Dr. Udo Wolter, Präsident der Landesärztekammer Brandenburg:

Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Das Video "Wanderung durch die Mark Brandenburg", das musikalisch eindrucksvoll durch das Fünfte Brandenburgische Konzert D-Dur von Johann Sebastian Bach untermalt wurde, der fiktive Dialog von Hermann Fürst von Pückler-Muskau und Theodor Fontane sowie die Trachtengruppe der Cottbuser Gegend, die nach den Klängen unserer Brandenburg-Hymne diesen 102. Deutschen Ärztetag in Cottbus eröffneten, sollen allen Gästen einen Eindruck unserer schönen brandenburgischen Heimat vermitteln und den einen oder anderen ermuntern, wieder einmal vorbeizukommen.

Die brandenburgische Ärzteschaft begrüßt mit diesem Entree ihre Gäste aus ganz Deutschland, Europa und der Welt. Ärztetage haben im Land Brandenburg bisher nicht stattgefunden. Aber das medizinische Vereinswesen hat vor allem in der Region Cottbus eine lange Tradition. Anfang des 19. Jahrhunderts verstärkte sich der Wunsch nach kollegial-freundschaftlichen Zusammenkünften zum wissenschaftlich-praktischen Gedankenaustausch. Im November 1861 gründeten Ärzte aus Cottbus und Umgebung die "Freie Vereinigung der Ärzte der Niederlausitz". Neben dem Zusammenschluß auf Vereinsebene wurde nach öffentlich-rechtlicher Selbstverwaltung gestrebt. 1887 erfolgte die Wahl der ersten Ärztekammer für die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin. Nähere Beziehungen zur Medizinalgesetzgebung anzubahnen, ohne jedoch die Freizügigkeit und das Selbstentschließungsrecht der Ärzte zu beeinträchtigen, ist schon damals der hauptsächlichste Zweck der Gründung der preußischen Ärztekammer gewesen.

Nach vielen Jahren staatlich reglementierten Gesundheitswesens fanden sich dann im Frühjahr 1990 nach den ersten freien Volkskammerwahlen – wir waren damals noch DDR – erneut Ärztinnen und Ärzte hier in Cottbus zusammen, um eine Ärztekammer zu gründen. Vertreter des gerade erst entstandenen Virchow-Bundes und anderer Ärzteverbände, die bisher im Land Brandenburg noch nicht strukturiert waren, wurden eingeladen. Am 16. Juni 1990 beschlossen 41 Ärztinnen und Ärzte die Gründung der Ärztekammer Land Brandenburg. Am 30. August 1990 bestätigte der letzte Gesundheitsminister der DDR, Professor Dr. Kleditzsch, diese Berufsvertretung als Körperschaft öffentlichen Rechts, und am 29. September 1990 fand dann hier in Cottbus die erste Kammerwahl nach der Wende ihren Abschluß.

Nach erfolgreichem Aufbau unserer Ärztekammer freuen wir uns, heute die verfaßte Ärzteschaft zum 102. Deutschen Ärztetag begrüßen zu dürfen.

(Beifall)

Im Namen der brandenburgischen Ärztinnen und Ärzte möchte ich Sie alle in Cottbus willkommen heißen. Eine große Anzahl von Ehrengästen ist erschienen, von denen ich nur einige namentlich begrüßen kann.

Zum ersten Mal auf einem Deutschen Ärztetag begrüße ich Frau Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer.

(Beifall)

Besonders freue ich mich, auch unseren Ministerpräsidenten, Herrn Dr. Manfred Stolpe, hier in Cottbus begrüßen zu dürfen.

(Beifall)

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kleinschmidt, herzlich willkommen in Ihrer Stadthalle. Ich verbinde diesen Gruß mit dem herzlichen Dank der deutschen Ärzteschaft dafür, daß wir hier bei Ihnen zu Gast sein dürfen.

(Beifall)

Ich bedanke mich bei beiden Herren für ihre Unterstützung, hier in Cottbus eine Tradition vieler Ärztetage fortsetzen zu können: Wir bitten unsere Gäste nach dieser Eröffnungsveranstaltung zu einem Empfang.

Ich begrüße, stellvertretend für alle Gäste aus dem brandenburgischen Gesundheitsministerium, recht herzlich Herrn Staatssekretär Herwig Schirmer.

(Beifall)

Die brandenburgische Ärzteschaft hat erst seit 1996 das Glück, mit Ihnen reden zu dürfen. Wir bedanken uns für Ihre Bereitschaft, unsere Probleme wenigstens anzuhören.

(Beifall - Heiterkeit)

Denn nur dort, wo man gehört wird, kann der stete Tropfen den Stein höhlen.

(Beifall)

Ich begrüße alle Damen und Herren Bundestags- und Landtagsabgeordneten. Ich begrüße Präsidenten, Geschäftsführer und Vertreter der Kammern der freien Berufe und die Vertreter der anderen Heilberufe. Ich begrüße auch die Vertreter der Krankenkassen und Krankenversicherungen. Ich begrüße alle Paracelsus-Medaillen-Träger und die, denen diese Ehrung heute zuteil wird, sowie ihre Angehörigen.

Unter uns weilen Frau Dr. Waltraud Diekhaus, Generalsekretärin des Internationalen Ärztinnenbundes, und Herr Dr. Delon Human, Generalsekretär des Weltärztebundes. Ich begrüße beide im Namen der hier versammelten Ärzteschaft.

(Beifall)

Die Landesärztekammer Brandenburg begrüßt herzlich ihren Ehrenpräsidenten des 102. Deutschen Ärztetages. Herr Professor Gerhard Schüßling war bis 1994 Chefarzt der Frauenklinik in Frankfurt/Oder. Er war beim Aufbau der Landesärztekammer einer der engagierten Kollegen. Er ist vor allem auch in der Arbeitsgemeinschaft Brandenburgischer Tumorzentren, Onkologischer Schwerpunkte und Arbeitskreise aktiv tätig. Herzlich willkommen, Herr Ehrenpräsident!

(Beifall)

Wir begrüßen Herrn Professor Bourmer, den Ehrenpräsidenten des 99. Deutschen Ärztetages

(Beifall)

sowie den Ehrenpräsidenten des 101. Deutschen Ärztetages, Herrn Dr. Baldus.

(Beifall)

Unter uns begrüße ich auch den Ersten Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Herrn Kollegen Schorre, recht herzlich.

(Beifall)

Sie haben, wie in jedem Jahr, den Vorteil, bereits vor Beginn des Ärztetages Ventile zu öffnen. Auch in diesem Jahr mußte das vorrangige Thema notgedrungen die Strukturreform sein.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist mir eine Freude, auch alle Akteure dieses Ärztetages zu begrüßen, besonders herzlich den Präsidenten der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, Herrn Professor Karsten Vilmar.

(Anhaltender lebhafter Beifall)

Ich begrüße die Präsidentin und die Präsidenten der Landesärztekammern, die Geschäftsführungen, die Delegierten und alle, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit zum Gelingen dieses Ärztetages beitragen werden.

(Beifall)

Heute vor einem Monat, Frau Ministerin, am 1. Mai 1999, haben Sie bereits im Gewandhaus in Leipzig einen kleinen Vorgeschmack des ostdeutschen Unwillens gegen Ihre Gesundheitspolitik gespürt. Der Unmut war nach meiner Meinung berechtigt, zumal Sie bei einigen Fragen so taten, als hätten wir im Osten gleiche Verhältnisse und Bedingungen wie im Westen. Frau Ministerin, Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren Bundestags- und Landtagsabgeordneten, Herr Staatssekretär, ich wäre ein schlechter ostdeutscher Ärztekammerpräsident, wenn ich nicht diese Möglichkeit nutzen würde, hier in Cottbus im Land Brandenburg auf einige spezifische Ostprobleme hinzuweisen, die Sie – so wünsche ich es mir – für Ihre weiteren Entscheidungen mitnehmen sollten.

In Vorbereitung dieses 102. Deutschen Ärztetages habe ich mich auch an das Grundgesetz erinnert. Ich möchte daraus nur kurz zitieren:

Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.

(Beifall)

Noch klarer wird dann in Art. 3 Abs. 3 folgendes gesagt:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

(Beifall)

 

Denken Sie des öfteren an diese für uns wohlklingenden Worte? Haben Sie daran gedacht, als entschieden wurde, die Krankenhausbudgets 1999 an die Veränderungsrate 1998 zu binden, die in den alten Ländern eine Steigerungsrate von 1,73 Prozent vorsehen und in den neuen Ländern ein Minuswachstum von 0,48 Prozent? Dieses Minuswachstum wird in den ostdeutschen Krankenhäusern dadurch noch verschärft, daß die sicher zu begrüßende BAT-Gehaltssteigerung von 3,1 Prozent laut § 6 Abs. 3 der Bundespflegesatzverordnung nur zu einem Drittel refinanziert wird. Im Gegensatz zu den alten Bundesländern mit 17,8 Prozent beträgt der Anteil der Ausgaben für die ambulante Versorgung durch die Krankenkassen in den neuen Bundesländern durchschnittlich nur 13,4 Prozent.

Haben Sie es sich mit dem Aussetzen der GOÄ-Ost-Anpassung nicht etwas zu leicht gemacht? Es sind doch nicht nur die wenigen Privatpatienten in den neuen Ländern, um die es geht. Es geht um die adäquate Honorierung des Arbeitsunfallwesens, und es geht vor allem auch um die vielen Begutachtungen, die sich nach der GOÄ richten. Machen Sie es sich nicht zu einfach, wenn Sie zur Begründung Statistiken heranziehen, die mit privater Krankenversicherung, Arbeitsunfallwesen und Begutachtung nicht das geringste zu tun haben? Sie wissen, daß bereits Churchill sinngemäß gesagt hat, er würde nur der Statistik glauben, die er selbst gefälscht habe.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren Vertreter der privaten Krankenversicherungen, müßte es nicht gerade Ihr Anliegen sein, sich mit uns wegen unserer Bemühungen, den Privatpatienten im Osten zu ihrem Recht zu verhelfen, zu solidarisieren, anstatt weiterhin eine Diskriminierung zu unterstützen?

(Beifall)

Bereits seit dem ersten gemeinsamen Deutschen Ärztetag in Hamburg fordert die verfaßte Ärzteschaft die Angleichung der GOÄ, die mit der Grundlohnsummenentwicklung nicht das geringste zu tun hat. Das Ergebnis kennen Sie alle.

Bei der Diskussion um Reformen im Gesundheitswesen wird immer wieder über die Stärkung der Rolle des Patienten gesprochen. Teilweise wird sogar versucht, das seit Jahrtausenden bestehende Arzt-Patienten-Verhältnis politisch zu mißbrauchen. Sehr geehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade diese für unsere Arbeit so wichtige Beziehung bestand in der Vergangenheit und besteht heute fort. Dieses Verhältnis ist nach meiner Meinung ein Garant für ein intaktes Gesundheitswesen. Nur die notwendige Zuwendung zu ihren Patienten hat den Ärzten in der damaligen DDR die Möglichkeit gegeben, Freiräume zu schaffen. Die schnelle Angleichung des ambulanten und stationären Gesundheitswesens nach der Wende war ein Ausdruck dafür, daß wir Ärztinnen und Ärzte im Osten keine Ungleichbehandlung unserer Patienten hinnehmen wollten. Wir lassen uns dieses wichtige Gestaltungsmittel nicht nehmen. Jeden Tag werden in Deutschland Tausende Menschen von Ärzten behandelt und geheilt. Dafür halten wir einen hohen Standard vor.

Sicher ist es wichtig, Zweit- oder Drittmeinungen einzuholen, Frau Ministerin, wie Sie es in Leipzig ausführten. Aber warum nur im Gesundheitswesen?

(Beifall)

Die Finanzkraft des einzelnen limitiert doch in anderen Bereichen dieses Recht ganz eklatant. Wenn ich Rechtsbeistand benötige und nacheinander drei Anwälte befrage, erhalte ich drei Antworten und drei Rechnungen. Der Besuch von drei Ärzten zu einem Krankheitsbild kostet die Krankenkassen unter den Bedingungen des gedeckelten Budgets keinen Pfennig mehr als der Besuch nur eines Arztes.

(Beifall)

Besonders interessieren würde mich, meine sehr verehrten Damen und Herren Politiker, welche Institution Sie schaffen werden, bei der ich mir eine Zweitmeinung zu Ihrer Gesundheitspolitik einholen kann.

(Beifall)

Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren, unser heute beginnender 102. Deutscher Ärztetag muß auch hier die Möglichkeit zu einem Konsens bieten. Es gibt so viele Dinge, die der Patient will, aber auch nach diesen Reformen nicht erhalten wird. Viele Dinge fordert die Ärzteschaft schon seit sehr langer Zeit, wie zum Beispiel die Integration ambulant/stationär, die in vielen Bereichen schon weiter fortgeschritten ist, als manche eingestehen wollen. Die Positivliste, bereits von Horst Seehofer am Anfang seiner Reformzeit großartig angekündigt, wurde nie durchgesetzt. Aber nicht hinnehmen können wir Qualitätsabbau durch Rationierung

(Beifall)

sowie Wartelisten für notwendige Operationen und andere Behandlungen. Besonders schlimm wäre es, wenn die Ärzteschaft dazu instrumentalisiert werden sollte, aus Finanzgründen zu entscheiden, wem eine adäquate Behandlung zukommen soll und wem nicht.

(Beifall)

Vergessen Sie nicht die Gesundheitsvorsorge, die aus monetischen Gründen immer weiter in den Hintergrund gerät. Gerade diese müßte doch der Gradmesser einer intakten Gesellschaft sein.

Zum Schluß möchte ich noch zwei Dinge sagen. Ich möchte alle Damen und Herren, die für die tägliche Berichterstattung in Funk, Fernsehen und Tagespresse verantwortlich sind, hier in Cottbus begrüßen. Ich möchte Ihnen mit auf den Weg geben, daß nur die objektive Darstellung dieser Sachverhalte Sie in Zukunft in die Lage versetzen wird, Ihren Anteil zum Gelingen der anstehenden Reformen zu leisten. Degradieren Sie das Arzt-Patienten-Verhältnis nicht auf nackte Monetik. Dies bringt nicht nur Schaden für die Ärzteschaft, sondern Sie verdummen systematisch unseren Partner, den Patienten.

(Beifall)

Last, but not least möchte ich es nicht versäumen, vor diesem großen Gremium unseren Partnerkammern in Westfalen-Lippe und Nordrhein sowie der Ärztekammer Saarland für die wichtige erste Unterstützung nach der Wende zu danken. Wir haben Ihre Unterstützung gern angenommen. Sie sehen, wo wir heute stehen.

Ich sage vielen Dank und wünsche uns allen gutes Gelingen.

(Beifall)


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