Prof. Dr. Hoppe, Vizepräsident:

Vielen Dank, Herr Präsident, für die Darstellung der langjährigen Bemühungen Deutscher Ärztetage zu diesem Thema und der unverändert aktuellen Vorschläge, welche die deutsche Ärzteschaft eingebracht hat.

Der nächste Redner ist Herr Dr. Montgomery, Präsident der Ärztekammer Hamburg.

 
Dr. Montgomery, Referent:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute eine Standortbestimmug und Zielorientierung für die Krankenhausärzte vornehmen, dann sollten wir das keinesfalls jammernd und klagend tun, sondern selbstbewußt und stolz. Die besondere Erfolgsstory des deutschen Gesundheitssystems wäre ohne hocheffektive und hochkompetente Krankenhausärzte in leistungsfähigen Krankenhäusern so doch überhaupt nicht geschrieben worden.

Daß wir heute feststellen können, wir haben das wahrscheinlich beste Gesundheitssystem der Welt, in dem fast alle Menschen fast alle erforderlichen Leistungen zeitgerecht und kompetent erhalten, liegt ganz entscheidend auch daran, daß es uns gelungen ist, unsere Krankenhäuser von den mittelalterlichen Siechenhäusern zu Kompetenzzentren der modernen Medizin weiterzuentwickeln.

Damit will ich nun beileibe nicht verhehlen oder verdecken, daß wir auch eine ganze Reihe von Problemen in den Krankenhäusern haben. Aber, meine Damen und Herren, zeigen Sie mir doch ein sich dynamisch entwickelndes, ein evolutionäres System, das keine Probleme hätte! Wir dürfen nicht vor lauter Problembetrachtung in Jammern und Wehklagen verfallen; wir müssen vielmehr konkrete Strategien für die Fortentwicklung unserer Kompetenzzentren "Krankenhaus" entwickeln.

Roman Herzog hat in seiner Adlon-Rede im April 1997 gesagt:

Visionen sind Strategien des Handelns, das unterscheidet sie von der Utopie. Das muß unsere Maxime sein: keine Utopien, keine Wolkenkuckucksheime aufbauen, sondern konkrete Strategien entwickeln, mit denen wir die Erfolgsstory deutscher Krankenhäuser fortschreiben können. Dabei muß immer die nüchterne Analyse am Anfang stehen.

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts beginnt die Transformation der Siechenhäuser zu Krankenhäusern mit zwei entscheidenden Entwicklungen: dem Einzug der Hygiene und der Übernahme medizinischer Verantwortung durch Ärzte. Schon früh bilden sich drei Säulen des Dienstes und der Verantwortung im Krankenhaus heraus: Pflege, Ärzte und Verwaltung. Daß das Verhältnis dieser drei Säulen untereinander schon in der Frühphase der Krankenhäuser nicht spannungsfrei war, belegt die Karikatur aus den "Fliegenden Blättern" von 1854, die Sie jetzt hoffentlich hinter mir an der Projektionswand erkennen können.

Da mein Vorredner, unser Präsident Karsten Vilmar, und auch die nach mir Redenden sich vor allem mit der Entwicklung des ärztlichen Dienstes der Krankenhäuser beschäftigen, will ich es, was diesen Teil angeht, mit einigen nüchternen Zahlen und einer kurzen Bewertung bewenden lassen. Um Ihre Geduld nicht über Gebühr zu strapazieren, gestatten Sie mir deshalb direkt den Sprung in die Neuzeit.

Unsere Statistiken der Krankenhäuser beginnen im Jahre 1960 und haben eine große Zäsur im Jahre 1990. Das hat nicht nur mit der Vereinigung beider deutscher Staaten zu tun, sondern vor allem mit den geänderten Definitionen von Akut- und Sonderkrankenhäusern sowie Einrichtungen der stationären Rehabilitation. Sie sind daher über lange Zeiträume hinweg einfach nicht vergleichbar.

Dennoch kann man an den Zahlenreihen deutlich erkennen, wie anpassungsfähig Krankenhäuser auf die Herausforderungen der Zeit reagiert haben. Obwohl sie seit der sogenannten Jahrhundertreform von 1972 mit der Erfindung der dualen Finanzierung in zwei- bis fünfjährigen Abständen weiteren Reformen unterworfen wurden, haben sie ihre Funktionsfähigkeit nicht nur erhalten, sie haben sie sogar erheblich ausgebaut. Betrachtet man die Regelungsdichte deutscher Krankenhausgesetzgebung, die Novellierungsfreude unserer Gesundheitspolitiker und die Jahrhundert- und Jahrtausend-reformen, die über die Krankenhäuser gerollt sind, so mutet es fast schon als kleines Wunder an, daß die Krankenhäuser immer noch so hervorragend funktionieren.

In den letzten sechs Jahren haben die Krankenhäuser dramatische Veränderungen vorgenommen. So wurden von 1990 bis 1996 insgesamt 178 Akutkrankenhäuser - das sind immerhin 7,2 Prozent - geschlossen und über 91 000 Betten - das sind 13,3 Prozent - abgebaut. Zugleich sank die Zahl der Pflegetage von fast 210 Millionen auf 174 Millionen. Das sind 17,1 Prozent weniger. Die Zahl der Patienten in den Krankenhäusern ging aber zugleich von 13,7 Millionen auf 15,2 Millionen - das sind fast 11 Prozent mehr - steil nach oben.

Wir haben es also - ökonomisch gesprochen - mit einem gewaltigen Produktivitätszuwachs zu tun. Das blieb auch über lange Zeit nicht ohne Folgen beim Personal. Allein bei den Ärzten konnten wir im Zeitraum von 1990 bis 1996 einen Zuwachs um 17 000 feststellen.

Allerdings: Erstmals in diesem Jahr müssen wir nicht nur eine Stagnation, sondern sogar einen Rückschritt vermelden. Erstmals gibt es eine echte Trendumkehr, was die Beschäftigung im Krankenhaus angeht. Erstmals sinkt die Zahl der Krankenhausärzte, erstmals sinkt auch die Zahl der in den Krankenhäusern insgesamt Beschäftigten. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat vor zwei Wochen auf der "Interhospital" verkündet, daß es im letzten Jahr 11 000 Stellen weniger in deutschen Krankenhäusern gab. Hier hinterläßt die Sozialgesetzgebung der letzten Jahre nun erste dramatische Bremsspuren.

(Zustimmung)
 
Ist es bisher noch gelungen, den Konzentrationsprozeß und den Produktivitätszuwachs auch zu einem Mehr an Beschäftigung zu nutzen, was ja angesichts der desolaten Arbeitsmarktsituation in unserem Lande einen Riesenerfolg darstellt, so werden jetzt auch wir vom Abwärtstrend mit erfaßt. Hier gilt es umzusteuern. Auch dazu müssen wir beitragen; auch das ist Element unserer Ziel- und Zukunftsorientierung.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen darzustellen versucht, wie dynamisch, ja oftmals hektisch die Anpassungsprozesse im Krankenhaus in den letzten Jahren verlaufen sind. Ich habe das getan, um damit auch zu illustrieren, warum bestimmte Anpassungsprozesse bis heute nicht erfolgt sind. Es liegt - so meine Einschätzung - genau an dieser Dynamik und dieser Hektik, daß die von Karsten Vilmar vorhin dargestellten und von Deutschen Ärztetagen immer wieder geforderten Änderungen der Personalstrukturen nicht oder nicht ausreichend erfolgt sind. Daraus sollte man aber nicht ableiten, daß diese Vorstellungen etwa falsch oder überholt wären oder aber daß sie sogar gescheitert wären, wie bei pessimistischer Betrachtung der eine oder andere meinen könnte. Nein, sie sind nicht gescheitert, sie hatten bloß bis heute überhaupt keine Chance, vernünftig umgesetzt zu werden.

Daraus ergibt sich für uns die Verpflichtung, die Westerländer Leitsätze und die Formulierungen der "Gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft" als Grundlage unserer Ziel- und Zukunftsorientierung zu begreifen.

Der Umbruch der Krankenhäuser in den letzten 40 Jahren hat zu einer Vervierfachung der Zahl der dort tätigen Ärzte geführt. Ärzte sind die medizinischen Leistungsträger der Krankenhäuser. Ihre Arbeitskraft und Arbeitsleistung steht im Mittelpunkt des Krankenhauses. Sie ist aber auch untrennbar mit der Teamleistung des Krankenhauses als Ganzes verbunden.

(Beifall)
 
Mit Krankenhausschließungen und Bettenstreichungen gingen zugleich zunehmende Spezialisierung und Subspezialisierung einher. Aus Fächern wurden Schwerpunkte, aus Abteilungen Departements. Der wissenschaftliche Fortschritt und die medizinische Entwicklung wurden schnell und konsequent umgesetzt. Dabei blieben oftmals moderne Führungsprinzipien und
-strukturen auf der Strecke. Statt die Departementisierung als ein Instrument der Kompetenzverbreiterung und der Integration von Fächern und Inhalten zu begreifen, also als eine Chance, mehr Lebenspositionen für qualifizierte Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus zu schaffen, wurde sie eher dazu herangezogen, neue, wenn auch kleinere "Königreiche" zu schaffen.

Damit aber perpetuierte sich die hierarchische Grundstruktur, die der "Spiegel" einmal, nicht unzutreffend, mit der eines preußischen Feldlazaretts verglich. Die Chance zur Transformation, zum Neuanfang wurde nicht genutzt. Ja sogar das Gegenteil war der Fall: Während sich die Zahl der leitenden Ärztinnen und Ärzte nur unwesentlich veränderte, nahm vor allem die Zahl der nachgeordneten Ärztinnen und Ärzte zu. Sie sind es, die die Mehrarbeit im Krankenhaus auffangen.

(Zustimmung)

Aus der Vermehrung der Köpfe resultierte also eher eine Zunahme von Hierarchie als eine Abnahme. Das lag sicher auch daran, daß viele Krankenhausträger - aus ihrem Unverständnis medizinischer Verantwortungs- und Entscheidungsstränge heraus - nach wie vor einen ganz starken Herr-im-Hause-Standpunkt vertreten. Sie wollen hierarchisch gegliederte Führungsstrukturen, weil sie selbst in ihren öffentlichen Verwaltungen und vor ihrem oftmals administrativen Hintergrund nichts anderes gewohnt sind. Man kann nun aber einmal ein Krankenhaus nicht mehr führen wie ein Einwohnermeldeamt oder eine Friedhofsgärtnerei!

(Beifall)

Es ist das zentrale politische Versagen der Krankenhausträger, den Umbruch der Krankenhauslandschaft nicht auch zu einem Umbruch der Führungsstrukturen genutzt zu haben. Schauen wir uns die Personen, die heute im Krankenhaus in der Verwaltung Verantwortung tragen, an, dann stellen wir fest: Man wird aber auch nicht vom Amtsrat zum Manager lediglich durch eine Erhöhung des Gehalts. Wir brauchen statt dessen heute moderne Manager im Krankenhaus. Meine Erwartung ist, daß mit modernen Managern auch modernere Führungsstrukturen im Krankenhaus Einzug halten werden.

Solche Manager brauchen wir. Manager, vor allem gute, brauchen Partner. Sie brauchen uns als Partner. Deshalb sollte auch von diesem Ärztetag der Appell ausgehen: Machen wir uns die modernen Krankenhausmanager zu Partnern, um gemeinsam für den Erhalt der Krankenhäuser zu sorgen!

Diese Manager brauchen wir übrigens auch, um einige oftmals ungerechtfertigterweise nachrangig hinter die Krankenversorgung gestellte Aufgaben unserer Krankenhäuser zu bewältigen. Ich meine damit das Krankenhaus als Motor von Fortschritt und Innovation und als fast alleiniger Träger der Aus- und Weiterbildung aller Ärzte und fast aller anderen medizinischen Fachberufe.

Medizinischer Fortschritt ist ohne das Krankenhaus nicht mehr vorstellbar. Auch wenn vor langer Zeit einmal alle Medizin durch ambulant tätige Ärzte entwickelt wurde, so gilt heute fast ausnahmslos: Alle modernen medizinischen Verfahren werden am Krankenhaus entwickelt, erprobt, umgesetzt und für die Krankenversorgung nutzbar gemacht. Auch wenn der Wissens-transfer in die ambulante Versorgung unter der aus ökonomischen Gründen gebotenen Maxime "soviel ambulant wie möglich, sowenig stationär wie nötig" sich heute immer schneller vollzieht, bleibt doch festzuhalten: Ursprung und Umsetzung moderner Medizin vollziehen sich im Krankenhaus. Dies wird auch in absehbarer Zeit so bleiben.

(Beifall)

Nach wie vor finden 98 Prozent aller Ausbildung der Studenten und sicher mehr als 90 Prozent aller Weiterbildung der Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus statt. Ohne Krankenhäuser gäbe es keine Krankenschwestern und fast keine Medizinisch-Technischen Assistenten, keine Krankengymnastinnen und auch viele andere in unserem Gesundheitswesen wichtigen Berufe nicht. Diese Funktion der Krankenhäuser in Aus- und Weiterbildung wird oftmals kleingeredet oder nicht ausreichend wahrgenommen. Das hat auch damit zu tun, daß sie bis heute nicht ausreichend finanziert und den Krankenhäusern nicht anständig vergolten wird. Auch darüber wird man in Zukunft reden müssen.

(Beifall)

Schauen wir in die Zukunft! Krankenhäuser sind für unser Gesundheitswesen unverzichtbar. Sie werden auch in Zukunft gebraucht, um schwerkranke Menschen zu versorgen. Dabei wird es auch weiter ein gestuftes System von Krankenhäusern geben. Eine Reduzierung auf überdimensionierte Intensivstationen allein wird sich nicht durchsetzen. Es ist schon ein Gebot der Humanität, Menschen in bestimmten Lebenssituationen, mit bestimmten Krankheiten oder auch bei manchen sozialen Problemen stationär versorgen zu können.

Eines der entscheidenden Strukturkriterien eines Krankenhauses ist aber nun einmal das Vorhandensein von Ärzten. Wo es Krankenhäuser gibt, wird es immer auch Krankenhausärzte geben. Ihre Zahl, ihr Aufgabengebiet, ihre Zusammensetzung und hierarchische Gliederung wird sich entscheidend an der Definition der ihnen zugewiesenen Aufgaben orientieren. Da wir uns nun in einer - weiteren - Umbruchphase unseres Gesundheitswesens befinden, sollten wir die Chance nutzen, im Interesse der Umsetzung der von uns im Programm formulierten Ideen und damit im Interesse der Krankenhausärzte an diesem Punkt die Pflöcke einzuschlagen, die moderne Strukturen ermöglichen.

Dabei bedingen die äußeren Rahmenbedingungen der Krankenhäuser auch ihre innere Struktur. Ein Krankenhaus, das in seinem Fortbestand existentiell bedroht ist, kann seinen Mitarbeitern keine Sicherheit vermitteln. Wer von Kündigung oder sogar Berufsaufgabe bedroht ist, hat nicht die Energie, für die Durchsetzung seiner Rechte und die Verbesserung seiner Arbeits- und oftmals Lebensbedingungen zu kämpfen. Wer also an die "innere Verfassung" der Krankenhäuser heranwill, der muß sich mit der "äußeren Verfassung" der Krankenhäuser auseinandersetzen.

Das beginnt bei der Definition der Aufgaben eines Krankenhauses. Diese bestehen natürlich zuallererst in der stationären Krankenversorgung. Nach Richterrecht und SGB V ist dabei Facharztstandard für den Patienten vorauszusetzen. Daraus leitet sich eine starke Stellung der Fachärzte am Krankenhaus ab. Aber auch in der Integration ambulanter und stationärer Leistungserbringung liegt eine Chance, die Position unserer fachärztlichen Kolleginnen und Kollegen am Krankenhaus zu stärken. Das ist auch eine der Intentionen des Strukturpapiers gewesen, das Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung und Marburger Bund Ihnen gestern unter Tagesordnungspunkt I vorgelegt haben, dem Sie mit großer Mehrheit zugestimmt haben, wofür ich Ihnen hier ausdrücklich noch einmal danke.

Wir wollen in der Definition der Aufgaben von Krankenhäusern klar festlegen, daß nicht das Krankenhaus als Institution zur ambulanten Leistung in hochspezialisierten Gebieten ermächtigt werden soll, sondern allein die am Krankenhaus tätigen qualifizierten Ärzte.

(Zustimmung)

§ 116 SGB V - das haben wir immer und immer wieder gefordert - muß hier angepaßt werden, um die Rechtsstellung der Krankenhausärzte - und zwar aller Krankenhausfachärzte - zu verbessern, nicht so sehr allein gegenüber den Zulassungsausschüssen, sondern vor allem - das ist ein Effekt, der in der Debatte sehr oft vergessen wird - gegenüber ihren Krankenhausträgern.

Allen institutionellen Öffnungsmodellen der Krankenhäuser erteilen wir eine Absage. Weder können noch wollen wir Krankenhausärzte breitflächig ambulante Versorgung leisten.

(Beifall)

Die Trennung der Sektoren hat sich in unserem Gesundheitswesen grundsätzlich bewährt. Ich glaube, sie ist ein Qualitätskriterium der Versorgung in der Bundesrepublik. Nur an den Schnittstellen, in diesem schmalen Bereich zwischen Krankenhaus und Praxis, kann man noch etwas verbessern - aber bitte nur auf der persönlichen Basis, nicht auf institutioneller.

(Beifall)

Hierarchiearme Krankenhäuser kann es nur geben, wenn auch die Finanzierung im Krankenhaus und damit dessen Existenz gesichert ist. Mit der Auftragszuweisung muß auch eine Finanzierungssicherheit einhergehen. Das betrifft sowohl den Investitionsbereich wie auch den Betriebsbereich. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß bei bald 70 Prozent Personalkosten jeder Verwaltungsdirektor beim Sparen, bei einer existentiellen Bedrohung seines Krankenhauses immer zuerst an seine Mitarbeiter denkt, dies aus der Logik der Finanzierung eines Krankenhauses heraus auch tun muß. Manche Arbeitgeber mißbrauchen den Idealismus ihrer Ärzte bereits als eine feste Budgetgröße.

(Beifall)

Ein aktuelles Beispiel: Der Verwaltungschef der Universitätsklinik Ulm im Interview mit der "Südwestpresse" auf die Frage, woran es denn liege, daß 70 Prozent der ärztlichen Mehrarbeit nicht bezahlt würden:

Von Schuld kann man nicht sprechen, denn es handelt sich um Überstunden, die nicht angeordnet werden. Die Ärzte leisten sie aus eigenem Antrieb. Natürlich ist die Klinik glücklich, daß sie das tun.

Er gehe davon aus, so der Verwaltungschef, daß Ärzte unbezahlte Überstunden nicht als Ausbeutung, sondern als Teil ihres Berufsethos betrachten. Jedenfalls protestiere kaum einer!

Meine Damen und Herren, wer die Krankenhäuser in die Zange nimmt, nimmt immer in erster Linie das Personal, also seine ärztlichen Kolleginnen und Kollegen dort, in die Zange. Darüber sollte man sich im klaren sein, wenn man oftmals leichtfertig das Krankenhaus wegen seiner angeblichen Verschwendungssucht anprangert.

(Vereinzelt Zustimmung)

Dem entkommen wir aber auch nicht durch Jammern und Wehklagen. Wir müssen statt dessen dafür sorgen, daß Krankenhausleistungen angemessen und leistungsorientiert vergütet werden. Das setzt den Einfluß auf die Gesetzgebung auf Bundesebene genauso voraus wie die Einmischung in die lokalen Verhandlungen vor Ort. Wir müssen oftmals noch lernen, auch die Devise zu akzeptieren: Wer nicht bestellt, der wird auch nicht bedient. Wer sich wehrlos in das Schicksal seiner Budgetverhandlungen fügt, wer sich nicht einmischt und nicht versucht, seinen medizinischen Sachverstand in die Verhandlungen einzubringen, der läuft Gefahr, daß seine Leistungen nicht respektiert und auch nicht bezahlt werden.

Zu dieser Leistung gehört immer auch die Humanität. Sie läßt sich nicht leistungsorientiert vergüten, man kann sie auch nicht messen; deswegen nun aber ganz auf sie zu verzichten hieße, den Auftrag aller Medizin zu verraten.

Und schließlich müssen wir auch durchsetzen, daß die Leistungen des Krankenhauses in Aus- und Weiterbildung fair und ausreichend finanziert werden.

(Beifall)

Krankenhäuser als Ganzes stehen heute im Wettbewerb miteinander. Dabei sind die "Könige" dieses Wettbewerbs nicht die "Kunden", also die Patienten; es sind dies vielmehr die Krankenkassen. Ihre Entscheidungen können für den Fortbestand von Krankenhäusern tödlich sein. Der Krankenhausplanung als staatlicher Verantwortung kommt damit ein eminentes Gewicht zu. Wir müssen deswegen auch weiterhin auf staatlich verantworteter Krankenhausplanung bestehen. Anderenfalls wären wir den Krankenkassen wehrlos ausgeliefert.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben heute im Krankenhaus viel Demotivation und innere Emigration. Das hat wahrscheinlich auch mit dazu geführt, daß wir heute über dieses Thema sprechen. Wir können aber diese depressive Stimmungslage vieler Kolleginnen und Kollegen nur dadurch überwinden, daß wir uns auf unsere eigene Professionalität besinnen.

Krankenhäuser sind nun einmal traditionell sehr hierarchisch geführte Unternehmen. Man kann nicht erwarten, daß innerhalb einer hierarchischen Struktur freiwillig auf die Privilegien der höheren Hierarchiestufen verzichtet wird. In unserer Demokratie ist aber auch die Respektierung erworbener Rechte ein wichtiges Rechtsgut. Unsere Aufgabe als verfaßte Ärzteschaft muß es daher sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich vorgegebene, allein auf ein Amt gegründete Hierarchien in funktionale Hierarchien auflösen. Dazu aber müssen die äußeren Rahmenbedingungen stimmen.

Zu erwarten, daß sich nach Beschlüssen Deutscher Ärztetage solche Hierarchien freundlich und konfliktfrei sozusagen "top down" auflösen, wäre blauäugig. Es ist schon ein Impetus "bottom up" gefordert. Wir brauchen heute Profession statt Depression. Dazu legen wir den Grundstein durch vernünftige Weiterbildungsbedingungen, durch gerechte Arbeitsverträge und durch die Substanzsicherung der Krankenhäuser.

Eine Revolution brauchen wir dazu meines Erachtens nicht. Revolutionen sind - so die Erfahrung - eher Blutbäder und fressen meist ihre Kinder.

Die Rahmenbedingungen für eine Evolution aber sind so günstig wie noch nie: Mit der zunehmenden Verstärkung des Facharztstandards, mit der zunehmenden Komplexität und Interdisziplinarität unserer Fächer wächst die Notwendigkeit zur echten Teamarbeit. Dabei ist "Team" nicht das Akronym für "Toll, ein anderer macht’s", wie ein Vertreter des Chefarztverbands neulich einmal offensichtlich in Verkennung seiner eigenen Arbeitswirklichkeit formulierte. Teams sind heute keine Verantwortungsverschiebungsvereine, sondern Kompetenzzentren, in denen jeder eine zugewiesene Rolle hat, jedem eine besondere Kompetenz zukommt und sich der eine auf den anderen verlassen kann, ja verlassen muß.

Dabei wird es natürlich auch in Teams und auch im Krankenhaus der Zukunft Hierarchien und abgestufte Kompetenzen geben. Es werden aber mit Sicherheit nicht so viele Hierarchiestufen sein wie heute.

An drei Stufen der Hierarchie aber wird man meiner Meinung nach nie vorbeikommen: denjenigen, die noch lernen, denjenigen, die es schon können, und denjenigen, die noch eine zusätzliche administrative Funktion haben.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich habe am Anfang meines Referats Roman Herzog zitiert:

Visionen sind Strategien des Handelns, das unterscheidet sie von der Utopie.

Utopisch wäre es, zu glauben, es würde jemals ein völlig hierarchiefreies Krankenhaus geben. Utopisch wäre es auch, zu glauben, der von uns zur Auflösung von Hierarchien eingesetzte Teamgedanke würde uns zugleich aus unserer Abhängigkeit von anderen Berufsgruppen oder gar der Verwaltung befreien. Im Gegenteil: Je mehr wir für uns Teams reklamieren, desto mehr werden auch andere an diesen unseren Teams beteiligt sein und in desto weitere Ferne rückt die Vorstellung von der uneingeschränkten, automatischen Vorherrschaft der Ärzte im Krankenhaus.

Utopisch wäre es auch, zu glauben, durch einen Übergang der gesamten Organisation der Krankenhäuser in die Hände der Ärzteschaft Hierarchien abzubauen. Das Gegenteil wäre der Fall: Hierarchische Abhängigkeiten würden zunehmen.

Diesen Utopien kann man nur mit Visionen, also mit konkreten Strategien des Handelns, begegnen, indem man die Aufgaben der Krankenhäuser definiert, die Existenz der Krankenhäuser sichert und für Qualifikation und Kompetenz der beteiligten Krankenhausärzte sorgt.

All dies, meine Damen und Herren, sind originäre Aufgaben der Selbstverwaltung. Dazu gilt, was einmal die Verwaltungsdirektorin eines großen katholischen Krankenhauses sagte: Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall)

 
Prof. Dr. Hoppe, Vizepräsident:

Vielen Dank, Herr Montgomery, für dieses Referat über die Ist-Situation unseres Krankenhauswesens und die Situation der Krankenhausärzte. Das Referat hat ganz offensichtlich - die Zustimmung zeigt dies - die Frequenz der Seelenlage besonders der Krankenhausärztinnen und Krankenhausärzte getroffen.

Hierarchien sind unvermeidlich; selbst in Ärztekammern gibt es Hierarchien. Die Hauptsache ist: Es handelt sich um Kompetenzhierarchien und nicht um Amtshierarchien. Das müssen wir erreichen. Das ist aus dem Referat klar hervorgegangen. Nochmals vielen Dank.

Wir treten nun in die Mittagspause ein und werden die Sitzung pünktlich um 14.30 Uhr fortsetzen.