Dr. Dr. h. c. Vilmar, Präsident:

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt V auf:

(Muster-)Weiterbildungsordnung

Dabei sind heute keine Einzelentscheidungen zu treffen, sondern es sind Richtungsentscheidungen gefagt. Was zu berücksichtigen ist, wird Ihnen nun Herr Professor Hoppe als Vorsitzender der Weiterbildungsgremien der Bundesärztekammer erläutern, damit hinterher jeder weiß, worüber er abstimmt.

Bitte, Herr Hoppe.

 

Prof. Dr. Hoppe, Referent:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben der Berufsordnung ist die Weiterbildungsordnung wohl das wichtigste Instrument der Berufsausübung sowohl für uns als auch für die Bevölkerung. Deshalb waren wir - daran werden Sie sich erinnern - 1992 sehr froh, nach etwa fünfjährigen Beratungen einen Konsens für die Novellierung der (Muster-)Weiterbildungsordnung gefunden zu haben. Der damalige Beschluß wurde mit sechs Gegenstimmen und vier Enthaltungen angenommen.

Die Phasen eines Projekts gliedern sich in sechs Schritte, wobei diese Erfahrungen, die ich gleich schildere, aus der Datenverarbeitung stammen.

Zunächst besteht Euphorie. Es wird uns unterstellt, das sei auf dem Ärztetag 1992 der Fall gewesen. Danach kommt die Phase der Ernüchterung; in dieser sollen wir uns jetzt befinden.

Ich hätte gern, daß wir heute gründlich darüber diskutieren, um die folgenden vier Phasen eines Projekts zu vermeiden: das Chaos, die Suche nach den Schuldigen, die Bestrafung der Unschuldigen und die Belohnung der Nichtbeteiligten.

Wie kommt es eigentlich, meine Damen und Herren, daß Bildungsordnungen - das gilt nicht nur für die Weiterbildungsordnung, sondern auch für sonstige Bildungsordnungen, beispielsweise die ärztliche Ausbildungsordnung, die Approbationsordnung - immer wieder so vehement diskutiert werden? Die Bildungspolitik weist ein wichtiges Merkmal auf, das man ständig berücksichtigen muß: Defizite sind dort immanent. Das liegt daran, daß die Bildungsgegenstände der Bildungspolitik oder den Bildungsmaßnahmen, die man ergreifen will, um das Bildungsziel zu erreichen, immer hinterherhinken. Man kann ja nicht zu etwas ausbilden, was es noch gar nicht gibt. Deswegen gibt es zunächst den Gegenstand der Bildung, dann die Ausbildung in Richtung auf diesen Bildungsgegenstand. Deshalb hat man ständig Defizitgefühle. Die Approbationsordnung für Ärzte wird seit 1853 ununterbrochen kritisiert; die Weiterbildungsordnung wird seit 1924 ununterbrochen kritisiert. Das hat mit diesen Dingen zu tun, an die man sich erst gewöhnen und mit denen man fertig werden muß.

Die Wirkung von Bildungsmaßnahmen erfolgt mit erheblicher Zeitverzögerung. Das liegt in der Natur der Sache. Das Feedback ist problematisch: Fehler entdeckt man erst geraume Zeit später. Das kann Jahre dauern.

Selbstverständlich spielt die Ausstrahlung auf andere Strukturen, beispielsweise die Bildungseinrichtungen, eine große Rolle. Auch die Interaktion der Bildungspolitik mit anderen Politikbereichen ist eine Selbstverständlichkeit. Darauf werde ich noch im einzelnen zu sprechen kommen.

Ich komme jetzt auf die Gründe und Ziele der Novelle der (Mu-
ster-)Weiterbildungsordnung von 1992 zu sprechen. Ich möchte Sie daran erinnern, daß wir uns zu diesem Zeitpunkt in einer frühen Phase nach der Wiedervereinigung Deutschlands befanden. Es mußten zwei verschiedene Weiterbildungsordnungen zusammengeführt werden. Wir waren damals bestrebt, alle Ärztinnen und Ärzte sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern in die Lage zu versetzen, sich in der neuen gemeinsamen Weiterbildungsordnung wiederzufinden, um so keine Gefühle der gegenseitigen Übervorteilung entstehen zu lassen. So haben wir vieles zusammengeführt und dabei auf beiden Seiten manchmal ein Auge zugedrückt. Wir wollten eine harmonische Weiterentwicklung der Weiterbildungsordnung erreichen.

In den alten Bundesländern und den entsprechenden Gremien, die bereits vor der Wiedervereinigung gearbeitet haben, wurden über Jahre hinweg, mindestens seit 1987, sowohl der wissenschaftliche Fortschritt als auch die veränderten Versorgungsbedürfnisse der Bevölkerung nicht mehr nachvollzogen, weshalb Modernisierungsnotwendigkeiten bestanden. Darüber hinaus gab es in den jeweiligen Ärztekammern der alten Bundesländer erhebliche Unterschiede in den Weiterbildungsordnungen. Es gab nicht einen einzigen Tag seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland, an dem in allen Bundesländern eine einheitliche Weiterbildungsordnung galt. Es gab immer Differenzen; die Frage war nur, wie groß sie waren.

Schließlich hatten wir auch den Wunsch, mit der Struktur der neuen Weiterbildungsordnung eine erhebliche Flexibilisierung zu erreichen, also eine erleichterte Handhabung.

Ich komme jetzt auf die Entscheidungswege für den 95. Deutschen Ärztetag zu sprechen. Wir hatten bereits damals den Wunsch nach Vereinfachung. Wir nannten das den Reduktionsweg. Wir hatten ebenso den Wunsch, einen gewissen Steuerungsweg zu beschreiten, indem die Weiterbildungsordnung im wesentlichen auf den vertragsärztlichen Versorgungsbereich ausgerichtet war und den Krankenhaussektor aussparte, weil der Krankenhaussektor durch die Struktur der Krankenhausabteilungen ohnehin festgefügt ist.

Wir haben uns für den Ausdifferenzierungsweg entschieden. Wir wollten uns demgemäß streng nach der wissenschaftlichen Entwicklung der Medizin und den Versorgungsbedürfnissen der Bevölkerung richten. Wir wollten, daß sich die gesamte Medizin und das gesamte Angebot an ärztlichen Leistungen in der Weiterbildungsordnung widerspiegeln.

Wir haben uns damals auf die Aussage geeinigt: Nicht die Weiterbildungsordnung atomisiert die Medizin, sondern die Weiterentwicklung der Medizin durch Spezialisierung differenziert die Medizin aus; wir müssen entscheiden, ob wir mit der Weiterbildungsordnung dieser Ausdifferenzierung folgen wollen oder nur eine Teilmenge des gesamten Komplexes in der Weiterbildungsordnung verankern wollen.

Wir haben uns damals entschieden, die Ausdifferenzierung bis in die Verästelungen hinein durchzuführen.

Wir haben schon 1992 die direkten und indirekten Funktionen der (Mu-
ster-)Weiterbildungsordnung diskutiert und uns Klarheit darüber verschafft, daß es diese gibt, aus welchen Gründen auch immer. Die Weiterbildungsordnung ist aus einer Bildungsordnung entstanden. Sie wies schon zu ihrem Beginn Elemente einer Berufsausübungsregelungsordnung auf. Das ist bestätigt worden durch einen Beschluß des Verfassungsgerichts aus dem Jahre 1972. Durch diesen Beschluß ist der Charakter der Weiterbildungsordnung als einer Arbeitsteilungsordnung festgestellt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend erklärt: Die Länder müssen statusbildende Normen einführen, weil dies eine große Bedeutung für die Ärztinnen und Ärzte sowie für die Versorgung der Bevölkerung hat.

Daß die Weiterbildungsordnung auch eine Schilderordnung ist, ergibt sich von selbst. Aus der Tatsache, daß die Weiterbildungsordnung eine Berufsausübungsregelungsordnung ist, ergibt sich, daß sie zugleich eine mittelbare Honorarverteilungsordnung darstellt. Einflüsse auf den Arbeitsmarkt ergeben sich von selbst. Klar ist auch, daß sich Auswirkungen auf die Krankenhausstruktur ergeben. Herr Dr. Martin von der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung für Ärztinnen und Ärzte in Frankfurt hat auf dem Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin im April dieses Jahres in Wiesbaden erklärt, daß die Stellenausschreibungen der universitären und nicht universitären Krankenhäuser in Deutschland nach der Beschlußfassung über unsere (Muster-)Weiterbildungsordnung nach deren Vorgaben erfolgten. Hier wurde von einem Redner bereits darauf hingewiesen, daß sich daraus eine erhebliche Erhöhung der Zahl von Stellen - übrigens auch leitenden Positionen - ergeben hat, weil die neue Ausdifferenzierung neue Strukturen der ärztlichen Versorgung - ich hoffe: auch in Teamform - hervorgerufen hat, wenn auch noch nicht befriedigend, wie wir aus der Krankenhausdebatte, die wir eben geführt haben, wissen.

Nach meiner Meinung ist die Dokumentation des ärztlichen Leistungsspektrums nach wie vor von besonderer Bedeutung. Wer die Laienpresse verfolgt, wird immer wieder feststellen, daß Ärztinnen und Ärzten nur das als besondere ärztliche Kunst zugebilligt wird, was sich in der Weiterbildungsordnung wiederfindet. Selbst in einer so renommierten Publikation wie der "Zeit" konnte man lesen, daß Ärzte ungeeignet seien, forensische Psychiatrie zu betreiben bzw. entsprechende Gutachten zu erstellen, weil sie dies wegen des fehlenden Ausbildungsgangs nicht gelernt hätten. Ich erwähne dies nur deswegen, weil Frau Barth-Stopik einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Man sieht in der Presse viele andere Bezeichnungen und Fächer genauso an.

Aus unserer Debatte 1992 ist folgendes Instrumentarium der (Mu-
ster-)Weiterbildungsordnung entstanden. Es gibt Gebietsbezeichnungen; das sind die klassischen Facharztbezeichnungen. Darüber hinaus gibt es die Schwerpunktbezeichnungen, die wir damals als Weiterentwicklung der ehemaligen Teilgebietsbezeichnungen geschaffen haben. Ferner gibt es die Bereichsbezeichnungen als führbare Bezeichnungen.

Außerdem haben wir damals fakultative Weiterbildungen und Fachkunden eingeführt. Die fakultativen Weiterbildungen dienen dem Ziel, sehr subspezialisierte, in der Regel durch Operationen oder ähnliche Eingriffe bestimmte ärztliche Leistungen aus dem globalen Weiterbildungsgang herauszunehmen, um das Erreichen des Weiterbildungsziels des fachärztlichen Weiterbildungsgangs zu erleichtern. Wir wollten andererseits nicht - deshalb sind die fakultativen Weiterbildungen nicht führbar -, daß daraus "Ärzte zu Pferde" und "Ärzte zu Fuß" entstehen. Unter den Hals-Nasen-Ohrenärzten gibt es beispielsweise solche, die während ihrer Weiterbildung sehr feine mikrochirurgische Eingriffe nicht benötigen, weil das für die Breitenversorgung der Bevölkerung nicht erforderlich ist. Diejenigen, die das zusätzlich erlernt haben, haben die fakultative Weiterbildung absolviert. Für die Bevölkerung ist das aber nicht durch Schilder oder ähnliches erkennbar, sondern das ist eine Information, die innerärztlich weitergeleitet werden muß.

Dasselbe gilt für Fachkunden. Die Fachkunden haben wir praktisch aus dem Sozialrecht in das Weiterbildungsrecht übernommen, um ärztliches Bildungsrecht dort zu plazieren, wohin es gehört, nämlich im Berufsrecht. Aber darüber werden wir gleich noch diskutieren müssen.

Die Weiterbildungsordnung gliedert sich in den Paragraphenteil sowie die Abschnitte I und II. Der Paragraphenteil enthält die allgemeinen Vorschriften. Abschnitt I betrifft die Gebiete, Schwerpunkte, fakultative Weiterbildungen und Fachkunden. Abschnitt II sind die sogenannten Bereichs- oder Zusatzbezeichnungen.

Außerdem gibt es eine Art Gebrauchsanweisung für die Verwaltungen der Landesärztekammern sowie die Weiterbilder und die Weiterzubildenden, genannt "Richtlinien über den Inhalt der Weiterbildung", die aber keinen Satzungscharakter haben.

Alles basiert auf den Heilberufsgesetzen der Länder. Es handelt sich also um ein Satzungsrecht, das, von uns gestaltet, einer aufsichtsrechtlichen Genehmigung durch die jeweilige Landesregierung bedarf. Anderenfalls kann es nicht gültig werden. Das betone ich deshalb, weil es einige Bundesländer gibt, in denen das Genehmigungsverfahren nach Abschluß der Debatten in den einzelnen Landesärztekammern sich sehr lange hinzieht und damit eine deutliche Verzögerung des Inkrafttretens ärztlicher Beschlüsse eintreten kann.

Unsere im Mai 1992 verabschiedete (Muster-)Weiterbildungsordnung ist in den verschiedenen Landesärztekammern sehr zeitversetzt realisiert worden. Der Freistaat Bayern hat die Weiterbildungsordnung bereits am 1. Oktober 1993 in Kraft gesetzt und lag damit an der Spitze.

(Zustimmung)

 

Niedersachsen folgte als letztes Bundesland, nämlich am 1. Oktober 1997, vier Jahre später als Bayern. Das ist kein Ranking, sondern ein Ablauf, der sich aus Zufällen, aus Genehmigungserfordernissen, aus dem Erfordernis der Änderungen von Heilberufsgesetzen usw. ergeben hat. Hierdurch wird - nach Minister Seehofer aus Ingolstadt - die bayerische Bundestreue besonders bestätigt.

Was müssen wir daraus lernen?

Wenn man sich die Zeitpunkte des Inkrafttretens der (Mu-
ster-)Weiterbildungsordnung in den einzelnen Bundesländern ansieht, kommt man zu dem Schluß, daß bisher kaum Ärztinnen und Ärzte voll nach der neuen Weiterbildungsordnung weitergebildet worden sein können. Ich glaube deshalb, eine Evaluation der Sinnhaftigkeit der (Mu-
ster-)Weiterbildungsordnung dürfte heute schwerfallen. Die Masse derjenigen, die heute auf Grund der neuen Weiterbildungsordnung und ihrer Bezeichnungen Bescheinigungen besitzen, haben diese durch Umschreibungen - mit oder ohne Prüfung - und andere Aktionen bekommen. Aber die wenigsten haben vom Zeitpunkt Null bis zum Datum der Anerkennung ihrer absolvierten Weiterbildung die entsprechende Zertifizierung auf dem Boden dieses Weiterbildungsrechts erhalten, was für eine Evaluation in wissenschaftlich vertretbarer Form meines Erachtens ein Problem darstellt, um es zartfühlend auszudrücken.

Bei der Diskussion über die Weiterbildungsordnung und bei der Kritik an ihr stellen wir Zielkonflikte fest, und zwar zwischen Berufsrecht, Wissenschaft, Ausdifferenzierung, Machbarkeit, Sozialrecht, praktischer Medizin, Vereinfachung und Qualität bzw. Anforderung an Bildungsinhalte. Wir müssen die verschiedenen Interessen ausgewogen erfassen. Wenn wir das nicht tun, wenn wir zu irgendeiner Seite hin zu weit abdriften, besteht Korrekturbedarf. Mit dieser Situation der Zielkonflikte müssen wir fertig werden.

Ich komme jetzt auf die Probleme bei der Übertragung und der Anwendung der (Muster-)Weiterbildungsordnung im Recht der Landesärztekammern zu sprechen. Es gibt Auslegungsunterschiede in bezug auf die Systematik und das Instrumentarium. Darauf komme ich gleich noch näher zu sprechen.

Es gibt eine Heterogenität der Weiterbildungsordnungen in den Landesärztekammern auch - ich betone: auch - deswegen, weil manche Landesärztekammern andere Bezeichnungen eingeführt haben, als wir sie in der (Muster-)Weiterbildungsordnung beschlossen haben. Das ist nicht selten dadurch begründet, daß sich in einer Landesärztekammer oder in zwei Landesärztekammern die Interessen bestimmter Gruppierungen durchgesetzt haben, die sich woanders nicht artikuliert haben oder sich nicht durchsetzen konnten. Das ist so. Das Recht der Landesärztekammern, ihre Weiterbildungsordnung autark so gestalten zu können, wie sie wollen, ist unbestritten, obwohl wir immer wieder darauf hinweisen, daß eine Einheitlichkeit zur Aufrechterhaltung der Gleichheit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik ein hohes Gut ist. Wenn wir eine zu heterogene Situation bekommen, entsteht die Gefahr, daß uns die Fähigkeit und die Kompetenz, eine Weiterbildungsordnung zu gestalten, abgesprochen wird.

Es gibt ferner Unterschiede, die durch Vorgaben der Heilberufsgesetze der Länder bedingt sind. Diese Unterschiede sind relativ gering.

Unterschiede gibt es auch bei der Akzeptanz der Urkunden durch die Kassenärztlichen Vereinigungen. Ferner gibt es Probleme bei der Auslegung der Übergangsbestimmungen. Darüber hinaus gibt es Probleme - das haben wir damals vorausgesehen -, die sich durch einen höheren Verwaltungsaufwand bei den Landesärztekammern ergeben. Das haben wir damals in Kauf genommen. Die Verwaltungspraxis ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich. In der Landesärztekammer, deren Präsident zu sein ich die Ehre habe, mußten wir, wenn auch etwas verzögert, das Personal aufstocken.

Fazit: In keiner Landesärztekammer gibt es eine reine 1 : 1-Umsetzung der (Muster-)Weiterbildungsordnung in Landesrecht. Die Abweichungen sind unterschiedlich stark und unterschiedlich gewichtig. Sie sind aber nicht unerheblich. Ich gebrauche absichtlich keinen stärkeren Ausdruck, damit keine schlafenden Hunde geweckt werden.

Es gibt eine differierende Interpretation der (Muster-)Weiterbildungsordnung von 1992. In der (Muster-)Weiterbildungsordnung ist das Gebiet durch einen Generaltext definiert. Darunter steht, welche Weiterbildungszeiten man absolviert haben muß. Es folgt ein Kapitel, in dem steht, welche Inhalte und Ziele man erreicht haben muß. Wir waren 1992 sowohl in den Weiterbildungsgremien als auch im Vorstand der Bundesärztekammer - wir dachten: auch auf dem Deutschen Ärztetag - davon ausgegangen, daß mit den vorhin beschriebenen Instrumenten Inhalte und Ziele der Weiterbildung identisch seien mit dem, was in der Definition beschrieben ist, und dieses nur im einzelnen ausdifferenziert.

Die differierende Interpretation hat einen anderen Ansatz, der besagt: Ziele und Inhalte sind eine Teilmenge des in der Definition insgesamt Beschriebenen. Durch die Weiterbildung und die anschließende Facharztanerkennung erhält man keine Weiterbildung vermittelt, die dazu befähigt, das gesamte Gebiet im Sinne der Definition auszufüllen, sondern es gibt auch nicht abgedeckte Räume. Das bedeutet beispielsweise, daß auch, wenn unter den Zielen und Inhalten der Weiterbildung bestimmte Künste nicht aufgeführt sind, sie trotzdem gebietszugehörig sind, wenn sie dazu führen, Diagnostik und Therapie in einem bestimmten Fach zu betreiben und Krankheitserkennung erfolgreich bewältigen zu können.

Das ist der entscheidende Unterschied. Wir sind davon ausgegangen: Wenn jemand die Facharztanerkennung hat, ist er im Sinne der Auflistung der Ziele und Inhalte der Weiterbildung ein kompetenter Facharzt bzw. eine kompetente Fachärztin. Darüber hinaus gibt es keinen Raum. Falls es zusätzliche Fähigkeiten und Fertigkeiten geben muß, müssen diese zusätzlich erworben werden. Ein entsprechender Antrag von Herrn Dr. Koch aus Bayern zielt darauf ab, zwischen diesen beiden Auffassungsunterschieden eine Abklärung herbeizuführen und bei der nächsten Novellierung eine einheitliche Meinungsbildung in Deutschland herzustellen. Das ist natürlich eminent wichtig, weil dies der Kern der Problematik ist und tief ins Eingemachte geht. Da dürfte es in unserer Republik keine Meinungsunterschiede geben; andernfalls hätten wir von der Philosophie her gesehen so starke Abweichungen, daß wir ins Schleudern gerieten und dem nicht gerecht würden, was wir leisten müssen.

Es gab auch Kritik an der (Muster-)Weiterbildungsordnung von 1992. Sie kam zumeist von innen, gelegentlich aber von außen. Es wurde beispielsweise behauptet, die Konzeption der Ausdifferenzierung sei falsch. Die Weiterbildungsordnung sei damit überfordert, das führe zu einer Hyperregulierung durch das Instrumentarium, zur Inflation der Bezeichnungen, zu einem entsprechenden Bedürfnis, Bezeichnungen zu sammeln, und zu einer Interaktion zwischen Berufsrecht und Sozialrecht, welche die Weiterbildungsordnung zu sehr in den Verteilungskampf ziehe. Wir müssen über diese Ansichten eine neue Grundsatzdebatte führen, ob wir bei der Ausdifferenzierung bleiben wollen und welche Konsequenzen es hat, wenn wir dies nicht tun. Wir müssen uns fragen, welche Ersatzlösungen angeboten werden könnten. Darauf komme ich später zurück.

Eine weitere Kritik stellt rechtliche Schwächen beim Abgleich mit den Heilberufsgesetzen der Länder fest. Diese Dinge haben wir 1992 vorhergesehen. Wir hatten an sich vorgesehen, 1994 eine Überprüfung vorzunehmen, um eventuell festzustellende Mängel zu beseitigen. Hierin sehe ich kein Problem.

Eine weitere Kritik bezieht sich auf rechtliche Unklarheiten oder Ungenauigkeiten in der Formulierung der (Muster-)Weiterbildungsordnung. Das werden wir wohl in den Griff bekommen.

Kritisiert wird ein angeblich übermäßiger Einfluß der Interessen der wissenschaftlichen Gesellschaften und der Berufsverbände. Das ist einzuordnen unter dem Begriff Zielkonflikte. Mir wurde ein Antrag angekündigt, zukünftig sollten Weiterbildungsfragen ohne Beteiligung der wissenschaftlichen Gesellschaften und der Berufsverbände behandelt werden. Allerdings liegt ein Antrag des Inhalts vor, daß wir die Probleme und diese Fragen gemeinsam mit den wissenschaftlichen Gesellschaften und den Berufsverbänden diskutieren sollen. Ich glaube, ausschließen können wir die wissenschaftlichen Gesellschaften und die Berufsverbände auf keinen Fall; denn das Know-how, das wir benötigen, um das Weiterbildungsrecht zu gestalten, kann genau wie bei der Qualitätssicherung nur von dort kommen. Es darf allerdings nicht so sein, daß die wissenschaftlichen Gesellschaften und die Berufsverbände einseitig bestimmen, was geschieht. Vielmehr muß die letzte Entscheidung bei uns liegen. Wir müssen die letzte Kompetenz behalten. Wenn sich herausstellen sollte, daß wir hier von einem geraden Kurs abgekommen sind, müssen Korrekturen vorgenommen werden. Dazu stehen wir.

Schließlich lautet ein Kritikpunkt, daß wir uns zu weit von den Mindestnormen der Europäischen Union entfernten. Auch darauf komme ich noch zurück.

Ich komme jetzt auf das tradierte Weiterbildungswesen zu sprechen. Ich erinnere Sie daran, daß es seit 1992 sozusagen eine neue Welt gibt. Das kann man nicht oft genug wiederholen. Es gab 1992 eine uneingeschränkte Berufszulassung durch die ärztliche Approbation. Die Weiterbildung war freiwillig; man konnte sich frei entscheiden, ob man und wo man sich weiterbilden wollte. Man konnte Bezeichnungen sammeln, man konnte sie negieren oder auch führen. Man konnte ärztlich tätig sein, ohne eine erfolgte Weiterbildung überhaupt zu benutzen. Die Freiheit im Arztberuf war damals noch relativ groß.

Es gab auch nur die Regelanerkennung von Zeiten und Inhalten. Es gab noch keine Curricula, es gab keine Stundenvorgaben. Wir hatten eine intakte Welt mit voll vergüteter ärztlicher Arbeit, innerhalb deren man die Weiterbildung absolvierte.

Der erste Änderungsschub kam 1983. Damals kippte der Arbeitsmarkt im Krankenhaussektor um. Die Zahl der Weiterbildungswilligen ist seitdem größer als die Zahl der zur Verfügung stehenden Stellen. Es kam 1986/87 über das Europarecht die spezifische Ausbildung in der Allgemeinmedizin hinzu. Damit gab es erstmals auch für die primäre ärztliche Versorgung im jeweiligen sozialen Sicherungssystem eine Vorschrift über eine Art Pflichtweiterbildung.

1987 kam ein Gesetz zur Befristung von Arbeitsverträgen im Krankenhaussektor, das erstmalig mit der Weiterbildung zu tun hatte, nachdem zuvor die Regel im Tarifrecht galt, daß unbefristete Arbeitsverträge abgeschlossen wurden.

Durch das Gesundheitsreformgesetz und das Gesundheitsstrukturgesetz haben wir eine "Revolution" erlebt. Vor dem Inkrafttreten dieser Gesetze gab es in der niedergelassenen Vertragsarztpraxis keine Altersgrenze. Es gab die Niederlassungsfreiheit als Arzt, Praktischer Arzt und Facharzt. Man konnte sich beispielsweise 15 Jahre lang als Facharzt betätigen und anschließend in den Status des Praktischen Arztes wechseln. Approbation und die eventuelle Weiterbildung waren Vorgaben, aber es gab keine Pflichtweiterbildung.

Nach dem Gesundheitsreformgesetz und dem Gesundheitsstrukturgesetz gab es völlig veränderte Verhältnisse. Es gibt eine Bedarfsplanung mit Niederlassungsbeschränkungen, mit Niederlassungssperren. Es gibt eine Altersbegrenzung, es gibt die Pflichtweiterbildung nach der Approbation. Es gibt die Aufteilung der Ärzteschaft in Hausärzte und Fachärzte. Das bedeutet nicht, daß die Ärzte in diese Gruppen aufgeteilt werden, sondern daß die Zuständigkeiten von Ärztinnen und Ärzten im ambulanten Versorgungssystem aufgeteilt werden.

Es gibt den Auftrag, die ambulante und die stationäre Versorgung zu integrieren. Es gibt neuerdings angestellte Ärzte in der Vertragsarztpraxis. Es gibt eine neue gesetzliche Vorschrift, die es möglich macht, daß Qualifikationsanforderungen, soweit sie im Weiterbildungsrecht nicht geregelt sind, auch im Sozialrecht geregelt werden können. Zumindest dann, wenn es sich um neue Methoden handelt, ist das eine neu hinzugekommene gesetzliche Möglichkeit.

Die "neue Welt" nach 1992 sieht eine duale Finanzierung mit Budgetierung vor, ferner die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente, eine Degression im Rehabilitationsbereich. Erwähnen möchte ich die Facharztstandardurteile sowie zunehmende Arbeitsteilung und Spezialisierung unter den Krankenhäusern.

Es gibt seit 1992 eine deutliche Aufteilung des Leistungsspektrums sowie eine Entwicklung von Monokulturen. Es gibt Krankenhauseinrichtungen, die sich mit einem einzigen Problem beschäftigen, beispielsweise die Herzchirurgie. Es ist nicht richtig, daß man dort ein umfassendes Leistungsspektrum erwarten kann. In der Regel wird dort nur Koronarchirurgie betrieben, weil man damit Geld verdienen kann. Was das für die Weiterbildung bedeutet, können Sie sich denken.

Neu nach 1992 ist auch die Vernetzung von Arztpraxen und die Einrichtung von Arztpraxen in Krankenhäusern.

Aus den beschriebenen Entwicklungen ziehe ich das Fazit Nr. 1: Die Krankenhäuser sind vermehrt an Fachärzten interessiert, insbesondere auch in der Vergütungsform. Die Weiterbildungsmöglichkeiten im Sektor der niedergelassenen Ärzteschaft sind quantitativ bisher kein Kompensat. Es gibt eine ans Dramatische grenzende Konkurrenz unter den die Weiterbildung suchenden Ärztinnen und Ärzten.

Fazit Nr. 2: Trotz einer De-facto-Pflicht zur Weiterbildung gibt es kein Recht auf Weiterbildung, was jene die Weiterbildung suchenden Ärztinnen und Ärzte besonders beschwert. Damit gibt es de facto einen zweiten Numerus clausus vor Aufnahme der eigentlichen Berufstätigkeit. Ich glaube, das müssen wir mit großem Bedauern feststellen.

(Beifall)

Der erste Numerus clausus liegt vor der Aufnahme des Studiums; dort gehört er hin. Der zweite Numerus clausus ist unerträglich. Wir haben die Pflicht als Deutscher Ärztetag, unser Bestes zu geben, um mit diesem Problem fertig zu werden. Wir haben auch die Absicht, uns als Weiterbildungsgremien so gut wir können dem Problem zu stellen und zu helfen, Abhilfe zu schaffen.

Jetzt ein kleiner Exkurs in die europäische Entwicklung. Es gibt seit November 1996 Empfehlungen eines Beratenden Ausschusses für die ärztliche Bildung in Europa. Die entsprechenden Artikel sehen vor, daß zur Zeit 14 Gebiete in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union vorkommen müssen und 21 Gebiete in mindestens zwei Mitgliedsländern, wobei die Ärztinnen und Ärzte, die diese Gebietsbezeichnungen haben, zwischen den Ländern migrieren können, in denen es diese Gebiete gibt. Bisher gab es Mindestweiterbildungszeiten von drei bis fünf Jahren, zukünftig sollen es vier bis sechs Jahre sein. Es ist festgestellt worden, daß die Zahl der Gebiete, die es in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union gibt, von 14 auf 36 erhöht werden müßte, die Zahl der Gebiete, die in mindestens zwei Ländern der Europäischen Union vorkommen, von bisher 21 auf 54.

Außerdem gibt es aus diesem Beratenden Ausschuß ein Ergebnis vom November 1996, bei dem ergänzende Strukturvorgaben für den Ablauf der Weiterbildung vorgesehen sind. Dort finden sich auch einige Ideen, die in den hier auf dem Ärztetag vorliegenden Anträgen auftauchen: strukturiertes Weiterbildungsprogramm mit Verantwortung bei den Weiterbildungsstätten, den Weiterbildern und den Weiterbildungswilligen; ständige Bewertung der Weiterzubildenden während der Weiterbildung sowie Zulässigkeit der Zusammenführung von mehreren Weiterbildungsgängen zu Grundweiterbildungen, um später Ausdifferenzierungen vorzunehmen.

Ich möchte betonen, daß es sich nur um eine Empfehlung des Beratenden Ausschusses handelt, dem die entsprechenden Gremien der Europäischen Union eventuell folgen. Das ist bisher noch nicht abschließend entschieden. Aber es ist immerhin interessant, daß nur 14 Gebiete in den Richtlinien vorkommen, obwohl es mittlerweile 36 Gebiete gibt. Das ist eine erhebliche Veränderung gegenüber früher, die sich irgendwann einmal in Beschlüssen niederschlagen und dann auch auf uns durchschlagen wird.

Ich komme jetzt auf die Vorschläge für eine Novelle der (Mu-
ster-)Weiterbildungsordnung 1998 ff. zu sprechen. Es gibt den Vorschlag einer Reduktion der Bezeichnungen entsprechend der Art. 5 und 7 der Richtlinie 93/16 EWG. Es soll insgesamt nur noch 40 Bezeichnungen geben. Ferner gibt es den Vorschlag einer Reduktion der Mindestweiterbildungszeiten.

Außerdem gibt es den Vorschlag, Bezeichnungen, die seltener als 20mal im Jahr in allen Landesärztekammern verliehen werden, zu streichen, weil sie keine Relevanz haben. Dazu gehört beispielsweise das Fach Neuropathologie, ferner Klinische Pharmakologie. Es geht hierbei nicht um eine qualitative Diskussion, sondern es geht nur um Fragen der Quantität.

Vorgeschlagen werden Streichungen der fakultativen Weiterbildung und der Fachkunden als Instrumente. Ferner wird die Beseitigung erkannter Unklarheiten und Ungenauigkeiten im Paragraphenteil gefordert; damit haben wir wenig Probleme.

Vorgeschlagen wird ferner eine Überprüfung der Existenzberechtigung der Bezeichnungen in den Abschnitten I und II; es geht hierbei beispielsweise um die Anatomie, die Biochemie oder die Physiologie. Gefordert wird ferner eine Streichung der Zusatzbezeichnungen oder deren eventuelle Transposition in andere Rechtskreise, teilweise aus dem Weiterbildungsrecht hinaus.

Vorgeschlagen werden in Anlehnung an Gedanken auf europäischer Ebene Regelungen der Anforderungen an Weiterbilder und Weiterbildungsstätten. Eine Forderung bezieht sich auf die Regelung von Verbund-Befugniserteilungen an Krankenhäusern und bei niedergelassenen Ärzten. Dies geschieht bei einer Landesärztekammer bereits ansatzweise. Das wird sehr zu beachten sein.

Schließlich gibt es den Vorschlag, die Weiterbildung von dem bisherigen System der Anerkennung von Mindestzeiten und Mindestinhalten zu lösen und nur noch zu regeln, was das Weiterbildungsziel ist, was ein Facharzt-anwärter bzw. eine Facharztanwärterin können muß. Es soll am Schluß eine Prüfung stattfinden. Man hat auch die Idee der Aufnahme eines Facharztanwärters in eine andere Einheit, um zu prüfen, ob die entsprechende Qualifikation vorhanden ist, um so Gefälligkeitszeugnisse zu vermeiden. Das würde bedeuten, daß wir erst das europäische Recht ändern müßten, denn dort sind Mindestzeiten ein fester Bestandteil der anzuerkennenden Weiterbildung. Der Vorschlag ist sehr weitgehend, aber interessant und diskussionswürdig.

Im Heilberufsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen sind nur sechs Vorgaben plus zwei vorgesehen, nach denen das Weiterbildungsrecht gestaltet werden muß: 1. konservative Medizin, 2. operative Medizin, 3. nervenheilkundliche Medizin, 4. theoretische Medizin, 5. Ökologie und 6. methodisch-technische Medizin. An sich brauchten wir nur diese als Facharztanerkennungen, wenn wir uns nicht nach europäischem Recht, sondern nur nach unseren eigenen Heilberufsgesetzen richten müßten. Es ist aber Pflicht, den Arzt für Allgemeinmedizin und den Arzt für Öffentliches Gesundheitswesen in der Weiterbildungsordnung aufzuführen. Diese beiden Bezeichnungen können wir gar nicht zur Diskussion stellen, was wir ja auch nicht getan haben.

Das ist die Idee der Mindestnorm. Es gibt keinen offiziellen Antrag, die Reduktion unserer Weiterbildungsordnung so weit zu treiben, aber es wird diskutiert, und deshalb will ich es erwähnen.

Ich komme jetzt zu den Überlegungen zur Durchführung der Weiterbildung, die sich in den Weiterbildungsgremien herausgebildet haben. Wir müssen wohl zu einer stärkeren Nutzung der Weiterbildungsressourcen im niedergelassenen Sektor kommen. Sie kennen die Aussage: Geld folgt der Leistung. Darüber reden wir hier nicht mehr. Wenn das aber so wäre, müßte auch die Weiterbildung der Leistung folgen. Die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen sind ja bereit, das zu akzeptieren. Entsprechende Anträge auf Ausweitung der Anerkennung von Weiterbildung bei niedergelassenen Ärzten liegen vor.

Ferner gibt es Ideen, die Fortbildungsaktivitäten von Ärztinnen und Ärzten mit der Weiterbildung zu verweben, also Fortbildung und Weiterbildung in bestimmten Bereichen miteinander kompatibel zu machen und zu verquicken. Dazu wird Herr Professor Eckel im Rahmen des Tätigkeitsberichts Vorschläge unterbreiten.

Wenn eine arbeitsplatzbezogene Weiterbildung nicht mehr ausreichend sichergestellt werden kann und dabei zu viele Zumutungen für die Weiterbildungswilligen auftreten, soll es vorschlagsgemäß eine Erweiterung der Möglichkeiten zur Weiterbildung durch überbetriebliche Veranstaltungen geben. Es wird vorgeschlagen, die Akademien der Ärztekammern und andere Anbieter mit einzuschalten. Es wird vorgeschlagen, die Telekommunikation zu benutzen.

Es gibt den Vorschlag der Weiterbildung durch Simulationsmodelle, insbesondere in der operativen Medizin. Im vorigen Jahr hat die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie in München einen ganzen Nachmittag über die Frage diskutiert, wie man das Operieren erlernen kann, ohne sofort auf einen erkrankten Menschen losgelassen zu werden: zunächst durch Training an Simulationsmodellen, später beispielsweise am Tierpräparat.

Meine Damen und Herren, wir müssen uns als Deutscher Ärztetag und damit als Parlament der deutschen Ärzte klar darüber werden, welche Zuständigkeiten wir behalten wollen. Es gibt Systeme, in denen der Staat die Probleme löst, beispielsweise in Großbritannien. Ferner findet man Systeme, in denen der Markt die Probleme löst. So ist es beispielsweise in den USA. In Deutschland haben wir ein Privileg, das es anderswo kaum gibt, genau vergleichbar nirgendwo: Bei uns gilt das Prinzip der Selbstverwaltung. Die Selbstverwaltungskörperschaften sind durch staatliche Beauftragung berechtigt, sich jener Probleme anzunehmen, über die wir heute diskutieren. Als Ärztekammern haben wir in Fragen des Bildungsrechts bis an die äußersten Grenzen gehende Befugnisse. Wir können diese Zuständigkeit so weitreichend formulieren, daß für Mitbeteiligte nichts mehr übrigbleibt. Wir können aber auch nur Teilmengen selber regeln und den anderen auch etwas überlassen. Hier mache ich auf die Kassenärztlichen Vereinigungen und die gesetzliche Krankenversicherung aufmerksam. Wir wissen, daß die KVen nicht in der Lage sind, diese Aufgabe allein zu lösen, sondern dann sprechen die Krankenkassen über unsere beruflichen Anforderungen mit, bevor wir bestimmte Dinge leisten dürfen. Wir sehen genau, wie die Rolle der Ärzteschaft bei der Qualitätssicherung aussieht. Wie es uns ginge, wenn wir im Weiterbildungsbereich ähnlich Leine ließen bzw. lassen müßten, können wir uns leicht ausmalen. Wenn wir uns mit diesem Problem beschäftigen, müssen wir entscheiden, ob wir tatsächlich in die Situation geraten wollen, daß wir ähnlich wie Herr Kolkmann im Qualitätssicherungsbereich kämpfen müssen, damit wir unsere Rechte durchsetzen, wie wir dies im Weiterbildungsrecht bisher autark tun konnten.

Mein Plädoyer lautet: Wir sollten uns so wenig wie möglich abnehmen lassen.

(Beifall)

 

Ich möchte neue Regelungen neben der (Muster-)Weiterbildungsordnung nicht unerwähnt lassen. Es gibt den Vorschlag einer weiteren Zertifizierungsordnung im Fortbildungsbereich und in der Qualitätssicherung. Im Fortbildungsbereich ist in dieser Hinsicht eine Menge möglich und auch erforderlich, insbesondere auch deshalb, weil wir das Problem lösen müssen, daß bereits berufstätige Ärztinnen und Ärzte Qualifikationen müssen erreichen können, die nach der alten Philosophie des Weiterbildungsrechts vor der Berufstätigkeit erworben worden sein sollen. Wenn es neue Zusatzbezeichnungen oder sonstige Teilbezeichnungen gibt, müssen diese auch für diejenigen, die im Krankenhaus oder in der Praxis bereits im Beruf tätig sind, erreichbar sein. Es ist notwendig und auch unser Ziel, hierfür eine rechtliche Lösung zu finden.

(Beifall)

 

Ferner gibt es die Idee, die Facharztordnung von der Weiterbildungsordnung zu trennen. Das ist auf den ersten Blick eine spleenige Idee. Bisher sind wir immer davon ausgegangen, daß jemand, der zu etwas weitergebildet wird, Facharzt für dieses Gebiet ohne Wenn und Aber ist und für dieses Fachgebiet auch zuständig ist. Der produktive Streit - bekanntermaßen ist der Streit ein wesentlicher Faktor des Fortschritts - muß uns darüber nachdenken lassen, ob die Auseinandersetzung um die Funktion der Weiterbildungsordnung als Berufsausübungsregelungsordnung von der eigentlichen Weiterbildungsordnung getrennt werden muß, die für unsere nachrückenden Kolleginnen und Kollegen Geltung hat. Insofern ist die neue Weiterbildungsordnung als Teilmenge der Facharztordnung zu sehen. Wir müssen das sehr genau überlegen, und es muß rechtlich überprüft werden, ob und wie das praktiziert werden kann. Ich stelle die Frage an Sie, ob Sie solchen Gedankengängen zu folgen bereit sind. Wenn ja, werden wir uns in den Weiterbildungsgremien der Bundesärztekammer bemühen, auf einem der nächsten Ärztetage entsprechende Lösungsvorschläge zu unterbreiten.

Meine Damen und Herren, es ist meine Grundüberzeugung - Ihre sicher auch -, daß man komplexe Probleme zwar einfach darstellen kann, daß man sie aber nicht dekomplexieren kann, daß man sie nicht durch Vereinfachung beseitigen kann. Solche Probleme bleiben komplex. Wir müssen uns diesen komplexen Problemen stellen und sie in ihrer Komplexität lösen. Das klingt sehr abstrakt, ist aber ein Aufruf, nicht zu resignieren.

Wir sind durch die Ständige Konferenz und eine entsprechende Arbeitsgruppe in der Lage, auch mit komplexen Problemen fertig zu werden. Das gilt natürlich für den Vorstand allemal.

Es liegen folgende drei Anträge vor, die ich Ihnen kurz erläutern möchte. Der eine Antrag läuft darauf hinaus, daß Sie uns den Auftrag erteilen, die (Muster-)Weiterbildungsordnung zu überarbeiten. Es ist festzulegen, in welchem Ausmaß das geschehen soll und mit welcher Zielsetzung. Es geht auch um die Frage der Trennung der Facharztordnung von der Weiterbildungsordnung. Der Vorstand hat sich dem nicht als Antrag an Sie zuwenden können. Aber es kann ja sein, daß jemand von Ihnen dies für gut hält und es beantragt.

In einem weiteren Antrag vom Vorstand der Bundesärztekammer geht es um die Überprüfung der Einführung einer Zertifikatsordnung oder wie auch immer man es bezeichnen will. Schließlich legt der Vorstand einen Strukturantrag vor, was die weiteren Beratungen angeht. Der Vorstand meint, daß es nützlich wäre, ähnlich, wie wir es 1992 tatsächlich getan haben, nur noch den Paragraphenteil und die Definitionen der Gebiete im Deutschen Ärztetag zu beraten und die Feinziselierung dem Vorstand und den Weiterbildungsgremien der Bundesärztekammer zu überlassen. Es gibt den Antrag von Herrn Dr. Röderer, den wir begrüßen, das auf die Gestaltung und die Zeiten der Weiterbildungsordnung zu beschränken. Sie können aber auch sagen: Wir wollen als Deutscher Ärztetag über jeden Spiegelstrich befinden. Auch das wird natürlich sofort akzeptiert und durchgeführt. Die Frage, ob wir in Zukunft ein etwas einfacheres Verfahren praktizieren können, sollte Ihnen nicht vorenthalten werden.

Zum Schluß folgende Bemerkungen. Kommunikation ist nicht, was gemeint ist und transportiert werden soll, sondern das, was ankommt. Ich habe die Hoffnung, daß Sie mich verstanden haben, daß ich keine Bilderstürmerei befürworte, sondern eine behutsame und auf die neuen Rahmenbedingungen, die wir seit 1992 haben, abgestellte Entwicklung in bezug auf die neue (Muster-)Weiterbildungsordnung.

Ganz zum Schluß folgende Aussage von Kierkegaard: Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden. Das heißt, in unsere Sprache übersetzt: Wir alle sind immer bereit, nicht auszulernen.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Anhaltender lebhafter Beifall)