen gesprochen -, kann sich bei Herrn Kollegen Thust in der Statistischen Abteilung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung objektiv informieren. Auch ein Wappen der Bundesärztekammer macht falsche Zahlen nicht richtig.

Ich werde mich hüten, selbst Zahlen zu nennen, um so einen Nebenkriegsschauplatz zu eröffnen. Wir sollten uns um das Problem selbst kümmern. Noch nicht einmal vor einer Stunde haben viele Allgemeinärzte dem Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer zugestimmt, neue Kooperationsformen zwischen Krankenhaus und ambulanter Versorgung zu suchen. Herr Montgomery, mit diesen Formulierungen kann man durchaus politische Strukturveränderungen vornehmen. Aber wir haben das im Vertrauen auf den Vorstand der Bundesärztekammer getan. Sie haben sich hier vor wenigen Jahren als Fackelträger der arbeitslosen Ärzte profilieren wollen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn wir diesen Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer ablehnen, werden die Hoffnungen mancher jungen Kolleginnen und Kollegen, doch noch einen Arbeitsplatz zu finden, zerstört. Ich weiß aus Diskussionen mit Studenten, daß sie bei einer Besserstellung der allgemeinmedizinischen Weiterbildung wieder positive Perspektiven haben werden. Viele von ihnen studieren mit der frustrierenden Erkenntnis, zwar eine Berufsausbildung zu haben, aber keinen Arbeitsplatz zu finden.

Herr Montomgery, Ihre Fackel verlöscht. Die Hoffnungen richten sich auf diejenigen, die dieses Initiativprogramm befürworten. Wenn Sie nicht dem Vorbild Ihres Kollegen Crusius folgen und dazu beitragen, die Grundversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, werden andere dies tun müssen. Das würde ich sehr bedauern.

Vielen Dank.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Lummert. - Als nächster Redner bitte Herr Kuni, Hessen.

Prof. Dr. Kuni, Hessen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Gitter hat vorhin die Meinung geäußert, sie zweifle an der Glaubwürdigkeit des von der Gesundheitsministerkonferenz vorgelegten Initiativprogramms. Diesen Eindruck teile ich. Ich habe auch bei dieser ganzen Debatte ein ungutes Gefühl. Wir von der Landesärztekammer Hessen wissen, um was es geht. Wir kennen die Gratwanderung, durch strukturelle Eingriffe in die Weiterbildungsordnung bessere Voraussetzungen für eine Weiterbildung in der Allgemeinmedizin zu schaffen. Wir sehen sehr wohl, daß hier Freiheitsgrade im Hinblick auf die Berufsausübung tangiert werden.

Wenn ich bedenke, daß man uns in Hessen im Hinblick auf unsere Versuche zur Verbesserung der Situation seitens der anderen Landesärztekammern hat im Regen stehen lassen, dann frage ich mich: Woher nehmen Sie den Mut, einem Initiativprogramm zuzustimmen, das über das, was wir in Hessen zaghaft versucht haben, weit hinausgeht, was die Eingriffe in die Freiheit der ärztlichen Berufsausübung angeht? Ich kann nur zu höchster Wachsamkeit und Vorsicht raten. Sie sollten sich die Vor- und Nachteile unserer Versuche in Hessen noch einmal vor Augen führen und überlegen, ob Sie uns folgen können, so daß wir gemeinsam etwas versuchen könnten.

So, wie es im Papier der Gesundheitsministerkonferenz konzipiert ist, kann es nicht funktionieren. Davor kann einem nur grauen. Das Papier ist auch als Notprogramm stilisiert worden. Ich muß fragen: Worin liegt denn die Not? Liegt sie darin, daß Patientinnen und Patienten kopfschüttelnd nach Hause kommen, weil ihr Allgemeinarzt, mit dem sie sehr zufrieden sind, wegen einer starren Altersgrenze in die Wüste geschickt wurde? Besteht die Not darin, daß es viele Patientinnen und Patienten gibt, die mit ihrer allgemeinärztlichen Versorgung sehr zufrieden sind, aber nur noch nicht darüber aufgeklärt sind, daß derjenige, der sie so gut hausärztlich versorgt, ein hervorragender Internist ist, kein Allgemeinmediziner? Besteht die Not darin, daß ein in der Allgemeinmedizin gut weitergebildeter Arzt es gar nicht schafft, sich niederzulassen, weil er nicht das Geld hat, die Summe, welche die Krankenkasse für die Stillegung auslobt, zu übertrumpfen?

Für mich trieft das ganze Papier von Krokodilstränen. Für mich hat das Ganze einen starken Anstrich der Lüge, daß tiefgreifende Eingriffe in unsere Struktur geplant sind, die sich hinter diesem Papier verstecken.

Danke schön.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Als nächster Redner bitte Herr Weigeldt, Bremen.

Weigeldt, Bremen:

Herr Professor Kuni, ich danke Ihnen für diese Steilvorlage. Sie haben gesagt, Sie hätten zögerlich und zaghaft etwas versucht. Jetzt hätte man womöglich noch Mut, ein neues Konzept zu realisieren, womöglich etwas weiterreichend, womöglich mit gewissen Risiken behaftet. Das ist ja grauenhaft, wenn wir etwas machen wollen, was risikobehaftet ist!

Entweder setzen wir den Konditionalbeschluß um und treffen eine Entscheidung zugunsten des Initiativprogramms, oder es geschieht nichts. Diese Bedenkenträgerei, diese kleinen Änderungen, stellen doch nur den Versuch dar, die fünfjährige Weiterbildung in der Allgemeinmedizin, die vielen nicht gefällt, zu kippen.

(Beifall)

Das deutlichste Indiz dafür haben Sie, Herr Flenker, geliefert, als Sie sich darüber wunderten, daß dieses Initiativprogramm nicht im Zusammenhang mit der Weiterbildung diskutiert wird, sondern im Zusammenhang mit der Gesundheitspolitik.

Die Krokodilstränen, die mein Vorredner vergossen hat - er hat es in einer Art Fehlleistung zum Schluß seiner Rede selbst zugegeben -, sehen wir auch bei Herrn Montgomery. Ich denke, solche Roßtäuschertricks haben Sie gar nicht nötig. Welche Fachgruppe im ärztlichen Bereich hat denn über 35 Prozent freie Bezirke zur Niederlassung? Es geht nicht darum, daß sich die Allgemeinmediziner nicht niederlassen können. Das ist doch nicht das Problem. Fragen Sie in den Ländern, wie schwer es inzwischen ist, freiwerdende Plätze zu besetzen.

(Beifall)

Hier geht es um kleinkarierte und zum Teil persönlich motivierte Machtinteressen.

(Beifall)

Die Fadenscheinigkeit der Argumente kann nur diejenigen täuschen, die verblendet die Fans bestimmter Personen sind, die hier gefördert werden. Ich bin als Ärztetagsdelegierter nicht bereit, eine Entscheidung mitzutragen, daß die Chancen für junge Kolleginnen und Kollegen solchen Machtinteressen geopfert werden!

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Weigeldt. - Als nächster Redner bitte Herr Hoppe.

Prof. Dr. Hoppe, Vizepräsident:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Grundlage der heutigen Diskussion ist, daß wir auf dem vorjährigen Deutschen Ärztetag in Eisenach gegenüber der Öffentlichkeit, dem Staat und den Krankenkassen signalisiert und konstatiert haben, daß wir einen Beschluß zur Realisierung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin gefaßt haben, den wir aus eigener Kraft nicht umsetzen können. Das haben wir beschlossen. Deswegen haben wir diese Partner gerufen. Diese Partner haben den Ruf vernommen und angenommen.

Die Befürchtungen, die in Eisenach bei Gesprächen in der Lobby geäußert wurden, das Problem werde sich dadurch von selbst erledigen, daß die Krankenkassen niemals bereit seien, auch nur einen einzigen Pfennig für diesen Zweck auszugeben, sind heute nicht mehr vorhanden. Das Unglaubliche ist geschehen, daß die gesetzlichen Krankenkassen dazu doch bereit sind. Das ist ein Novum.

(Beifall)

Dafür sollten wir den Herren von Stackelberg, Rebscher, Straub und Schulte-Sasse danken, die mitgeholfen haben, daß diese Entscheidung getroffen wurde.

(Beifall)

Wir haben mit diesem Beschluß auch herausgefordert, daß planerische Elemente realisiert werden müssen. Es wäre uns selbst gegenüber absolut unglaubwürdig, wenn wir erklären würden: Das wollen wir jetzt nicht. Wir haben es doch provoziert. Abteilungen für Allgemeinmedizin in den Krankenhäusern gibt es nicht, also müssen sie irgendwie virtuell geschaffen werden. Das ist hiermit geplant. Der Begriff "geplant" gefällt mir nicht, ist aber nicht zu ändern.

Natürlich haben die Krankenkassen den Wunsch, daß das Geld, das sie für einen bestimmten Zweck ausgeben, auch so eingesetzt wird, daß das Ziel erreicht wird, das man sich gemeinsam gesetzt hat. Deswegen ist das Papier etwas komplizierter und enthält mehrere Implikationen. Sie gehören dazu.

Eine Nichtannahme dieses Papiers würde bedeuten, daß wir uns von den 1996 und 1997 gefaßten Beschlüssen zur Allgemeinmedizin zurückziehen und auf den Stand von 1979/80 zurückfallen. Natürlich können wir auch das beschließen.

Die von Ihnen, Herr Kunze, und anderen geäußerten Besorgnisse könnten dadurch ausgeräumt werden, daß der kluge Antrag 4 b von Herrn Dr. Holfelder angenommen wird. Ich habe mit den Herren der Krankenkassen gesprochen. Sie würden das akzeptieren und nicht als ein Hindernis empfinden. Dadurch könnten die Strukturverwerfungen und die Ängste aus dem Weg geräumt werden. Ich glaube, so könnten wir zu einem guten Ziel gelangen.

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Vielen Dank, Herr Hoppe. - Als nächster Redner bitte Herr Henke vom Vorstand.

Henke, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Hier war die Rede von Roßtäuschertricks, von persönlich motivierten Machtinteressen, vom Trojanischen Pferd, von fehlender Glaubwürdigkeit. Ich glaube, das alles ist eine Sprache, die uns nicht weiterhilft. Das sind alles Unterstellungen, die ich zurückweise. Für jeden, der sich an dieser Diskussion beteiligt, muß der Vertrauensvorschuß gelten, daß er sich um die bestmögliche Lösung dieses schwierigen Problems bemüht. Es kann nicht Grundlage unserer Debatte sein, dies aus dem Auge zu verlieren.

(Zustimmung)

Deswegen bitte ich darum, sich im Fortgang der Diskussion nicht mehr auf so etwas zu beziehen.

Eben wurde gesagt: Alle diese Anträge sind kleinklein. Ich glaube, der Beitrag von Herrn Professor Hoppe mit dem Hinweis auf den Antrag 4 b von Herrn Dr. Holfelder zeigt genau, daß es nicht um kleinklein geht. Die beiden Aussagen, die dort getroffen werden, greifen gerade die Befürchtungen auf, die der Marburger Bund vorträgt, greifen gerade die Befürchtungen auf, die wir aus der Lektüre des Initiativprogramms ableiten: strukturelle Veränderungen, die das Recht der Ärztekammern auf Regelungen der ärztlichen Weiterbildung beschneiden, strukturelle Veränderungen, die einen Einstieg in das Primärarztsystem bedeuten. Diese Kritik üben wir. Sie aufzugreifen ist nicht kleinklein.

Es wäre alles ein Stück leichter - das sage ich jetzt sehr subjektiv und sehr persönlich -, wenn wir wüßten, daß nach dem 27. September dieses Jahres der dann amtierende Gesundheitsminister dieselbe Aussage träfe wie derjenige, der gestern bei uns gesprochen hat. Wüßte ich das, wäre ich ein Stück zufriedener. Diese Aussage möchte ich allerdings auch nur auf dieses Thema beziehen.

Das Kernproblem ist, daß wir dies nicht wissen. Deswegen muß von diesem Ärztetag das unmißverständliche Signal ausgehen, daß das Primärarztsystem nicht abgesegnet wird und daß die strukturellen Eingriffe in die Weiterbildung nicht abgesegnet werden. Wir können uns vorstellen, daß in Zukunft die Reden des Gesundheitsministers von derselben Person geschrieben werden - viele von uns werden das verhindern wollen -, die gestern Herrn Horstmann hier vertreten hat.

(Beifall)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Es gibt jetzt einen Antrag zur Geschäftsordnung von Herrn Schüller aus Nordrhein. Bitte.

Dr. Schüller, Nordrhein:

Ich denke, beide Seiten sind ausführlich dargestellt und erörtert worden. Herr Professor Hoppe hat mit der Äußerung, daß der Antrag 4 b kein Hindernis darstellen würde, eine erhebliche Befriedung in die Debatte gebracht. Deswegen möchte ich den Antrag auf Schluß der Debatte stellen.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Herr Lob zur Gegenrede. Bitte.

Prof. Dr. Lob, Bayern:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier geht es um ein wichtiges Thema. Wir spüren, daß wir uns aufeinander zubewegen, daß es Möglichkeiten gibt, daß es unter bestimmten Regelungen für dieses Programm einen Konsens geben könnte. Es ist ganz falsch, jetzt die Debatte abzubrechen. Ich bitte Sie, stimmen Sie dem Antrag nicht zu.

(Zustimmung)

Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Danke. - Wir kommen zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag auf Schluß der Debatte. Wer wünscht Schluß der Debatte? - Wer ist dagegen? - Letzteres ist die Mehrheit. Wir setzen also die Debatte fort.

Jetzt unterbrechen wir zunächst einmal für die Mittagspause. Das dient vielleicht auch dazu, daß wir uns lieber ins Essen verbeißen als ineinander. Möglicherweise dient die Mittagspause auch der Klärung.

Wir setzen die Sitzung um 14.30 Uhr fort.