Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Vielen Dank, Herr Dr. Giesen, für dieses von sehr viel Verständnis für das Erleben und den ärztlichen Alltag geprägte Referat. Ich möchte mir wünschen, daß sich alle Juristen und alle Datenschützer Ihre Gedanken zu eigen machen. Dann wären wir sehr viel weiter.

(Beifall)

Wir werden nachher noch Gelegenheit haben, das in der Diskussion zu vertiefen. Nochmals vielen Dank.

Als nächster hat nun Herr Dr. Frank Ulrich Montgomery das Wort zu seinem Referat. Bitte schön.

 
Dr. Montgomery, Referent:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was hat der Arzt hier oben zu suchen? Ich will versuchen, jetzt einzuordnen, was uns Herr Professor van
Eimeren an Möglichkeiten der Telematik für die moderne Medizin dargestellt hat und was Herr Giesen an Problemen und datenschutzrechtlichen Fragen hinsichtlich der Möglichkeit der berufsrechtlichen Umsetzungen und der Konsequenzen für ein selbstverwaltetes Gesundheitswesen erläutert hat.

Dazu muß man eine Eingangsbemerkung machen. Wir verfügen in Deutschland nach wie vor über eines der besten Gesundheitswesen dieser Welt. Nirgendwo sonst auf der Welt bekommen die Menschen notwendige Leistungen so umfassend ohne Ansehen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihres Geschlechts oder ihres Reichtums. Darum beneiden uns viele Länder auf der Welt.

Kritiker an unserem Gesundheitswesen beklagen dennoch bei vielen Leistungen eher ein Zuviel denn ein Zuwenig. Und doch: Es gibt Felder in der Medizin, in denen Deutschland noch fast ein Entwicklungsland ist. So Ulf Fink, CDU-MdB, vielen von Ihnen bekannt, auch als früherer Berliner Sozialsenator. Eines dieser Felder soll die Telematik sein. Es handelt sich hier im weitesten Sinne um die medizinischen Anwendungsbereiche von Telekommunikation und Informatik. Die Aufwendungen für Informatik im Gesundheitswesen sind in der Bundesrepublik noch nicht einmal halb so groß wie in den USA; sie betragen bei uns nur etwa 1 Prozent der gesamten Ausgaben des Gesundheitswesens.

Betrachtet man die Tatsachen und berücksichtigt dabei auch, daß es sicher große nationale Unterschiede in den Anforderungen an und Bedürfnissen für die Telemedizin gibt, so stellt man fest, daß in Deutschland oder gar bei deutschen Ärzten beileibe nicht Technikfeindlichkeit eine Ursache dieses Rückstands ist. Es sind vielmehr die typisch deutschen Phänomene eines föderal organisierten Gesundheitswesens, das noch dazu sektoral gegliedert ist.

Es ist dies auch das Ergebnis der gegliederten, oft dual angelegten Finanzierungsstruktur, bei der es groteskerweise vorkommt, daß der Geldgeber für eine Maßnahme am Ergebnis überhaupt nicht profitiert, vielmehr andere damit subventioniert. Als Beispiel sei hier die Investition im Krankenhaus erwähnt, die aus staatlichen Mitteln erfolgen soll, während die Krankenkassen davon profitieren. Weder der Investor - der Staat - noch der Ausführende - der Arzt im Krankenhaus - haben einen wirtschaftlichen Nutzen. Im Gegenteil, sie müssen erwarten, daß ihnen die Einsparungen bei den nächsten Budgetverhandlungen von den Kassen wieder abgenommen werden.

Es ist dies aber auch die besondere deutsche Ausprägung des Datenschutzes. Hierbei geht es nicht nur um die Sicherheit von Daten vor unberechtigter Einsichtnahme, hier geht es auch um Authentizität, Komplettheit und Originalität von Daten, und zwar der Daten von Patient und Arzt. Damit nun niemand auf die irrige Idee kommt, ich sei ein Gegner eines hohen Datenschutzniveaus, will ich gleich zu Beginn meiner Ausführungen sagen: Genau das Gegenteil ist der Fall. Ein hohes Schutzniveau für die Daten der Patienten ist erforderlich, denn ein hoher Patientenschutz ist zugleich der beste Arztschutz, den es überhaupt geben kann. Wenn wir sicher sind, daß die Daten des Patienten sicher und geschützt sind, dann sind auch wir sicher, daß wir in unserer rechtlichen Rolle als Arzt abgesichert und geschützt sind.

In der Bundesrepublik haben sich bisher durch einzelne Aktivitäten und Förderungen eine Vielzahl von Einzellösungen entwickelt, haben sich Ärzte und Krankenhäuser, Krankenkassen, Städte, Regionen engagiert. Wir stehen heute vor einem Archipel intelligenter Insellösungen. Unsere Aufgabe muß es sein, aus diesen vielen Inseln einen Kontinent zu machen. Wir müssen die organisatorischen, rechtlichen und technischen Voraussetzungen für eine gemeinsame Telematikstruktur aufbauen. Wer könnte das besser auf den Weg bringen als die ärztliche Selbstverwaltung? Herr Giesen, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie das so betont haben.

Das Beratungshaus Roland Berger hat im Auftrag von Bundesgesundheitsministerium und Forschungsministerium in seinem lesenswerten Bericht "Telematik im Gesundheitswesen" vom Februar dieses Jahres die Schaffung einer gemeinsamen Telematikplattform der Selbstverwaltungen im Gesundheitswesen gefordert. Diese wird definiert als die Summe aller Infrastruktur-
elemente, die erforderlich sind, um eine sichere Kommunikation unter den Beteiligten am Gesundheitswesen zu ermöglichen. Wir brauchen also von der Festlegung rechtlicher Normen durch die Gesetzgeber und die Partner der Selbstverwaltung bis hin zu einer Definition technischer Standards und einer Beschreibung organisationstechnischer Abläufe ein gemeinsam erarbeitetes Konzept. Diese Forderung ist uneingeschränkt zu unterstreichen.

Diese Technik erfordert aber eine sichere Infrastruktur. Die Tatsache, daß wir Ihnen heute solche Ansätze einer sicheren Infrastruktur in Form einer von Bundesärztekammer und KBV angedachten Struktur eines Gesundheitsnetzes vorlegen, ist ein großer Fortschritt. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich Herrn Dr. Kloiber und Herrn Professor Fuchs dafür danken, daß sie für uns bei der Bundesärztekammer diese schwierige Aufgabe übernommen haben und versuchen, dies auf den Weg zu bringen. Ich glaube, ihnen gebührt dafür Applaus.

(Beifall)
 
Ob die Selbstverwaltung der Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen ein solches "Intranet" - wie von uns ja intendiert - wird aufbauen können, beschäftigt zur Zeit die Gerichte. Es bleibt abzuwarten, ob die Interessen Dritter die Oberhand über die Anliegen der Ärzteschaft, ein sicheres Netz zu etablieren, gewinnen werden. Es erschreckt aber schon sehr, wenn man sieht, wie rein materiell orientierte Anbieter hier der Selbstverwaltung unter Verweis auf das Wettbewerbsrecht Knüppel zwischen die Beine werfen können.

(Zustimmung)

Hier wird inzwischen das Gewinninteresse einiger Anbieter, die nur Geld verdienen wollen, über die von uns erkannte Regelungsnotwendigkeit der Selbstverwaltung gestellt, die angetreten ist, einen optimalen Schutz für die Patienten und damit auch für die Ärzte aufzubauen.

Dabei drängt die Zeit: Neben den ökonomischen Mitbewerbern beginnt auch die internationale Gesundheitsbürokratie sich dieser Fragen anzunehmen und dort dankbare Betätigungsfelder für sich zu entdecken. So formulierte der scheidende Generaldirektor der WHO, Dr. Nakajima, unlängst, daß die WHO nunmehr auch Konsequenzen aus der Möglichkeit einer schnellen Entwicklung moderner Kommunikationstechnologien ziehen wolle, und er forderte als Konsequenz,

daß die Initiative zur Anwendung jetzt von denen kommen muß, die verantwortlich für die Gesundheit ihrer Nation sind, und nicht mehr von den Anbietern der Technologien.

Es wird also Zeit für uns, staatlichem Eingriff vorzubeugen, indem wir die besseren Lösungen liefern!

Angesichts dieser äußeren Einflüsse, die auf uns einwirken - Wettbewerbs-interesse auf der einen, staatliche Intervention auf der anderen Seite -, kann es keine Alternative zu einem verstärkten Engagement der Selbstverwaltung in der Telematik geben. Wir müssen die Netze aufbauen, wir müssen die Standards zumindest mit definieren, wir müssen versuchen, die Plausibilität und Validität der telematischen Daten und Verfahren zu prüfen oder deren Prüfvorgänge mindestens zu zertifizieren.

Worum geht es dabei im einzelnen? Vier Felder der Telematik in der Medizin oder der Telemedizin sind von vitalem Interesse für uns: erstens die Administration der Datenflut im Gesundheitswesen und die Abwicklung der Kommunikation untereinander; zweitens die Möglichkeiten der Information von Patienten und Ärzten, der Fortbildung und Weiterbildung sowie der Qualitätssicherung; drittens die Chance, ärztlichen Sachverstand unabhängig von Entfernungen zu medizinischen Fragen heranzuziehen - wie beispielsweise in der Teleradiologie und der Telepathologie -; viertens die eigentlichen telemedizinischen Anwendungen, also jene von der Presse immer so gerne ins Zentrum der Telemedizin gerückten Anwendungsbeispiele nach dem Motto: "Chirurg in Kyritz an der Knatter operiert Blinddarm in Alaska."

Gerade letztere spielen in meinen Augen die geringste Rolle in der näheren Zukunft der Telemedizin. Dieses "Wetterleuchten" der Telemedizin hat etwa die Funktion des Automobilrennsports für die Massenproduktion von Kleinwagen. Man experimentiert mit Prinzipien und neuen Technologien und gewinnt dabei möglicherweise sinnvolle Erkenntnisse für die Zukunft. Dennoch wird der Alltag der Medizin nicht von den Umgebungsbedingungen dieser "chirurgischen Großtaten" geprägt werden. Niemand, der intelligent ist, käme schließlich auf die Idee, seinen Mercedes der A-Klasse so in die Kurve zu legen wie einen Mercedes-Silberpfeil.

Übertragen auf unser Chirurgenmodell, liegt der Vorteil einer solchen telemedizinischen Anwendung weniger in der Überwindung der Distanz von Kyritz an der Knatter nach Alaska. Er liegt vielmehr in dem Versuch, durch die Anwendung intelligenter Manipulationsinstrumente präziser und weniger artefaktreich im mikrochirurgischen Bereich zu operieren. Es macht also Sinn, den Operateur direkt neben dem OP oder sogar im OP an einem realen oder virtuellen Modell die Operation vollbringen zu lassen und damit schonender, exakter und besser zu operieren. Solche Versuche gibt es schon, zum Beispiel in Karlsruhe, aber auch die mikrochirurgischen Trainingszentren einiger großen Firmen - ich denke beispielsweise an das European Surgical Institute in Norderstedt - praktizieren ähnliches für Trainingszwecke. Dennoch, meine Damen und Herren: Akute Handlungsnotwendigkeiten oder Regelungszwänge für die ärztliche Selbstverwaltung kann ich momentan - schon der zahlenmäßig geringen Anwendungsmöglichkeiten dieser Techniken wegen - nicht erkennen.

Sollten diese jedoch in ferner Zukunft einmal größere Relevanz erlangen, stellen sich eine Reihe von Fragen, auf die natürlich die Selbstverwaltung die Antworten finden muß, also wir. Dies sind die Fragen nach der Abgrenzung der medizinischen und nicht medizinischen Fächer. Was ist von dem, was dort geschieht, eigentlich "Arztkunst" und was eher "Ingenieursleistung"? Was passiert, wenn die Maschine versagt? Wer macht weiter, wenn der Strom ausfällt?

Da kann man aus heutiger Sicht nur sagen: Ein traditionell kompetenter Arzt muß sicher direkt neben dem Patienten stehen, um dort weiterzumachen, wo Technik und Maschine an ihre heute sicher noch vorhandenen Grenzen kommen.

Kommen wir zu einem anderen Feld: der Heranziehung medizinischen Expertenwissens durch Bildübertragung über größere Entfernungen. Zwei Beispiele: die Teleradiologie und die Telepathologie.

Bei der Teleradiologie wird ein am Ort A erzeugtes Bild einem Experten am Ort B zugeleitet mit der Bitte um Beurteilung. Ein klassisches Beispiel wäre die Übermittlung eines CCT aus der radiologischen Abteilung einer Unfallklinik an einen Neurochirurgen. Hier ist die ärztliche Leistung bei der Erzeugung des Bildes durch die Verantwortung des Radiologen ausreichend standardisiert und überwacht. Probleme bestehen jedoch bei der Definition der Standards und bei der Übertragungsqualität.

Der technische Standard wie beispielsweise DICOM, wie er heute schon feststeht, muß bei Philips genauso aussehen wie bei Siemens. Die Kompatibilität und Vergleichbarkeit muß gewährleistet sein, eine Kooperation verschiedener Systeme muß möglich sein. Wenn es uns nicht gelingt, diesen gleichen Standard bei allen Produkten herzustellen, können wir uns von vornherein alle Gedanken an eine Vernetzung von Praxen untereinander und auch wiederum mit Krankenhäusern abschminken.

(Beifall)

Es darf nicht zu einer Angelegenheit von Markt, Wettbewerb und Industrie allein werden, solche Systemstandards zu definieren. Es ist auch unsere Aufgabe, der Industrie dieses klarzumachen.

Ähnlich ist es bei der Übertragungsqualität der Bilder. Vereinfacht gesagt: Der Neurochirurg am Ort B muß sicher sein können, alle Informationen übermittelt bekommen zu haben - ein Problem, das sich heute noch nicht mit hinreichender Geschwindigkeit auf dem Niveau von Telefon- oder ISDN-Leitungen lösen läßt. Auch hier ist die ärztliche Selbstverwaltung gefordert, im Interesse der Qualitätssicherung der Berufsausübung Standards und Mindestanforderungen wiederum gemeinsam mit der Industrie zu definieren - zum Schutz der Patienten, aber damit auch zum Schutz der Ärzte. Das kann man nicht der Industrie allein überlassen.

Ein etwas anders gelagertes Problem ergibt sich aus der Telepathologie. Da soll beispielsweise ein Schnellschnittpräparat aus einem Krankenhaus ohne Pathologen in eine Praxis oder Abteilung für Pathologie übermittelt werden, um dort die Entscheidung zur Radikalität des Eingriffs mitzubestimmen. Die technische Übertragungsqualität der Bilder ist hier weniger problematisch, da der Bildinhalt - technisch bedingt - weniger umfangreich ist. Das Problem aber ist die Aufbereitung des Präparats. Nach der Berufsordnung geschieht dies bisher durch einen Pathologen. Er entscheidet - nach Konsultation des Chirurgen -, wo und wie er seinen Schnellschnitt durch das Biopsat legt. Er trägt auch die Verantwortung dafür. So zumindest sieht es die Berufsordnung vor.

Anders aber im telepathologischen Modell. Hier soll jemand anderes - ein OP-Pfleger, eine angelernte Hilfskraft, ein Chirurg? - das Präparat vorbereiten, der Pathologe sieht nur das Ergebnis, ist sozusagen am ersten Schnitt und Schritt gar nicht beteiligt. Hier haben viele Pathologen erhebliche fachliche Bedenken angemeldet - und ich glaube: sogar zu Recht. Die Selbstverwaltung muß hier also Regelungen definieren, muß sicher in dem einen oder anderen Fall auch mit überdenken, ob das traditionelle System der Beschreibung von Fachgrenzen nicht vielleicht dynamischer überprüft und durchaus auch einmal angepaßt werden muß.

Das ist, wie Sie alle wissen, oft nicht einfach. Unsere Debatten über Weiterbildungsordnung und Berufsordnung legen oftmals Zeugnis von der Komplexität dieser Fragen schon in der traditionellen Medizin ab. Das alles wird in der Welt der Telemedizin noch um einiges dynamischer und mit höherem Entscheidungsdruck erfolgen müssen. Das muß übrigens auch unter haftungsrechtlichen Aspekten geschehen: An wen hält sich der Patient denn in dem Fall, daß eine Fehlentscheidung diskutiert wird? An den Pathologen? An den OP-Pfleger, der das Präparat aufbereitet hat, oder an den Chirurgen?

Noch komplizierter wird dieser Fall, wenn grenzüberschreitend gearbeitet wird. Das ist keine Zukunftsmusik, meine Damen und Herren. Derartige Anträge gibt es bereits. Schon vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem letzten Monat haben sich clevere Ärzte überlegt, europaweit tätig zu werden. Und der Gesetzgeber in Brüssel hat auch schon ein Auge auf diese Thematik geworfen. In einem Projekt mit dem schönen Namen "Ten Telemed" läßt die EU-Kommission prüfen, welche Rückschlüsse auf ihre Rechtssetzung sich aus der Telemedizin ziehen lassen.

Meine Prognose ist: Brüssel wird sich am rechtlichen Normungsprozeß beteiligen wollen - und das sicher weniger unter Berücksichtigung unserer Selbstverwaltungsaspekte, sondern sehr viel mehr unter den Aspekten von Wettbewerb und Markt.

Was aber wäre denn nun, wenn in unseren beiden Modellen der Radiologie und der Pathologie der begutachtende Kollege beispielsweise in Brüssel säße oder gar in Montevideo? In Belgien und in Uruguay gelten ganz andere gesetzliche Grundregeln für die ärztliche Berufsausübung und die Haftung gegenüber dem Patienten. Können Patient und deutscher Arzt überhaupt sicher sein, es auf der anderen Seite mit einem Arzt zu tun zu haben?

Ich will nicht verhehlen, daß gerade die Protagonisten solcher "zukunftsweisender", "modern imponierender" Projekte die Regelungen des deutschen Berufsrechts, die Befassung von Organen der Selbstverwaltung und die intensive Diskussion mit uns oftmals als störend und hinderlich, antiquiert und rückwärtsgewandt, eben fortschrittsfeindlich und unmodern empfinden. Fortschritt allein aber genügt nicht, es kommt auch auf die Richtung an.

(Zustimmung)

Hier müssen wir deswegen berufsrechtliche Regelungen finden, und ich bin sicher, es gibt sie und wir werden sie finden - wiederum im Interesse des Patientenschutzes, der ja - ich sagte es bereits - der beste Arztschutz überhaupt ist.

Wenden wir uns jetzt dem weiten Feld der Information von Patienten und Ärzten zu.

Wer heute ins Internet schaut - egal, ob Arzt oder Patient -, auf den stürmt eine wahre Flut von medizinischen Informationen ein. Al Gore, der amerikanische Vizepräsident, hält sich zugute, daß er die nationalen Bibliotheken für das Internet geöffnet hat. Ergebnis: Angeblich sollen in den USA inzwischen ein Drittel aller im Internet abgerufenen Daten mit Gesundheit zu tun haben. Stimmte diese Zahl, dann wäre das Internet längst zu einem modernen Vehikel nationaler Hypochondrie geworden - eine für mich erschreckende Vorstellung. Denn das Problem besteht ja weniger in der Zurverfügungstellung und technischen Erlangung der Information, es besteht in der Validität und Qualität der Daten und natürlich auch in der Verständlichkeit, dies vor allem für Laien.

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat das so formuliert:

Die Chancen der Telematik werden dann zu Risiken, wenn das so zur Verfügung stehende "Wissen" von zweifelhafter Qualität ist oder im Sinne der Leistungsausweitung im Versorgungsnetz medizinisch fehlgenutzt wird.

Jeder sich dazu berufen Fühlende kann heute in das Internet Leitlinien, Behandlungsmaximen, Therapievorschläge oder Theorien medizinischen Inhalts einstellen. Da sich ja durchaus auch sehr seriöse deutsche Fachgesellschaften an dieser informationellen Überflutung durch die Veröffentlichung von Leitlinien im Internet beteiligen, besteht längst das Problem der Validität und Authentizität solcher Behandlungskonzepte.

(Zustimmung)

Wie soll ein Arzt in der Praxis oder im Krankenhaus, geschweige denn ein Laie dieses beurteilen können? Wie aber verhält sich der Arzt, wenn ihm sein Patient den vermeintlich neuesten, besten Behandlungsplan aus dem Internet präsentiert und der Arzt weder die Chance noch die Möglichkeit hat, diesen sachlich zu beurteilen?

Hier müssen wir - wie in der Qualitätssicherung - zu abgestimmten Validisierungs- und Zertifizierungskonzepten kommen. Hier muß die Selbstverwaltung auch deswegen handeln, weil das Internet ja nun einmal auch Anwälten und Richtern offensteht. Wir werden sicher früher oder später mit dem Fall konfrontiert werden, daß haftungsrechtliche Ansprüche gegenüber einem Arzt auch mit seinen Informationsmöglichkeiten über elektronische Medien begründet werden. Deswegen muß die Selbstverwaltung hier Regeln aufstellen, müssen Möglichkeiten geschaffen werden, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Wir werden schließlich das Internet oder andere, ähnliche Netze auch verstärkt für die eigene Fortbildung nutzbar machen müssen. War der Ferienkongreß der Bundesärztekammer früher das geeignete Mittel der Fortbildung, so ist es heute wahrscheinlich das Internet. Und auch in der Weiterbildung kann man viele Wissensinhalte vermitteln. Das sind Dinge, die wir bei einer Neudiskussion der Weiterbildungsordnung, die wir ja morgen beginnen wollen, nicht außer acht lassen dürfen.

Das entscheidende Feld der Telematik wird aber nach wie vor die Administration der Datenflut im Gesundheitswesen sein. Hier gibt es noch viel zu tun. Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen zwei Arten von Daten: Verwaltungsdaten auf der einen Seite, medizinische Patientendaten auf der anderen. Es hat historische Gründe, aber auch Aspekte des Datenschutzes, daß wir diese Daten so voneinander trennen, obwohl sie in weiten Bereichen miteinander verwoben sind. Es hat auch damit zu tun, daß wir den Datenschutz oftmals gerne heranziehen, um Transparenz zu vermeiden. Es ist nun einmal eine Hoheitsfrage, wer diese Daten verwaltet. Diese Daten und die Potentiale der Auswertung bedeuten die Macht über die Richtungsentscheidungen der Gesundheitsversorgung, wirtschaftlich wie politisch.

Das belegt wiederum mein Credo: Nur eine durch demokratische Selbstverwaltung legitimierte Institution wie beispielsweise die Ärztekammer oder die KV darf diese Datenflut im Interesse des Patientenschutzes - und damit des Arztschutzes - verwalten.

(Zustimmung)
 
Die Menge der administrativen Daten ist kaum vorstellbar. Die gesetzliche Krankenversicherung bewältigt gegenwärtig jährlich 1,5 Milliarden Abrechnungsbelege, davon 700 Millionen Rezepte für Arzneimittel, 450 Millionen Abrechnungsbelege von Ärzten. In diesen Datenaustausch sind gegenwärtig 200 000 Leistungserbringer, 16 000 Apotheken, 600 Krankenkassen und 23 Kassenärztliche Vereinigungen eingebunden. Bis heute gibt es keine verbindlichen Normen, wie der elektronische Datenverkehr zwischen diesen Akteuren im Gesundheitswesen geregelt ist. Das muß geändert werden.

(Beifall)
 
Es ist eine vordringliche Aufgabe der Selbstverwaltung, Regeln zum Schutz und zur Sicherheit dieser Daten zu erarbeiten. Es muß dabei nicht nur geregelt werden, wer was zur Kenntnis nehmen oder verarbeiten darf; es muß auch gesichert sein, daß wirklich alle Daten ihren bestimmungsgemäßen Empfänger erreichen; sie dürfen nicht irgendwo im Netz hängenbleiben.

Man könnte beispielsweise anfangen mit der Entwicklung eines "elektronischen Rezepts", das dann aber - und hier sehen wir die Verwobenheit rein administrativer Daten - mit medizinischen Patientendaten korreliert werden kann.

So müssen diese Datenbanken eben auch auf eventuelle Interaktionen mit anderen Medikamenten, die der Patient einnimmt, hinweisen. Letztlich könnte man sich natürlich auch ein Gesundheitsmanagement vorstellen, bei dem sogar die Compliance des Patienten bei der Einnahme seiner Medikamente elektronisch beurteilt werden kann, und natürlich wäre dies auch ein Instrument der Qualitätssicherung, weil die Sinnhaftigkeit, Auswirkungen und Komplikationen einer ärztlich verantworteten Arzneitherapie nachvollzogen werden könnten.

Ich weiß natürlich, daß es Menschen gibt, die diese Form eines "gläsernen Patienten" und natürlich auch genauso die des "gläsernen Arztes" ablehnen, weil sie vor dem Mißbrauch der Informationen Angst haben. Niemand lehnt ja die moderne Technologie ab, weil er grundsätzlich fortschrittsfeindlich wäre; nein, der Grund der Ablehnung liegt in der Furcht vor Mißbrauch. Gerade im Bereich der Sicherheit von Daten hat sich aber in den letzten Jahren sehr viel getan. Es gibt heute Verfahren der Verschlüsselung, der Abschottung und der Identifikation, die einen Mißbrauch weitestgehend ausschließen können. Die Anwendung dieser Verfahren zu regeln, sie - wo immer erforderlich - verbindlich zu machen und damit die Sicherheit der Kommunikation zu gewährleisten - genau das wird eines der wichtigsten Arbeitsfelder der Selbstverwaltung sein, immer im Interesse eines optimalen Patientenschutzes. Sie wissen: Das ist zugleich der beste Schutz für den Arzt!

Kehren wir noch einmal in die Welt der Patientendaten zurück. Noch immer gibt es in vielen Feldern groteske Medienbrüche. Ich denke da zum Beispiel an den radiologischen Befund, der in einen Computer geschrieben und archiviert wird, auf Papier ausgedruckt und in eine Akte abgeheftet wird, um dann schließlich wieder in einem anderen Computer nach Diktat vom Blatt zum Teil eines Arztbriefes zu werden. Das ist die Steinzeit der Bürokommunikation - und zugleich die Wirklichkeit unseres Gesundheitswesens.

(Zustimmung)

Um den Sprung in das 21. Jahrhundert nicht zu einem Sprung in einen Datensee mit dem entsprechend vorprogrammierten Absaufen werden zu lassen, kommt der Entwicklung einer elektronischen Patientenakte entscheidendes Gewicht zu. Ihre Aufgabe muß es sein, die Datensintflut zu hierarchisieren und zu katalogisieren. Mit ihrer Hilfe findet man auch, was man sucht und was man finden darf. Sie ergibt sich geradezu logisch aus den Netzstrukturen, die wir für die Verarbeitung und den Transport der Verwaltungsdaten werden aufbauen müssen. Es gibt keine vernünftige Alternative zum Aufbau eines Netzes.

Nur das Netz gewährleistet eine erleichterte und damit verbesserte Kommunikation der Ärzte in Praxen und Krankenhäusern untereinander, ermöglicht den direkten und schnellen Meinungsaustausch der Fachleute, verhindert zuverlässig Doppeluntersuchungen und vermeidet damit das Auslösen von Doppelinvestitionen. Es ist sozusagen die elektronische Basis der ganzen Verzahnungs-, Vernetzungs- oder Kooperationsdiskussion.

Das haben wir auch gelernt bei unseren Initiativen zur Entwicklung von anderen Lösungen, die vordergründig vielleicht den Datenschutz erleichtern, dafür aber viele andere, kaum lösbare Probleme aufwerfen.

Wir haben jetzt fast eine Dekade auf kartengestützte, vom Patienten physisch verwaltete Systemlösungen gesetzt. Das war ein Fehler.

Die intelligente Karte ist ein ideales Mittel der Identifikation von Arzt und Patient, dazu mag sie auch noch als Notfallausweis und als Hinweis oder "Zeiger" auf bestimmte elektronische Informationen sinnvoll sein. Als Archivmedium für ganze Patientengeschichten ist sie wegen der technischen Probleme, die mit ihrer Verfügbarkeit, mit der Notwendigkeit des Back-up und dem Risiko ihrer ungewollten oder absichtlichen Zerstörung einhergehen, ungeeignet.

Wir haben daher in Bundesärztekammer und KBV nach dem Erlaß des Informations- und Kommunikationsdienstegesetzes und der daraus folgenden Digitalen Signaturverordnung sehr schnell die Konsequenzen gezogen und wollen Ihnen schon bald als Zertifizierungsstelle für elektronische Arztausweise zur Verfügung stehen. Damit ist eine technisch eindeutige und rechtlich kontrollierbare Identifikation gesichert. Wir haben hier als Selbstverwaltung der Ärzteschaft im Moment noch eindeutig die Nase vorn!

Das heißt nicht, daß wir nicht durchaus noch mit einigen Skurrilitäten der deutschen Gesetzgebung zu kämpfen hätten. So erlaubt die Digitale Signaturverordnung beispielsweise dem Arzt - als Nutzer -, sich ein Pseudonym zuzulegen. Wir müssen also mit Mitteln der Selbstverwaltung Regeln finden, damit nicht in Zukunft ein Herr Dr. Frankenstein OP-Berichte in der Orthopädie elektronisch abzeichnet oder eine Frau Dr. Metha Don elektronische Betäubungsmittelrezepte ausstellt. Diese im Gesetz vorgesehene Pseudonymregelung mag zwar zum Schutz desjenigen sinnvoll sein, der sich pornographische Literatur über das Internet bestellen möchte, hat auf einem elektronischen Arztausweis aber überhaupt nichts zu suchen.

(Beifall)
 
Ein zweites Problem, das wir leider mit den Mitteln der Selbstverwaltung nicht lösen können, besteht in der offenbar vom Bundesinnenminister angedachten Verpflichtung, alle kryptographischen Verfahren, Schlüssel, Codes für die Sicherheitsorgane transparent zu machen, die damit den Geheimdiensten der Bundesrepublik den Einblick in den Datenverkehr auf dem Netz ermöglicht. Natürlich dürfen die Geheimdienste nur in Erfüllung ihres Auftrags, auf richterliche Anordnung oder unter parlamentarischer Kontrolle überwachend tätig werden. Dennoch - gerade in Verbindung mit der unlängst ergangenen Grundgesetzänderung zum großen Lauschangriff - beschleicht mich angesichts dieser Regelung ein ungutes Gefühl. Ich möchte unseren Geheimdiensten hier wahrlich nichts unterstellen; ich bin von ihrer festen Verankerung auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung überzeugt. Ich kann dennoch nicht einsehen, daß sie von uns unkontrollierten Zugang in das Netz des deutschen Gesundheitswesens erhalten sollen.

(Beifall)

Das Netz selbst wird von der Selbstverwaltung aufgebaut und kontrolliert. Wir unterliegen als Körperschaften des öffentlichen Rechts der Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden der Länder. Das reicht. Eine weitergehende Kontrollmöglichkeit gefährdet das Grundrecht der Menschen auf Verschwiegenheit im Arzt-Patienten-Verhältnis.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen: In der Telematik liegt ein gewaltiges Potential zum Erhalt, ja zur Verbesserung der Qualität unseres Gesundheitswesens. Das Spektrum reicht vom Operationsroboter bis zum Datentransfer hochsensibler, ja intimer Daten.

Nun liegt es am Gesetzgeber, die erforderlichen gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Chancen, die in dieser Technologie liegen, von uns als den Verantwortlichen genutzt werden können. In einem engen Abstimmungsprozeß müssen die erforderlichen Maßnahmen zur Schaffung der notwendigen Sicherheitsinfrastruktur erfolgen. Es müssen klare Regelungen getroffen werden, die Patientendaten vor Eingriffen von autorisierten Stellen schützen. Es müssen Authentizität, Integrität, Originalität und Nichtbestreitbarkeit bei der elektronischen Datenverarbeitung gewährleistet sein.

Wir, das heißt die Selbstverwaltungen im Gesundheitswesen, müssen eine Telematikplattform erarbeiten, die ausreichende Sicherheit für den Vertrauensschutz des Arzt-Patienten-Verhältnisses bietet, die in der Lage ist, die Datenmengen zu verwalten, und durch berufsrechtliche Regelungen Schutz für Patienten und damit auch für Ärzte gewährleistet.

Wir sind bereit, die erforderlichen berufsrechtlichen Regelungen zu entwickeln, und haben bereits im Gebiet des Aufbaus des Deutschen Gesundheitsnetzes und der elektronischen Signatur große Vorarbeit geleistet. Wir dürfen uns jetzt nicht von den Problemen leiten lassen und den Kopf in den Sand stecken, sondern wir müssen die Probleme anpacken und beschreiben. Analysiert man die Probleme so, wie Herr Professor van Eimeren, Herr Dr. Giesen und hoffentlich auch ich es getan haben, stellt man fest: Die Probleme sind groß, aber lösbar. Damit sollte von diesem Ärztetag das Signal ausgehen: Die Probleme sind groß, packen wir sie an!

Vielen Dank.

(Beifall)